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BY-NC-ND 4.0 license Open Access Published by De Gruyter November 29, 2022

Strategische Irrtümer deutscher Außenpolitik im Rückblick – die Jahre von 1890 bis 1914

  • Joachim Krause

    Direktor, Geschäftsführender Herausgeber von Sirius

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Kurzfassung

Die Phase strategischer Irrtümer deutscher Außenpolitik der vergangenen 25 Jahre weist – trotz unterschiedlicher Ausgangsbedingungen – Ähnlichkeiten mit einer früheren Phase strategischen Irrens auf: den Jahren zwischen 1890 und 1914. Der Artikel analysiert diese Zeit, indem nach drei Perioden differenziert wird, in denen die verantwortlichen Politiker trotz des Bewusstseins für das Bestehen einer existenziellen Gefahr für das Deutsche Reich eine ideologisch angeleitete und realitätsfremde Politik betrieben hatten. Strategische Blindheit, die Abwesenheit eines strategischen Zentrums, ein sorgloser Umgang mit militärischen Machtmitteln und eine zutiefst von patriotischen Gefühlen getriebene Politik haben zu einer Selbstisolierung Deutschlands und zu Maßnahmen beigetragen, durch die die militärische Situation des Reiches immer aussichtsloser wurde und der Krieg als einziger Ausweg erschien. Die jüngste Phase strategischen Irrtums war zwar durch Post-Nationalismus und Pazifismus gekennzeichnet, sie hat dennoch auch dazu beigetragen, dass ein neuer Krieg in Europa ausbrach.

Abstract

Germany‘s foreign policy went through a phase of strategic error during the past 25 years. Despite a different historical background, there are similarities between the recent phase of error and another period, when Germany went astray: the years between 1890 and 1914. The article deals with these years by differentiating between three phases. During these years, the German leadership was conscious of the fact that, due to alliance building, the German Reich was in deep danger. Notwithstanding this awareness, the German Reich pursued a foreign policy that was ideologically motivated and unrelated to realities. Strategic blindness, the absence of a strategic centre, a careless conduct with military means and a foreign policy driven by patriotic feelings contributed to a self-isolation of the German Reich and to measure, by which its military situation became untenable to a degree that starting a war was seen as the only remaining option. The recent phase of German error was characterized by post-nationalism and pacifism. Yet, it also paved the way for a major war in Europe to break out.

1 Einleitung

Die Jahre zwischen 1998 und 2022 muss man als eine Phase grundlegender strategischer Irrtümer deutscher Außenpolitik betrachten. Die Russland- und Energiepolitik der Regierungen Schröder und Merkel sowie die gleichzeitige Vernachlässigung der Bundeswehr und der Bündnisverpflichtungen haben dazu beigetragen, dass Russland die Ukraine mit einem brutalen Angriffskrieg überzogen hat und zudem einen Konflikt mit dem Westen riskiert, der zu einem Dritten Weltkrieg führen kann. Im Nachhinein fragt man sich, wie es dazu kommen konnte, dass nahezu die gesamte politische Klasse Deutschlands mehr als ein Jahrzehnt lang einem derartigen kollektiven Irrtum erlag. Sowohl die Unionsparteien als auch die SPD und die Freidemokraten waren blind gegenüber allen Ratschlägen bezüglich der Gefährlichkeit Putins und der Risiken der Abhängigkeit von russischem Erdgas. Aber auch die Grünen, die heute für sich in Anspruch nehmen, schon immer vor Putin und den Nord-Stream-Projekten gewarnt zu haben, müssen sich vorwerfen lassen, dass sie durch den von ihnen forcierten Ausstieg aus Kernenergie und Kohle sowie durch ihre Ablehnung von Flüssiggasterminals die Abhängigkeit von russischem Gas gefördert haben. Zudem tragen sie wegen ihres unreflektierten Pazifismus Mitverantwortung für die einseitige Abrüstung der deutschen Streitkräfte.

Schaut man in die jüngere deutsche Geschichte zurück, erkennt man zwei Perioden verhängnisvoller außenpolitischer Irrtümer: die Jahre zwischen 1890 und 1914 und die Jahre zwischen 1933 und 1945. Die schlimmsten strategischen Fehler der deutschen Geschichte haben zweifelsohne die Führer des Dritten Reiches zu verantworten. Ihre kriminelle Energie sowie die begangenen Untaten und Verbrechen mit denen demokratisch gewählter Bundesregierungen zu vergleichen, verbietet sich aus vielerlei Gründen. Die Jahre zwischen 1890 und 1914 hingegen bieten sich durchaus für einen Vergleich an. Das „Kaiserreich“ war keinesfalls ein monolithischer, autoritär geführter Staat, sondern wies bereits eine gesellschaftliche Vielfalt und politische Pluralität auf, die viele Parallelen mit Frankreich und Großbritannien erkennen ließ.

Die Jahre nach der Entlassung Otto von Bismarcks als Reichskanzler sind im Rückblick die Periode, in der die Grundlagen für den Eintritt Deutschlands in den Ersten Weltkrieg gelegt worden sind. Zwischen Bismarcks Demission im März 1890 und dem Beginn des Ersten Weltkriegs im November 1918 lagen 24 Jahre und vier Monate. In dieser Zeit erfolgten außen- und sicherheitspolitische Weichenstellungen, die im Sommer 1914 dazu führten, dass Deutschland in den Krieg gegen Russland, Frankreich und schließlich auch Großbritannien eintrat – einen Krieg, den es nie gewinnen konnte. Die gravierendste Gefährdung der deutschen Sicherheit wurde schon damals immer wieder thematisiert – der Ausbruch eines Zwei-Fronten-Kriegs gegen die beiden größten Landmächte Europas (Frankreich und Russland) und gegen die größte Seemacht der Welt (Großbritannien). Doch immer wieder lief die Politik der verschiedenen Reichsregierungen darauf hinaus, genau das Gegenteil von dem zu unternehmen, was diesen Krieg hätte verhindern können. Strategische Irrtümer halt.

Im Folgenden wird die Entwicklung der Außenpolitik des Deutschen Reiches im Zeitraum 1890 bis 1914 dargestellt und dabei nach Perioden unterschieden. Die zentrale Frage lautet, wie strategisches Irren sich über derart lange Zeit behaupten konnte. Abschließend werden Vergleiche mit der jüngsten Phase deutscher Irrtümer gezogen.

2 Die Jahre 1890–1897

In den sieben Jahren, in denen Reichskanzler Graf Georg Leo von Caprivi (1890–1894) die Außen- und Innenpolitik deutlich prägte, setzte eine Phase der Neuorientierung deutscher Außen- und Sicherheitspolitik ein, die sich durch vorsichtige Abkehr von der bismarckschen Bündnispolitik auszeichnete. Bismarck wollte die Sicherheit des Reiches durch eine Politik der Diplomatie wiederherstellen, indem Deutschland Bündnis- oder Neutralitätsverträge mit allen Kontinentalmächten Europas außer Frankreich einging, die indirekt auch Großbritannien einbezogen. Gleichzeitig machte er deutlich, dass das Deutsche Reich keine territorialen Ansprüche habe, und versuchte sich im Kreis der Großmächte als Vermittler zu etablieren. Seine Politik strebte danach, das Konzert der europäischen Mächte wiederzubeleben, das zu Beginn des Jahrhunderts durchaus zu einer gewissen Stabilität und vor allem zum Frieden beigetragen hatte.

Das europäische Konzert hatte zum Ziel, große Kriege zwischen Europas Großmächten zu vermeiden und die Anwendung militärischer Macht in den internationalen Beziehungen generell zurückzudrängen.[1] Damit war es bis zur Mitte des Jahrhunderts relativ erfolgreich. Doch die Politik Großbritanniens und Frankreichs im Krimkrieg[2] als auch die von Napoleon unterstützte militärische Einigung Italiens sowie die durch Bismarck weitgehend herbeigeführten Kriege von 1863/64 und 1866 und vor allem der deutsch-französische Krieg 1870/1871 hatten dieses System so gut wie lahmgelegt.[3] Bismarcks Bemühungen waren daher notwendig und angebracht und ermöglichten dem Deutschen Reich eine Periode des Friedens. Bismarcks Wiederbelebung des Konzerts setzte jedoch zu einer Zeit ein, in der die Ära der kolonialen Ausdehnung und des Imperialismus begonnen hatte und mit dem Osmanischen und dem Chinesischen Reich zwei zuvor machtvolle internationale Akteure zerfielen. Zudem galten überall Nationalismus und „Vaterlandsliebe“ mehr als Vernunft und diplomatisches Abwägen. An die Stelle des Konzerts trat zunehmend die Suche nach Allianzen unterschiedlicher Art.[4]

Die Politik Bismarcks galt zur Zeit seines Sturzes als überholt und nicht mehr praktikabel. Dafür gab es durchaus nachvollziehbare Gründe:

  • Außen- und Verteidigungspolitik wurde immer weniger durch Kabinette und einzelne Politiker bestimmt, sondern mehr und mehr von der sogenannten Öffentlichen Meinung, die gern in die eine oder andere Richtung manipulierbar und in fast allen Ländern hauptsächlich von einem übersteigerten Nationalismus geprägt war. Nationalismus war in allen Ländern Europas ein willkommenes Vehikel der innenpolitischen Stabilisierung etablierter Eliten angesichts der fortschreitenden Beteiligung breiter Schichten an der Politik (Demokratisierung) unter Bedingungen fortbestehender sozialer Ungleichheit.[5]

  • Auch wurde das Klima der internationalen Beziehungen unter den oben geschilderten Bedingungen zunehmend rau und anarchisch – es gab keine regulierende Instanz mehr oberhalb der Nationalstaaten und das Konzept des Gleichgewichts der Mächte wurde kaum noch praktiziert.[6] Vor allem die konstitutionelle Monarchie Großbritannien und das republikanische Frankreich sowie das zaristische Russland betrieben eine dezidiert imperialistische Politik, die nach territorialer Expansion in Afrika, Zentral- und Ostasien sowie auf dem Balkan strebte. Selbst kleinere europäische Staaten wie Belgien und Italien versuchten sich im Kolonialismus. Mit der Anarchisierung der internationalen Politik und der Zunahme imperialistischer Zielsetzungen wurde internationale Politik immer weniger berechenbar und Bismarcks System der Gleichgewichtspolitik geriet an den Rand des Zusammenbruchs.[7]

In dieser Phase versuchte Reichskanzler von Caprivi einen zunächst vielversprechenden Neubeginn. Der Rückversicherungsvertrag mit Russland wurde nicht verlängert, weil er als nicht mehr praktikabel erschien. Zu tief waren die Brüche zwischen Deutschland und Russland, nachdem Russland sich auf Kosten Österreich-Ungarns und des Osmanischen Reiches auf dem Balkan ausdehnen wollte. Schließlich hatte Deutschland im Habsburger Reich seinen engsten Verbündete und sah das Osmanische Reich als Partner an. Zugleich deutete sich eine Annäherung zwischen Frankreich und Russland an. Frankreich suchte einen Verbündeten gegen das Deutsche Reich, dessen Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum es fürchtete, während Russland einen Unterstützer suchte, der den wichtigsten Bündnispartner Österreich-Ungarns in Schach halten konnte. In dieser Situation versuchte Caprivi, die Sicherheit des Reiches zu stabilisieren, indem er die von Bismarck hinterlassenen innenpolitischen Spaltungen zu überwinden suchte und gleichzeitig die Rüstungsaufwendungen gegenüber Frankreich steigerte, um einen Abschreckungseffekt zu erreichen. Des Weiteren hoffte er, dass eine Liberalisierung der Handelsbeziehungen in Europa die deutsche Wirtschaft stärken, die politischen Beziehungen zu einer Vielzahl von Staaten verbessern und so den Frieden stabilisieren könnte. Den Dreierbund mit Österreich-Ungarn und Italien versuchte er durch eine Annäherung an Großbritannien zu konsolidieren.

