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Publicly Available Published by Deutscher Kunstverlag (DKV) January 28, 2022

Welt – Stadt – Land – Erbe Denkmalpflege zwischen höchsten Ansprüchen und Pragmatismus

Digitale Jahrestagung der Vereinigung der Landesdenkmalpfleger in Schwerin vom 31. Mai bis 1. Juni 2021

  • Frauke Berghorn , Ricarda Bodi , Helena Dick , Darius Djahanschah , Jakob Hofmann , Marianne Lutter , Leonhard Lamprecht , Simone Meyder , Eva-Elisabeth Schulte , Heinrich Otten , Dirk Strohmann , Nico Vincent Völkel and Marcus Weiß
From the journal Die Denkmalpflege

Mit dem »Residenzensemble Schwerin« bewirbt sich die diesjährige Gastgeberstadt der Jahrestagung der Vereinigung der Landesdenkmalpfleger in der Bundesrepublik Deutschland (VDL) zur Aufnahme in das UNESCO-Weltkulturerbe. Die VDL-Tagung schlug den Bogen vom internationalen Kulturgüterschutz über den bundesweiten Umgang mit dem kulturellen Erbe bis hin zur denkmalpflegerischen Alltagspraxis. Nach dem durch Covid-19 bedingten Ausfall der letztjährigen Tagung in Hessen bewirkte die Pandemie 2021 erstmals das Format einer rein digitalen Tagung – eine Aufgabe, die das Landesamt für Kultur und Denkmalpflege Mecklenburg-Vorpommern mit Bravour meisterte (Abb. 1).

1 Schwerin, Schloss, Raum der virtuellen Tagung
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Schwerin, Schloss, Raum der virtuellen Tagung

Nach Begrüßung durch Bettina Martin, Ministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur des Landes Mecklenburg-Vorpommern, und Markus Harzenetter, Vorsitzender der VDL, führte Landeskonservatorin Ramona Dornbusch in das Tagungsprogramm ein. Es sei erforderlich, dass sich Denkmalpflege kontinuierlich und hörbar in sämtliche Diskussionen um das kulturelle Erbe einbringe. Dies gelinge in der Gastgeberstadt derzeit mit der Welterbe-Bewerbung »Residenzensemble Schwerin«. Der damit verbundene Erkenntnisgewinn, die öffentliche Aufmerksamkeit sowie die wachsende Identifikation der Bürger*innen mit ihrem kulturellen Erbe trügen maßgeblich zu dessen dauerhaftem Schutz bei. Grundlegend hierfür seien die landesweit gültigen Denkmalschutzgesetze. Heftige Kritik wurde in diesem Zusammenhang an dem aktuell diskutierten Entwurf für ein neues Denkmalschutzgesetz Nordrhein-Westfalen geäußert. – Über die Details der Schweriner Bewerbung berichtete im Folgenden Welterbe-Koordinatorin Linda Holung.

Drei Keynote-Vorträge beleuchteten anschließend grundsätzliche Aspekte des Tagungsthemas. Eva-Maria Seng, Universität Paderborn, richtete einen Blick auf die unterschiedlichen Welterbe- bzw. Kulturerbe-Begriffe und resümierte, dass hierarchische Klassifizierungen generell abzulehnen seien. Hier komme dem Welterbeschutz, der das überkommene Erbe mitsamt dessen »bescheideneren Bestandteilen« betrachte, Vorbildcharakter zu. Welterbe-Schutz mache die Notwendigkeit der Erhaltung und Pflege sichtbar und schaffe ein Bewusstsein für Herausforderungen. UNESCO-Welterbestätten könnten – ausgewählt auf Basis einer ausbalancierten, repräsentativen und glaubhaften Welterbeliste – der Denkmalpflege zu Schlüsselbauten verhelfen und Identifikationspunkte schaffen.

Birgitta Ringbeck, Koordinierungsstelle Welterbe im Auswärtigen Amt, betonte, dass kein anderer internationaler Vertrag eine so hohe Ratifizierungsrate aufweise wie die 1972 verabschiedete Welterbekonvention – dies sei ein Beleg für deren weltweite Anerkennung. Sie konstatierte, dass die Konzeptentwicklung im Welterbe-Verfahren der letzten 20 Jahre zumeist außerhalb der deutschen Denkmalpflege stattgefunden habe. Insgesamt bedürfe es einer verbesserten Kommunikation, zumal die Definition von wertgebenden Attributen nicht nur für die UNESCO wichtig sei, sondern für die Denkmalpflege insgesamt. Ringbeck erläuterte, es gehe stets um mehr als um das UNESCO-Welterbe allein: Letztlich seien die Empfehlungen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes, zur historischen Stadtlandschaft und zu Kulturlandschaften sowie sonstige Leitfäden und Richtlinien (u. a. Energieeffizienz, Welterbe-Management) relevante Strategien für alle Denkmale.

