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BY 4.0 license Open Access Published by De Gruyter (A) October 11, 2023

Csaba Földes und Thorsten Roelcke, unter Mitarbeit von Nicole Roelcke (Hrsg.): Handbuch Mehrsprachigkeit. (Handbuch Sprachwissen – HSW 22)

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From the journal Glottotheory

Rezensierte Publikation:

Csaba Földes Thorsten Roelcke Mitarbeit von Nicole Roelcke 2022 ): Handbuch Mehrsprachigkeit. (Handbuch Sprachwissen – HSW 22). Berlin, Boston: De Gruyter. XII, 551 S. https://doi-org.nukweb.nuk.uni-lj.si/10.1515/9783110623444


Das Handbuch Mehrsprachigkeit, das als zweiundzwanzigster Band der Reihe Handbücher Sprachwissen (HSW) beim Verlag de Gruyter erschienen ist, versammelt auf 551 Seiten in sechs Großkapiteln 23 Beiträge, die den aktuellsten Wissensstand der sprachwissenschaftlich ausgerichteten Mehrsprachigkeitsforschung überblickend darstellen. Vorangestellt wird das Vorwort der Herausgeber Csaba Földes und Thorsten Roelcke, die als ausgewiesene Experten im Forschungsfeld Mehrsprachigkeit auch selbst mit Beiträgen mitwirken. Ein umfangreiches Sachregister rundet den Band ab. Bereits bei der Lektüre der inhaltlich ausführlichen Einleitung der Herausgeber wird deutlich, dass beim Zielpublikum mindestens philologische bzw. kulturwissenschaftliche Vor- bzw. Fachkenntnisse vorausgesetzt werden, um die thematischen Ausführungen und Konzeptionen samt ihren wissenschaftsgeschichtlichen und intertextuellen Bezügen im elaborierten Fachdiskurs rezipieren zu können. Und obwohl das Kulturphänomen – wie die Mehrsprachigkeit von den Herausgebern treffend bezeichnet wird – mehr oder weniger in Konstellation mit der deutschen Sprache und ihren Varietäten, an vielen Orten aus unterschiedlichsten Perspektiven des Sprach- und Kulturkontaktes, der strukturellen, kognitiven, sozialen, arealen Charakteristika sowie Mehrheits- und Minderheitspositionen dokumentiert und analysiert wurde, erweist sich, wie die Herausgeber begründen, ein deutschsprachiges Handbuch als dringend benötigt: Wenn die Abhandlungen und Handbücher zur Mehrsprachigkeit insbesondere auf Englisch und im Kontext der englischsprachigen Räume und Globalisierung mitnichten fehlen, fällt das Angebot an thematisch einschlägigen Handbüchern auf Deutsch und zu deutschsprachigen Räumen und Gesellschaften knapp aus. Diese Lücke füllt das deutsche und thematisch weit gefächerte Handbuch, in dem – vor dem Hintergrund der traditionellen Einteilung des Phänomens in die individuelle, gesellschaftliche und institutionelle Mehrsprachigkeit – eine Bandbreite von theoretischen Ansätzen, methodologischen Überlegungen, Quellen, Aspekten, Forschungsfokussen und -methoden, Beispielen und Sprachmaterialsammlungen zum Thema Mehrsprachigkeit angeboten wird. Hierbei werden verschiedene sozio- und kontakt-, varietäten-, psycho- und pragmalinguistische, sprachbiographische, anthropologische, kulturwissenschaftliche und sprachpolitische Schwerpunkte gesetzt, die sich durch die rezeptionsfreundliche Einteilung der Beiträge in sechs Kapiteln erfassen lassen. Jedem Beitrag ist nicht nur ein Abstract auf Deutsch vorangestellt, sondern auch seine inhaltliche Gliederung, mit der die Textstruktur im Voraus überblickt sowie die Rezeption erleichtert werden kann. Da jedoch das Handbuch sehr umfangreich ist, kann im Folgenden nicht auf alle Kapitel gleich detailliert eingegangen werden.

Das erste Kapitel „(I) Thematische und methodische Aspekte“ versammelt vier Beiträge, deren Thematisierung der grundlegenden Begriffe den Handbuchcharakter des Bandes untermauert.

Der erste Beitrag „Viel- und Mehrsprachigkeit“ des Autors und Mitherausgebers Thorsten Roelcke stellt programmatisch eine ganze Bandbreite von Mehrsprachigkeitstypen, ihren Sprachkonstellationen sowie die Sprachgebrauchsproblematik dar. Darüber hinaus wird für den wissenschaftlichen Sprachgebrauch auf die terminologische Unterscheidung zwischen der Vielsprachigkeit und Mehrsprachigkeit hingewiesen. Die gesellschaftliche Vielsprachigkeit wird durch eine Reihe von Kontexten (wie etwa in urbanen Zentren, Wissenschaft und internationaler Politik) plausibel gemacht; hierbei werden die sprachlichen Umstände in der internationalen Politik sogar als oligo- und monozentrisch bezeichnet. Die Relationen zwischen den Sprachen einer Mehrsprachigkeitskonstellation werden im Beitrag visuell modelliert und dadurch auf eine im Hinblick auf die Lingua franca gleichberechtigte Mehrsprachigkeit hingewiesen, die in der Wissenschaft durch Stärkung der individuellen Mehrsprachigkeit, auch mit Deutsch – und dafür werden konkrete Gründe genannt – erzielt werden könnte. Die Modellierung spielt auch bei der Darstellung der inneren Vielsprachigkeit eine Rolle, auch mit Rückgriff auf das Varietätenmodell für das Deutsche von Henne (1986); in diesem Punkt bleibt allerdings das in der germanistischen Soziolinguistik verbreitete Varietätenmodell Löfflers (1995) unerwähnt. Darüber hinaus ist die Darstellung der inneren Mehrsprachigkeit durch das „Modell beruflicher Kommunikation“ Roelckes überzeugend, da im Kommunikationsmodell auf der horizontalen Schiene diverse Fachsprachen bzw. Varietäten als Codes graduiert in Erscheinung treten, und mit sozialsituativen Faktoren, Text und Kontext interagieren. Zurecht wird auf die individuell bedingten (Fach)Sprachkompetenzen (im Gegensatz zu Sprachen) hingewiesen. Zwei relevante Spracherwerbstheorien (nativistische und interaktionelle) werden diskutiert: Am Beispiel des Deutschen werden die Charakteristika des Erwerbs der Erst-, Zweit- und Fremdsprache verglichen sowie die Erwerbsprogression dargestellt. Zum Schluss des Beitrags wird die vom Autor anfangs erwähnte definitorische, auf die Unsicherheit der Abgrenzungskriterien bezogene Problematik durch eine Auflistung grundlegender Termini richtiggestellt. Im Artikel wird die bisherige linguistische Konzeptualisierung des Themakomplexes klar herausgearbeitet, wobei die verschiedenen Aspekte und Schnittstellen fundiert und eingehend vertieft sowie plausibel dargestellt werden.