Diese durchaus als „modern“ einzustufende Konzeption (die Ähnlichkeit mit neueren Phasen der deutschen Politik besaß) scheiterte (1) an den damit einhergehenden bündnispolitischen Verwerfungen in Kombination mit (2) der innenpolitischen Radikalisierung in Richtung eines deutschen Nationalismus und Weltmachtanspruchs.

 Reichskanzler von Caprivi

Reichskanzler von Caprivi

Die allianzpolitischen Verwerfungen sind in der einschlägigen Literatur ausgiebig beschrieben worden. Infolge der Aufkündigung des Rückversicherungsvertrags mit Russland kam es zu einer Annäherung zwischen der zaristischen Monarchie und dem republikanischen Frankreich. Dadurch geriet Deutschland in eine Position, die mittelfristig die Gefahr eines Zwei-Fronten-Kriegs barg. Zudem hatte das bismarcksche Vertragssystem dem Deutschen Reich Hebelwirkungen im Konzert der Mächte ermöglicht, die nunmehr ausfielen.[8] Deutschland konnte nicht länger Russland gegen Großbritannien ausspielen und umgekehrt. Es war nun zum Schutz vor einer russisch-französischen Allianz auf andere Partner angewiesen. Das bedeutete vornehmlich, ein freundschaftliches Verhältnis zu Großbritannien aufzubauen. Im Grunde waren die Bedingungen dafür gut, denn London präferierte die Beibehaltung des Status quo im kontinentalen Europa und sah Frankreich und Russland als Störenfriede an, während das Deutsche Reich als saturiert galt. Dem lief aber Großbritanniens zunehmendes Misstrauen gegenüber der deutschen wirtschaftlichen Stärke (die jene des britischen Mutterlands zu überflügeln begann) sowie den kolonialen Ambitionen Deutschlands zuwider. Es war der Zeitpunkt, an dem sich Londons Aufmerksamkeit immer stärker auf die Vergrößerung und Konsolidierung des britischen Kolonialreiches richtete und das europäische Konzert das strategische Denken Großbritanniens immer weniger beeinflusste. Deutschland hätte aber durch eine Art Juniorpartnerschaft mit Großbritannien seine verteidigungspolitischen Probleme in der Zange zwischen Russland und Frankreich lösen können. Auch eine Annäherung an die Vereinigten Staaten von Amerika mit ihrer großen deutschstämmigen Bevölkerung wäre sinnvoll gewesen, zumal die USA und Großbritannien zu Beginn der 90er-Jahre die größten Außenhandelspartner des Deutschen Reiches waren. Aber genau ein solcher untergeordneter Status war im zunehmend wirtschaftlich erfolgreichen und politisch selbstbewussten Deutschland politisch nicht vermittelbar, insbesondere nicht für eine Person wie Kaiser Wilhelm II. Überdies hatte die deutsche Gesellschaft eine zu tiefe Abneigung gegen England und die angelsächsische Welt.[9] Gelegenheiten, mit Russland ins Gespräch zu kommen, gab es zwar immer wieder, doch auch in diesem Fall wäre allenfalls eine Juniorpartnerschaft zu erwarten gewesen, was ebenfalls nicht akzeptabel schien.

Die Radikalisierung in Richtung eines deutschen Nationalismus und Weltmachtanspruchs wurde nicht nur in „reaktionären Kreisen“ gepflegt, sondern erfasste mehr und mehr Kreise des deutschen Bürgertums und auch der Landbevölkerung und teilweise der Arbeiterschaft. Besonders befördert wurde sie durch den jungen deutschen Kaiser Wilhelm II., bezeichnet mit dem Begriff des Wilhelminismus.

Trug Wilhelm II. anfangs Caprivis Politik mit, so verschlechterte sich beider Verhältnis im Lauf der Zeit so sehr, dass Caprivi zuletzt kaum mehr handlungsfähig war. Im Oktober 1894 wurde er entlassen und durch den damals 75-jährigen Chlodwig Carl Viktor Fürst zu Hohenlohe-Schillingsfürst ersetzt. Dieser versuchte in den ersten drei Jahren seiner Amtszeit Caprivis Politik fortzusetzen, musste sich aber dem wachsenden Druck der vaterländischen Kreise beugen und vor allem Initiativen des Kaisers hinnehmen, die massiv die Beziehungen zu Großbritannien belasteten. In diesem Zusammenhang sei das Krüger-Telegramm vom Januar 1896 erwähnt, in dem der Kaiser dem Präsidenten der Burenrepublik Paulus Krüger gratulierte, weil dieser dem bewaffneten Angriff eines britischen Prisenunternehmens standgehalten und die Unabhängigkeit des Transvaal erhalten habe. Dieses Telegramm löste in London eine nachhaltige Verstimmung aus[10] und war, wie der damalige Reichskanzler schrieb, nicht Resultat von Überlegung, sondern von „kaiserliche Laune“.[11]

 Reichskanzler von Hohenlohe-Schillingsfürst

Reichskanzler von Hohenlohe-Schillingsfürst

Die Phase einer Neubesinnung der deutschen Außen- und Verteidigungspolitik auf Basis vernunftgeleiteter strategischer Überlegungen fand spätestens 1897 ihr Ende, als Bernhard von Bülow Staatssekretär im Auswärtigen Amt und Alfred von Tirpitz Staatssekretär des Reichsmarineamts wurden. Beide Männer beeinflussten unter Hohenlohe-Schillingsfürst mehr und mehr die Politik des Reiches und verstanden es, die Impulse Wilhelms II. in eine Richtung zu lenken, die sich als verhängnisvoll erweisen sollte. Im Jahr 1900 wurde von Bülow zudem Reichskanzler und Ministerpräsident von Preußen. Bis zu seiner Ablösung im Jahr 1909 nutzte er diese Machtfülle, um seine politischen Vorstellungen umzusetzen, was am Ende zum Gegenteil dessen führte, was er sich vorgenommen hatte.

3 Die Jahre 1897 bis 1909 – Weltpolitik und Flottenrüstung

Die Jahre zwischen 1897 und dem Abtreten Bülows werden in der historischen Literatur als die Phase von „Weltpolitik“ und „Flottenpolitik“ charakterisiert.[12] In dieser Zeit verfolgte das Reich eine Politik, durch die Deutschland sich so unabhängig wie möglich von Allianzinteressen machen wollte („Politik der freien Hand“), eine gleichberechtigte und gleichgewichtige Rolle als globale Macht zu spielen versuchte („Weltpolitik“) und meinte, sich mit einer umfangreichen Flottenrüstung gegen die maritime Übermacht Großbritanniens zur Wehr setzen zu müssen („Flottenpolitik“). Dies rückte die Sorge um die prekäre Sicherheitslage infolge der russisch-französischen Allianz in den Hintergrund, obwohl deren Gefahren nicht aufhörten zu existieren. Im Gegenteil, die prononcierte Weltpolitik und Flottenrüstung führten zu einer internationalen Isolation des Deutschen Reiches und damit zu einer Verschlechterung der ohnehin heiklen Sicherheitslage.

Zwar unternahm in dieser Phase die politische Führung in Berlin – und das waren in erster Linie der Reichskanzler und sein Kabinett sowie der Kaiser, der aber keine kontinuierliche Linie erkennen ließ – vielfältige Versuche, Deutschlands schwierige internationale Lage in den Griff zu bekommen und das größte Unglück zu verhindern: den Zwei-Fronten-Krieg, bei dem man sich britischer Neutralität nicht sicher sein konnte. Es ist im Nachhinein erstaunlich, wie es die Reichsregierung geschafft hat, durch strategische Fehlentscheidungen (bzw. das Unterlassen von wichtigen Weichenstellungen), eine unkoordinierte Politik und glücklose diplomatische Manöver genau das zu erreichen, was man verhindern wollte: die Isolation des Deutschen Reiches und die damit verbundene drohende militärische Aussichtslosigkeit. Ursache war eine enorme Selbstüberschätzung der Rolle des Deutschen Reiches durch Regierung, herrschende Kreise, öffentliche Meinung, große Teile des Bürgertums und des breiteren Volkes in Kombination mit strategischer Blindheit an der politischen Spitze.

In der Literatur gibt zwei konträre Meinungen. Eine Seite macht primär die Natur des internationalen Systems für den späteren Ausbruch des Weltkriegs verantwortlich, die andere sieht die innenpolitischen Kräftekonstellationen und den Willen zum Krieg einzelner politischer Kräfte in den wichtigsten Hauptstädten in der Verantwortung.[13] Beide Faktoren – die Struktur des internationalen Systems und die innenpolitischen Kräftekonstellationen – sind zweifellos wichtig, doch in diesem Beitrag liegt der Fokus auf den Fehlern und Verirrungen der damaligen deutschen Politik. Diese war nicht charakterisiert durch eine politisch unterstützte strategische Langfristplanung, sondern vielmehr durch ein beständiges Lavieren ohne strategische Zielsetzung und Planung. Zuzuschreiben war dieser Umstand der Reichsverfassung, die die Kompetenzen des Kaisers im Verhältnis zur Reichsregierung nicht klar abgegrenzt und die politische Verantwortung für die vier Heere und die Marine in unterschiedliche Hände gelegt hatte.

Es gab im Deutschen Reich kein strategisches Zentrum, keine Institution, in der mit einer langfristigen Perspektive politische und militärische Optionen erarbeitet, abgewogen und umgesetzt wurden.[14] Bismarck war bis 1890 dieses Zentrum, danach fehlte eine vergleichbar starke Person als Reichskanzler. Und Kaiser Wilhelm II. war aufgrund seiner Unstetigkeit und leichten Beeinflussbarkeit alles andere als ein strategischer Fixpunkt. Er war eher ein permanenter Quell der Unruhe und der Unstetigkeit in einer extrem schwierigen Zeit, in der es einer ruhigen Hand bedurft hätte.[15] Die auswärtige Politik wurde natürlich auch im Auswärtigen Amt konzeptionell gestaltet, das – wie sein Name schon sagt – kein eigenes Ministerium war, aber aufgrund seiner internationalen Kontakte und Expertise wesentliche Impulse gab. Für viele Jahre (1890–1906) war der Geheime Rat Friedrich von Holstein eine wichtige Führungsperson, die „Graue Eminenz“, im Auswärtigen Amt. Wegen seiner guten Kontakte zu Bernhard von Bülow und Philipp zu Eulenburg (einem engen Vertrauten Kaiser Wilhelms) konnte er die Außenpolitik des Kaiserreichs wesentlich bestimmen.[16] Von Holstein stellte bis 1906 im Rahmen der ihm gegebenen Möglichkeiten vielleicht am ehesten ein strategisches Zentrum der Außenpolitik dar.

