Biosimilars helfen sparen

Organisationen
Ausgabe
2023/25
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2023.21593
Schweiz Ärzteztg. 2023;104(25):38-40

Affiliations
a MSc, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Winterthurer Institut für Gesundheitsökonomie, Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften; b Dr., Leiter HTA und gesundheitsökonomische Evaluationen, Winterthurer Institut für Gesundheitsökonomie, Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften; c Prof. Dr., Institutsleiter, Winterthurer Institut für Gesundheitsökonomie, Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften

Publiziert am 21.06.2023

Arzneimittel Sie sind gleichwertig und kostengünstiger. Dennoch werden Biosimilars – die Nachahmerprodukte von Biologika – in der Schweiz bisher selten verordnet. Was sind die Gründe dafür? Ein im Auftrag des BAG durchgeführtes Health Technology Assessment (HTA) liefert Antworten anhand des Biologikums Infliximab und dessen Biosimilars bei der Behandlung von rheumatoider Arthritis.
Nur 15% des Umsatzes aller Biologika, für welche in der Schweiz mindestens ein Biosimilar zugelassen ist, fallen auf Biosimilars [1]. In anderen Ländern werden Biosimilars viel häufiger verschrieben. So decken Biosimilars in Dänemark rund 90% der Wirkstoffgesamtmenge ab [2,3] und auch in Deutschland liegt der Anteil bei fast 60% [1]. Ein neueres HTA bestätigt am Beispiel von Infliximab, dass Biosimilars in der Schweiz nur zögerlich eingesetzt werden und zeigt, welche Kosten gespart werden könnten, wenn vermehrt Biosimilars eingesetzt würden [4].

Biosimilar Markt in der Schweiz

Seit im Jahr 2009 das erste Biosimilar in der Schweiz eingeführt wurde, kommen jedes Jahr aufgrund von Patentabläufen neue Biosimilars auf den Markt. Inzwischen sind in der Schweiz 31 Biosimilars zugelassen [1]. Eine Schätzung beziffert die Kosteneinsparungen im Schweizer Gesundheitssystem durch vermehrten Einsatz von Biosimilars auf bis zu 100 Millionen Franken über drei Jahre, wenn die Hälfte aller bestehenden und neuen Patientinnen und Patienten auf Biosimilars umsteigen würden [5]. Hätte man alle Biologika, für welche in der Schweiz zugelassene Biosimilars verfügbar sind, mit Biosimilars ersetzt, hätte man im Jahre 2020 in der Schweiz bis zu 86 Millionen Franken einsparen können [1]. Das erste Biosimilar mit dem Wirkstoff Infliximab wurde in der Schweiz bereits 2015 zugelassen. Seither kamen zwei weitere Infliximab-Biosimilars dazu. Trotzdem lag der Anteil an Bezügen der Biosimilars mit dem Wirkstoff Infliximab im Jahr 2020 nur bei 28% [1].
Mit Biosimilars sollen bei gleicher Behandlungsqualität Kosten eingespart werden.
© Simon Mumenthaler / Unsplash

Blick in andere Länder

Andere Länder haben verschiedene Massnahmen ergriffen, um die Verschreibung von Biosimilars zu erhöhen und damit Kosten einzusparen. Beispiele sind die Aktualisierung der klinischen Richtlinien, eine Erstbehandlung immer mit einem Biosimilar zu starten (Dänemark, Island), die Einführung eines grösseren Preisunterschieds zwischen den patentabgelaufenen Biologika (genannt Referenzprodukte) und ihren Biosimilars (Irland, Italien, Österreich), die Einführung eines höheren Selbstbehalts beim Referenzprodukt (Niederlande, Bulgarien, Rumänien), die Ausschreibungen von Verträgen mit Herstellern auf zentraler oder lokaler Ebene (Dänemark, England, Finnland, Frankreich, Niederlande, Norwegen, Portugal, Schweden) oder Verordnungsquoten für Biosimilars (Deutschland, Italien, Schweden, Ungarn) [6–8]. Das Beispiel Infliximab zeigt, dass der Biosimilar Markt in Deutschland erfolgreicher ist. Dort betrug der Biosimilar Anteil von Infliximab 70.4% im Jahr 2020 [1]. Deutschland erliess 2019 ein Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung [9]. Dieses regelt die Austauschbarkeit von biologischen Referenzprodukten durch Biosimilars und sieht zudem die Biosimilarsubstitution auf Apothekenebene nach einer Übergangszeit von drei Jahren vor.