Im zweiten Beitrag, „Mehrsprachigkeit: Aspekte von Forschung und Messung“, von einem Autorenteam unterzeichnet (Andre Gövert, Amra Havkić, Juia Settinieri), wird zunächst auf die gegenwärtige Wahrnehmung der Mehrsprachigkeit als Normalfall hingewiesen. Der Typologisierung der Mehrsprachigkeit folgt ein Forschungsüberblick, in dem auch kritisch auf die Gefahren der politisch-ideologischen Konstruktion der gesellschaftlichen Strukturen im Hinblick auf den Sprachgebrauch, soziale Bedeutung von Sprachen sowie ihr institutionelles Management hingewiesen wird; plädiert wird für die Sensibilisierung für Aspekte der Emotionalität und Identität im Umgang mit individuellen Sprachressourcen familiärer Herkunft, insbesondere Minderheitensprachen, mit Nachdruck in Bildungsinstitutionen mit mehrsprachigen Heranwachsenden. Im Hinblick auf den methodischen Zugang zur Erforschung von individueller Mehrsprachigkeit wird ein Defizit konstatiert, das mehr oder weniger mit der schwierigen Datenerhebung in Spracherwerbs- und -gebrauchssituationen mit Mehrsprachigen zusammenhängt; nichtdestotrotz werden durch die Bezugnahme auf rezente Forschungsprojekte und -zugänge verschiedene Aspekte von Elizitierungsverfahren wie auch klassische qualitative und quantitative Methoden der Erforschung von individueller Mehrsprachigkeit beleuchtet. Ausdrücklich wird im Beitrag auch der Bedarf an der Erforschung von gesellschaftlicher und individueller Mehrsprachigkeit außerhalb der westlichen Welt erwähnt[1] wie auch für die Erforschung der diskontinuierlichen Mehrsprachigkeit plädiert. Der Beitrag zeichnet sich auch durch ein ausgesprochen umfassendes Literaturverzeichnis mit relevanten deutsch- und englischsprachigen Quellen aus.

Das Thema »Minderheitensprachen« fokussiert in ihrem Beitrag Brigitta Busch, in dem die ausgewiesene Expertin auf dem Gebiet bereits eingangs den Begriff Minderheitensprache als problematisch relativiert: Sie legt dem Begriff zugrunde liegende, noch nicht überholte Dimensionen des Asymmetrie- bzw. Minorisierungskonzeptes offen: das noch nicht aufgegebene essenzialistische Sprachverständnis; die für administrativ-politische Zwecke manipulierten Sprecherzahlen, historisch-diskursiv fixierte Kategorien Sprache und Identität, sehr überzeugend auch die Kategorie Territorium. Vorsicht geboten wird bei »Registrierungen« in der linguistischen Anthropologie, die von sozialen Konstrukten, bis zu Diskriminierungen führen können. Im Gegenzug greift Busch auf jüngste soziolinguistische Forschungen zurück (bspw. von Betten 2010), die die Traumata der Folgegenerationen aufdecken, die eine äußerst positive Reaktion auf essenzialistisch generierte Verdinglichungen von Beziehung zwischen Sprache und Identität darstellen. Im Sinne von Foucault (1981) wird deutlich gemacht, das minorisierende Sprachbezeichnungen nicht nur in der Politik, sondern auch im wissenschaftlichen Diskurs konstruiert und distribuiert werden. Busch fokussiert sich im Weiteren auf Rechtsdiskurse und -instrumente, wobei die auf dem „À-la-carte-Prinzip“ beruhende Programmatik der Europäischen Charta der Regional- und Minderheitensprachen sowie das weitergeführte Status Quo zum Zeitpunkt der Unterzeichnung der Charta zurecht scharf kritisiert werden. Der Autorin zufolge verfährt ganz anders das Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten (1995), das von dem freien Bekenntnis des Individuums ausgeht und u. a. sogar für die sprachliche Revitalisierung plädiert. Bringt die Minderheitensprachforschung laut Busch mit dem Paradigmenwechsel das Interesse für Mechanismen der Minorisierung mit sich, vermarkten, wie Busch plausibel zeigt, die sozioökonomischen und neoliberalen Interessen eigentlich soziale Bedeutungen von Minderheitensprachen und führen im Endeffekt Benachteiligungen herbei. Busch nennt eine Reihe von realen historischen und gegenwärtigen Minderheitssituationen, in denen sich ihre Interpretationen bewahrheiten – sehr oft wird auf das Beispiel der Kärnter Slowenen zurückgegriffen, das die vorgestellten Stellungnahmen Buschs zur Essenzialisierung und Minorisierung bestätigt.

