Stuparich, Giani (1891–1961), Schriftsteller und Lehrer

Stuparich Giani, Schriftsteller und Lehrer. Geb. Triest, Freie Stadt (Trieste, I), 4. 4. 1891; gest. Rom (Roma, I), 7. 4. 1961; röm.-kath. Nachkomme istrianischer Seeleute und mitteleuropäischer Kaufleute, Bruder von →Carlo Stuparich; verheiratet mit der Schriftstellerin Elody Oblath (geb. Triest, 2. 12. 1889; gest. ebd., 6. 9. 1971). – Als Literaturstudent an den Universitäten Prag (1912–13) und Florenz (1913–15; Abschluss mit der Arbeit „Machiavelli in Germania“, Erstveröffentlichung 1985) gehörte S. zum Kreis der Triestiner Mitarbeiter der Zeitschrift „La Voce“. Dabei zeichnete er sich durch seine Artikel zur Nationalitätenfrage in der Habsburgermonarchie aus, von denen ein Teil in den Band „La nazione czeca“ (1915), die erste ausführliche italienische Behandlung dieses Themas, einging. S. verbrachte fast sein ganzes Leben in Triest als Gymnasiallehrer für Italienisch, als Journalist (ab 1932 zahlreiche Beiträge für „La Stampa“ und „Il Tempo“) und freier Autor. Er gehörte zu den Autoren der Florentiner Zeitschrift „Solaria“. Sein erster Erzählband erschien 1929. S., der ursprünglich von Giuseppe Mazzinis Ideen und auch vom Austromarxismus beeinflusst war, hoffte bis zuletzt auf eine föderalistische Umgestaltung der Donaumonarchie, entschloss sich jedoch 1915 aufgrund des zunehmend autoritärer werdenden Regimes in Wien, als Kriegsfreiwilliger auf die italienische Seite zu wechseln. Der 1. Weltkrieg, in dem S. seinen Bruder Carlo und seinen Freund →Scipio Slataper verlor, selbst aber in österreichische Gefangenschaft (1916–18) geriet, stellte einen dramatischen Bruch in seiner ideologischen und psychischen Entwicklung dar. Sein Rückzug in eine Vita contemplativa – verstärkt durch das Abgleiten Italiens in den Faschismus – kann als Folge seiner Enttäuschung über die politischen Ereignisse gesehen werden. In der Tat sind die wesentlichen, innerlich zusammengehörigen Werke, das Kriegstagebuch „Guerra del ’15“ (1931), der fiktive Dialog mit dem toten Bruder „Colloqui con mio fratello“ (1925) und „Ritorneranno“ (1941), ein gegen das faschistische Regime gerichteter Roman über den 1. Weltkrieg, als im besten Sinn humanistische Trilogie der Trauerarbeit anzusehen. Der Antifaschist S. wurde 1944 mit Frau und Mutter in das KZ Risiera di San Sabba in Triest verschleppt, kam aber aufgrund von Interventionen des Bischofs und des Präfekten von Triest bald wieder frei. Nach 1945 stand S. als moralische Instanz und literarische Ikone im Mittelpunkt des intellektuellen Lebens seiner Heimatstadt, der er ein Erinnerungsbuch („Trieste nei miei ricordi“, 1948) widmete. Es gehört neben dem mehrfach übersetzten „L’isola“ (1942), einer Konfrontation von mediterranem Sommer und Tod, sowie „Un anno di scuola“ (1935), der im Bezug auf das Thema „Frauenemanzipation“ kulturhistorisch interessanten Geschichte einer Maturaklasse im altösterreichischen Triest, zu seinen besten Texten und wurde 1977 von Franco Giraldi verfilmt. S. hat mit seinem Habitus von autobiographischer Inspiration, sensibler psychologischer Analyse und moralischem Engagement die triestinische Literatur des 20. Jahrhunderts nachhaltig geprägt. Seine Werke liegen in zahlreichen Übersetzungen in europäische Sprachen und ins Hebräische vor.

Weitere W. (s. auch Thoraval): Ein Sommer in Isola: Geschichten von der Liebe, ed. R. Lunzer, 1991; Ein Schuljahr in Triest, 2006; Erinnerungen an Istrien, 2008.
L.: A. Spaini, Due triestini: G. S. – W. Reiss Romoli, 1961; R. Bertacchini, G. S., 1974; E. Apih, Il ritorno di G. S., 1988; R. Damiani, G. S., 1992; R. Lunzer, in: Italienische Studien, 1993, H. 14, S. 119ff.; A. Thoraval, Bibliografia degli scritti di G. S., 1995; R. Lunzer, Triest, 2002, S. 141ff.; Lexikon der Weltliteratur. Fremdsprachige Autoren, ed. G. v. Wilpert, 4. neu bearbeitete Aufl. 2004; F. Senardi, Il giovane S., 2007.
(R. Lunzer)   
Zuletzt aktualisiert: 15.11.2014  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 3 (15.11.2014)