Das wichtigste strategische Zentrum für Kriegsplanungen war der Große Generalstab, der die Aktivitäten der preußischen, bayrischen, sächsischen und württembergischen Heere koordinierte. Außerdem war dort die militärische Auslandsaufklärung angesiedelt. Dieses Gremium operierte weitgehend unkoordiniert mit den politischen Autoritäten. Sein Chef durfte direkt beim Kaiser vortragen, was ihm Gelegenheit bot, an Regierung, Reichstag und Bundesrat vorbei militärische Entscheidungen mit dem Kaiser zu treffen. Er war allerdings einem Ausschuss des Bundesrats rechenschaftspflichtig, dem der preußische Ministerpräsident vorsaß, der meistens – aber nicht immer – auch der Reichskanzler war.[17] Hinzu kam das Marineamt, das unter Admiral Alfred Tirpitz de facto zu einem eigenständigen, dem Großen Generalstab unverbundenen Marineministerium wurde und die Politik des Reiches wesentlich mitbestimmte. Seine besondere Stellung beruhte darauf, dass es anders als der Große Generalstab direkt dem Kaiser unterstand, weil Marineangelegenheiten in die Zuständigkeit des Reiches fielen. Eine Koordination von Großem Generalstab und Marineamt oder politische Kontrolle über beide gab es bis zum Ersten Weltkrieg nicht.

 Admiral Alfred von Tirpitz

Admiral Alfred von Tirpitz

Parlamentarische Kontrolle bestand durch die Budgethoheit des Reichstags, aber sie blieb verhalten und nur gelegentlich kam es zu Debatten über Vorlagen des Heeres und der Marine, die besonders vom Zentrum und der Sozialdemokratie kritisch betrachtet wurden. Umso eifriger nutzten die im Reich tonangebenden Kreise die Außen-, Verteidigungs- und Kolonialpolitik als Instrument, um Liberale, Zentrum und Sozialdemokratie als inkompetent und vaterlandslos hinzustellen. In dieser Hinsicht bildete das Deutsche Kaiserreich keine Ausnahme – in der konstitutionellen Monarchie Großbritannien, im republikanischen Frankreich und in der absolutistischen Monarchie Russland war es nicht viel anders.

Um die Politik des Reiches in den Jahren zwischen 1897 und 1909 beurteilen zu können, ist es notwendig, einen Blick auf die strategische Lage Deutschlands zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu werfen. Deutschland hatte infolge der Reichseinheit seit 1870 bedeutende wirtschaftliche und technologische Entwicklungsfortschritte gemacht und in puncto Wirtschaftskraft, Bevölkerungsgröße und gesellschaftliche Modernisierung zu Frankreich und Großbritannien aufgeschlossen bzw. bei Bevölkerungsgröße und Wirtschaftskraft Frankreich überflügelt. Der deutsche Anteil an der globalen industriellen Produktion stieg an und entsprach vor dem Ersten Weltkrieg mit 14 Prozent etwa dem Großbritanniens. Beide Länder wurden allerdings weit in den Schatten gestellt durch die USA, die es auf 32 Prozent brachten.[18] Auch hatte das deutsche Bruttosozialprodukt kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs jenes Großbritanniens überholt. Dies galt jedoch nur für das britische Mutterland, denn unter Einbeziehung der kolonialen Besitzungen betrug das britische Sozialprodukt etwa das Doppelte des deutschen.

Unter Berücksichtigung der verschiedenen Faktoren, die seinerzeit strategische Stärke und Macht definierten, gelangt man zu dem Schluss, dass das Kaiserreich zum Jahrhundertwechsel im Vergleich zu den Großmächten Großbritannien, USA und Russland eine Mittelmacht und damit etwa auf gleicher Ebene wie Frankreich war. Wie Frankreich war es in einer zunehmend rauen internationalen Umgebung darauf angewiesen, zu seiner Sicherheit mit einer der drei Großmächte zumindest bündnisähnliche Beziehungen zu haben.

Das britische Weltreich umfasste zu Beginn des 20. Jahrhunderts mehr als 33 Millionen Quadratkilometer. London herrschte über 420 Millionen Menschen (damals 25 Prozent der Weltbevölkerung) und wies 1913 ein Bruttosozialprodukt von 429 Mrd. US-Dollar (gerechnet in Kaufkraftparität und US-Dollar zum Stand von 1990) auf. Russland kontrollierte ein Territorium von 22,7 Millionen Quadratkilometern mit 125 Millionen Menschen (das waren etwa 8 Prozent der Weltbevölkerung) und erreichte 1913 ein Bruttosozialprodukt in Höhe von 232 Mrd. US-Dollar. Die USA herrschten einschließlich ihres relativ bescheidenen Kolonialbesitzes über knapp 10 Millionen Quadratkilometer Fläche und hatten 76 Millionen Einwohner, die allerdings 1913 bereits ein Bruttosozialprodukt von 517 Mrd. US-Dollar erwirtschafteten. Frankreich hatte zum Jahrhundertbeginn neben einer Fläche von 0,5 Millionen Quadratkilometer einen kolonialen Besitz von 10,5 Millionen Quadratkilometern mit einer Bevölkerung von 95 Millionen Menschen, davon 40 Millionen im Mutterland. Frankreichs Wirtschaft (ohne die Kolonien) wies 1913 ein Bruttosozialprodukt von 145 Mrd. US-Dollar auf. Das Deutsche Reich verfügte um 1900 über eine Fläche von 3 Millionen Quadratkilometern (davon 0,5 Millionen das Mutterland, der Rest Kolonien) und eine Bevölkerung von 62 Millionen, davon 50 Millionen im Mutterland. Sein Bruttosozialprodukt lag 2013 mit 238 Mrd. US-Dollar deutlich über dem französischen und gleichauf mit dem russischen.[19] Auch militärisch gesehen war das Kaiserreich eine Regionalmacht, die bei den Landstreitkräften in etwa gleich stark war wie Frankreich, deutlich abfiel gegenüber Russland und als maritime Macht keine Aussicht hatte, an Großbritannien oder Frankreich heranzureichen.[20]

Deutschland trat zum Ausgang des 19. Jahrhunderts als neuer Akteur in eine Weltpolitik ein, die durch Anarchie, brutalen Egoismus und Beherrschung weiter Teile der Welt geprägt war. Es war die Ära von Kolonialismus und Imperialismus, die zu einer Globalisierung der Konkurrenz um Einfluss, Macht, Geld und Geschäfte geführt hatte. In der Regel war den europäischen Groß- und Regionalmächten gemein, dass interne Dynamiken der Industriestaaten eine gewisse Externalisierung von Machtpolitik auslösten.[21] Dabei machte es keinen Unterschied, ob eine Macht demokratisch, monarchisch oder semi-demokratisch organisiert war. Nationalismus, Chauvinismus, Sozialdarwinismus und Militanz waren überall gleichermaßen verbreitet – auch bei kleineren europäischen Staaten wie Italien, Niederlande oder Belgien. Dies lag waren offensichtlich an den großen gesellschaftlichen Umbrüchen, die der technologische und industrielle Fortschritt mit sich gebracht hatte. Infolge der Zunahme von industrieller Massenproduktion hatte allerorten die Suche nach Rohstoffquellen und Absatzmärkten Priorität. Kolonialismus und Nationalismus fingen die in sämtlichen Ländern auftretenden gesellschaftlichen Spaltungen auf. Fortschritte in Verkehrswesen, Informationstechnik, Waffentechnologie und Militärwesen ließen Europas Staaten zu Vormächten und Kolonialmächten werden. In dieser Zeit zerbrach die liberale Hoffnung auf eine Welt des Wohlstands, der Freiheit und des Friedens unter Nationen, die durch Freihandel, Auslandsinvestitionen und Konzertdiplomatie zusammengehalten worden war.[22] Ab den 80er-Jahren des 19. Jahrhunderts ging der vornehmlich infolge britischer Bemühungen rapide gewachsene internationale Handel infolge von Schutzzöllen sukzessive zurück, sodass sich in mehr und mehr Ländern der Anteil des Außenhandels verringerte.[23] Diese dynamische Entwicklung beschleunigte den Kollaps der früheren Zentren der internationalen Beziehungen: Indien, China und Osmanisches Reich.

Hotspots der Konkurrenz der europäischen Mächte (und zunehmend auch der USA) waren jene Orte und Territorien, wo der Verfall der drei alten Reiche Indien, China und Türkei (Osmanisches Reich) Gelegenheit für Landerwerb, Geschäfte und Ausbeutung bot. Hinzu kamen die noch bestehenden „weißen Flecke“ auf der Landkarte – hauptsächlich in Subsahara-Afrika und im Pazifik. 1876 standen knapp 11 Prozent Schwarzafrikas unter kolonialer Herrschaft, im Jahr 1900 waren es über 90 Prozent.[24] Konfliktpunkte fanden sich in rauen Mengen auf dem Balkan, bei der Kontrolle von Meerengen, bei der Verteilung der osmanischen Besitztümer in der Levante und in Nordafrika. Russland und Großbritannien stritten sich um die Abgrenzung ihrer Kolonialreiche in Zentral- und Südasien, Großbritannien und andere europäische Mächte und Japan stritten sich um die Beute, die das zerfallende China verhieß, und ständig gab es Streit um Kolonialgrenzen in Afrika (und die Kontrolle über Siedlerstaaten). Es ging um die Kontrolle von Territorien und Städten, Seegebieten und Meerengen, die Herstellung von Einflusszonen und deren Verteidigung oder Abgrenzungen. Es ging um den Erwerb und die Sicherung von Kolonialbesitz aus wirtschaftlichen oder Prestigegründen, um das Umwerben oder das Unterwerfen von lokalen Herrschern, um die Wahrung wirtschaftlichen Einflusses in Indien, China und dem zerfallenden osmanischen Reich.

Es würde eine lange Liste ergeben, wollte man alle Streitpunkte und Streitfälle auflisten, die in der Zeit von 1880 bis 1914 die wichtigsten Mächte Europas, die USA und mehr und mehr auch Japan beschäftigten und unterschiedliche Konstellationen von Konflikt oder Kooperation heraufbeschworen. Jedes neue Ereignis hatte seine eigene Geschichte, Dynamik, Kräftekonstellation, Gewinner oder Verlierer. Gewinn und Verlust sind jedoch stets relative Begriffe gewesen und waren oft Ursache eines raschen Verfalls. Es gab einen regen diplomatischen Verkehr zwischen den Hauptstädten und Staatskanzleien, in dem immer neue Streitfälle aufgegriffen und meistens irgendwie beigelegt wurden. In den meisten Fällen gelang es, Streitigkeiten durch diplomatische Kompromisse zu schlichten.[25] Um die diplomatischen Verhandlungen möglichst zu eigenen Gunsten zu wenden, wurden ebenso unbekümmert militärische Interventionen verwendet wie Bündnisse geknüpft oder aufgekündigt.

In dieser Situation musste das Fehlen eines strategischen Zentrums im Deutschen Reich besonders negativ ins Gewicht fallen. Sie mündete in eine in sich widersprüchliche Außen-, Verteidigungs- und Kolonialpolitik, der es nicht nur an einem gemeinsamen Nenner und an der notwendigen Ausstattung mit Instrumenten mangelte, sondern die auch für Verunsicherung gerade in der britischen Hauptstadt und anderswo sorgte. Die Widersprüchlichkeiten der deutschen Politik lassen sich in den einzelnen Politikfeldern ebenso ausmachen wie im Verhältnis der drei Politikbereiche.