Im letzten Beitrag „Soziales und Kulturelles in der Sprache“ des ersten thematischen Kapitels hinterfragt Dominic Busch diverse theoretische Konzepte zur Verflechtung von Sprache, Sozialem und Kultur(ellem), indem im Fokus die Frage steht, wie die durch de Saussure nachhaltig beeinflussten Sprachwissenschaften auf den cultural turn reagierten. Es wird festgestellt, dass nicht nur die strukturalistisch ausgerichteten Sprachwissenschaften, sondern auch interdisziplinär aufgeschlossene sprachwissenschaftliche Felder, wie etwa Sozio-, Kontakt-, Psycho- oder Pragmalinguistik und sogar die interkulturelle Linguistik, den Forschungsgegenstand Sprache nach wie vor protegieren. Der Beitrag widmet sich demnach der Frage, inwiefern die Forschungsfragen zur Sprache und Kultur, in »alten«, essentialistischen oder in »neuen«, postkolonialistischen Konzepten oder sogar innerhalb von weiteren, alternativen Kulturvorstellungen formuliert werden. Aus dem Beitrag lässt sich doch eine Tendenz zur Homogenisierung der Sprachwissenschaften herauslesen, was seinen Vorwurf, dass der Kulturbegriff für die Sprachwissenschaften zu einer überflüssigen Frage geworden ist, sowie die zugespitzte Fragestellung, nämlich nach dem eigentlichen Wesen der Sprachwissenschaft bzw. ob die Sprache als ihr Forschungsgegenstand doch nicht »de facto ein genauso abstraktes Konstrukt wie Kultur« sei, etwas relativiert. Darüber hinaus müsste man berücksichtigen, wie die einzelnen Linguisten individuell mit Sprache, Kultur und Sozialem umgehen, insbesondere wenn sie nicht nur mit verschiedenen Sprachen, sondern auch in verschiedenen Sprachen arbeiten und möglicherweise dabei ihr komplexes Sprachrepertoire evozieren. Zum Schluss des Beitrags wird eingeräumt, dass einige Aspekte des Kulturellen, wie der der kulturellen Relativität, des Kontextes als pragmatischer Größe oder der Ethnomethodologie, den kulturwissenschaftlichen Zugang in der Sprachwissenschaft offenhalten.[2] – Zu den Explikationen im Beitrag lässt sich bemerken, dass die Nennung von Fallbeispielen für die Rezeption sehr hilfreich wäre.

Kapitel II widmet sich den historischen Aspekten der Mehrsprachigkeit. Es kann kaum verwundern, dass der Themenbereich „(II) Historische Gesichtspunkte“ mit fünf Beiträgen am umfangreichsten im Handbuch ist, da für das europäische Sprachareal eine lange, auch deutschsprachige Forschungsgeschichte, die sich insbesondere mit der historisch gewachsenen Mehrsprachigkeit mit Deutsch beschäftigt, charakteristisch ist. Die Beiträge des Kapitels perspektivieren einmal mehr die sprachliche Geschichte des deutschen Sprachraums, die nicht anders als viel- und mehrsprachig sein kann.

Jana-Katharina Mende beschäftigt sich im Beitrag mit dem Titel »Geschichte der Mehrsprachigkeit in Deutschland« mit den in vergangenen Epochen geltenden Mehrsprachigkeitskonzeptualisierungen und macht zunächst auf einige Schwierigkeiten der Erforschung wegen der historischen Distanz aufmerksam. Reflektiert werden auch die Koordinaten der Einschätzung von historischer Mehrsprachigkeit, wie Standardisierung und Institutionalisierung von Sprachen, Domänen des Sprachgebrauchs, Ressourcen bzw. Kodizes, Spracheinstellung der Sprecher und soziale Bedeutung von Mehrsprachigkeit. Mende macht weiter einen chronologisch konzipierten, metadiskursiven Überblick über historische Mehrsprachigkeit, die sich nach den geisteswissenschaftlich etablierten Perioden orientiert (Mittelalter, Renaissance und Barock, Aufklärung und Nationalismus des 19. Jahrhunderts, das 20. und 21. Jahrhundert mit Migration und Minderheitensprachen). Es ist nachzuvollziehen, dass der Beitrag keinesfalls anders als mit der migrationsbedingten Mehrsprachigkeit, herbeigeführt durch jüngste gesellschaftliche Entwicklungen, abgeschlossen wird.

Von derselben Autorin stammt der nächste Beitrag „Geschichte von Mehrsprachigkeit in Europa und in der Welt“. Jana-Katharina Mende thematisiert diesmal die Geschichte zunächst nach Weltregionen außerhalb Europas, von China, Russland, Indien und Südostasien, dem Mittleren Osten, Nordafrika und dem südlichen Afrika bis Nord- und Südamerika. Der Schwerpunkt liegt immerhin auf der Mehrsprachigkeit in Europa, das in der Renaissance alte Sprachen wie Latein, Griechisch und Hebräisch idealisierte – aber spätestens seit dem 19. Jahrhundert von der Nationalsprachigkeit und somit von der Monolingualisierung geprägt ist. Hierbei werden verschiedene europäische Sprachen und Länder, von England bis Polen erwähnt, allerdings fehlt bei der Nennung von Kontaktsprachen der Habsburger Monarchie, die sich als Nationalsprachen im 19. Jahrhundert etablierten, das Slowenische, das eigentlich eine jahrhundertelange Sprachkontaktgeschichte mit dem Deutschen,[3] länger als z. B. das im Beitrag u. a. genannte Kroatische oder Serbische, verzeichnet. Im Unterkapitel „Geschichte europäischer Sprachen“ widmet sich die Autorin auch den durch Migration und Vertreibung gekennzeichneten Sprachen wie Ladino, Jiddisch und Romani, zum Abschluss werden Fragen zur Entwicklung der Mehrsprachigkeit in der globalen Welt gestellt.

Im dritten Beitrag des historischen Schwerpunktes „Geschichte des Deutschen als Lingua franca“ widmet sich der Autor und Mitherausgeber des Handbuchs Csaba Földes dem Deutschen und seiner Vermittlerrolle. Dies ist auch eine von den Konzipierungen, die Földes gegenüber den Begriffen Verkehrssprache oder Hilfssprache rechtfertigt und – in Anlehnung an Ammons Bezeichnungen einer Sprache als echte/unechte Lingua franca – sie auch weiter ausdifferenziert, was interessante neue sozio- und pragmalinguistische Aspekte der Kommunikation zwischen deutschen Muttersprachlern und Nichtmuttersprachlern offenlegt. Földes‘ einführender Feststellung ist zuzustimmen, dass es sich bei Deutsch als Lingua franca um ein „sprachenpolitisches Feld“ handelt, was im historischen Überblick Földes‘ auch plausibel wird. Eine ausführliche geschichtliche Darstellung des Deutschen als Lingua franca konzentriert sich auf die soziale, politische und wissenschaftliche Stellung des Deutschen in Europa, wobei das Ende des Ersten Weltkriegs einen schicksalhaften Wendepunkt für das Deutsche als Wissenschaftssprache darstellt und in der europäischen Integration kaum noch als Lingua franca fungiert. Das 20. Jahrhundert modifizierte die Funktion des Deutschen als Lingua franca durch gesellschaftliche Umbrüche nachhaltig. Ein realitätsnahes Zukunftspotential des Deutschen liegt Földes‘ zufolge in der unechten Lingua franca sowie in der Funktion als Nischensprache gegenüber der „konkurrenzlosen Megasprache“ Englisch. Aufgreifen kann man Földes‘ Idee, dass die Deutsch-Verwendung ein Symbol der Zugehörigkeit einer internationalen Community von Deutsch-Sprechern und -Könnern ist.