Wirksamkeit und Sparpotenzial

Angesichts des zögerlichen Einsatzes von Biosimilars in der Schweiz und dem offensichtlichen Kosteneinsparpotential hat das BAG ein Health Technology Assessment (HTA) zu Infliximab in Auftrag gegeben. Der Fokus lag dabei auf der Behandlung von rheumatoider Arthritis.
Zu jedem HTA gehört eine ausführliche Analyse aller bisher durchgeführten Studien zu den Forschungsfragen. In der systematischen Literaturrecherche wurden neun randomisierte, kontrollierte Studien identifiziert. Sieben davon untersuchten den Behandlungsbeginn mit Biosimilars statt mit dem Infliximab Referenzprodukt und zwei den Wechsel vom Infliximab Referenzprodukt zu einem Biosimilar. Die auf den identifizierten Studien basierte Metaanalyse zeigte eine vergleichbare Wirksamkeit und Sicherheit vom Infliximab Referenzprodukt und dessen Biosimilars bei Patientinnen und Patienten mit rheumatoider Arthritis. Es gab für keinen der untersuchten Outcome-Parameter (Anzahl betroffene Gelenke, Blutwerte, Schmerzen, physische Funktion, allgemeiner Gesundheitszustand) statistisch signifikante oder klinisch relevante Unterschiede. Dies traf sowohl auf den Behandlungsbeginn mit einem Biosimilar wie auch auf den Wechsel vom Referenzprodukt auf ein Biosimilar zu. Die Qualität der Evidenzlage wurde für den Behandlungsbeginn als gut bewertet und für den Wechsel als gering bis mässig, da hier in den Studien unterschiedliche Untersuchungszeitpunkte und breite Vertrauensintervalle vorlagen.
Die im HTA durchgeführte Kostenanalyse zeigte, dass mit den im Jahr 2019 festgelegten Preisunterschieden mit jedem Behandlungsbeginn mit einem Infliximab Biosimilar und jedem Wechsel vom Infliximab Referenzprodukt zu einem Biosimilar über die Restlebenszeit der Person rund 18 000 Franken hätten gespart werden können [4]. Bei jährlich circa 60 neuen Patientinnen und Patienten mit rheumatoider Arthritis, die für die Behandlung mit Infliximab infrage kommen, wurden die Kosteneinsparungen basierend auf den Preisen von 2019 für den Behandlungsbeginn mit Biosimilars über fünf Jahre auf circa 1.6 Millionen Franken geschätzt (Abbildung 1). Wären die zum Zeitpunkt der Erhebung etwa 1000 mit dem Infliximab Referenzprodukt behandelten Patientinnen und Patienten mit rheumatoider Arthritis auf ein Biosimilar umgestiegen, hätte das über fünf Jahre zu einer Kosteneinsparung von 9.3 Millionen Franken führen können (Abbildung 1). Im Rahmen der dreijährlichen Überprüfung der Arzneimittel, die in der Spezialitätenliste aufgeführt sind, wurde der Preis des Infliximab Referenzproduktes am 1. Juni 2021 um 17% gesenkt. Damit beträgt das aktuelle Einsparpotential über die Restlebenszeit rund 6000 Franken pro Patientin oder Patient und i) 0.5 und ii) 3.1 Millionen Franken über fünf Jahre, wenn die Infliximab-Patientinnen und -Patienten, welche an rheumatoider Arthritis leiden, mit dem Biosimilar starten (i) respektive auf das Biosimilar umsteigen (ii) (Abbildung 1).
Abbildung 1: Sparpotential beim Wechsel vom Infliximab Referenzprodukt zu einem Biosimilar