Im Bereich der diplomatischen Beziehungen bedeutete „Weltpolitik“ den Anspruch Deutschlands auf gleichrangigen Status mit den Großmächten in allen Teilen der Welt, obwohl das Reich weder die militärischen noch die zivilen Instrumente besaß, um in diesem Konzert gleichberechtigt mitspielen zu können. Kolonialen Besitz gab es kaum noch zu erwerben, lediglich die Zerfallsprozesse des osmanischen und des chinesischen Reiches produzierten Gelegenheiten, sich in eine Konkurrenz um einzelne Territorien oder um Präferenzen einzulassen oder um unter Beweis zu stellen, wie wichtig das Reich sei (z. B. bei der Niederschlagung des Boxer-Aufstands in China). Mit der durchaus populären Formel, Deutschland stehe ein „Platz an der Sonne“ zu, wurde eine Form der Volksdiplomatie salonfähig gemacht, die es zunehmend erschwerte, den diffizilen und komplexen Aufgaben einer Diplomatie nachzukommen, deren primäres Ziel eigentlich sein sollte, durch kluge Bündnispolitik den Frieden und die Sicherheit des Reiches zu wahren. Die Versuche, mit Großbritannien oder mit Russland zu vertraglichen Absprachen zu kommen, standen im Gegensatz zum Anspruch der „Weltpolitik“.

Im Bereich der Marinepolitik begann das Deutsche Reich unter Tirpitz, eine Reichsmarine aufzubauen, die nicht nur Schutz vor möglichen britischen Angriffen bieten, sondern auch weitgehend gleichberechtigte Mitwirkung bei allen weltpolitisch wichtigen Fragen ermöglichen sollte. Sie war gleichsam die militärische Umsetzung des Anspruchs auf „Weltpolitik.“ Konzeptionelle Grundlage war das seinerzeit sehr populäre und auch ins Deutsche übersetzte Buch von Alfred T. Mahan über maritime Machtpolitik.[26] Tirpitz brachte für seine Politik 1898 ein Flottengesetz ein, das erstmals eine auch im Reichstag als überzeugend empfundene Konzeption für die Aufgabenstellung der Reichsmarine enthielt. Nur zwei Jahre später wurde mit dem zweiten Flottengesetz eine Verdoppelung der Marine beschlossen. Das ursprüngliche Ziel, eine Abschreckung gegen die übermächtige britische Flotte aufbauen zu können und gar für London „bündnisfähig“ zu werden, wurde nicht erreicht. Stattdessen wuchs in Großbritannien die Skepsis über die politischen Ziele des Deutschen Reiches und die deutsche Flottenpolitik beschleunigte Londons Annäherung an Frankreich und später Russland. Das Flottenprogramm war im Reich beliebt und fand – mit Ausnahme der Sozialdemokratie – breite politische Unterstützung. Insbesondere der Kaiser, dem maritime Fragen am Herzen lagen, hatte sich diesem Aufrüstungsprogramm verschrieben. Ab 1906 entwickelte sich zwischen dem Deutschen Reich und England ein maritimes Wettrüsten, welches das Deutsche Reich wirtschaftlich überforderte und die politischen Beziehungen zu Großbritannien belastete.[27] Damit wurde ausgerechnet jene Großmacht – Großbritannien – vor den Kopf gestoßen, auf deren Freundschaft oder zumindest Neutralität Deutschland angewiesen war, um nicht in eine hoffnungslose militärische Lage zu geraten, sollten sich Frankreich und Russland zu einem Angriff auf das Deutsche Reich entschließen.

Im Bereich der Planungen für einen Krieg wurde seit den 90er-Jahren die Möglichkeit eines Zwei-Fronten-Kriegs gegen Russland und Frankreich im Großen Generalstab intensiv diskutiert und durchgeplant. Angesichts der damaligen Kräfteverhältnisse und vor dem Hintergrund der militärtheoretischen Debatten stand es um Deutschlands Sicherheit im Fall eines Zwei-Fronten-Kriegs nicht gut.[28] Der nächste große Krieg – so viele Experten – würde den Charakter eines Volkskriegs annehmen und jahrelange Stellungskämpfe und Abnutzungsschlachten bedeuten mit dem Ergebnis, dass die bestehenden Großmächte eine nach der anderen ermattet zusammenbrächen.[29] Die deutschen Landstreitkräfte waren ungefähr so groß wie jene Frankreichs. Einen Angriff aus dem Westen hätten sie durchaus abwehren und die französischen Truppen schlagen können. Bei einer gleichzeitigen Invasion Russlands aber hätten die Kräfte nicht ausgereicht, vor allem da Russland bis zur Jahrhundertwende Eisenbahnlinien in Polen bauen ließ und so Truppen an die Front hätte verlegen können.

Bei den Planungen des Großen Generalstabs standen vorwiegend Offensivkonzepte im Vordergrund. Die Idee einer defensiven Strategie – wie sie vor allem der deutsche Militärhistoriker Hans Delbrück vertrat – galt als nicht zeitgemäß.[30] Es entsprach nicht dem Stil, schienen doch nahezu alle Generalstäbe die Offensive zu bevorzugen.[31] Vor allem zu Zeiten der Generalstabschefs Alfred von Schlieffen (1891–1906) und Helmuth von Moltke (1906–1914) erwog man in mehreren Konzepten, wie die deutschen Heere einen Überraschungskrieg erst gegen den einen, dann gegen den anderen Feind hätten durchführen können, um einen nach dem anderen zu schlagen. Diese Konzepte und Kriegspläne erwiesen sich jedoch nicht als vielversprechend, ebenso wenig ein 1906 vom ausscheidenden Generalstabschef Alfred von Schlieffen hinterlassenes Memorandum mit einem Plan für die Unterwerfung Frankreichs, der die Fähigkeiten der deutschen Heere weit überschätzte. Schlieffens Plan hätte etwa 24 zusätzliche Divisionen erfordert und war daher unrealistisch.[32]

Das unkontrollierte Zusammenwirken der in sich widersprüchlichen deutschen Diplomatie, der Flottenrüstung und der Militärplanung der Heere bewirkte, dass am Ende das Deutsche Reich ohne Konzept für Frieden oder Krieg in die großen Krisen der Jahre 1912 bis 1914 ging. Die Flottenpolitik belastete vor allem ab 1900 die Vertragsverhandlungen mit Großbritannien mit einer großen Hypothek. Aber nicht allein beim Thema Flottenrüstung hätte man in Verhandlungen durchaus eine Einigung herstellen können, sondern auch bei anderen Interessenunterschieden. Beide Seiten einte das Bestreben, sich so viel freie Hand wie möglich zu bewahren. Das zeigten die ersten Vertragsverhandlungen 1898, in denen die deutschen Flottenpläne noch keine Rolle spielten. Auf deutscher Seite bestand die irrige Annahme, Großbritannien habe ein Bündnis nötiger und Deutschland müsse darauf achten, nicht in einen Krieg Großbritanniens gegen Russland hineingezogen zu werden.[33] Offenkundig meinte man im Auswärtigen Amt und in der Reichskanzlei zudem, man könne zwischen Russland und Großbritannien hin und her lavieren (Schaukelpolitik). Die Gespräche erbrachten nichts.[34] Auch Verhandlungen im Jahr 1899 blieben ergebnislos. Sie waren von kolonialen Problemen überschattet und die deutsche Seite ging abermals von der völlig unrealistischen Ansicht aus, London sei der demandeur und man müsse warten, bis es weitergehende Konzessionen anbieten würde.[35]

Im Jahr 1901 fanden erneute, monatelange Verhandlungen zwischen London und Berlin statt. Sie wiesen in Richtung eines gegenseitigen Hilfeversprechens, sobald eine der beiden Vertragsparteien von mehr als einer fremden Macht angegriffen werde. Obwohl beide den Intentionen der anderen Seite misstrauten, fand sich dieses Mal ein hohes Maß an Übereinstimmung. Doch scheiterten die Verhandlungen am deutschen Wunsch, Österreich-Ungarn in das Bündnis einzubeziehen. Hauptziel Berlins war die Integration Londons in den Dreierbund, London wollte lediglich mit dem Deutschen Reich einen Vertrag. Zudem belastete Streit über die unterschiedlichen Interessen in China die Verhandlungen.[36] Daraufhin orientierte sich Großbritannien anderweitig. Die Umsetzung der Flottenpläne bestätigte es darin, die Rivalität Deutschlands als gegeben anzunehmen, wenngleich es später unter Reichskanzler Bethmann-Hollweg wieder Versuche einer Verständigung gab.

Im Jahr 1904 wurde die entente cordiale mit Frankreich geschlossen, die einen umfassenden Interessensausgleich zwischen Paris und London in Fragen der Kolonialpolitik beinhaltete.[37] Für die Regierung von Bülow war die Entwicklung seltsamerweise kein Grund zur Panik. Der Reichskanzler ging davon aus, dass das Deutsche Reich aufgrund der Spannungen zwischen Großbritannien und den Kontinentalmächten Russland und Frankreich über genügend Handlungsspielraum verfüge und die Tür für Bündnisverhandlungen mit London offenstehe[38] – ein fataler Irrtum, der die Ignoranz und strategische Blindheit der Reichsführung offenbarte.

Wie realitätsfern die deutsche Politik war, sollte sich in der Marokko-Krise von 1905 erweisen. Frankreich hatte versucht, seinen Einfluss in Marokko zu verstärken und traf auf deutschen Widerstand, unterstrichen durch einen Besuch des Kaisers in Marokko im März 1905. Ziel der deutschen Politik war es, im Rahmen einer internationalen Konferenz Frankreich und Großbritannien zu spalten. Eine Konferenz über Marokko fand 1906 im spanischen Algeciras tatsächlich statt, endete aber mit der kompletten Isolierung Deutschlands.

 Reichskanzler von Bülow

Reichskanzler von Bülow

Ebenso erfolglos endeten Versuche, das Bündnis zwischen Russland und Frankreich aufzubrechen. Nach Russlands Niederlage gegen Japan wollte sich der Kaiser auf Anraten von Bülows persönlich mit Zar Nikolaus treffen, um die Gunst der Stunde zu nutzen. In einem geheimen Treffen im finnischen Ort Björkö vereinbarten beide am 4. Juli 1905 einen Vertrag, der gegenseitigen Beistand vorsah, falls einer der Partner in Europa von einer dritten europäischen Macht angegriffen würde. Der Vertrag wurde allerdings sowohl in Berlin von Reichskanzler von Bülow als auch in St. Petersburg von Außenminister Wladimir Graf Lamsdorf abgelehnt. Von Bülow störte, dass die Vereinbarung nur für Europa galt, und drohte sogar mit seinem Rücktritt, sollte der Kaiser auf dem Vertrag beharren. Der russische Außenminister wiederum sah die Bündnisbeziehungen zu Frankreich gefährdet, weil Russland existenziell auf Finanzhilfe aus Paris angewiesen war. Wie aussichtsreich dieser Versuch war, ist umstritten. Autoren, die den Zar und den Kaiser als zentrale Entscheidungsinstitutionen ansehen, gehen von einer großen verpassten Chance aus.[39] Andere, die davon ausgehen, dass nicht die Monarchen das Geschehen bestimmten, messen den Verhandlungen wenig Bedeutung bei.[40]

In den Jahren bis zu Bülows Demission (1909) wurde die Position Deutschlands in Europa immer prekärer. Ab 1906 baute Großbritannien die bislang größten Schlachtschiffe, die Dreadnought-Klasse, und ein Rüstungswettlauf mit dem Kaiserreich setzte ein, der die deutschen Kapazitäten überforderte. Gleichzeitig begannen die britische und die französische Regierung im Rahmen der entente cordiale nicht nur über koloniale Probleme zu diskutieren, sondern auch über britische Unterstützung für den Fall, dass die belgische Neutralität durch das Deutsche Reich verletzt werde.[41] Damit wurde – obwohl die entente kein Bündnisvertrag war – eine vor allem von Frankreich betriebene Diplomatie der Isolierung Deutschlands und der Schaffung von Kooperationsabsprachen im Kriegsfall wirksam. Desgleichen bemühte sich Paris um Vermittlung zwischen London und St. Petersburg in Sachen Ost- und Südasien und schloss 1907 einen Bündnisvertrag mit Japan.