Im Beitrag „Geschichte von Deutsch als Fremdsprache (nicht nur) im Rahmen des Fremdsprachenunterrichts in Deutschland“ gibt Jörg Meier einen exzellenten Überblick über die Geschichte der Entwicklung eines Faches, das zahlreiche europaweite Impulse gesellschaftlicher, (sprach)politischer und philologischer Art für seine facettenreiche Entwicklung nutzen konnte. Nicht nur durch die äußeren Umstände, die in Mitteleuropa und Kontaktregionen nach dem II. Weltkrieg den Bedarf an dem Fach generierten, waren Auslöser für eine befruchtete Fachentwicklung: Meier macht auch aus dem Blickwinkel der Linguistik, vornehmlich mit Bezug auf die Valenztheorie und zurecht nicht – wie im Beitrag angemessen betont – auf den generativtheoretischen Ansatz, deutlich, dass die strukturalen Aspekte des Deutschen das Potenzial für weitreichende kontrastivanalytische Forschungen außerhalb und innerhalb Deutschlands die grammatographische Produktion sowie die Unterrichtspraxis bevollmächtigen konnten. Meier zeigt auf, wie auf diverse Folgen der politischen Umbrüche im östlichen Europa das Fach mit sprachdidaktischer Orientierung auf das Deutsche als Zweitsprache reagierte. Dass jedoch nicht vorrangig die Einzelsprache Deutsch, sondern die Mehrsprachigkeit der Sprecherinnen und Sprecher, auch des Deutschen, wenn möglich im schulischen Rahmen, gefördert werden soll, widerspiegelt sich hervorragend in den von Meier zum Schluss des Beitrags überzeugend formulierten Postulaten für Kompetenzen. Den Beitrag zeichnet auch eine breite und weiterführende Bibliographie aus.

Im letzten Beitrag des historischen Schwerpunktes „Geschichte des Fremdsprachenunterrichts in Europa und darüber hinaus in der Welt“ greift Friederike Klippel das Thema des Unterrichtens von Sprachen weltweit auf. Ihre Mosaik-Metapher trifft die Bandbreite des in einem Beitrag kaum zu überblickenden Betrachtungsobjektes. Es wird seine über zweitausend Jahre lange Geschichte in verschiedenen Ländern im Hinblick auf den Zusammenhang zwischen Sprachförderung und Machtausübung vor Augen geführt und auf mitnichten wenige Forschungen auf dem Gebiet aufmerksam gemacht. Die Geschichte wird nicht chronologisch, sondern nach bestimmten Perspektiven dargestellt: In einzelnen Unterkapiteln werden grundlegende Fragen wie: Wer, wo, wie usw. lernte eine andere Sprache? diskutiert, Sprachlehrtraditionen besprochen und das dynamische Verhältnis zwischen Theorie und Praxis beschrieben. Überzeugend wird auf die Rekurrenz der didaktischen Elemente in Lehr- und Lernstrategien in Zyklen hingewiesen. Darüber hinaus werden Schlaglichter auf relevante Aspekte und Personen gesetzt, wie etwa auf die Begründer des kommunikativen Fremdsprachenunterrichtes oder auf die Bedeutung der Etablierung von linguistischen Disziplinen, die konzeptionell auf das Fach Einfluss nahmen; zum Schluss wird auf Fremdsprachendidaktik für das Englische eingegangen und ihre zunehmende Dominanz zurecht kritisch betrachtet.

Das Kapitel „(III) Soziale und regionale Aspekte“ versammelt vier Beiträge, die die deutschsprachigen Räume und Gemeinschaften unter die Lupe nehmen.

Im ersten Beitrag „Der amtlich deutschsprachige Raum im Kontext von Mehrsprachigkeit(en)“ thematisiert Sara Hägi-Mead nach der Einführung in die grundlegenden Begriffe wie z. B. Raum, deutsch und deutschsprachig sorgfältig die Konzeptionen der Plurizentrik wie auch sehr differenziert die sozialen Wahrnehmungen von standardsprachlichen Varietäten des Deutschen. Die Migration- und Friedenspädagogik sind Hägi-Mead zufolge die wirksamen Zugänge zur Mehrsprachigkeit in Kontext der Integration im deutschsprachigen Raum.

Elin Fredsteds Beitrag mit dem Titel „Autochthone Minderheiten im deutschen Sprachraum“ weist zunächst darauf hin, dass unterschiedliche Arten von Mehrsprachigkeit mit Unterschieden zwischen Minderheitenarten zusammenhängen. Das historisch-politische Kriterium der Staatsgrenzziehung gilt für die beiden nationalen Minderheiten in Schleswig nördlich und südlich der Staatsgrenze, auf deren sprachliche Charakteristika die Autorin eingeht, genauso auf die der weiteren Minderheit in Schleswig, nämlich der nordfriesischen Volksgruppe. Sehr einleuchtend wird anhand der einzelnen Sprachbelege für Sprachkontaktphänomene die sog. verdeckte Mehrsprachigkeit in diesem Sprachraum vor Augen geführt. Des Weiteren werden zwei Kapitel auch Saterfriesen und Sorben, ihrer (Sprach)Geschichte und dem Sprachgebrauch gewidmet. Als Gemeinsamkeit der genannten Minderheiten wird ein generationsbedingter Rückgang der Sprachen genannt, zugleich aber auch auf die Zukunftsperspektive durch die bewusste Sprachförderung im Bildungssystem hingewiesen.