Als Jurist sieht Wolfgang Karl Göhner, Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege (BLfD), im Kulturerbe eine strategische Ressource und eine vierte Säule nachhaltiger Entwicklung, die als Staatsziel auch im Rechtssystem zu sichern sei. Nur sieben Bundesländer hätten bisher landesgesetzliche Verankerungen des Themas Welterbe umgesetzt. Göhner behandelte die teils erheblichen Unterschiede zwischen den Ländern und empfahl, das 2014 verabschiedete schleswig-holsteinische Denkmalschutzgesetz als Vorbild zu betrachten. Vor allem die Definition von Schutz- und Pufferzonen, Sichtachsen und Grabungsschutzgebieten sowie die Bindung öffentlicher Planungen an die Schutzziele sind aus seiner Sicht beispielhaft. Angesichts der verbreiteten Vorstellung des Welterbes als TourismusLabel und Marketing-Instrument sei die Erarbeitung einer verpflichtenden, qualifizierten Kulturerbe-Verträglichkeitsprüfung (KVP) sinnvoll und notwendig.

Kulturgüter und ihre Raumwirkung

Der erste Themenblock widmete sich den Kulturlandschaften als flächigen Schutzgütern, deren Grenzen und Wirkungsräume zu bestimmen sind. Bei den UNESCO-Welterbestätten dienen die Pufferzonen als zentrale vorbeugende visuelle und strukturelle Schutzmaßnahme gegen negative Beeinflussungen im Umfeld. Daher ist die Frage nach Schutz und Ausweisung der visuellen Integrität von Denkmalen hinsichtlich ihrer Raumwirkung für das gesamte Kulturerbe wesentlich. Wie können also durch funktionales Management Erhaltung und Schutz von historisch bedeutsamen Kulturlandschaften sichergestellt werden? Sichtbezüge zwischen Denkmalen und ihrer Umgebung oder innerhalb von schützenswerten Kulturlandschaften sind derzeit ein öffentlich diskutiertes Thema. Im Fokus stehen vor allem die in zunehmender Zahl errichteten Windenergieanlagen (Abb. 2), aber auch die visuelle Integrität von Welterbestätten. Gerade die komplexen Wertesysteme innerhalb von Kulturlandschaften und ihre werttragenden Attribute lassen sich allein durch denkmalrechtliche Mittel kaum sichern.

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Büren, Wewelsburg, mit Windenergieanlagen im Hintergrund, 2017
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Büren, Wewelsburg, mit Windenergieanlagen im Hintergrund, 2017

Die hohen Ansprüche des Welterbeprogramms hinsichtlich der Integrität und der Pufferzonen des Schutzgutes finden in der deutschen Gesetzgebung nicht immer unmittelbaren Niederschlag. Wie die Vortragenden herausarbeiteten, ist es vor allem nötig, planerische Instrumente zum Schutz der Denkmale zu nutzen.

Um Konfliktsituationen erst gar nicht entstehen zu lassen, könnten geeignete Wege zur frühzeitigen Kommunikation zwischen allen Akteuren eröffnet werden. Die gesetzlichen Verfahren allein reichen hierzu oft nicht aus, da sie erst in einem späten Planungsstadium zum Tragen kommen. Informelle Wege müssen beschritten werden und Informationen den Fachplanern in geeigneter Weise zur Verfügung gestellt werden.

Friederike Hansell, Landesamt für Denkmalpflege Sachsen, präsentierte das Konzept der Kulturlandschaften in der UNESCO-Welterbe Montanregion Erzgebirge /Krušnohoří, die als serielles Gut in die Welterbeliste eingetragen wurde.

Die Pufferzonen nehmen oft auch Objekte auf, die in Bezug zum Welterbe stehen, ohne selbst zu dessen Outstanding Universal Value (OUV) beizutragen. Der praxisnahe Bericht von Jennifer Verhoeven, Landesamt für Denkmalpflege Hessen, zeigte am Beispiel der Darmstädter Mathildenhöhe, wie sich eine Pufferzone durch die Schaffung spezifischer Bebauungspläne in geltendes Recht übersetzen lässt.

