Stolperstein Aktivlegitimation bei Persönlichkeitsverletzungsklagen

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Bundesgericht verneinte die Aktivlegitimation im Zusammenhang mit dem Vorwurf der Manipulation eines Videos

Dr. Christoph Born, Rechtsanwalt, Zürich

Résumé: Dans un verdict du 13 janvier 2021 (5A_846/2020), le Tribunal fédéral (TF) a confirmé sa pratique pour déterminer la qualité pour agir (ou «légitimation active») pour dénoncer une atteinte à la personnalité. Dans le cas d’espèce, qui porte sur un courriel envoyé dans le cadre de la dénonciation d’abus commis sur un élevage d’animaux, savoir comment l’unique destinataire du courriel incriminé l’avait compris ne joue aucun rôle. Le défenseur des animaux Erwin Kessler en avait reçu une copie et, se sentant agressé, avait déposé plainte. Mais le Tribunal cantonal thurgovien avait, comme le TF plus tard, estimé qu’il n’était pas directement concerné, qu’il n’avait donc pas qualité pour agir et avait rejeté sa plainte. Les explications du Tribunal fédéral ne satisfont toutefois pas complètement l’auteur de cet article. Selon lui, le fait qu’Erwin Kessler ait eu connaissance du courriel est au moins un indice que la destinataire pourrait l’avoir (aussi) considéré comme la cible de la critique de manipulation. L’auteur doute que l’explication juridique corresponde à la réalité.

Zusammenfassung: Das Bundesgericht bestätigt in seinem Urteil 5A_846/2020 vom 13. Januar 2021 seine Praxis, dass die Aktivlegitimation bei Klagen betreffend Persönlichkeitsverletzungen eine «direkte Betroffenheit» voraussetzt. Ob eine solche im beurteilten Fall vorlag, prüfte es als Rechtsfrage. Wie die (einzige) Empfängerin der eingeklagten Aussage diese tatsächlich verstanden hatte, spielte keine Rolle. Bereits die Vorinstanz, das Obergericht des Kantons Thurgau, hatte die direkte Betroffenheit verneint und die Klage wegen der fehlenden Aktivlegitimation abgewiesen. Den Autor befriedigt das Ergebnis aus Lausanne nicht ganz: Die Tatsache, dass die E-Mail Erwin Kessler zur Kenntnis gebracht wurde, sei zumindest ein Indiz dafür, dass die Empfängerin (auch) ihn als Adressaten des Manipulationsvorwurfs erachtet haben könnte. Es sei somit zweifelhaft, ob die rechtliche Beurteilung der Realität entspreche.

I. Inhalt des Urteils in Kürze

Sachverhalt

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Am 15. Oktober 2018 veröffentlichte der Verein gegen Tierfabriken (VgT) auf seiner Website einen Artikel, in dem der Umgang eines Landwirts mit seinen Schafen kritisiert wurde. Der Online-Artikel enthielt einen Link zu einem Video, das den Landwirt zeigt, wie er Lämmer schlägt, ihnen Fusstritte und Kniestösse versetzt, sie an den Hinterbeinen herumschleift und über einen Zaun wirft. Am 10. November 2018 berichtete der Sender Tele Top über eine Mahnwache, welche der VgT in Frauenfeld zu diesem Fall abhielt. Dabei wurde auch eine Sequenz aus dem Video des VgT sowie Stellungnahmen von Erwin Kessler, dem Präsidenten des VgT, und eines Kantonsrats ausgestrahlt. In seinem Statement qualifizierte der Kantonsrat die Demonstration als «völlig fehl am Platz», denn bei einer «seriösen Betrachtung» ergäben sich keine Anhaltspunkte für Tierquälerei. Am 13. November 2018 erhielt der Kantonsrat eine E-Mail von einer Drittperson, die ihn wegen seiner Äusserungen in der Sendung kritisierte. Dieser Person antwortete der Kantonsrat gleichentags u.a. wie folgt: «Wie oft haben Sie sich das Video angeschaut, und dabei sich selbst die Frage gestellt, wie es aussehen würde, wenn es nicht manipuliert worden wäre?» U.a. wegen dieser Äusserung reichte Erwin Kessler Klage gegen den Kantonsrat ein mit dem Begehren, es sei festzustellen, dass der Kantonsrat ihn dadurch in seiner Persönlichkeit widerrechtlich verletzt habe.

