Zsigmondy, Richard Adolf (1865–1929), Chemiker

Zsigmondy Richard Adolf, Chemiker. Geb. Wien, 1. 4. 1865; gest. Göttingen, Dt. Reich (D), 23. oder 24. 9. 1929; evang. AB. Sohn von Adolf Z. (s. u.) und Irma Z., geb. Szakmary (geb. 1. 10. 1834; gest. 27. 4. 1900), Bruder von →Emil Z., →Otto Z. und →Karl Z. (beide s. u. Emil Z.), Vater u. a. von Annemarie Z., die 1925 den Pionier der Quantenchemie Erich Hückel heiratete; ab 1903 verheiratet mit Laura Luise Z., geb. Müller, Tochter des Jenaer Prof. für patholog. Anatomie Wilhelm Müller. – Nach dem Besuch der Oberrealschule in Wien-Josefstadt (Matura 1883) erhielt Z. bei →Ernst Ludwig an der med. Fak. eine Einführung in die quantitative Analyse. An der TH Wien stud. er techn. Chemie bei →Alexander Bauer, →Rudolf Benedikt und →Johann Oser, legte 1885 die erste Staatsprüfung ab und wechselte 1887 an die TH München, an der er 1889 als Privatass. des organ. Chemikers Wilhelm v. Miller arbeitete und Lehrveranstaltungen besuchte; 1889 Dr. phil. an der Univ. Erlangen. Danach bildete sich Z. als Privatass. August Kundts am Berliner Physikal. Inst. weiter. Als Spezialist in dem damals aufblühenden Fach der physikal. Chemie erhielt er 1892 eine Ass.stelle an der TH Graz und habil. sich im selben Jahr mit der Schrift „Kryolith und seine Stellvertreter in der Glasindustrie“ (in: Polytechn. Journal 271, 1889) für chem. Technol. 1897 folgte er einem Stellenangebot des Leiters des Glastechn. Laboratoriums in Jena, Friedrich Otto Schott, stellte u. a. das Jenaer Milchglas her und meldete mehrere Patente an. 1900 gab er diese Anstellung auf, blieb jedoch bis 1907 als Privatgelehrter in Jena. Nach einem mehrmonatigen Aufenthalt auf seinem Besitz im Trentiner Terlago trat er 1908 die Professur für anorgan. Chemie an der Univ. Göttingen an, die er bis zu seinem Tod innehatte. 1887 betrat Z. mit dem Aufsatz „Neue Lüster und Farben auf Glas“ (in: Polytechn. Journal 266), in dem er die Zusammensetzung eines neu auf den Markt gekommenen Glases mit bes. Reflexion des Lichts klärte, sein späteres Forschungsgebiet. Als Privatass. von Miller veröff. er eine Stud. über eine Fehlerquelle der Stickstoffbestimmung nach Dumas, als Mitarb. Kundts zwei Arbeiten über Diäthermanität von Ferrosalzlösungen bzw. von Gläsern. In seiner Grazer Zeit wandte er sich auf der Suche nach Glasfärbemitteln dem Cassius’schen Goldpurpur zu und damit i. d. F. der Kolloidchemie, wobei er seine Forschungstätigkeit in diesen Gebieten intensivierte. Gem. mit dem Physiker und Mitarb. der Zeiss-Werke Henry Siedentopf begann er mit der Konstruktion eines Ultramikroskops, eines wichtigen Instruments der Kolloidforschung, mit dem er 1906 den Nachweis erbrachte, dass die Goldteilchen der kolloiden Lösung als Kristallisationskeime auf mit Reduktionsmitteln versetzte Gold- und Silberlösungen wirken können. Somit wurde die Größenbestimmung von Teilchen möglich, die auch im Ultramikroskop nicht mehr sichtbar waren. Damit war Otto Wieners Auffassung des Zusammenhangs von Brown’scher Bewegung mit therm. Molekularbewegung bestätigt. Z.s in Göttingen erfolgte Untersuchungen erbrachten wesentl. Kenntnisse zur Frage der Geschwindigkeit der Koagulation durch Elektrolyte, was →Marian Smoluchowski v. Smolan zur Ausarbeitung einer Theorie der Anziehungskräfte zwischen den entladenen Kolloidteilchen veranlasste. 1911 erkannte Z., dass die bislang angenommene Wabenstruktur der Gele unzutreffend war, dass sie vielmehr aus Sub- und Amikronen körnig zusammengesetzt sind und dass die Erscheinungen mit der Kapillarwirkung der äußerst engen Hohlräume zu erklären sind, die bei der Wässerung und Entwässerung von Gelen auftreten. Darüber hinaus entwickelte er Apparate und Arbeitsmethoden weiter, wie das Ultramikroskop zum Immersionsultramikroskop. Mit dem Sterndialysator verbesserte er die Dialyse, die Ultrafiltration durch die Membran- und Zellafilter. Für den Einsatz des Ultrafilters in der quantitativen Analyse und bei der Wasserreinigung meldete er ein Patent an. In seiner Monographie „Zur Erkenntnis der Kolloide“ (1905) traf er die Unterscheidung von Primär- und Sekundärteilchen. 1912 erschien sein Lehrbuch „Kolloidchemie“, in dem die Fülle von neuen Forschungsergebnissen allg. Bedeutung und die Ergebnisse der rapiden Entwicklung der Kolloidchemie insgesamt zusammengefasst sind (4. Aufl. in 2 Bde., 1925–27). 