Der dritte Beitrag „Deutschsprachige Minderheiten in der Welt“ – bereits die zweite Expertise Csaba Földes‘ – bietet zunächst einen prägnanten Einblick in die Problematik der Systematisierungsversuche von Minderheiten. Laut Földes zeichnet sich nämlich im Falle der deutschen Minderheiten eine Unsicherheit nicht nur im Hinblick auf den Referenzbezug – und zwar, was für Deutschs bzw. welche deutschen Varietäten die Minderheiten bestimmen – ab, sondern auch allgemein bei der Begrifflichkeit und Terminologie. Zwei Minderheitensprachen-Typologien werden fokussiert: zunächst eine in Anlehnung an Plewnia und Riehl (2018) modifizierte Typologie mit fünf Ausprägungstypen, des Weiteren die in der deutschsprachigen Fachliteratur weniger bekannte soziolinguistisch ausgerichtete Typologie von Louden (2020), die sich durch drei komplexe Sets von geographischen Kriterien auszeichnet. Topographisch werden die deutschsprachigen Minderheiten im Beitrag grob in die in Europa (mit Weiterdifferenzierung) und in Übersee/in der Welt eingeteilt und vier Minderheiten exemplarisch präsentiert. Als repräsentativ wurden anhand der Kombinationsbündel von Loudens Kriterien (nonunique, adjoining/nonadjoining, cohesive/noncohesive) die Minderheiten in Südtirol, Ungarn, Chile und Namibia ausgewählt und ausführlich im Hinblick auf die allgemeinen Aspekte, Stellung der deutschen Sprache, die kommunikative Situation und sprachliche Konstellationen diskutiert. Földes‘ Beitrag zeigt einmal mehr, dass die mit dem Deutschen zusammenhängende Mehrsprachigkeitsrealität in der Welt äußerst unterschiedliche Schicksale von Sprachgemeinschaften andeutet, welche u. a. zu heterogenen Diskurspraktiken führen, die Földes zufolge unter Umständen, insbesondere bei jüngeren Generationen, Deutsch zur Heritage-Sprache, nicht selten mit emotionaler Bindung, werden lassen.

Die Autorin Yazgül Şimşek beschäftigt sich im Beitrag „Mehrsprachigkeit in Ballungsräumen am Beispiel von Berlin“ mit dem Verhältnis von Migration und Sprache bei mehrsprachigen Sprechern, deren Erstsprache nicht Deutsch ist, jedoch ihr Deutsch als ein Reflex der individuellen und familiären Migrationsgeschichte wie auch der Interaktion in derselben sozialen Gruppe zu deuten ist und ganz besondere sprachliche Charakteristika aufweist. Die Autorin setzt sich eingangs mit den Benennungen dieses Phänomens wie Kietzdeutsch, Türkendeutsch, (multikultureller) Ethnolekt und Kontaktdeutsch auseinander, um darauf konkreter auf Aspekte des sozialen Kontextes, mitgebrachter Herkunftssprachen und der Variation im Kontaktdeutsch bei mehrsprachigen Jugendlichen zu kommen, was durch repräsentative Sprachbelege aus dem phonetischen, prosodischen, syntaktischen, morphologischen und semantischen Bereich untermauert wird. Wie eingangs betont, wird der gesellschaftspolitische Gesichtspunkt im Beitrag nicht thematisiert, immerhin wird in der abschließenden Diskussion ein Usage-based-Ansatz anvisiert, der im Sprachgebrauch mit Kiezdeutsch das Potenzial für die soziale Entwicklung erkennt.

Der vierte thematische Bereich mit dem Titel „(IV) Erwerb von Mehrsprachigkeit“ versammelt drei Beiträge, die drei wichtige Segmente des Spracherwerbs mit Schwerpunkt Mehrsprachigkeit in einer logischen Reihenfolge präsentieren: die Sprachentwicklung der Kinder und Jugendlichen, den Fremdsprachenunterricht und die Situation an den Schulen des deutschen Sprachraums.

Im Beitrag „Entwicklung von Mehrsprachigkeit: Kindheit und frühe Jugend“ von Annick De Houwer werden diverse Entwicklungen der Zwei- bzw. Mehrsprachigkeit von Geburt an bis zum Heranwachsen beschrieben. Den Darstellungen von unterschiedlichen Erwerbswegen liegt der einführend herausgestellte Gedanke aus der Konvention der Vereinten Nationen für Kinderrechte zugrunde, dass „alle Sprachen, die zu Hause mit dem Kind gesprochen werden, unterstützt werden sollten“. Es werden drei Wege der mehrsprachigen Entwicklung aufgezeigt und profiliert: der doppelte Erstspracherwerb, der frühe Zweitspracherwerb und der Zweitspracherwerb. Hierbei wird anhand von Beobachtungen zweisprachiger Kinder aus verschiedenen Forschungen der strukturelle Einfluss beider Sprachen in einzelnen Erwerbsprofilen dargestellt. Darüber hinaus wird auf eine Vielzahl von kindinternen sowie -externen Faktoren aufmerksam gemacht, die die Fachkräfte berücksichtigen müssen. Die Rezeption des Beitrags wird stellenweise durch einen dichten Gebrauch von Abkürzungen in Komposita wie FZSE-Kinder, DES-Kinder und ZSE-Kinder etwas gestört, was andererseits die Kohärenz des auf das Wesentliche konzentrierten Beitrags unterstützt.

Stefanie Bredhauer stellt im Beitrag „Mehrsprachigkeit im Fremdsprachenunterricht“ heraus, dass die bisherigen Lernerfahrungen unabdingbar das Erlernen einer weiteren Sprache beeinflussen, so dass von der Voraussetzung eines mehrsprachigen Lerners im Unterricht ausgegangen wird, der eine Mehrsprachigkeitsfähigkeit über die einzelsprachlichen Kompetenzen hinaus besitzt. Es wird dafür plädiert, dass das Repertoire aus Erst-/Herkunftssprachen, Zweit- und Fremdsprachen im Rahmen der Mehrsprachigkeitsdidaktik unbedingt genutzt wird, was die Autorin mit der visuellen Modellierung veranschaulicht und danach auch eine Reihe von didaktischen Aktivitäten auflistet. Erachtet werden auch Situationen, in denen die Lehrkräfte auf hyperdiverse Lernergruppen im Hinblick auf ihre Sprachen treffen können, welche sie selbst nicht beherrschen. Bei dieser Herausforderung wird die Aufwertung der Lernenden sowie die angemessene weitere Betreuung seitens der Lehrkräfte reflektiert. Im Beitrag wird durch den Blick auf die Unterrichtspraxis deutlich gemacht, dass der Mehrsprachigkeitsdidaktik noch mit Skepsis begegnet wird, dem mit Professionalisierungsmaßnahmen für die Lehrkräfte, die zwar für Mehrsprachigkeitsherausforderungen bereits sensibilisiert sind, entgegengewirkt werden kann.

