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Publicly Available Published by De Gruyter July 1, 2016

Nachhaltigkeit von digitalen Forschungsinfrastrukturen

  • Heike Neuroth EMAIL logo and Andrea Rapp

Zusammenfassung

Die digitale Forschungsinfrastruktur DARIAH-DE steht vor einer nächsten entscheidenden Phase. Nach der Konzeptions- und Entwicklungsphase bereitet sich DARIAH-DE jetzt auf die Überführung in die Betriebsphase vor. Diese Phase soll einerseits die Stabilität der Forschungsinfrastruktur garantieren, anderseits sich aber weiterhin dynamisch und flexibel basierend auf aktuellen Bedürfnissen fachwissenschaftlicher, informationswissenschaftlicher und technologischer Anforderungen entfalten. Es gilt also, die richtige Balance zwischen vertrauensvoller Stabilität und dynamischer Entfaltung für die Betriebsphase zu finden. Dabei spielen verschiedene Aspekte der Nachhaltigkeit eine Rolle und werden in diesem Artikel näher betrachtet.

Abstract

DARIAH-DE as a research infrastructure is entering the next important phase. After the preparatory phase, followed by the construction DARIAH-DE is now preparing the operational phase which has to guarantee on the one hand the stability of all services and tools of this digital research infrastructure and on the other hand a dynamic as well as flexible development based on user needs from the scholarly, information science and IT-expert communities. The challenge is now to find the right balance between trust as well as stability and community-driven expansion and development. This article introduces in different aspects of sustainability of research infrastructures.