Als bedeutsames Mittel zur Beurteilung von Maßnahmen wurde in den Vorträgen die KVP angesprochen, die anhand eines Leitfadens von ICOMOS vorgenommen wird. Ausgangspunkt ist im Welterbe der fest definierte OUV, der von bestimmten Attributen der Welterbestätte transportiert wird. Die KVP bietet ein Schema, um die Auswirkungen von Planungen auf das Gut zu ermitteln und zu bewerten. Hierzu erläuterte Michael Kloos, planning and heritage consultancy, Aachen, beispielbezogen die Anwendung der KVP aus Praxissicht. Er schilderte den Konflikt um das Projekt am Wiener Heumarkt, aufgrund dessen das historische Zentrum der Stadt auf die Rote Liste des gefährdeten Welterbes gesetzt wurde. Am Beispiel eines Projekts in Greifswald zeigte Kloos, dass sich die Prüfmethodik des Welterbes auch auf das Nicht-Welterbe anwenden lässt (vgl. auch den Beitrag des Autors in diesem Heft).

Auch bei Kulturlandschaften und Einzeldenkmalen, die nicht dem Weltkulturerbe angehören, ist die frühzeitige Einbindung der Denkmalpflege in Planungsverfahren von Bedeutung. Thomas Gunzelmann (BLfD) regte in seinem Vortrag zur Auseinandersetzung mit dem Aspekt der vielfältigen Arten von Blickbeziehungen an. Dabei wies er darauf hin, dass in der Onlinedatenbank BayernAtlas landschaftsprägende Denkmale als eigene Kategorie abzufragen sind, sodass wichtige Informationen Planern auf einfachem Wege zugänglich sind.

Auch Dorothee Boesler, LWL-Denkmalpf lege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen, wies in ihrem Vortrag über den Status des kulturellen Erbes in der Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) auf die Bedeutung praktikabler Handreichungen hin, wie etwa den in Westfalen bewährten Kulturlandschaftlichen Fachbeitrag. Es wurden zudem die meist unzureichende Berücksichtigung des kulturellen Erbes in der Umweltprüfung und die trotz gemeinsamer Interessen nicht regelhafte Zusammenarbeit zwischen Umwelt- und Denkmalschutz aufgezeigt. Aktuelle Diskussionspunkte stellten in diesem Zusammenhang Kompensationsmaßnahmen und eine normierte Anwendung von KVP und UVP dar.

UNESCO-Welterbe im Wandel. Herausforderungen und Strategien

Der weit überwiegende Teil der Welterbestätten in Deutschland befindet sich in alltäglicher Nutzung, wird zu besonderen Anlässen aufgesucht oder dient der Naherholung. Damit diese Nutzungen und damit einhergehende Veränderungen den außergewöhnlichen Wert der jeweiligen Welterbestätte nicht beeinträchtigen und sich im besten Falle positiv auf deren Erhalt auswirken, ist die aktive Mitgestaltung des Wandlungsprozesses durch die Denkmalpflege essenziell.

Im zweiten Themenblock der Jahrestagung wurden verschiedene Welterbestätten und die sich dort vollziehenden Veränderungsprozesse vorgestellt. Es zeichnete sich ein komplexes Bild der Schwierigkeiten und Chancen ab, die Veränderungen innerhalb der Kern- und Pufferzonen von Welterbestätten mit sich bringen, und mit welchen praktischen Methoden sowie rechtlichen Instrumenten diesen begegnet werden kann. Darüber hinaus wurden Schwachstellen in Verfahren rund um Bauvorhaben in Kern- und Pufferzonen thematisiert und Ansätze zur Verbesserung vorgestellt.

Unter Bezugnahme auf Welterbestätten verschiedenen Charakters thematisierte Sigrid Brandt, Universität Salzburg, die entscheidende Frage nach der Angemessenheit eines Eingriffs. Die Wertschätzung für ein über Jahrhunderte gewachsenes Welterbe gebietet es demnach, von Großprojekten abzusehen, die durch kurzfristige Interessen motiviert sind. Unter Berücksichtigung des Ist-Zustands müssten in der Abwägung zwischen dem, was gewonnen werden kann, und zu erwartenden Verlusten Visionen für den bestmöglichen Erhalt entwickelt werden. Brandt sprach sich vor diesem Hintergrund für die Aufstellung einer »Denkmalbilanz« zur Ermittlung der Entwicklungspotenziale aus. Erstrebenswert sei ein langfristig gedachtes Gesamtkonzept zur Fortschreibung des jeweiligen Welterbes, das als Maßgabe für zukünftige Eingriffe dient.