Am 31. August 1907 vereinbarten Großbritannien und Russland zudem im Vertrag von Petersburg die Abgrenzung ihrer Interessensphären im asiatischen Bereich und bildeten damit eine weitere entente, die sich zur triple entente entwickelte. Diese blieb bis 1912 eine informelle Gruppe, in der man sich darauf einigte, Interessen in Kolonialgebieten oder in Asien abzugrenzen, gleichzeitig aber auch mit Blick auf Deutschlands weiteres Verhalten das diplomatische und militärische Vorgehen miteinander abzusprechen. Die triple entente war keinesfalls ohne interne Differenzen; schließlich herrschte in Frankreich und Großbritannien ausgeprägte Abneigung gegen die rückständige russische Monarchie, die wiederum die demokratischen Entwicklungen im Westen Europas mit äußerster Skepsis beobachtete.[42] Das Hauptaugenmerk der internationalen Politik wandte sich immer mehr fort von den außereuropäischen Konflikten hin zum Schauplatz Europa, wo das Deutsche Reich durch seine Weltpolitik, Flottenrüstung, übertrieben selbstbewusste Diplomatie und seinen erratischen Kaiser die Nachbarn irritierte und sich selbst eingekreist sah. Tatsächlich hatte es sich eher „ausgekreist.“[43]

Die bosnische Annexionskrise vom Herbst 1908 verschärfte die Situation. Die Regierung in Wien versuchte eine Schwächephase des Osmanischen Reiches auszunutzen, um die Annexion der von ihr bereits kontrollierten Regionen Bosnien und Herzegowina zu vollziehen. Dieser Vorstoß führte zu heftigen Reaktionen seitens St. Petersburg, was in der Wilhelmstraße – dem Sitz von Reichskanzlei und Auswärtigem Amt – die Versuchung nährte, die Beziehungen zwischen Russland und seinen Partnern Frankreich und Großbritannien einer Belastungsprobe zu unterziehen. Die deutsche Regierung gab dem Habsburger Kaiserreich volle Unterstützung (gegebenenfalls auch militärisch) und es trat ein, was zu erwarten war: weder Frankreich noch Großbritannien waren bereit, zugunsten Russlands zu intervenieren. Dies war zweifelsohne der Stresstest des Zusammenhalts der triple entente, entzweite jedoch nicht ihre drei Partner. Vielmehr war es gerade Berlins anscheinend unaufhaltsame Entschlossenheit, den Konflikt zu eigenen Bedingungen (bzw. zum Wohlgefallen seines Bündnispartners Österreich-Ungarn) zu lösen, die das Misstrauen gegenüber den Absichten und militärischen Potenzialen des Deutschen Reiches verstärkte.[44]

Die Folge war eine weitere Erhöhung des britischen Marinebudgets, woraufhin selbst bei Reichskanzler von Bülow Zweifel an der Richtigkeit seiner Politik aufkamen. Im Juni 1909 folgte er dem Rat des bereits pensionierten Geheimrats von Holstein und plädierte für erneute Verhandlungen mit London. Es war Großadmiral Tirpitz, der diese Initiative zu verhindern wusste, und mit seinem Starrsinn das Kaiserreich immer tiefer in die internationale Isolation trieb.[45] Wenige Wochen später musste von Bülow sein Amt aufgeben, da sein Verhältnis zum Kaiser infolge einer Medienaffäre (Daily-Telegraph-Affäre) zerrüttet war.

4 Die Jahre 1909 bis 1914 – Von Bethmann-Hollwegs gescheiterte „Herkulesaufgabe“

Der neue Reichskanzler Theobald von Bethmann-Hollweg trat 1909 sein Amt im vollen Bewusstsein der Verfehlungen an, die sein Vorgänger und der Marineamtschef Alfred Tirpitz im Zusammenspiel mit dem Kaiser zu verantworten hatten. Die durch die Politik der vergangenen Jahre verursachte Selbstisolierung drohte das Reich existenziell zu gefährden und Bethmann-Hollweg nahm die „Herkulesaufgabe“ auf sich, das Ruder noch einmal umzureißen.

Sein Hauptaugenmerk galt dem Verhältnis zu Großbritannien. In den Beziehungen zu London wollte er eine Entspannung herbeiführen – eine détente. Außerdem bemühte er sich – so wie Caprivi zuvor –, innenpolitisch eine Beruhigung herzustellen und die unterschiedlichen politischen Parteien und Reichstagsfraktionen stärker in die Politik einzubeziehen. Entgegen dem Ratschlag seines neu ernannten Staatssekretärs im Auswärtigen Amt, Alfred von Kiderlen-Wächter, wollte er mit England eine schnelle grundsätzliche Verständigung erreichen, an deren Ende eine englische Neutralität stehen sollte für den Fall, dass das Reich von Frankreich und Russland angegriffen würde. Die Regierung Ihrer Majestät war im Prinzip zu Verhandlungen bereit und im Sommer 1909 begannen vertrauliche Gespräche.[46] Einem Erfolg stand jedoch Deutschlands Flottenrüstung im Weg. Zwar versuchte von Bethmann-Hollweg, diese zu beschränken, aber die von Tirpitz aufgebaute vaterländische Unterstützung der Flottenrüstung erwies sich als so stark, dass sich eine Reduzierung der Rüstungsvorhaben politisch nicht umsetzen ließ. Zugleich zögerte die Regierung in London, sich mit Berlin auf Verabredungen einzulassen, die die – immerhin noch recht unbestimmten – Bündnisbeziehungen zu Frankreich und Russland hätten gefährden können.[47] Ein zweiter Versuch Bethmann-Hollwegs im Jahr 1911, mit London über eine gegenseitige Neutralität ins Gespräch zu kommen, scheiterte durch das Vorpreschen seines Staatssekretärs Kiderlen-Wächter in der Marokko-Frage. Nachdem Frankreich in Marokko militärisch interveniert hatte, sandte Kiderlen-Wächter wohl ohne Absprache mit dem Reichskanzler, aber unter großer Zustimmung der deutsch-national gesinnten Öffentlichkeit, Kriegsschiffe vor den Hafen von Agadir („Panthersprung“) und beanspruchte ein Mitspracherecht des Reiches über Marokko. Er hoffte darauf, als Kompromiss seitens Frankreich Kompensationen in Form territorialer Zugeständnisse in Zentralafrika zu erhalten.[48] Die Initiative sollte das Gewicht des Deutschen Reiches betonen, geriet jedoch aufgrund der deutlichen Unterstützung Frankreichs durch London zu einem Fiasko für die deutsche Politik und diente der wachsenden Isolation Deutschlands ebenso wie der Vertiefung der britisch-französischen entente.[49]

 Reichskanzler von Bethmann-Hollweg

Reichskanzler von Bethmann-Hollweg

Großbritanniens letzter Versuch, eine Einigung mit Bethmann-Hollweg herzustellen, bestand in der sogenannten Haldane-Mission, die auf eine Initiative des Hamburger Kaufmanns Albert Ballin zurückging. Lord Richard B. Haldane war zu jener Zeit britischer Kriegsminister und einer der Befürworter einer Annäherung Londons an Deutschland. Haldane wollte eruieren, ob eine Einigung im Bereich der Flottenrüstung möglich wäre. Aber kurz vor seiner Anreise kündigte Kaiser Wilhelm II eine neue Flottennovelle mit umfangreichen Neubauten an und Admiral Tirpitz erklärte öffentlich, Großbritannien müsse einer Regelung zustimmen, bei der London Deutschland eine Flotte von zwei Dritteln der englischen Schiffe sowie ein unbedingtes Neutralitätsabkommen zusichere. Damit war Bethmann-Hollweg desavouiert und Haldane reiste ohne Ergebnis ab.[50]

Nachdem die Gespräche über eine grundsätzliche Neuordnung der Beziehungen zu London wenig erfolgversprechend verlaufen waren, versuchten es der Reichskanzler und sein Staatssekretär mit einer Politik der Annäherung in kleinen Schritten, etwa in kolonialen Fragen oder Konflikten auf dem Balkan. Gleichzeitig nahm man Kontakte zur russischen Regierung auf mit dem Ziel, die bilateralen Beziehungen zu entspannen.[51] Aber die Bereitschaft zum Entgegenkommen war in St. Petersburg gering. Denn aus russischer Sicht war eine Allianz mit Frankreich und England von Vorteil, da sie ein offensives Vorgehen auf dem Balkan erlaubte, um die internen Schwächen des Habsburger und des Osmanischen Reiches zum Zweck der eigenen Machterweiterung auszunutzen.

Dabei kam ein weiterer Aspekt zum Tragen, der die Situation für das Deutsche Reich bedrohlich werden ließ. Einerseits war davon auszugehen, dass die triple entente vor allem (aber nicht ausschließlich) in britischer und französischer Sicht aus dem durchaus nachvollziehbaren Interesse an einer Eindämmung des unruhigen und unberechenbar erscheinenden Deutschen Reiches erwuchs. Andererseits musste dieses noch relativ lockere Bündnis auf Seiten der revisionistischen Mächte – und zwar vor allem Russlands – die Vorstellung nähren, dass das Bündnis auch der Verfolgung revisionistischer Ziele dienen könnte, die ansonsten an einer Intervention Berlins gescheitert wären.[52] Sorge bereitete in diesem Zusammenhang dem Deutschen Reich als Verbündetem Österreich-Ungarns die russische Balkanpolitik, vornehmlich Russlands Zusammenwirken mit Serbien, das von einem großserbischen Reich träumte. Aber auch Frankreich wollte die Grenzen zum Deutschen Reich revidieren und sah sich durch seine Bündnisbeziehungen ermutigt, dieses Ziel gegebenenfalls militärisch umzusetzen.

In dieser Lage entwickelte sich 1912 auf dem Balkan eine Konstellation, die einen umfassenden Krieg hätte entfachen können. Auf Anregung und unter intensiver Mitwirkung der russischen Regierung kam es zu einem Bündnis zwischen Serbien, Griechenland, Bulgarien, Montenegro und Rumänien mit dem Ziel, die türkischen Gebiete auf dem Balkan zu erobern und von der jahrhundertelangen Fremdherrschaft zu befreien. Die militärische Schwäche des Osmanischen Reiches war kurz zuvor deutlich geworden im Krieg gegen Italien, das sich das Gebiet des heutigen Libyen sowie einige Inseln in der Ägäis hatte aneignen können. Nachdem mehrere Vermittlungsversuche Großbritanniens, Österreich-Ungarns und auch Deutschlands gescheitert waren, eröffneten die Balkanstaaten im Oktober den Krieg.[53] Nach wenigen Wochen waren die türkischen Truppen geschlagen und durch Vermittlung der Großmächte kam es im Mai 1913 zu einer vorläufigen politischen Einigung über die territoriale Neuordnung des Balkans. Als Teil dieser Vereinbarung zog sich das Osmanische Reich aus fast allen seinen Besitzungen auf dem Balkan zurück; auch wurde der Staat Albanien gegründet, damit die Serben sich nicht auf Kosten der Albaner Zugang zur Adria verschaffen konnten. Kurz darauf focht Bulgarien die territoriale Neuordnung an und führte seinerseits einen Krieg zur Eroberung weiterer Gebiete, den es allerdings verlor. Erneut griffen die Großmächte unter englischer Führung ein, sodass im September 1913 in den Verträgen von Bukarest und später von Konstantinopel eine Neuordnung des Balkans vereinbart werden konnte. Diese Vereinbarung wurde aber vornehmlich von Serbien angezweifelt und kontinuierlich unterminiert. Serbien bestritt die Existenz Albaniens und versuchte, sich mit militärischen Mitteln einen Zugang zur Adria zu verschaffen. Erst ein Ultimatum Wiens, verbunden mit der Drohung einer militärischen Intervention, im Oktober 1913 bewegte Serbien zum Rückzug.[54]

Diese Kriege verdarben wegen der vielen ethnisch motivierten Gewalttaten nicht nur dauerhaft das Verhältnis der Balkanstaaten untereinander und zur Türkei, sie stellten auch die Großmachtbeziehungen auf eine schwere Probe und wären fast in einem größeren Krieg geendet. Das von Russland initiierte Bündnis gegen die Türkei verunsicherte vor allem die Regierung in Wien, denn es hätte sich ohne weiteres auch gegen das Habsburger Reich wenden können. Die Haltung Serbiens, das sich nicht an diplomatische Vereinbarungen und Spielregeln hielt, bewirkte in Wien grundlegende Skepsis gegenüber politischen Vereinbarungen mit Belgrad und bereitete jene harte Haltung vor, die im Sommer 2014 zum Ausdruck kam.[55] Und es zeigte sich: je offensichtlicher die inneren Schwächen der österreichisch-ungarischen Monarchie, desto höher die Risikobereitschaft von Serbien und Russland. Umgekehrt reifte mit der zunehmenden Widerborstigkeit der von Russland unterstützten Serben in Wien die Entschlossenheit, gegen Serbien mit militärischer Gewalt vorzugehen, selbst auf Kosten eines möglichen Kriegs mit Russland.