Vorinstanzliche Urteile

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Das Bezirksgericht Münchwilen beschloss, es sei auf dieses Rechtsbegehren mangels Beschwer nicht einzutreten. Der Kantonsrat habe Erwin Kessler nicht für die angebliche Manipulation des Videos verantwortliche gemacht. Diesem gehe deshalb das «schutzwürdige Interesse» ab. Das Obergericht des Kantons Thurgau hob diesen Beschluss auf und wies die Klage in diesem Punkt ab. Es stellte zuerst fest, die erstinstanzliche Argumentation betreffe nicht das Rechtsschutzinteresse, sondern vielmehr die Aktivlegitimation, weil es um die Frage gehe, wessen Persönlichkeit die strittige Äusserung verletze resp. welche Person die umstrittene Aussage direkt betreffe. Weiter prüfte es, ob Erwin Kessler durch die Äusserung in der E-Mail des Kantonsrats konkret betroffen sei. Es kam – auch unter Berücksichtigung des Zusammenhangs und Kontexts, in dem die Äusserung gemacht wurde – zum Schluss, dass es an der Betroffenheit von Erwin Kessler fehle. Damit sei dieser nicht aktivlegitimiert, und das Bezirksgericht hätte das Rechtsbegehren abweisen müssen (vgl. dazu Erwägung 3.1 des Bundesgerichtsurteils). Diesen Entscheid focht Erwin Kessler mit Beschwerde ans Bundesgericht an.

Urteil des Bundesgerichts

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Das Bundesgericht folgte den Erwägungen des Obergerichts. Dieses habe nachvollziehbar dargelegt, «dass sich weder aus dem Wortlaut der strittigen E-Mail noch aus den Begleitumständen eine direkte Betroffenheit des Beschwerdeführers herauslesen lässt» (Erwägung 3.4). Die in der E-Mail enthaltene Passage des Beschwerdegegners (des Kantonsrats) erschöpfe sich in der Aussage, das Video sei manipuliert. «Eine Aussage darüber, wer für die Manipulation verantwortlich sein könnte, enthält die E-Mail nicht» (E. 3.4). Nach den verbindlichen Feststellungen des Obergerichts habe der VgT – und nicht Erwin Kessler – das Video veröffentlich (E. 3.4). Dementsprechend erachtete das Bundesgericht die Beschwerde in Bezug auf die vorinstanzlich verneinte Aktivlegitimation als unbegründet (3.6) und wies sie ab.

II. Anmerkungen

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Mit der Unterscheidung zwischen fehlendem Rechtsschutzinteresse und fehlender Aktivlegitimation bei Klagen betreffend Persönlichkeitsverletzungen, die im Verfahren vor dem Obergericht eine Rolle gespielt hatte, musste sich das Bundesgericht nicht (mehr) befassen. Dennoch sei der Unterschied hier kurz aufgezeigt:

