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Publicly Available Published by De Gruyter March 6, 2021

Wie Verschwörungsglauben die Corona-Pandemiebekämpfung behindert

How conspiracy beliefs undermine containment of the COVID-19 pandemic
  • Roland Imhoff EMAIL logo
From the journal Public Health Forum

Zusammenfassung

Verschwörungsnarrative über die Herkunft oder Harmlosigkeit des auslösenden Coronavirus tauchten in Zusammenhang mit der weltweiten COVID-19 Pandemie auf. Krisen befeuern solche Erzählungen, weil sie Bedürfnisse nach Erklärung, Sicherheit und Kontrolle befriedigen können. Problematisch ist, dass die Zustimmung zu solchen Ideen mit geringer Einhaltung infektionsreduzierender Maßnahmen (Hygiene, Abstand), sowie mit egozentrischer Selbstsorge korreliert.

Abstract

During the COVID-19 pandemic conspiracy theories about the origin or alleged harmlessness of the coronavirus have upsurged. Crises fuel such theories as these can satisfy the need for an explanation, certainty, and ultimately control. At the same time conspiracy belief is associated with reduced compliance with containment-related behavior (hygiene, physical distance) as well as increased self-centered prepping behavior.

Die Zustimmung zu Verschwörungsnarrativen ist Ausdruck einer Weltsicht, nicht jeweils spezifischer Sachmeinungen. Zahlreiche empirische Belege, dass die Zustimmung zu unterschiedlichsten Verschwörungstheorien positiv korreliert ist [1], selbst wenn diese sich widersprechen [2], erlauben die Annahme einer Verschwörungsmentalität [3] als zeitlich stabile Eigenschaft, wie sehr die Sicht auf die Welt geprägt ist von der Vermutung, dass hinter den Dingen geheime Absprachen mächtiger Gruppen stehen [4]. Diese Verschwörungsmentalität ist ausgeprägter bei Menschen, die das Gefühl haben, nur wenig Kontrolle über ihr Leben zu haben [5], und bei Menschen, denen es besonders wichtig ist, einzigartig zu sein [6].

Jenseits dieser Persönlichkeitskorrelate gibt es mittlerweile experimentelle Hinweise darauf, welche situativen Konstellationen Verschwörungsglauben begünstigen. Besonders bedeutende Ereignisse (wie z.B. der Tod von Prominenten, Flugzeugabstürze oder Naturkatastrophen) erfordern in den Augen vieler eine ebenso weitreichende Erklärung [7]. Den buchstäblichen Stillstand der Welt mit der Mutation eines unsichtbaren Virus zu erklären, wirkt nicht proportional, wohingegen die Erklärung auf Basis einer weltumspannenden Verschwörung adäquat groß erscheint. Ebenso macht die Erfahrung reduzierter Kontrolle es wahrscheinlicher, in einem kompensatorischen Akt Verschwörungsnarrativen zuzustimmen [8], weil diese einerseits symbolische Kontrolle (Durchschauen der Welt), aber auch die Möglichkeit realer Kontrolle (Möglichkeit, den Schuldigen das Handwerk zu legen) versprechen. Wenn die Einschränkungen des täglichen Lebens und der Wirtschaft auf den bösen Plan von Bill Gates zurückgehen, dann müssen wir ihm nur das Handwerk legen und der Spuk ist vorbei. Die aktuelle COVID-19 Pandemie bietet also – wie Pandemien im Allgemeinen – idealen Nährboden für Verschwörungsglauben: Menschen dürsten nach eindeutigen Antworten und Erklärungen, sowie nach Möglichkeiten Kontrolle über die Situation zu erlangen. Verschwörungsglaube ist eine nachvollziehbare Reaktion auf diese Ausnahmesituation.

Und dennoch ist er inhärent gefährlich, weil er das Ziel der Eindämmung von Infektionen torpediert. Dies ist unmittelbar einsehbar für die häufig geäußerte Annahme, COVID-19 sei harmlos, nicht schlimmer als die Grippe und die Regierenden und die WHO würde uns diesbezüglich belügen, wahlweise um Zwangsimpfungen und andere Freiheitseinschränkungen durchzusetzen oder um durch 5G-Strahlen ausgelöste Schäden dem Virus anzulasten. Das Ausmaß der Verharmlosung des Virus ist negativ korreliert mit der Bereitschaft, sich an Hygienemaßnahmen und soziale Distanzregeln zu halten (USA, England, Deutschland: [9]; Polen: [10]). Verschwörungsglauben läuft der Verweigerung physischen Abstands zeitlich vor, ist also mit großer Plausibilität kausal ursächlich [11], [12]. Jenseits dieser Verweigerung empfohlener Maßnahmen zur Infektionseindämmung ist ein solcher Verschwörungsglauben aber auch assoziiert mit allgemeiner Impfskepsis [13] und der konkreten Intention, sich nicht gegen COVID-19 impfen zu lassen [14], [15]. Diese Zusammenhänge sind beunruhigend, aber nicht wirklich überraschend. Es erscheint fast schon trivial, dass Menschen sich nicht an Schutzmaßnahmen gegen einen Virus beteiligen, den sie für harmlos halten.