1 Einleitung

Das Thema Nachhaltigkeit ist generell ein komplexes Thema: Es gibt kein Patentrezept, um nachhaltige Strukturen zum Beispiel in den Bereichen Organisation, Rechtsform, fachwissenschaftliche Beteiligung und Kostenstrukturen zu etablieren. Im Kontext von analogen Informations- und Forschungsinfrastrukturen haben wir immerhin zum Teil jahrhunderte- oder jahrzehntelange Erfahrungen sammeln können. Denken wir nur an die große Anzahl und das breite Spektrum von Bibliotheken, von denen gerade die wissenschaftlichen Bibliotheken die unterschiedlichen Fachdisziplinen vor Ort, regional oder national bzw. international als Dienstleister unterstützen. Zu ihren Aufgaben gehört, neben der wissenschaftlichen Literaturversorgung vermehrt auch die Bereitstellung wissenschaftlicher Dienste zum Beispiel im Bereich elektronisches Publizieren oder Open-Access-Publikationen. Diese Strukturen sind historisch gewachsen und im Laufe der Zeit professionalisiert und institutionalisiert. Es steht ein ausreichender Betrag für die Grundfinanzierung dieser wissenschaftlichen Bibliotheken zur Verfügung, der neben der räumlichen Infrastruktur mit entsprechend geeigneten und gesicherten Gebäuden und Magazinen oder den Erwerbungsmitteln sowie den hohen Lizenzierungskosten auch das entsprechend geschulte Personal abdeckt. Sicherlich gehen die Meinungen auseinander, ob dieser grundfinanzierte Betrag wirklich ausreichend ist, dennoch gibt es klare Verantwortlichkeiten, geregelte Finanzströme und (noch) eine breite Akzeptanz, in diese eher analogen Strukturen auch weiterhin zu investieren. Während es in der Vergangenheit wichtig war, dass diese analogen Infrastrukturen in der Hauptsache der Unterstützung der Fachwissenschaftler vor Ort dienten, so löst sich diese klare Beziehung im Zeitalter der Globalisierung, der Konsortialverträge beispielsweise mit Verlagen, der kooperativen Katalogisierung sowohl in der Formal- als auch in der Sacherschließung und der zunehmenden Internationalisierung in der Forschung quer über die Fächerkulturen zusehends auf. Am besten wird dies durch die Ablösung der sogenannten Sondersammelgebiete (SSG[1]) durch Fachinformationsdienste (FID[2]), überwiegend gefördert von der DFG, veranschaulicht. Hier steht die klare Zusammenarbeit zwischen den wissenschaftlichen Bibliotheken und der jeweiligen Fach-Community inklusive der entsprechenden Fachgesellschaften im Vordergrund und verfolgt wesentlich stärker den nationalen „Versorgungscharakter“, als es ehemals die SSGs getan haben. Diese fest etablierten Strukturen auf die digitalen Informations- und Forschungsinfrastrukturen zu übertragen, wird nicht funktionieren. Heutzutage arbeiten die Fachwissenschaftler über institutionelle (Universität, Leibniz-Einrichtung, Max-Planck-Institut etc.) und geografische (z. B. in EU-Projekten oder internationalen Verbünden) Grenzen hinweg zusammen, forschen gemeinsam an bestimmten Fragestellungen und bewegen sich sowohl in der Kommunikation als auch Informationsbeschaffung oder Entwicklung entsprechender (fach-)wissenschaftlicher Dienste mehr und mehr in der digitalen Welt. Diese zunehmende Digitalisierung in den Fachdisziplinen bzw. die Digitalität erfasst dabei alle Fächerkulturen: Während sich die Natur- oder Lebenswissenschaften (z. B. Astrophysik, Teilchenphysik, Klimaforschung) bereits vor Jahrzehnten in zum Teil sehr großen Forschungsverbünden zusammengeschlossen haben, sind in der heutigen Zeit zwar in den Geistes- und Kulturwissenschaften immer noch Einzelvorhaben zu beobachten und für bestimmte Fragestellungen sinnvoll, der Trend zu größeren Verbundprojekten hält allerdings auch hier mehr und mehr Einzug. Das bedeutet, dass wir in allen Wissenschaftsbereichen die Konzeption, die Entwicklung und den Betrieb digitaler Infrastrukturen vorantreiben müssen, um alle Fachdisziplinen optimal zu unterstützen. Die sogenannten datenintensiven Fachdisziplinen, die sich meist international die sehr teuren Großgeräte für die Messung und Datenerhebung bzw. -analyse teilen müssen, haben zum Teil schon ihre digitalen Forschungsinfrastrukturen aufgebaut und Strukturen für die geregelte Beteiligung der Fachwissenschaftler und Finanzierung dieser Strukturen etabliert. Die Europäische Organisation für Kernforschung CERN[3] hat heute über 20 Mitgliedsländer, in Genf vor Ort arbeiten mehrere tausend Wissenschaftler und mehrere zehntausend Gastwissenschaftler aus über 80 Nationen an den Experimenten mit, werten gemeinsam die Daten aus und teilen sich die Forschungsergebnisse und -daten im Sinne von Open Access und Open Data. Eine Dateninfrastruktur nach dem sogenannten Tier-Konzept[4] wurde eigens entwickelt, um die bei diesen teuren Experimenten entstehende große Datenmenge sicher archivieren zu können, aber auch um den Forschern weltweit Zugang zu diesen Daten zu gewährleisten, unabhängig davon, wo und wann sie mit den Daten arbeiten. CERN hat eine Rechtsform, geregelte Mitgliedschaften inklusive Mitgliedsbeiträgen und eine lebhafte Forscher-Community. Auch für andere Fachdisziplinen mit ihren spezifischen Forschungsfragen ist dies vereinzelt gelungen, auch wenn sicherlich nicht alle Forschungsinfrastrukturen bereits eine Rechtsform besitzen. Die EU hat für die Forschungsinfrastrukturen der ESFRI-Roadmap[5], in deren Rahmen auch die DARIAH-Forschungsinfrastruktur initiiert wurde, eine spezifische Rechtsform entwickelt: das sogenannte ERIC (European Research Infrastructure Consortium[6]), welches per Satzung genau die Stimmenverhältnisse, Mitgliedsbeiträge, Kosten, Aufgaben und Ziele festlegt. Die jeweiligen Mitgliedsländer, hauptsächlich aus Europa, treten dem spezifischen ERIC bei und übernehmen damit die Verantwortung für die (Weiter-)Entwicklung und den Betrieb der Forschungsinfrastruktur. Seit November 2014 ist DARIAH-EU ebenfalls ein ERIC[7] mit mittlerweile 16 Mitgliedsländern und damit eines der größten Forschungsinfrastruktur-Konsortien. Es bleibt also festzuhalten, dass es auf europäischer Ebene Förderprogramme, Instrumente und Rechtsformen gibt, die die europäische und internationale Forschung mit entsprechenden digitalen Forschungsinfrastrukturen unterstützen. Doch wie sieht es auf nationaler Ebene aus und hier besonders in Deutschland mit seinen stark föderalen Strukturen und einer bewusst heterogenen Landschaft bezüglich der Forschungseinrichtungen und Wissenschaftsorganisationen? Deutschland ist der größte Netto-Einzahler bei diesen digitalen Infrastrukturen, sei es bei CERN oder DARIAH-EU, wo sich der Mitgliedsbeitrag am Bruttosozialprodukt bemisst. Frankreich ist ebenfalls ein großer Netto-Einzahler, verfügt aber über starke zentrale Strukturen, daher ist die Anzahl der wissenschaftlichen Einrichtungen, die sich in Frankreich an DARIAH-EU beteiligen, gering. Deutschland dagegen hat im Rahmen der BMBF-Förderung von DARIAH-DE von Beginn an auf eine breite fachliche und institutionelle Beteiligung gesetzt und bei den Institutionen neben klassischen Infrastruktureinrichtungen wie Bibliotheken und Rechenzentren sowie außeruniversitären Forschungseinrichtungen vor allem auch die Universitäten mit ihren Digital-Humanities-Professuren eingebunden, da sich dort ein dynamischer, lebhafter Diskurs und reges Interesse an dem Aufbau neuartiger digitaler Forschungsinfrastrukturen im Bereich der Geistes- und Kulturwissenschaften abzeichnete. Von dieser regen Beteiligung und dem Engagement der Professoren, Nachwuchswissenschaftler und Studierenden hat DARIAH während der gesamten Laufzeit bis heute sehr profitiert, denn die Strukturen konnten sich rasch und bedarfsgerecht entwickeln und damit große Akzeptanz finden. Dies führt auf der anderen Seite aber auch dazu, dass es ungleich schwieriger ist, nachhaltige Strukturen über Bundeslandgrenzen, verschiedenen Fachdisziplinen und unterschiedlichen Typen von Institutionen zu etablieren.