Mögliche Hürden für Biosimilars

Das HTA zeigt auf, dass die Austauschbarkeit von Biologika und Biosimilars in der Schweiz weder im Heilmittelrecht noch im Krankenversicherungsrecht ausdrücklich geregelt ist. Der Entscheid über einen allfälligen Wechsel ist in jedem Fall durch den behandelnden Arzt oder die behandelnde Ärztin zu treffen, dies unter Einhaltung der rechtlichen Berufs- und Sorgfaltspflichten. Der Austausch von Biologika mit ihren Biosimilars ist in der Schweiz nicht explizit erlaubt. Diese rechtliche Unsicherheit bremst den Einsatz von Biosimilars. Hilfreich wäre, wenn die Austauschbarkeit in der Schweiz ausdrücklich geregelt wäre, wie es beispielsweise die europäische Arzneimittelbehörde und die Leitungen der nationalen Arzneimittelbehörden gemacht haben: Sie haben eine gemeinsame Erklärung abgegeben, in der sie bestätigen, dass in der Europäischen Union zugelassene Biosimilars mit ihren Referenzprodukten (oder umgekehrt) oder mit einem gleichwertigen Biosimilar austauschbar sind [10].
Weiter behindern auch die preisabhängigen Margen einen breiteren Einsatz von Biosimilars in der Schweiz. So führt der höhere Preis der Referenzprodukte zu höheren Margen für die Leistungserbringer und damit zu einem finanziellen Anreiz diese abzugeben. Bald könnte dieser Fehlanreiz reduziert werden. Curafutura, die FMH, H+ und pharmaSuisse haben sich für eine neue Vertriebsmarge eingesetzt und sich mit dem Eidgenössischen Departement des Inneren auf einen Vorschlag geeinigt, welcher nun dem BAG vorliegt. Dieser sieht vor, dass die Vertriebsmargen angepasst und weniger progressiv gestaltet werden [11]. Der Unterschied zwischen der Marge eines Originalpräparats und des günstigeren Biosimilars würde sich dadurch verringern [11].
Aus ethischer und sozialer Sicht konnten keine kontroversen Aspekte identifiziert werden.

Exkurs

Biologika und Biosimilars
Den Durchbruch schafften die Biologika vor 20 Jahren. Seither haben sie beachtliche Fortschritte in der Behandlung von Krebs oder Autoimmunkrankheiten ermöglicht. Die Entwicklung und Herstellung mithilfe biologischer Organismen ist sehr komplex, und Biologika sind teurer als viele herkömmliche synthetische Medikamente. Biologika zählen zu den kostenintensivsten Arzneimitteln, welche von den Krankenversicherungen bezahlt werden. Eine Kostenentlastung bringen ihre Nachahmerprodukte – die Biosimilars. Sie müssen in der Schweiz bei Markteintritt mindestens 25% günstiger und nach der ersten dreijährlichen Überprüfung des Referenzproduktes mindestens 10% günstiger sein als das entsprechende Original (Referenzprodukt), um durch die obligatorischen Krankenversicherungen erstattet zu werden.