Es gibt allerdings auch andere populäre Verschwörungstheorien rund um COVID-19, wie die, dass das Virus in einem Labor als Biowaffe gezüchtet und planvoll freigesetzt worden sei, um die Weltbevölkerung zu dezimieren oder die Zwangsimpfung durchzusetzen. Zunächst einmal ist verblüffend, dass dieser anscheinend entgegengesetzte Verschwörungsglaube (eine biologische Massenvernichtungswaffe) positiv mit dem zuerst genannten (eine harmlose Grippe) korreliert ist, und zwar substantiell, r>.50 [9]. Trotz dieser hohen Überlappung an Zustimmung könnte man meinen, dass eine solch alarmistische Verschwörungstheorie die Motivation zu vorsichtigem Verhalten erhöhen sollte. Dies ist jedoch nicht der Fall, der Glaube an diese Verschwörung ist zwar mit egozentrischem Prepping-Verhalten (Hygieneartikel, Waffen und Lebensmittel horten) assoziiert [9], aber gleichzeitig auch mit reduziertem Abstand halten, Maske tragen, Impfbereitschaft [16]. Wenn Verschwörungsglaube also mit Vorsichtsmaßnahmen zusammenhängt, dann nie mit infektionseindämmenden, sondern stets mit egozentrischem Selbstschutz, wie zum Beispiel auch der verstärkten Befolgung pseudowissenschaftlicher Empfehlungen, wie der Einnahme von massenweise Knoblauch oder kollodialem Silber [15].

Zusammenfassend sollten, trotz nachvollziehbarer Gründe für die Attraktivität von Verschwörungsnarrativen, die erheblichen Kosten, die solche Überzeugungen bei der Eindämmung der Pandemie erzeugen, nicht übersehen werden. Das betrifft zum einen die mangelnde Befolgung von empfohlenen Maßnahmen zur Eindämmung des Infektionsgeschehens und wird uns bei Verfügbarkeit eines Impfstoffs in Form Impfverweigerung weiter begleiten. Zum anderen betrifft dies aber auch die Unterminierung solidarischen Verhaltens durch egozentrische Selbstsorge. Schließlich ist zu befürchten, dass die massenhafte Teilnahme an verschwörungschwangeren Hygienedemonstrationen ohne Maske und ausreichend Abstand eine ganz konkrete Rolle im Infektionsgeschehen spielen kann. Über allgemeine gesellschaftliche Probleme wie die Absage an Expertise [17] und die Befürwortung gewalthaltiger Protestformen [18] hinaus reduziert Verschwörungsglauben also mit großer Wahrscheinlichkeit die Eindämmung des momentanen Infektionsgeschehens.


*Korrespondenz: Prof. Dr. Roland Imhoff, Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, Sozial- und Rechtspsychologie, Binger Straße 14-16, 55122 Mainz, Germany

  1. Autorenerklärung

  2. Autorenbeteiligung: Der Autor trägt Verantwortung für den gesamten Inhalt dieses Artikels. Finanzierung: Der Autor erklärt, dass er keine finanzielle Förderung erhalten hat. Interessenkonflikt: Der Autor erklärt, dass kein wirtschaftlicher oder persönlicher Interessenkonflikt vorliegt. Ethisches Statement: Für die Forschungsarbeit wurden weder von Menschen noch von Tieren Primärdaten erhoben.

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  4. Author contributions: The author has accepted responsibility for the entire content of this submitted manuscript. Funding: Author states no funding involved. Conflict of interest: Author states no conflict of interest. Ethical statement: Primary data neither for human nor for animals were collected for this research work.

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Online erschienen: 2021-03-06
Erschienen im Druck: 2021-03-26

©2021 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Downloaded on 28.4.2024 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/pubhef-2020-0115/html
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