2 Aspekte der Nachhaltigkeit in DARIAH-DE

Eine der größten Herausforderungen im Bereich der Nachhaltigkeit ist es, die Balance zu finden zwischen Stabilität und Dynamik: Auf der einen Seite muss eine digitale Forschungsinfrastruktur Vertrauen und Verlässlichkeit garantieren, um die zum Teil jahrelang laufenden Forschungsvorhaben[8] stabil über die Zeit zu unterstützen. Auf der anderen Seite ist gerade die IT-getriebene digitale Forschungsinfrastruktur technologisch einem steten Wandel unterzogen, die einzelnen Fachwissenschaften in den Geistes- und Kulturwissenschaften unterliegen unterschiedlichen Geschwindigkeiten bei der Adaption digitaler Methoden und Verfahren, die sich je nach Forschungsfrage und unterschiedlicher Materialart als digitales Ausgangsmaterial bzw. Untersuchungsobjekt (z. B. Text, Bild, Video, Audio, 3-D-Objekte) auch stark voneinander unterscheiden können. Die digitale Forschungsinfrastruktur darf sich also auf der einen Seite nicht zu schnell entwickeln, um Forschergruppen oder einzelne Fachdisziplinen nicht abzuhängen und von den Diskussionen um die Weiterentwicklung auszuschließen, auf der anderen Seite ist es illusorisch anzunehmen, dass sich einmal konzipierte und entwickelte digitale Forschungsinfrastrukturen nicht im Laufe weniger Jahre zum Teil in einzelnen Teilkomponenten radikal ändern können. Physische Gebäude wie wissenschaftlichen Bibliotheken mit z. T. über Jahre speziell ausgebildetem Personal, klaren Karrierewegen und Stellenprofilen unterliegen wesentlich weniger dieser Dynamik, wohingegen organisch wachsende digitale Strukturen wie DARIAH, die im Gegensatz zum CERN nicht eine zentrale Forschungsfrage im Fokus haben, sondern bedingt durch die Fächervielfalt in den Geisteswissenschaften eine Vielzahl von Forschungsfragen bedienen müssen, sich deutlich schneller dem technologischen Wandel anpassen müssen. Im Folgenden stehen daher die beiden Bereiche „Entfaltung“ und „Stabilität“ bei der Betrachtung der verschiedenen Aspekte im Bereich der Nachhaltigkeit im Vordergrund.