In Berlin löste diese kriegerische Balkankrise unterschiedliche Reaktionen aus, in denen sich die widersprüchlichen politischen Stimmungen und Strömungen des Reiches spiegelten. Während der Reichskanzler und sein Staatssekretär im Auswärtigen Amt (bis zu seinem plötzlichen Tod am 30.12.1912 von Kiderlen-Wächter, danach Gottlieb von Jagow) erfolgreich auf Kooperation mit London setzten, um gemeinsam mit den anderen Großmächten (Frankreich, Österreich-Ungarn und Russland) zu einer Beendigung des Krieges und einer vertraglichen Vereinbarung zu gelangen, sahen sich andere Kreise (der Kaiser, der Chef des Großen Generalstabs Helmuth von Moltke und Admiral von Tirpitz) durch die Ereignisse in ihrer Furcht bestätigt, dass es bald zu einem großen Krieg in Europa kommen würde. Nachdem der britische Verteidigungsminister Haldane dem deutschen Botschafter in London Anfang Dezember 1912 mitgeteilt hatte, dass England nicht untätig zusehen werde, sollte sich das Deutsche Reich zum Angriff auf Frankreich entschließen, rief Kaiser Wilhelm II. am 8. Dezember 1912 einen „Kriegsrat“ ein, an dem neben dem Verteidigungsminister auch der Generalstabschef und der Chef des Marineamts teilnahmen, doch weder der Reichskanzler noch sein Staatssekretär im Auswärtigen Amt. Auf diesem Treffen gab sich der Kaiser offenkundig entschlossen, bald einen Krieg anzufangen und wurde darin vor allem von Generalstabschef von Moltke unterstützt (weniger von Tirpitz, der seine Flotte noch nicht für kriegsbereit hielt). Die Bedeutung dieses Treffens wird unterschiedlich beurteilt – die einen sehen es als Indiz für einen von langer Hand geplanten Eroberungskrieg der reaktionären Kreise Deutschlands,[56] andere werten es als folgenlos und schreiben es eher der unsteten Natur des Kaisers zu, der schon wenige Tage später nicht mehr an der Angelegenheit interessiert schien.[57]

 Generalstabschef Helmuth von Moltke, der jüngere

Generalstabschef Helmuth von Moltke, der jüngere

Bemerkenswert an diesem Kriegsrat war Moltkes Forderung nach einem Präventivkrieg, und zwar so bald wie möglich. Seine Aussage – die er in der Juli-Krise wiederholte – reflektierte die Meinung im Großen Generalstab zu den Aussichten der deutschen Streitkräfte in einem europäischen Krieg. Man macht es sich zu einfach, Moltke als „Kriegstreiber“ hinzustellen, ohne die Hintergründe dieser Position aufzuklären. In der geschichtswissenschaftlichen Debatte wird der militärstrategische Background nur von wenigen Autoren vertieft untersucht. Eine zentrale Rolle spielt die Debatte um den sogenannten Schlieffen-Plan. Bei diesem handelt es sich um ein am Ende von Schlieffens Amtszeit als Chef des Generalstabs (Ende 1905/Anfang 1906) verfasstes Memorandum. Darin plädierte Schlieffen für einen Kriegsplan, in dem sich das Deutsche Reich in einem Zwei-Fronten-Krieg zunächst gegen Frankreich und anschließend gegen Russland durchsetzen müsse. Derartige Überlegungen gab es, wie oben aufgezeigt, seit der russisch-französischen Annäherung, ließen sich aber mit den vorhandenen Kräften nicht umsetzen. Schlieffens Memorandum lief darauf hinaus, ein erfolgreicher Zwei-Fronten-Krieg mit einem Sieg über Frankreich und dann über Russland wäre möglich unter der Prämisse, man hätte die Heere des Deutschen Kaiserreiches erheblich verstärkt. Letzteres war politisch nicht durchsetzbar, zum einen wegen der teuren Flottenrüstung, zum anderen wegen des Widerstands im Reichstag.

Dieses Memorandum hat zwei aufeinanderfolgende, völlig widersprüchliche Mythen entstehen lassen. Zum einen brachten rechtsnationale Kreise nach dem verlorenen Weltkrieg vor etwa hundert Jahren die Behauptung auf, der Krieg hätte gewonnen werden können, wäre der Schlieffen-Plan Stück für Stück umgesetzt worden. Der zweite Mythos behauptete, der aus dem Jahr 1905 oder 1906 stammende Plan sei zwar leicht modifiziert worden, wäre aber die einzig vorhandene Kriegsplanung des Reiches im Moment der Krise gewesen.[58] Daher hätte Deutschland in einem Augenblick, in dem es einen russischen Angriff auf Österreich-Ungarn und das Deutsche Reich zu verhindern galt, einen Krieg gegen Frankreich vom Zaun gebrochen und damit den Weltkrieg ausgelöst.

Die Realität dürfte komplexer ausgesehen haben. Tatsächlich waren die Kriegsplanungen und Übungen des Großen Generalstabs unter Helmuth von Moltke in den Jahren 1906 bis 1914 weitaus facettenreicher und es wurden unterschiedliche Planspiele durchgeführt. Selbst Schlieffen hatte alternative Kriegsszenarien durchspielen lassen. Vor allem waren die Voraussetzungen für die Umsetzung seines Memorandums nicht gegeben: der Schlieffen-Plan ging von 96 deutschen Divisionen aus, tatsächlich hatte das Deutsche Reich bei Kriegsausbruch 1914 lediglich 72 Divisionen zur Verfügung.[59] Es verwundert, dass die deutsche wie internationale Diskussion immer noch vom Schlieffen-Plan als dem real existierenden Kriegsplan des Deutschen Reiches im Jahr 1914 ausgeht.[60]

Dem Großen Generalstab lag 1914 eine Kriegsplanung vor, die gewisse Ähnlichkeiten mit dem Schlieffen-Plan aufwies, doch in der konkreten Planung ganz andere Schwerpunkte setzte. Dies überrascht nicht, denn das Deutsche Reich war militärisch gegenüber Frankreich und Russland deutlich in der Minderzahl. Im Generalstab ging man davon aus, dass das Deutsche Reich keinen langanhaltenden Krieg werde durchhalten können, insbesondere nicht, sollte sich Großbritannien auf die Seite Frankreichs und Russlands schlagen. Die militärischen Kräfteverhältnisse veränderten sich ab 1910 Stück für Stück zuungunsten Deutschlands und sowohl Russland wie Frankreich schwenkten auf offensive Strategien bei einem Krieg gegen Deutschland ein. Schlieffen und Moltke sahen beide das Reich in einer eigentlich ausweglosen, sich von Jahr zu Jahr verschlechternden Situation. Sie hofften, durch einen kurzen Krieg entweder den stärksten Gegner (Frankreich) entscheidend zu schlagen (so der Schlieffen-Plan) oder zumindest so sehr zu schwächen (so Moltkes Plan), dass die Voraussetzungen für eine relativ schnelle und günstige Kriegsbeendigung geschaffen wären.[61] So wie die erfolgreiche Umsetzung des Schlieffen-Plans fragwürdig war, so waren auch die Kriegsplanungen Moltkes weitgehend unrealistisch. Wie ein Beobachter zu Recht feststellte, hätte der Generalstab angesichts der seit 1912 absehbaren Kriegsgefahr entweder ein umfassendes Verteidigungsdispositiv aufbauen müssen, um einen langwierigen defensiven Krieg zu Lande führen zu können, oder er hätte die politische Führung zur Vorsicht mahnen (also keine „Weltpolitik“ und vor allem keinen Flottenrüstungswettlauf betreiben) und dringlich von einem Krieg abraten müssen.[62] Beides war im Deutschen Reich der Jahre 1912 bis 1914 politisch offenkundig nicht zu verwirklichen. Und so plädierte der Generalstabschef aus einer Lage der Verzweiflung heraus für einen möglichst frühen Präventivkrieg gegen Frankreich und dann gegen Russland, weil sich die militärische Lage des Reiches mit der Zeit zunehmend verschlechtern würde. Dem standen vor allem zu Beginn des Ersten Weltkriegs eine völlig andere politische Stimmungslage und die allgemeine Überzeugung entgegen, die deutschen Soldaten seien besser als ihre Gegner und ein schneller Sieg sei daher ausgemachte Sache.[63]

5 Die Julikrise und der Erste Weltkrieg

Der Mordanschlag auf den österreichischen Thronfolger und seine Gattin am 28. Juni 1914 entfachte eine diplomatische Krise, in deren Verlauf es Anfang August zum Ausbruch eines Krieges in Europa kam, den man später den „Großen Krieg“ und nach 1945 den „Ersten Weltkrieg“ nannte. Die Reichsregierung spielte in diesem Prozess eine Rolle, die in der Literatur unterschiedlich bewertet wird. Auf die verschiedenen Facetten dieser unübersichtlich gewordenen Diskussion kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden. Die in Großbritannien lehrende deutsche Historikern Annika Mombauer hat versucht, die Debatte über die Kriegsschuld zusammenzufassen und abzuschließen.[64] Am Verlauf der Krise und dem Ausbruch des Krieges tragen ihren Argumenten zufolge viele eine Mitverantwortung, doch die Hauptverantwortung komme vor allem dem damaligen Chef des Generalstabs, Helmuth von Moltke (der jüngere), und damit der Reichsregierung zu.[65] Moltke habe schon 1912 und auch im Mai 1914 aufgrund der militärischen Lage gedrängt, einen Präventivkrieg gegen Frankreich und Russland einzuleiten, weil die Verschlechterung der militärischen Lage des Reiches abzusehen sei. Moltke sei es gewesen, der in der Reichsregierung und insbesondere beim Kaiser darauf hingewirkt habe, dass das Deutsche Reich dem verbündeten Österreich schließlich eine Blankovollmacht für militärische Maßnahmen gegen Serbien ausstellte und damit einen Krieg gegen Russland in Kauf nahm. Auch habe er darauf beharrt, ein Krieg gegen Russland lasse sich erst nach einem Sieg über Frankreich führen, wobei man zwar mit dem Kriegseintritt Großbritanniens rechnen müsse, das wegen seiner Truppenstärke aber eine vernachlässigbare Größe sei.