Aus der bereits 1987 in die Weltkulturerbeliste aufgenommenen Lübecker Altstadt berichtete Irmgard Hunecke, Hansestadt Lübeck, Bereich Archäologie und Denkmalpflege. Trotz der langjährigen Erfahrung im Umgang mit der historischen Altstadt komme es auch dort immer wieder zu Schwierigkeiten in der Kommunikation zwischen den verschiedenen Akteur*innen. Ursächlich seien Lücken in der Verwaltungskommunikation sowie abweichende Zielsetzungen der Öffentlichkeit, der Verwaltung und der Politik. Um Hindernisse in der Kommunikation abzubauen, plädierte Hunecke für Kriterien zum Umgang mit dem Welterbe sowie für eine umfangreiche Beteiligung aller Akteur*innen, die gemeinsam den Erhalt der historischen Zeugnisse gewährleisten sollen.

Der Weiterentwicklung von Altstädten mit Welterbestatus widmete sich der Vortrag Norbert Husch­ ners, Stabstelle Welterbe der Hansestadt Wismar. Die gemeinsame Eintragung der historischen Altstädte Stralsund und Wismar als Welterbestätte im Jahr 2002 eröffnete neue Möglichkeiten für deren Reaktivierung, qualitätvolle Weiterentwicklung und langfristige Erhaltung. Huschner stellte verschiedene Beispiele für die Schließung von Baulücken in Wismar mit sich einfügenden Neubauten vor. In Stralsund hingegen kommt es mitunter auch zur Bebauung größerer Freiflächen; hier unterstützt zusätzlich ein Farbkonzept die behutsame Integration der Neubauten in den städtischen Kontext.

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Potsdam-Eiche, Simulation eines Eck- und Höhenpunktes geplanter Baukörper mit einem Ballon in der Nähe des Schlosses Lindstedt, 2010
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Potsdam-Eiche, Simulation eines Eck- und Höhenpunktes geplanter Baukörper mit einem Ballon in der Nähe des Schlosses Lindstedt, 2010

Wie der Wandel in den Kern- oder Pufferzonen von Welterbestätten mithilfe einer Methode rein praktischer Natur möglichst verträglich gestaltet werden kann, zeigte Jörg Wacker, Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, auf. Anhand verschiedener Beispiele aus dem Bereich der Gartendenkmalpflege stellte er die Simulation geplanter Bauvolumina mit Lichtpunkten oder Heliumballons vor (Abb. 3). Auch geplante Farbgebungen lassen sich durch das Anbringen von Farbtafeln an einem Gerüst simulieren. Dank dieser Methoden können potenzielle Beeinträchtigungen historisch bedeutsamer Sichtbeziehungen frühzeitig ermittelt und durch rechtzeitige Intervention reduziert werden. Ergänzend stellte Elisabeth Maßuthe, Hochschule Neubrandenburg, am Beispiel des UNESCO-Biosphärenreservats Schorfheide-Chorin die langsame Transformation einer jahrhundertealten Kulturlandschaft vor.

UNESCO-Welterbe als Vorbild für den denkmalpflegerischen Alltag

Die dem Welterbe zugewiesene »Lokomotivfunktion« sollte sich nicht auf die Hervorhebung einzelner Denkmale und Kulturlandschaften beschränken. Ziel der Tagung war es, den Blick darauf zu schärfen, und zu klären, ob der konservatorische Umgang von Objekten mit Welterbestatus in den denkmalpflegerischen Alltag übertragen werden kann bzw. welche Impulswirkung auf Städte und Regionen von diesen denkmalgeschützten Schlüsselbauten ausgehen kann.

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Reichenau, St. Georg, Untersuchungen an der Nordwand im Rahmen eines vom Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg koordinierten Forschungsprojektes, 2015
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Reichenau, St. Georg, Untersuchungen an der Nordwand im Rahmen eines vom Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg koordinierten Forschungsprojektes, 2015

Am Beispiel von Wandmalereien aus dem 10. Jahrhundert in St. Georg auf der Klosterinsel Reichenau berichtete Dörthe Jakobs, Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg, über den konservatorischen Umgang mit der im Jahr 2000 zum UNESCO-Weltkulturerbe ernannten Klosterinsel. Sie stellte die Bedeutung der kontinuierlichen und interdisziplinären kunst- und konservierungstechnologischen Grundlagenforschung für den Erhalt der Wandmalereien heraus (Abb. 4). Dabei bewertete sie das eingerichtete Schadens-, Raum- und Nahfeldklima-Monitoring als wichtiges Instrument der Schadensprävention. Die in St. Georg gewonnenen Erkenntnisse über die empfindlichen Wechselwirkungen von Menschen, Materialien und Klima lassen sich demnach allgemein auf andere stark frequentierte Objekte übertragen, die angewandten Untersuchungs- und Dokumentationsmethoden sind in der Konservierungswissenschaft zukunftsweisend.