Anja Binanzer zeigt im Beitrag „Deutsch als Fremd- und Zweitsprache an Schulen des deutschen Sprachraums“ die Situation zum DaF und DaZ in Deutschland, Österreich und der Schweiz auf. Für die Einsicht in die Situation der weiteren angrenzenden Regionen mit Amtssprache Deutsch wird auf weitere Quellen hingewiesen. Die tabellarisch dargestellten Unterschiede zwischen DaF und DaZ stimmen weitgehend mit der Darstellung Roelckes im Beitrag 1, worauf auch verwiesen wird, überein, es wird jedoch auch darauf hingewiesen, dass es bei zugewanderten Kindern individuell oft zu Überschneidungen der Merkmale beider Spracherwerbstypen kommen kann. Die Autorin betont, dass die Zahl von Schulkindern mit DaF oder DaZ, die wegen der Migration, insbesondere der Fluchtbewegung 2015, auch anhand statistischer Daten schwer ganz genau – es wird von einem Viertel aller Schüler und Schülerinnen ausgegangen – zu ermitteln, jedoch steigend ist. Mehr Einsicht, welche Sprache bei welcher Generation von Schülern im Zusammenhang mit der Aufenthaltsdauer zu Hause gesprochen wird, wird durch den Rückgriff auf internationale Schulleistungsstudien PISA und IGLU gewonnen. Es wird weiters deutlich gemacht, wie die aus den länderspezifischen Bildungssystemen hervorgehenden Faktoren – wie etwa das Alter beim Schulbeginn oder die leistungsbezogene Verteilung auf die weiterführende Einschulung – die sprachlichen Kompetenzen mehrsprachiger Kinder (und damit verbundene Leistungen etwa bei nichtsprachlichen Fächern) Einfluss nehmen, d. h. ungleiche Sprachausgangslagen erzeugen. In einzelnen Ländern werden diverse Sprachfördermaßnahmen, die die DaF-/DaZ-Schüler und -Schülerinnen bei der Sprachaneignung unterstützen, eingesetzt. Darüber hinaus wird in einem gewissen Umfang länderspezifisch aus der Überlegung heraus, das migrationsbedingte Sprachressourcen Vorteile bringen, der Herkunftssprachenunterricht angeboten. Der Beitrag macht deutlich, wie wesentlich die Entwicklung der Teildisziplinen DaF und DaZ für die Lehrkräftebildung ist, zumal die Lehrkräfte mit spezifischen DaF- und DaZ-Kompetenzen wegen der weiterhin steigenden Zahl der DaF-/DaZ-Lernenden dringend benötigt werden.

In fünften Abschnitt „(V) Gestaltung und Management von Mehrsprachigkeit“ sind vier Artikel zusammengefasst, die sich im Hinblick auf die thematischen Fokusse deutlich voneinander unterscheiden, daher erscheint das zunächst befremdlich klingende Schlüsselwort Management im Abschnittstitel im Nachhinein als eine vernünftige Wahl.

Im ersten Beitrag „Kulturelle Identität in plurikulturellen Kontexten“ befasst sich Marijana Kresić Vukoslav ausführlich mit Grundbegriffen Identität, Kultur und Sprache. Wird nur am Rande die Kritik geäußert, die dem diskurs- und soziolinguistischen Konstruktionscharakter der Identität entgegengebracht wird, wird auf der anderen Seite in den Vordergrund die Konstitution der Identität gestellt. Die in der Forschung stellenweise geäußerte Idee der Abschaffung des Begriffs weist die Autorin entschieden und überzeugend zurück, mit der Begründung, seine relative semantische Leere kann durch spezifische individuelle und soziale Gegebenheiten gefüllt werden und ist wissenschaftlich sinnvoll und real. Genauso wird die poststrukturalistisch und dekonstruktivistisch formulierte Abschaffung des Kulturbegriffs zurückgewiesen. Der dritte grundlegende Begriff Sprache wird – von der saussurschen Unterscheidung ausgehend – als parole interpretiert; die sprachlichen Funktionen werden anhand des Organonmodells Bühlers mit dem Begleitfaktor Identität in Verbindung gebracht und zum Begriff Sprachenrepertoire hingeführt. Vorgezogen wird die Bezeichnung Plurikulturalität, in der kulturelle Identität als ein Bündel geteilter kultureller Besonderheiten einer Gruppe fungiert, als Koexistenz verschiedener Kulturen ohne oder mit ev. wechselseitiger Einflussnahme. Am Fallbeispiel der Migrantinnen und Migranten aus Kroatien, der fünftgrößten Migrantengruppe in Deutschland, wird in Anlehnung an empirische Studien über Kroatischstämmige, deren Eltern in Kroatien und sie selbst in Deutschland geboren wurden, gezeigt, dass ihre kulturelle Identität keinesfalls nur im plurikulturellen, sondern vor allem im bikulturellen Kontext ausgehandelt wird, in dem sie sich im ständigen Prozess der Positionierung gegenüber der dominanten deutschen Mehrheitskultur befinden.

Rosemary Tracy führt mit dem Titel „Gemischtsprachiges Sprechen: Formen, Funktionen, Dynamik“ in das Thema Sprachkontaktphänomene ein. Bereits einführend wird ein aussagekräftiges deutsch-englisches Beispiel gegeben, um darauf – mit Rückgriff auf Weinreichs damalige Sprachkontaktbestimmung – auf die heutige Diskussion über konzeptionelle Grundlagen des gemischtsprachigen Sprechens kommen zu können (auf die ansonsten kursierenden Begriffe Interferenz und Transfer wird ausdrücklich verzichtet). Für die vorgestellte Typologie des gemischtsprachigen Sprechens, der eine Beschreibung von deutsch-englischen typologisch relevantesten Sprachkontrasten vorausgeht, werden textuelle und strukturelle Grundannahmen formuliert, zugleich wird auf herausfordernde verdeckte Phänomene hingewiesen. Mit (wiederholter) Bezugnahme auf Bühlers Kommunikationsmodell werden sprachliche Funktionen der Sprachmischung abgewogen. Im individuellen Repertoire können auch cultural und core borrowings sowie heterogene Diskursmarker, Zitate oder Hintergrundinformationen als ein funktionales Potential beobachtet werden. Darüber hinaus wird das Sprachproduktionsmodell von Levelt (1989) auf das gemischtsprachige Sprechen mehrsprachiger Individuen bezogen, und darin lassen sich nach langjährigen Sprachkontakten Wandel von bestimmten Sprachmustern und Segmenten erkennen.