Dieser Argumentation ist vor dem Hintergrund der Dokumentenlage im Prinzip nicht zu widersprechen. Mombauer argumentiert zu Recht, dass die Julikrise in zwei Phasen zerfiel – die bis zur Vorlage des österreichischen Ultimatums an Serbien am 23. Juli und jene danach. Während es in der ersten Phase noch nach einem friedlichen Ausgang der Krise aussah, hätte das Ultimatum eine Dynamik in Gang gesetzt, die im Kriegsausbruch endete. Sie räumt ein, dass sowohl Russland als auch Frankreich eine Mitverantwortung trügen – Russland, weil es ebenso Serbien eine Art Vollmacht ausgestellt hatte,[66] und Frankreich, weil es Russland zu verstehen gegeben hatte, dass es im Falle eines Krieges mit Deutschland zu seinen Bündnispflichten stehen und damit einen Angriff auf das Territorium des Deutschen Reiches beginnen würde.[67] Letztlich aber sei das konstante Drängen des Großen Generalstabs auf einen Krieg zu einer Zeit, in der Deutschland noch eine gewisse Chance auf militärischen Erfolg habe, das entscheidende kriegsauslösende Momentum gewesen. Lediglich die englische Regierung habe vor allem in der zweiten Phase bis zum bitteren Ende versucht, eine Konferenz der Großmächte einzuberufen, um eine diplomatische Lösung zu finden.

Das Bild ist bezüglich der Frage nach der Verantwortung für den Kriegsausbruch allerdings etwas vereinfacht, weil es militärstrategischen Kalkülen und Überlegungen zu wenig Raum gibt.[68] Wie oben aufgezeigt, war aus britischer Sicht die triple entente ein defensives Bündnis gegen ein unberechenbares und potenziell gefährliches Deutschland. Hätten sich die drei Mächte über den defensiven Charakter der entente verständigt und dies nach außen kommuniziert, wäre die Lage für die deutsche Seite klar gewesen. Aber Frankreich und vor allem Russland sahen es auch als Bündnis, das es erlaubte, das Deutsche Reich und Österreich-Ungarn strategisch einzukreisen und offensiv vorzugehen. Das machte beide Mittelmächte strategisch verwundbar und spielte eine wichtige Rolle in deren Haltung zu Krieg und Frieden.[69] Die strategische Verwundbarkeit des Habsburger Reiches lag in seinem multiethnischen Charakter und der zweifellos benachteiligten Lage der slawischen Bevölkerungsteile. Das von Russland massiv unterstützte Serbien versuchte Österreich-Ungarns strategische Verwundbarkeit auszuspielen und bis zum Zusammenbruch des Reiches voranzutreiben. Dabei bediente sich der serbische Staat Methoden, die man heute als terroristisch bezeichnen würde. Belgrad war dafür berüchtigt, dass es sich an diplomatische Kompromisse und Vereinbarungen nicht zu halten pflegte. Daher gelangte die Regierung in Wien irgendwann zu der Ansicht, dass dieser „Pfahl im Fleische“ gezogen werden müsse. Die strategische Verwundbarkeit Deutschlands war seine geographische Mittellage. Das wirtschaftliche Zentrum im Westen Deutschlands (Rhein-Main-Gebiet) trennten weniger als 300 km von französischen Truppen. Und das politische Zentrum Berlin lag keine 300 km von der Grenze zu Kongresspolen entfernt, das seinerzeit zu Russland gehörte und dessen Bahnsystem große russische Truppenverlegungen an diese Linie erlaubte. Seine Abhängigkeit von Rohstoffen und teilweise auch Lebensmitteln aus Übersee machte Deutschland ebenfalls strategisch verwundbar. Die deutsche Wirtschaft hing stärker als die anderer Länder von Exporten und Importen ab, wobei der Handel zumeist über See abgewickelt wurde, sodass die maritime Abriegelung durch Großbritannien eine weitere Gefahr darstellte.

Vergleichbare strategische Verwundbarkeiten gab es auf Seiten Russlands und Großbritannien nicht, lediglich Frankreich hatte Schwachstellen hinsichtlich des politischen Zentrums Paris und der nördlich und nordöstlich davon gelegenen Industriestandorte. Aber es war nicht verletzbar durch einen Zwei-Fronten-Krieg. Deswegen kann man die Militärkonkurrenz zwischen den Mittelmächten Deutschland, Österreich-Ungarn und Italien auf der einen und der triple entente auf der anderen Seite nicht als klassisches Sicherheitsdilemma bezeichnen. Ein Sicherheitsdilemma, wie von John Herz beschrieben, liegt dann vor, wenn zwei oder mehrere Akteure in defensiver Absicht Rüstungsanstrengungen unternehmen, die von der anderen Seite als Sicherheitsgefährdung interpretiert werden und dort ein weiteres Aufrüsten auslösen.[70] Aufgrund der Asymmetrie der strategischen Verwundbarkeiten muss man davon ausgehen, dass sich das Deutsche Reich und Österreich-Ungarn vor dem Ersten Weltkrieg in einem recht einseitigen Sicherheitsdilemma befanden. Lediglich die bilateralen Beziehungen von Deutschland und Frankreich wiesen Anzeichen eines Sicherheitsdilemmas auf.

Strategische Verwundbarkeiten fördern die Neigung zu Kriegen: entweder weil die überlegene Seite meint, die strategische Lage zu ihrem Vorteil ohne hohe Risiken grundlegend verändern zu können, oder, weil die andere Seite ihre Situation als aussichtslos begreift und einen Verzweiflungsschlag ausführt.[71] Vor allem Russland und Frankreich (aber auch England) trugen eine große Verantwortung beim Herstellen einer Situation, die das Deutsche Reich (und auch das Habsburger Reich) immer stärker glauben ließ, auf Verzweiflungsoptionen setzen zu müssen – oder, wie es damals hieß, das „Kriegsglück“ zu suchen.[72]

Die Verantwortung für das Entstehen dieser Asymmetrie der Verwundbarkeiten lag jedoch nicht allein bei den Entente-Mächten. Die im Sommer 1914 aus deutscher Sicht bestehende Notlage und strategische Verwundbarkeit war lange vorhersehbar und hätte durch eine Politik der Vorsicht und des Ausgleichs, der diplomatischen Vernunft und einer angemessenen Rüstung vermieden werden können. Möglichkeiten des Ausgleichs mit Großbritannien gab es auch jenseits der von Bismarck verfolgten Politik, aber man nutzte sie nicht. Deutschlands Flottenpolitik und „Weltpolitik“ verhinderten die Annäherung an London. Versuche, dies zu ändern, wie von Bethmann-Hollweg unternommen, scheiterten an der aufgebrachten vaterländischen Stimmung im Land, die immer wieder von Presse und Kaiser angeheizt wurde. Stimmen der Vernunft gab es, gerade im Zentrum, der liberalen Fortschrittspartei und bei der Sozialdemokratie, aber keine einheitliche Gegenposition. Die SPD beklagte weitgehend die apokalyptische Gefahr eines Wettrüstens, konnte sich jedoch nicht dazu durchringen, mit den anderen Parteien eine parlamentarische Gegenposition aufzubauen.

Mit einer defensiven Strategie hätte Deutschland 1914 auch einen Zwei-Fronten-Krieg gegen Russland und Frankreich durchhalten und sogar als Sieger vom Feld gehen können. Es hätte so den Kriegseintritt und Großbritanniens maritime Fernblockade vermieden. Im militärischen Kräfteverhältnis 1914 war das Reich in etwa gleich stark wie Frankreich und hätte aus einer Defensivposition heraus auch Russland abzuwehren vermocht, das nur einen Teil seiner Militärmacht gegen das Reich einsetzen konnte. Der Erfolg einer Defensivstrategie zeigte sich im Verlauf der ersten Kriegsmonate. Nicht nur eine massive Invasion Frankreichs gegen Elsass-Lothringen konnte man abwehren, sondern auch das teilweise von Russland besetzte Ostpreußen zurückerobern und die russischen Truppen vertreiben. Ein solcher Verteidigungskrieg hätte lange dauern können, doch ohne die britische Fernblockade hätte das Deutsche Reich ihn durchhalten und als Angegriffener aus ihm in einer moralisch besseren Position hervorgehen können. Letzteres wäre insbesondere mit Blick auf Großbritannien und die aufkommende Weltmacht USA von großer Bedeutung gewesen. Stattdessen setzte der Oberste Generalstab, auf das Kriegsglück vertrauend, auf eine absehbar unrealistische Angriffsstrategie. Das war im höchsten Maße verantwortungslos, entsprach aber der damals vorherrschen politischen Stimmung im Deutschen Reich. Allein der Überfall auf das neutrale Belgien erwies sich nicht nur militärisch als viel schwieriger als gedacht, sondern die brutale und rücksichtslose Art und Weise der deutschen Kriegsführung gegen die sich tapfer wehrenden Belgier führte weltweit – insbesondere in Großbritannien und den USA – zu heftigen Reaktionen.[73] Deutschland setzte sich damit ins Unrecht, vergleichbar dem Entsetzen, das der russische Überfall auf die Ukraine im Frühjahr 2022 auslöste.

Der Moltkesche Kriegsplan endete in einer Situation, in der Belgien und Teile Nordfrankreichs von deutschen Truppen besetzt waren, das strategische Ziel – die Umfassung der französischen Streitkräfte und damit die Herbeiführung einer strategischen Niederlage – aber nicht erreicht wurde. Es mag stimmen, wie Stig Förster schrieb, dass Moltke mit seinem durch Belgien indirekten Angriff auf Frankreich lediglich hoffte, Deutschland für Friedensverhandlungen eine bessere Ausgangsposition zu verschaffen.[74] Falls dies seine Erwartung war, dann ging die Rechnung nicht auf. Das Gegenteil war der Fall. Es setzte ein von beiden Seiten brutal geführter Stellungs- und Abnutzungskrieg ein, bei dem man für kleine territoriale Gewinne das Leben Hunderttausender junger Männer opferte. Dieses Blutvergießen verstellte den Weg für Friedensverhandlungen völlig. Hätte sich das Kaiserreich von Anbeginn auf eine defensive Strategie festgelegt, hätte zumindest die Chance bestanden, dass sich nach einigen Monaten der Erschöpfung beide Seiten an dem aus deutscher Sicht „Westfront“ genannten Kriegsschauplatz zu Waffenstillstandsgesprächen auf Basis des territorialen Status quo zusammenfinden. Aber mit den erheblichen territorialen Gewinnen der deutschen Seite (die übrigens militärisch wenig Sinn machten, weil die französische Kriegsmacht ungebrochen und das Sichern der Territorialgewinne militärisch, logistisch und ökonomisch auf Dauer nicht zu schultern war), schwanden die Aussichten auf einen solchen Prozess. Auf deutscher Seite wollte man seine Gewinne nicht aufs Spiel setzen, auf französischer Seite die Gebiete wiedergewinnen, bevor man über einen Waffenstillstand verhandelte. Deswegen war die Friedensnote der Mittelmächte vom Dezember 1916 eine leere Geste.[75] Man hatte sie vor allem auf Drängen der Obersten Heeresleitung des Deutschen Reiches so abgefasst, dass sich keine territorialen Zugeständnisse herauslesen ließen, und sie war in einem Ton gehalten, den die andere Seite als Aufforderung zur Kapitulation verstehen musste. Die Ablehnung durch die Entente-Mächte war vorhersehbar.[76]

Geschlagen mit strategischer Blindheit und der Großmachtsucht erlegen, versäumte es die deutsche Führung, eine Anpassung an die strategische Realität vorzunehmen und den Erhalt des Reiches in den Vordergrund zu rücken. Stattdessen leiteten „Weltpolitik“ und Flottenrüstung auf Irrwege und trugen im Ausland (insbesondere in England) zu einer tiefen Verunsicherung über die deutsche Politik bei. Gleichzeitig war Deutschlands Führung nicht in der Lage, die militärischen Voraussetzungen für eine deutsche Vormachtstellung zu schaffen. Christopher Clark hat den Ersten Weltkrieg als Ergebnis eines europaweiten „Schlafwandelns“ bezeichnet, bei dem die Akteure langsam in eine Situation getaumelt seien, die am Ende den Krieg unausweichlich erscheinen ließ.[77] Daran ist vieles wahr, doch um Schlafwandel allein handelte es sich nicht, sondern um bittere strategische Fehleinschätzungen und Fehlentscheidungen auf deutscher Seite – und nicht nur dort.