Der denkmalpflegerische Umgang mit dem Bergpark Kassel-Wilhelmshöhe, UNESCO-Welterbe seit 2013, war Inhalt des Vortrags von Christine Kenner, Landesamt für Denkmalpflege Hessen. Anhand von einzelnen Beispielen stellte sie den grundsätzlichen Interessenskonflikt zwischen Substanzerhalt und Erschließung eines Objektes durch Tourismus und Nutzung dar. Als positiv wurden in diesem Zusammenhang die durch den Welterbestatus vorgegebenen Steuerungs- und Planungsinstrumentarien bewertet. Diese garantieren eine frühzeitige Einbindung von Expert*innen aus der Denkmalpflege, den Konservierungs- und Naturwissenschaften und stellen eine strukturierte Vorgehensweise bei der Konzeptionierung und Umsetzung von Maßnahmen sicher. Wünschenswert sei die Übertragung der Erfahrungen aus solchen Großprojekten auf die denkmalpflegerische Praxis, in der eine ganzheitliche Betrachtung der zu schützenden Objekte und eine Berücksichtigung der konservatorischen Belange bei allen Entscheidungen das anzustrebende Ziel sei.

Mit der Denkmallandschaft Peenemünde stellte Leo Schmidt ein Objekt vor, das besonders wegen der Ambivalenz seiner Narrative zu Recht als »schwierig« gelten darf. Einerseits erzählen die baulichen Hinterlassenschaften der NS-Heeresversuchsanstalt von der erstmaligen Entwicklung von Raketen im Rahmen der Waffenproduktion für den Zweiten Weltkrieg und von den Anfängen der Raumfahrt. Andererseits muss die Anlage auch aus der Opferperspektive betrachtet werden, wurden bei Errichtung und Betrieb doch zahlreiche Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge eingesetzt. Mit Blick auf die Bedeutung der Denkmallandschaft sei ein Welterbestatus vorstellbar, jedoch müsse das Land Mecklenburg-Vorpommern hier die Initiative ergreifen.

Wenn auch kein Welterbe, ging von der Revitalisierung des für die Olympischen Spiele in Berlin 1939 errichteten Olympischen Dorfes in Elstal doch eine Impulswirkung aus, über die Georg Frank, Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege (BLDAM), berichtete (Abb. 5). Nach dem Eintrag in die Denkmalliste 1993 begannen erste Mustersanierungen der Betonoberflächen, Überlegungen zu einer Vermarktung wurden zunächst aber nicht weiterverfolgt. Nach jahrzehntelangem Leerstand stieg 2018 ein Immobilienunternehmen als Investor ein. Durch eine enge und konstruktive Zusammenarbeit mit den zuständigen Denkmalbehörden und dem BLDAM konnten die Grundstruktur des Olympischen Dorfes sowie Anordnung und Kubaturen der Gebäude erhalten und mit einer modernen Wohnnutzung verknüpft werden. Dies stellt einen gelungenen ersten Schritt der Revitalisierung des Olympischen Dorfes dar, die es nun fortzuführen gilt.

Nicola Halder-Hass, Complan Kommunalberatung, Potsdam, fasste beispielhaft die Impulswirkung von denkmalgeschützten Schlüsselgebäuden auf Stadt und Region zusammen. Die Kommunen und der Denkmalschutz müssen sich demnach auf den »Investitionswillen« in denkmalgeschützte Schlüsselbauten einstellen und gerüstet sein. Das könne nur durch abgestimmte und angepasste Managementpläne gelingen, an denen alle Beteiligten gemeinsam arbeiten und nach individuellen Lösungswegen suchen. Machbarkeitsstudien, kommunale Handlungshilfen und Nutzungskonzepte seien herausragende Mittel, um denkmalgeschützte Substanz zu erhalten und im besten Fall wieder in Nut zung zu bringen. Die europäische Stadt müsse sich nicht neu erfinden – wohl aber müssten neue Nutzungsideen eingebracht und Denkmale weiterentwickelt werden. Dies könne nur gelingen, wenn die Analyse des Bestands als Grundlage allen Handelns und Entwickelns genommen werde. Für eine abgestimmte Planung bedürfe es in erster Linie eines langen, sensibilisierenden Kommunikationsprozesses. Kompromisse auf beiden Seiten sowie ein gemeinsam konzipierter Plan seien dabei die entscheidenden Eckpfeiler für eine »Renaissance der europäischen Stadt«.