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Gemäss Art. 59 Abs. 1 ZPO tritt das Gericht auf eine Klage oder auf ein Gesuch (materiell) ein, «sofern die Prozessvoraussetzungen erfüllt sind». Eine der in Art. 59 Abs. 2 ZPO genannten Prozessvoraussetzungen ist die folgende: «Die klagende oder gesuchstellende Partei hat ein schutzwürdiges Interesse» (Art. 59 Abs. 2 lit. a ZPO). Diese Voraussetzung verdeutlicht das Bundesgericht wie folgt: «Erforderlich ist im Regelfall ein persönliches Interesse des Klägers, welches in dem Sinn rechtlicher Natur ist, als die verlangte Leistung, die anbegehrte Feststellung oder Gestaltung einer Rechtslage ihm einen Nutzen bringen muss. (…) Demgegenüber fehlt das Rechtsschutzinteresse, wenn das Urteil dem Kläger auch im Falle des Obsiegens keinen Nutzen bringt» (BGer 4A_127/2019, E. 4, mit Hinweisen auf die Literatur und weitere Bundesgerichtsurteile). Letzteres wäre zum Beispiel bei einer Unterlassungsklage der Fall, wenn das Verhalten des Beklagten eine künftige Persönlichkeitsverletzung nicht mehr ernsthaft befürchten lässt (vgl. BGer 4A_250/2018, E. 3.2 – e contrario). Bei einem Feststellungsbegehren, wie es Erwin Kessler gestellt hat, ist das Rechtsschutzinteresse jedoch zu bejahen, zumal der Feststellungsklage gemäss Art. 28a Abs. 1 Ziff. 3 ZGB eine Beseitigungsfunktion zukommt (vgl. dazu BGer 5A_365/2017, E. 4.1). Das Obergericht des Kantons Thurgau hat den Nichteintretensbeschluss des Bezirksgerichts Münchwilen somit zu recht aufgehoben

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Die Aktivlegitimation ist eine Frage des materiellen Rechts (BGer 5A_641/2011, E. 5.1). Fehlt sie, ist die Klage abzuweisen. «Als aktivlegitimiert zu den Klagen gemäss Art. 28a Abs. 1 ZGB gilt, wer Träger des Persönlichkeitsrechts ist, dessen Verletzung er behauptet (Art. 28 Abs. 1 ZGB). Vorausgesetzt ist eine persönliche und direkt treffende Verletzung. Bloss mittelbare Verletzungen oder deren indirekte Folgen begründen keine Aktivlegitimation» (BGer 5A_773/2018, E. 5). Konkreter: «Zu den Voraussetzungen der Persönlichkeitsverletzung zählt, dass der Betroffene aufgrund der Verletzungshandlung – beispielsweise bei Ausführungen in einem persönlichen Brief – individualisiert werden kann und dass – namentlich bei Darstellungen in den Massenmedien – auch andere Personen erkennen können, um wen es sich handelt» (BGer 5A_773/2018, E. 6.3.1). Dementsprechend haben das Obergericht und das Bundesgericht im vorliegenden Fall geprüft, ob Erwin Kessler in der an die Drittperson (also nicht an Erwin Kessler) gerichtete Frage («Wie oft haben Sie sich das Video angeschaut, und dabei sich selbst die Frage gestellt, wie es aussehen würde, wenn es nicht manipuliert worden wäre?») als Adressat des Vorwurfs der Manipulation individualisier- bzw. erkennbar ist. Beide Instanzen sind zum Schluss gekommen, dass dies nicht der Fall ist bzw. dass Erwin Kessler von dieser Frage nicht direkt betroffen ist, und sie haben die Aktivlegitimation deshalb verneint.

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Sowohl das Ober- als auch das Bundesgericht haben die Frage, ob Erwin Kessler in der eingeklagten Aussage individualisiert werden kann, aus objektiver Sicht – und damit als reine Rechtsfrage – beurteilt. Die Frage, wie die Empfängerin der E-Mail diese Äusserung verstand, d.h. ob sie darin einen Vorwurf an Erwin Kessler erblickte oder nicht, wurde offenbar nicht geprüft. Dies erscheint unter zwei Aspekten als unbefriedigend: Zum einen ist die Empfängerin die einzige Person, in deren Augen eine Persönlichkeitsverletzung stattgefunden haben kann – oder nicht, und zum andern ist die Tatsache, dass Erwin Kessler Kenntnis von der E-Mail erhielt, zumindest ein Indiz dafür, dass die Empfängerin (auch) ihn als Adressaten des Manipulationsvorwurfs erachtet haben könnte. Es ist somit zweifelhaft, ob die rechtliche Beurteilung der Realität entspricht.


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