1925 erhielt Z. den Nobelpreis für Chemie für den Nachweis der heterogenen Natur kolloider Lösungen und für die von ihm angewandten Methoden, die seitdem grundlegend für die moderne Kolloidchemie sind. Im selben Jahr gab er das mit Peter Adolf Thiessen verf. Werk „Das kolloide Gold“ heraus. 1924 wurde Z. k. M. der Akad. der Wiss. in Wien, weiters war er Mitgl. von Akad. bzw. wiss. Ges. in Göttingen, Uppsala, Saragossa, Valencia und Haarlem; Dr. h. c. der TH Wien (1917), der med. Fak. der Univ. Königsberg und der TH Graz (1928). Sein Vater, der Chirurg und Zahnmediziner Adolf Z. (geb. Pressburg, Ungarn / Bratislava, SK, 21. oder 24. 9. 1816; gest. Wien, 23. 6. 1880, Ehrengrab: Zentralfriedhof; evang. AB), Sohn des Prof. der Philol. Samuel Z., stud. zunächst Med. in Pest und ab 1837/38 in Wien, u. a. bei →Franz Schuh; 1840 Dr. med. in Wien sowie Dr. obstet., 1843 Dr. chir. 1841–47 hatte er verschiedene Positionen im AKH inne (Praktikant, Sekundararzt, Sekundarchirurg), 1848 erhielt er eine Stelle als Primararzt und -chirurg im nö. Prov.-Strafhaus in Leopoldstadt. Während der Revolution leitete er zudem ein Notspital im Augarten. Als das Strafhaus nach Stein an der Donau verlegt wurde, wandte sich Adolf Z. von der Chirurgie ab und der Zahnmed. zu, wobei er sich insbes. bei →Moriz Heider ausbildete; 1853 Mag. der Zahnheilkde. Ab 1856 Primararzt im AKH, fungierte er ab 1857 als Primarchirurg an der I. chirurg. Abt. und widmete sich daneben der Zahnheilkde., für die er sich 1868 habil. Adolf Z. beschrieb als Erster den Approximalkontakt sowie dessen Verschleiß und entwickelte die Goldhämmerfüllung weiter. Zur Verbreiterung des Wurzelkanals verwendete er Natrium-Superoxid und nutzte dauerhafte Füllungen aus schwarzem hartem Guttapercha. Beitrr. von ihm erschienen u. a. in den Fachz. „Orvosi Hetilap“, „Österreichische Zeitschrift für praktische Heilkunde“, „Wiener Medizinal-Halle“ und in der „Deutschen Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde“. Seine Smlg. künstl. Gebisse wurde auf der Pariser Weltausst. 1878 preisgekrönt. Die noch heute gebräuchl. Bezeichnung des Zahnschemas gemäß der Fédération Dentaire Internationale geht auf ihn zurück. Zu seinen bekanntesten Patienten zählte Kn. →Elisabeth.

Weitere W.: Die Bestimmung des Glycerins in verdünnten wässrigen Lösungen und in Fetten, in: Chemiker-Ztg. 9, 1885 (gem. m. R. Benedikt); Ueber eine Fehlerquelle bei der Stickstoffbestimmung halogenartiger Körper und deren Vermeidung, in: Analytical and Bioanalytical Chemistry 28, 1889; Ueber ein für Wärmestrahlen undurchlässiges Glas, in: Polytechn. Journal 287, 1893; Ueber die Absorption strahlender Wärme durch Flüssigkeiten und Gläser bekannter Zusammensetzung, ebd. 289, 1893; Über Kolloid-Chemie mit bes. Berücksichtigung der anorgan. Kolloide, 1907; Über die Struktur des Gels der Kieselsäure, in: Z. für anorgan. Chemie 71, 1911; Kurzer Leitfaden der Techn. Gasanalyse, 1920 (gem. m. G. Jander). – Adolf Z.: Die galvanokaust. Operationsmethode nach eigenen Erfahrungen ..., in: WMW 9, 1859; Ueber Arsenik und seinen Mißbrauch in der zahnärztl. Praxis, in: Gmd.-Ztg. Unabhängiges polit. Journal, 13. 6. 1872; Ein glückl. operirter Fall einer inkarzerirten Hernie obturatoria, in: WMW 28, 1878.
L.: R. Wegscheider, in: Almanach Wien 80, 1930, S. 262ff.; Jubelbd. der Kolloid-Z. 36, ed. W. Bachmann – W. Ostwald, 1925; H. Freundlich, in: Berr. der Dt. Chem. Ges. 63, 1930, S. 171ff. (m. B.); J. Gicklhorn, in: Österr. Naturforscher und Techniker, ed. F. Knoll, 1951, S. 119ff. (m. B.); J. Gicklhorn – R. Gicklhorn, Die österr. Nobelpreisträger, 1958, S. 77ff.; F. G. Smekal, Österreichs Nobelpreisträger, 1961, S. 71ff.; R.-Z.-Symposium, ed. O. Glemser, 1966 (m. B.); H. Hartmann, Lex. der Nobelpreisträger, 1967; A. Kernbauer, Svante Arrheniusʼ Beziehungen zu österr. Gelehrten, 1988, s. Reg.; G. Fleck, in: Nobel Laureates in Chemistry 1901–92 ..., ed. J. K. Laylin, 1993, S. 151ff.; A. Kernbauer, in: Die Technik in Graz ..., ed. J. W. Wohinz, 1999, S. 157ff.; AVA, TU, beide Wien; TU, Graz, Stmk.; TU, München, UA, Erlangen, UA, Göttingen, alle D. – Adolf Z.: NFP, 24. 6. 1880 (Parte); Lesky, s. Reg.; Wurzbach; H. H. Egglmaier, Das med.-chirurg. Stud. in Graz, 1980, s. Reg.; UA, Wien.
(A. Kernbauer – D. Angetter)  
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 16 (Lfg. 73, 2022), S. 585ff.
Bd. <==> | |<1  <=−10<=  S. 1 =>+10=>
Bd. <==> | |<1  <=−10<=  S. 1 =>+10=>