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Elstal, ehemaliges Olympisches Dorf der Sommerspiele 1936, Unterkünfte für Sportler, 2021
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Elstal, ehemaliges Olympisches Dorf der Sommerspiele 1936, Unterkünfte für Sportler, 2021

Abschlussplenum: Welterbe als Lokomotive für den Denkmalschutz?

Der aktuelle Paradigmenwechsel im Bereich Klima und Nachhaltigkeit wie auch die Leerstandsproblematik der Innenstädte standen im Fokus der Abschlussdiskussion, an der neben Irmgard Hunecke, Nicola Halder-Hass und Ramona Dornbusch auch Rico Badenschier, Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Schwerin, und Gabriele Kautz, Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, teilnahmen. Als Faktoren für einen gelingenden Strukturwandel stellten die Podiumsgäste heraus, dass die Individualität und die Qualität eines Ortes betrachtet, sichtbar gemacht, vermittelt und vermarktet werden müssten. Da Denkmale selbst schon viele Transformationsprozesse überdauert haben, sei der Erfahrungsschatz der Denkmalpflege bedeutend. Mit Blick auf die Bedürfnisse der Menschen müssten Sehnsuchtsorte geschaffen werden. Gebraucht würden mutige Zwischen- oder Multinutzungen. Allgemein sei die Klimaanpassung für Denkmale eine große Herausforderung, daher müsse die Denkmalpflege sich aktiv in die politischen Debatten einbringen.

Einen Ausblick bildete der abschließende Dialog zwischen Ramona Dornbusch und Holger Mertens, Landeskonservator von Westfalen-Lippe und Gastgeber der VDL-Jahrestagung 2022 (Abb. 6). Beide zogen ein positives Fazit. Die Tagung habe gezeigt, so Dornbusch, dass die Denkmalpflege in den letzten drei Dekaden – nicht nur beim Erhalt der Welterbestätten – Herausragendes geleistet habe. Gleichzeitig biete das baukulturelle Erbe Ressourcen und Potenziale von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung. Vor diesem Hintergrund könne die Denkmalpflege selbstbewusst in die Zukunft blicken – ihre Einbindung in Planungsprozesse, die Gewährleistung ausreichender Ressourcen und eine adäquate Gesetzgebung zum Schutz des Kulturerbes sollten selbstverständlich sein.

Ein optimistischer Blick in die Zukunft, so Mertens, ist auch Ziel der kommenden Jahrestagung. Unter dem Titel »Zukunftsfragen« soll sie aktuelle Transformationsprozesse und zukünftige Möglichkeiten für die Denkmalpflege in den Blick nehmen. Die Schweriner Jahrestagung wertete er als großen Erfolg: Mit 180 bis 220 Teilnehmenden und lebendigen Diskussionen habe sie gezeigt, dass der Austausch auch digital möglich sei. Gleichzeitig hoffe er auf ein persönliches Wie dersehen vom 16. bis 18. Mai 2022 im westfälischen Münster.

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Abschluss der digitalen Jahrestagung mit Ramona Dornbusch und Holger Mertens
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Abschluss der digitalen Jahrestagung mit Ramona Dornbusch und Holger Mertens


Die Autor*innen des Berichtes sind Mitarbeiter*innen des LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen Fürstenbergstraße 15, 48147 Münster,


  1. Abbildungsnachweis

    1: Foto: René Gurny, Landesamt für Kultur und Denkmalpflege Mecklenburg-Vorpommern — 2: Hartwig Dülberg, LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen — 3: Simulation Wohnbebauung B-Plan 120, Barbara Plate, Landeshauptstadt Potsdam, 10.11.2010, DOK-P-5304 — 4: Dörthe Jakobs, Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg — 5: Georg Frank, Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum — 6: Katharina Stockmann, LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen

Published Online: 2022-01-28

© 2021 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston, Germany

Downloaded on 21.5.2024 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/dkp-2021-2009/html
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