6 Die Vergleichbarkeit strategischer Irrtümer

Inwieweit kann man die Jahre 1890–1914 und 1998–2022 miteinander vergleichen? Auf den ersten Blick könnten die Zeiträume nicht unterschiedlicher sein. Die Phase von 1870 bis 1914 war im Kaiserreich Deutschland gekennzeichnet durch die Kombination aus einem unreflektierten Nationalismus mit einem ebenso wenig durchdachten Militarismus. In der Phase von 1998 bis 2022 herrschte eine Kombination aus einem unreflektierten Post-Nationalismus mit einem naiven und weltfremden Pazifismus in der Bundesrepublik Deutschland vor. Dennoch ebneten sie beide – wenn auch auf unterschiedliche Weise – den Weg zum Ausbruch eines großen und verlustreichen Krieges.

Doch es finden sich auch Ähnlichkeiten. Sowohl in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg wie in der Zeit vor 2022 gab es eine gemeinsame Antriebsfeder: den Wunsch nach Unabhängigkeit und Eigenständigkeit gegenüber der jeweiligen angelsächsischen Großmacht. Dieser Wunsch leitete die Politik, obwohl sich die führenden Kräfte in der Regierung bewusst waren, dass die deutsche Sicherheit entscheidend von guten Beziehungen (insbesondere Bündnisbeziehungen) zu London bzw. Washington abhing. Der Wunsch nach Eigenständigkeit gewann in beiden Perioden aber eine Dynamik, die das bündnispolitische Fundament der deutschen Sicherheit (im Sinne legitimer sicherheitspolitischer Interessen) unterminierte. Der Schaden war allerdings in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg größer als heute.

Hinter der deutschen Politik steckten in beiden Fällen zwei ähnliche Strömungen: zum einen ein Überlegenheitsgefühl gegenüber den als materialistisch und oberflächlich empfundenen Angelsachsen, zum anderen das Verknüpfen von Englandhass bzw. Anti-Amerikanismus mit Wirtschaftsinteressen. Zu Kaisers Zeiten war das Überlegenheitsgefühl durch die angeblich idealistische Fundierung deutschen Denkens („am deutschen Wesen soll die Welt genesen“) begründet, in den beiden ersten Jahrzehnten des 21. Jahrhunderts entsprang es eher dem Erweckungsdenken einer gereiften deutschen Nation, die Kriegen, Atomenergie, Klimakatastrophe und Umweltzerstörung den Kampf angesagt hatte und darauf setzte, dass andere Nationen ihr auf diesem Weg folgen würden. Im Kaiserreich gab es starke Wirtschaftsinteressen, vor allem aus dem Bereich der Agrarwirtschaft, die die Abgrenzung zu England betrieben. In der Bundesrepublik waren und sind es starke Wirtschaftsinteressen, die billiges Gas aus Russland verlangten und keine Gelegenheit ausließen, alternative Gaslieferungen als Versuch der USA zu diskreditieren, Deutschland angeblich schmutziges Fracking-Gas aufzuzwingen.

Eine weitere Gemeinsamkeit ist das Fehlen eines strategischen Zentrums und einer strategischen Diskurskultur. Beides gab es weder im Kaiserreich nach 1890 noch in der Bundesrepublik in den vergangenen 25 bis 30 Jahren.

Von einem strategischen Zentrum kann man dann sprechen, wenn es eine Institution mit einem entsprechenden Unterbau gibt, die in der Lage ist, die sehr komplexen Herausforderungen nationaler Sicherheit aufzugreifen, zu bündeln und mit der nötigen Autorität versehen die politische Leitung auf übergreifende Probleme hinzuweisen und Optionen für das weitere Vorgehen vorzuschlagen. Eine Präsidentielle Demokratie, wie die USA, kann so etwas leisten. Dort bündelt der Nationale Sicherheitsrat die Aktivitäten der verschiedenen Ministerien und Nachrichtendienste und arbeitet dem politischen Zentrum der Exekutive, dem Präsidenten, direkt zu. In einer parlamentarischen Demokratie mit Koalitionsregierungen ist dies ungleich schwieriger, aber keinesfalls unmöglich. Für die deutsche Politik nach 1991 muss man leider feststellen, dass nicht einmal versucht wurde, einen derartigen Apparat einzurichten, der der politischen Führung zuarbeitet. Das Kanzleramt war und ist mit dieser Aufgabe überfordert.

Ein strategischer Diskurs liegt dann vor, wenn die beteiligten Ministerien, Politiker und Politikerinnen in der Lage sind, sicherheitspolitische Herausforderungen und Handlungsoptionen in möglichst offener und ideologiefreier Weise zu führen. Im Kaiserreich ging das nicht, weil der Große Generalstab, das Auswärtige Amt und das Marineamt ihre eigene Außen- und Verteidigungspolitik betrieben und niemand die Koordination übernahm. Das Auswärtige Amt versuchte die Balance zwischen dem Wunsch nach einem Platz an der Sonne und den bündnispolitischen Notwendigkeiten (entspannte Beziehungen zu England) zu wahren, während das Marineamt mit seiner Flottenrüstung konsequent die Zerstörung der deutsch-britischen Beziehungen betrieb und der Generalstab Pläne für einen offensiv zu führenden Krieg gegen Frankreich und Russland entwickelte, die keine realistischen Aussichten auf Erfolg hatten. Abgesehen von wenigen Intellektuellen wie Hans Delbrück wies keiner auf diese Diskrepanzen hin – und diese Meinung interessierte damals nur wenige. Und den Kaiser schien es auch nicht zu berühren. Trotz seiner starken Affinität zum Militär hatte Wilhelm II kein Verständnis von Fragen strategischer und operativer Planungen.

In der deutschen Politik seit 1991 gab und gibt es keine ernstzunehmende strategische Debatte, weil infolge des Endes des Kalten Krieges und der Euphorie über die deutsche Wiedervereinigung jegliches strategische Denken nicht nur in Vergessenheit geriet, sondern geradezu als veraltet und dem Zeitgeist zuwiderlaufend galt. Stattdessen wurde auf Friedensforschung gesetzt, die letztlich nur eine alternative, politisch gewünschte Realität widerspiegelte. Selbst der Georgienkrieg 2008 und die Annexion der Krim und die Übernahme von Teilen des Donbas durch russische Freischärler im Jahr 2014 änderten daran nichts. Ein eigenständiges Befassen mit strategischen Fragen fand auch in der deutschen Generalität nicht mehr statt. Zum einen gab es keinen Generalstab mehr, zum anderen erwies es sich für deutsche Offiziere mit Blick auf die Karriereaussichten oftmals als riskant, durch eigene strategische Überlegungen aufzufallen, wenn die politische Führung daran kein Interesse hatte. Der Primat der Politik – der in Anbetracht der Verhältnisse vor dem Ersten Weltkrieg zweifellos berechtigt war – hat sich somit als ebenso problematisch erwiesen wie der völlige Freiraum, den der Große Generalstab zu Zeiten des Kaiserreiches besaß.

Auffallend ist die Dauer des strategischen Irrtums – jeweils mehr als 20 Jahre, bis es zu einem abrupten Ende kam. Sie zeigt, dass wir es mit Perioden zu tun haben, in denen bestimmte gesellschaftliche und politische Narrative dermaßen dominant waren, dass andere Sichtweisen marginalisiert wurden. Ihre Narrative wirkten so stark, dass die ihnen innewohnenden Widersprüche und Realitätsbrüche nicht reflektiert wurden, weil sie das Gesamtnarrativ in Frage gestellt hätten.

Um diese Entwicklung zu verstehen, lohnt es, auf die Theorien des italienischen Philosophen und Marxisten Antonio Gramsci Bezug zu nehmen. Gramsci befasste sich in den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts mit der Frage, warum die bolschewistische Revolution nicht in anderen Ländern stattgefunden hatte. Seine Schlussfolgerung lautete: Die herrschenden Kreise der europäischen Großmächte hätten es verstanden, die Zivilgesellschaft (Medien, Vereine, Kirche, Justiz, Interessenverbände) und die dort vorherrschenden Diskurse in einer Weise zu gestalten und zu strukturieren, dass das, was sie taten und zu verantworten hatten, als Gemeinwohl definiert und auch von großen Teilen der Bevölkerung akzeptiert worden war. Im Klartext bedeutet dies, dass ein aggressiver Nationalismus und Formeln wie „Deutschland braucht einen Platz an der Sonne“ eine breite Akzeptanz finden konnten, ohne dass man die immanenten Widersprüche und Gefahren reflektierte.[78]

Gramsci leitete daraus die Forderung ab, die progressiven Kräfte sollten andere, am Gemeinwohl orientierte Narrative entwickeln und durchsetzen. Nimmt man die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland seit den späten 70er-Jahren, so hat Deutschland tatsächlich eine Gramscianische Wende erlebt. Sowohl die Anti-Atom- als auch die Friedens- und später die Klimabewegung haben in dieser Zeit ein gemeinwohlorientiertes Gegennarrativ zur „bürgerlichen“ Politik entwickelt, das nicht zuletzt unter dem Eindruck von Reaktorkatastrophen im Ausland und der erfolgreichen diplomatischen Beendigung des Kalten Krieges seit Mitte der 90er-Jahre zum hegemonialen Narrativ in Deutschland wurde. Dieses Narrativ hatte seine Verdienste, aber durchaus etwas von einem Erweckungserlebnis an sich. Das heißt, dass seine inneren Widersprüche nicht thematisiert bzw. tabuisiert wurden, beispielsweise, dass Atomenergie als Übergangstechnologie die Klimaprobleme mildern kann und billiges Gas aus Russland gefährliche sicherheitspolitische Abhängigkeiten schafft. Es war vor allem die völlige Vernachlässigung der militärischen Bedrohung durch Russland infolge der von der Friedensbewegung ausgelösten friedenspolitischen „Erweckung“ und die damit einhergehende strategische Blindheit, die zu diesem Jahrhundertirrtum deutscher Politik geführt haben. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt müssen die Ukrainer die Versäumnisse und Irrtümer der deutschen Politik ausbaden.

About the author

Prof. Dr. Joachim Krause

Direktor, Geschäftsführender Herausgeber von Sirius

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Published Online: 2022-11-29
Published in Print: 2022-12-16

© 2022 bei den Autoren, publiziert von Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

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Downloaded on 28.4.2024 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/sirius-2022-4004/html
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