Der Beitrag „Mehrsprachiges Übersetzen und Dolmetschen“ von Klaus Schubert behandelt die Mehrsprachigkeit der Ausgangstexte in der Translation. Obwohl der Beitrag nach dem Überblick grundlegender Begriffe anvisiert, die ganze Bandbreite der mehrsprachigen Ausgangstexte vorzustellen – die nicht-fiktionalen mehrsprachigen Texte sind vor allem in der technischen Fachkommunikation sowie Medien, wie z. B. Nachrichtensendungen vorhanden –, werden jedoch insbesondere fiktionale Ausgangstexte unter die Lupe genommen. Hierbei werden Typen von diversen mehrsprachigen Textpassagen im Hinblick auf den Informationsgehalt der zweiten Ausgangssprache bewertet – z. B. wird den sog. „Einsprengseln“ kein Informationsgehalt zugeschrieben. Darüber hinaus werden mithilfe von klar formulierten Leitfragen verschiedene Typen von Übersetzung in die Zielsprache unter Berücksichtigung der Funktionalität – aus translatologischer Sicht – gründlich besprochen. Mit etwas mehr Textbeispielen hätte die Beschreibung verschiedener Übertragungsmöglichkeiten noch plausibler ausfallen können.

Till Dembecks Beitrag „Mehrsprachigkeit in der Literatur“ fokussiert die Sprachvielfalt und den literaturwissenschaftlichen Zugriff auf die mehrsprachige Literatur, der früher stark auch von der linguistischen Erforschung geprägt wurde. Daher wird zunächst die Frage des Forschungsgegenstandes problematisiert: Anders als die linguistischen Zugänge wird für die Betrachtung der Sprachvielfalt in der Literatur das Prinzip der Literarizität in die Diskussion gebracht. Mit Rückblick auf sprachtheoretische und -philosophische Ansätze zur Sprache als System, Standard und Einsprachigkeit usw. geht die Argumentation über die Sprachigkeit literarischer Texte hinaus, so dass die Literaturwissenschaft weniger für die Glossodiversität und mehr für ihren singulären Sprachgebrauch und somit Semiodiversität interessiert ist. Es wird aus der Einzigartigkeit eines jeden Textes ausgegangen: In diesem Sinne ist auch die Entscheidung des Autors für die Bezeichnung Idiom nachzuvollziehen, obwohl der auf Sprachen bezogene Begriff in der Fachliteratur nicht selten als konnotiert betrachtet wird. Der Beitrag plädiert für die graduelle Unterscheidung bzw. Systematisierung von Spielarten des literarischen Umgangs mit Sprachvielfalt. Darüber hinaus werden Analyseebenen aus der Forschung in sechs relevanten Fragestellungen zusammengefasst. Mit einem umfangreichen historischen Überblick über die literarische Mehrsprachigkeit wird der Beitrag abgerundet.

Der thematische Schwerpunkt des letzten Kapitels mit dem Titel „(VI) Domänen der Mehrsprachigkeit“ liegt auf dem mehrsprachigen Sprachgebrauch in drei öffentlich zugänglichen Kommunikationsbereichen – internationale Institutionen, Wirtschaft und Wissenschaft.

Im Beitrag „Mehrsprachigkeit in der internationalen Politik: UNO und EU“ von Tilo Weber werden zwei politische Organisationen vorwiegend im Hinblick auf ihre institutionelle Mehrsprachigkeit dargestellt, d. h. auf ihre Mehrsprachigkeitsprogrammatik, die darauf bezogenen Sprachregimes, die konkrete Sprachpraxis sowie die Diskrepanz zwischen den Leitlinien und dem tatsächlichen Sprachgebrauch. Die genannten Aspekte dienen als tertium comparationis für den zusammenfassenden Vergleich am Ende des sehr gelungen strukturierten Beitrags, in dem zugespitzt auf die Problematik der Realisierung des Mehrsprachigkeitsprogramms hingewiesen wird, die vor allem mit den mangelnden Ressourcen und dem Trend zum (englischen) Monolinguismus zusammenhängt. Es wäre durchaus interessant, neben der international präsenten institutionellen Mehrsprachigkeit durch die UNO und EU in den Vergleich auch die NATO und ihre Sprachenpolitik heranzuziehen.

Gabrielle Kniffka zeigt im Beitrag „Mehrsprachigkeit im Berufs- und Erwerbsleben“, mit welchen sprachlichen Anforderungen die internationalen Unternehmen durch die zunehmende wirtschaftliche Entwicklung im Hinblick auf Berufs- und Fachsprachen und vor allem Mehrsprachigkeit konfrontiert werden und durch welche Strategien sie die Mehrsprachigkeitsherausforderungen meistern. Damit internationale Unternehmen sprachlich handlungsfähig wirken können, wird oft internationalisierungs- und optimierungsstrategisch – aufgrund eines Sprachmanagement-Modells des internationalen Unternehmens (common corporate language – CCL) eine einheitliche Unternehmens-/Konzernsprache – meistens Englisch – gewählt, jedoch macht der Beitrag auch auf die eigentliche Realität im Hinblick auf die geforderten Sprachkompetenzen, die mehrsprachigen Praktiken im Unternehmen wie auch Initiativen zur Stärkung von weiteren Sprachen in der Wirtschaft aufmerksam. Letztlich weist der Beitrag auf die sprachliche und wirtschaftliche Problematik hin, die sich in der Gesellschaft mit den zugewanderten Mehrsprachigen sowie dem Arbeitskräftemangel stellt.