Fazit

Das HTA zeigt, dass es keine klinischen, ethischen oder sozialen Gründe für die geringe Verwendung der Biosimilars von Infliximab in der Schweiz gibt. Aus rechtlicher Sicht besteht Handlungsbedarf im Bereich der Austauschbarkeit von Biologika mit Biosimilars. Eine Klärung beispielsweise im Krankenversicherungsgesetz und/oder in fachlichen Leitfäden wäre hier nötig. Zudem sollten Anreize für Leistungserbringer, Patientinnen und Patienten geschaffen werden, um den Wechsel vom Referenzprodukt zu seinen Biosimilars zu fördern, und Fehlanreize, wie die preisabhängigen Margen eliminiert werden.
Cécile Grobet
Stellvertretende Leiterin HTA und gesundheitsökonomische Evaluationen
cecile.grobet[at]zhaw.ch
1 Twerenbold S, Schur N, Zappalà T, Gut S, Stoffel S, Salari P, et al. Helsana-Arzneimittelreport für die Schweiz 2021 [Internet]. Helsana; 2021 Nov p. 168. (Helsana-Arzneimittelreport). Available from: https://reports.helsana.ch/wp-content/uploads/2021/11/AMR-2021_Referenzwerk.pdf
2 Jensen TB, Bartels D, Sædder EA, Poulsen BK, Andersen SE, Christensen MMH, et al. The Danish model for the quick and safe implementation of infliximab and etanercept biosimilars. Eur J Clin Pharmacol. 2019;76(1):35–40.
3 Azuz S, Newton M, Bartels D, Poulsen BK. Uptake of biosimilar trastuzumab in Denmark compared with other European countries: a comparative study and discussion of factors influencing implementation and uptake of biosimilars. Eur J Clin Pharmacol. 2021 Oct;77(10):1495–501.
4 Mattli R, Grobet C, Sharakin M, Pöhlmann J, Vinci L, Syleouni ME, et al. Infliximab reference product versus biosimilar for the treatment of rheumatoid arthritis [Internet]. 2021 Jul. Available from: https://www.bag.admin.ch/dam/bag/de/dokumente/kuv-leistungen/leistungen-und-tarife/hta/berichte/h0047infx-hta-report.pdf.download.pdf/h0047infx-hta-report.pdf
5 Kobler I, Lenzin G, Liberatore F, Pöhlmann J, Schmidt M, Wieser S. Biosimilars in der Schweiz: Medizin gegen die steigenden Gesundheitskosten – Ein Expertenbericht des Winterthurer Instituts für Gesundheitsökonomie [Internet]. Zurich University of Applied Sciences; 2020 [cited 2020 Apr 15] p. 76. Available from: https://digitalcollection.zhaw.ch/handle/11475/19674
6 Moorkens E, Godman B, Huys I, Hoxha I, Malaj A, Keuerleber S, et al. The Expiry of Humira® Market Exclusivity and the Entry of Adalimumab Biosimilars in Europe: An Overview of Pricing and National Policy Measures. Front Pharmacol. 2021 Jan 8;11:591134.
7 Vogler S, Panteli D, Zimmermann N, Busse R. Überblick über Maßnahmen zur Förderung des Einsatzes von Biosimilars in europäischen Ländern. In: Ludwig WD, Mühlbauer B, Seifert R, editors. Arzneiverordnungs-Report 2022 [Internet]. Berlin, Heidelberg: Springer; 2022 [cited 2023 Feb 8]. p. 57–81. Available from: https://doi.org/10.1007/978-3-662-66303-5_4
8 O’Callaghan J, Barry SP, Bermingham M, Morris JM, Griffin BT. Regulation of biosimilar medicines and current perspectives on interchangeability and policy. Eur J Clin Pharmacol. 2019;75(1):1–11.
9 Bundestag Deutschland. Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung. Bundesgesetzblatt Jahrgang 2019 Teil I Nr. 30, ausgegeben zu Bonn am 15. August 2019 Aug 9, 2019 p. 1202–20.
10 European Medicines Agency. Statement on the scientific rationale supporting interchangeability of biosimilar medicines in the EU [Internet]. 2022. Available from: https://www.ema.europa.eu/en/documents/public-statement/statement-scientific-rationale-supporting-interchangeability-biosimilar-medicines-eu_en.pdf
11 curafutura. Einsatz von Generika: Licht am Ende des Tunnels [Internet]. curafutura – Die innovativen Krankenversicherer. 2022 [cited 2023 Apr 4]. Available from: https://curafutura.ch/einsatz-von-generika-licht-am-ende-des-tunnels/