Der letzte Beitrag „Mehrsprachigkeit in der Wissenschaft und in der akademischen Bildung“ von Winfried Thielmann nimmt unter die Lupe einen Kommunikationsbereich, dessen Entwicklung seit der Antike gerade durch die Sprachenvielfalt vorangetrieben wurde. Er fasst die historische Entwicklung der wissenschaftlichen Mehrsprachigkeit zusammen und das damit zusammenhängende Wissens- und Wissenschaftsverständnis. Das Ende des I. Weltkrieges bedeutete auch für den vorhin von der Mehrsprachigkeit geprägten wissenschaftlichen Bereich einen Umbruch und löste eine zunehmende Tendenz zur Einsprachigkeit aus. Dem Beitrag kann keinesfalls nur eine kritische Stellungnahme der anglophonen Orientierung des wissenschaftlichen Betriebs gegenüber entnommen werden, sondern viel mehr: Dem Problem wird soweit auf den Grund gegangen, dass im Hinblick auf die Benennung des wissenschaftlichen Erkenntnisgegenstandes die typologischen Eigenschaften des Englischen diskutiert werden, und es wird deutlich gemacht, dass die wissenschaftliche Reflexion, Erkenntnismöglichkeiten und Ideengenerierung, die in anderen Sprachen auch anders als im Englischen aufkommen, durch die monolinguale Dominanz eingeschränkt werden. Eine der Leitideen des Beitrags, dass durch das Englische neokoloniale Umstände entstehen, durch die andere Wissenschaftskulturen marginalisiert werden, wird im Weiteren mit der Kennzeichnung des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen als des Produktes rezenter britischer Kolonialgeschichte zugespitzt. Zum Schluss werden fünf konkrete Maßnahmen zur Förderung für einen plurikulturell verfassten europäischen Wissenschaftsraum vorgeschlagen, damit in Europa die wissenschaftliche Mehrsprachigkeit Perspektive erhält.

Das Handbuch Mehrsprachigkeit spiegelt durch die vielfältigen Beiträge ein mehr als facettenreiches Forschungsfeld wider: Den Herausgebern ist es gelungen, das auf Anhieb kaum zu überblickende Kulturphänomen mit durchdachter Themen- und Autorenauswahl sowie Handbuchstrukturierung durch elaborierte wissenschaftliche Abhandlungen darzustellen, die auf impressiver rezenter Forschungsarbeit und Fachliteratur beruhen. Durch die vorgelegten Beiträge werden in einer problematisierenden und extensiven Herangehensweise, anders als für vergleichbare Fachbücher, beispielsweise HSK-Handbücher der 1990er Jahre, üblich ist, Forschungslücken, Herausforderungen, Desiderata, aber auch Probleme und damit auch thematische Fokusse und Bereiche für weitere Forschungsarbeit aufgezeigt. Darüber hinaus befruchten die Abhandlungen die sprachwissenschaftlich orientierte Forschung in theoretischer, methodischer sowie terminologischer Hinsicht und ermöglichen die Blickwinkel in auch bislang weniger erforschte soziale, kulturelle und psychologische Aspekte der Mehrsprachigkeit, wie etwa die Problematik der durch den Mehrsprachigkeitserwerb verursachten Traumata, des durch gesellschaftliche Umbrüche verursachten, historisch gewachsenen Sprachenwechsels von Individuen und ehemaligen Sprachminderheiten, der Chancenungleichheit aufgrund unterschiedlicher Sprachenrepertoires und -konstellationen, der Überwindung der Stigmatisierung durch weniger elaborierte bis restringierte Einzelcodebeherrschung, der an der mehrsprachigen Realität vorbei verfestigten amtlichen Regelungen, der Bewusstwerdung von Sprachressourcen u. a. m. Es handelt sich um Aspekte der Forschung, für welche in weiteren, sich gegenwärtig abzeichnenden gesellschaftlichen Umwandlungen, herbeigeführt im Zusammenhang mit dem Digitalen und jüngster Expandierung der Künstlichen Intelligenz – auf die in dem umfangsstarken Handbuch nicht eingegangen werden konnte – das vorliegende Handbuch eine obligatorische und auch verbindliche Literatur darstellt.

Dabei wird mit dem Handbuch Mehrsprachigkeit die Mehrsprachigkeit gelebt: Gerade eine vergleichbare englischsprachige Produktion hat durch die Vielzahl von Betrachtungen in englischer Sprache die Mehrsprachigkeitsproblematik sowohl objekt- als auch metasprachlich zum Brennpunkt verschärft und zwangsläufig zu dem Handbuch in einer anderen, deutschen Sprache geführt. Darüber hinaus ist zweifellos auch das Ziel, die Mehrsprachigkeit mit Deutsch ganzheitlich darzustellen und zu erörtern, erreicht worden. Im letzten Artikel wird für wissenschaftliche Übersetzungen plädiert, was im Falle dieses deutschsprachigen Handbuches durchaus wünschenswert wäre. Für Studierende, Lehrende und Forschende – nicht nur in der Soziolinguistik, sondern in den Sprachwissenschaften aller Richtungen sowie interdisziplinären Bereichen – ist dieser monumentale Band mehr als ein Nachschlagewerk für die Gegenwart und Zukunft.–


Corresponding author: Uršula Krevs Birk, Universität Ljubljana, Ljubljana, Slovenia, E-mail:

Literatur

Földes, Csaba. 2021. Das Beziehungsgeflecht zwischen Sprache und Kultur: Forschungsrückblick, Zugänge und Beschreibungstendenzen. Glottotheory 12(1). 9–46. https://doi.org/10.1515/glot-2020-2014.Search in Google Scholar

Krevs Birk, Uršula. 2019. Zu einigen Aspekten des Deutschen als Kontaktsprache des Slowenischen. Linguistica 59(1). 155–174. https://doi.org/10.4312/linguistica.59.1.155-173.Search in Google Scholar

Krevs Birk, Uršula. 2020. Überlegungen zu diskursiven Praxen über östliches Europa und deutschsprachige Minderheiten im slowenischen Raum. Linguistica 60(2). 13–30. https://doi.org/10.4312/linguistica.60.2.13-30.Search in Google Scholar

Online erschienen: 2023-10-11

© 2023 the author(s), published by De Gruyter, Berlin/Boston

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Downloaded on 28.4.2024 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/glot-2023-2012/html
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