2.1 Entfaltung der Forschungsinfrastruktur

Sowohl bei DARIAH-EU mit den vier inhaltlichen, vertikalen Virtuellen Kompetenzzentren (VCC)[9] sowie horizontalen, temporären Arbeitsgruppen als auch in DARIAH-DE mit den inhaltlich eigenständig arbeitenden Clustern sowie ebenfalls horizontal agierenden Stakeholder-Gremien, Arbeitsgruppen etc. ist die grundlegende Struktur so angelegt, dass jederzeit neue Forschungs- und Entwicklungsfragen in die existierende Organisation (DARIAH-EU als ERIC) bzw. in das Projektvorhaben (DARIAH-DE als gefördertes BMBF-Projekt) integriert werden können. Dabei ist es auch kein Tabu, sich von VCCs oder Clustern zu verabschieden bzw. neue inhaltliche und/oder technologische Einheiten zu integrieren. Die horizontalen Strukturen sind jeweils so angelegt, dass sie temporären Charakter besitzen und sich nach Erledigung der Aufgaben oder Forschungsaufgabe automatisch auflösen.

In Form der DARIAH-DE-Cluster werden aktuelle Forschungsschwerpunkte aufgegriffen. Sie bündeln die dazu in Deutschland vorhandenen, verteilten Kompetenzen und bearbeiten entlang eines Arbeitsplans die verschiedenen Fragestellungen. Ein Cluster ist nicht „in Stein gemeißelt“, d. h., es kann sich nach einer bestimmten Zeit wieder auflösen, neue Cluster mit anderen dezidierten Forschungsfragen können hinzukommen und v. a. können externe Projekte mit neuen Methoden an ein bestimmtes Cluster „andocken“. Bei der Etablierung der Cluster-Struktur ging es darum, dynamisch und flexibel auf Entwicklungen in den Digital Humanities reagieren und auch extern finanzierte Forschungsvorhaben und -ergebnisse in einem „kooperativen Modell“ gut integrieren zu können, ohne dass dabei die Verbundstruktur von DARIAH-DE zu starr oder zu lose organisiert ist. Mit dieser Struktur werden zudem auch anderweitig finanzierte Kompetenzcluster (z. B. DFG) in DARIAH-DE integriert, so dass nicht nur die im jetzigen DARIAH-DE-Verbund vorhandenen Partner die Forschungsinfrastruktur vorantreiben. Dabei bilden die technologischen Cluster das Basement, auf dem neu zu entwickelnde digitale Verfahren und Methoden in den Digital Humanities aufsetzen können, während andere Cluster aktuelle Forschungsthemen aufgreifen und entsprechende Kompetenzen bündeln. Derzeit forschen die Cluster Digitale Sammlungen, Big Data und Fachwissenschaftliche Annotationen gemeinsam mit kooperativ assoziierten Projekten an diesen Kernthemen der Digital Humanities, angedacht ist ferner die Etablierung eines weiteren Clusters für die objektbezogene digitale Forschung, z. B. in der Archäologie. Ein weiteres Cluster erarbeitet im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitforschung u. a. Erfolgskriterien für Forschungsinfrastrukturen, betrachtet und analysiert Usability-Aspekte und greift zum Beispiel durch Umfragen weitere Themen von Fachwissenschaftlern auf, die selber (noch) nicht oder nur im geringen Umfang digitale Methoden und Verfahren einsetzen, insgesamt aber aufgeschlossen und neugierig sind und sich gerne an der Weiterentwicklung von DARIAH beteiligen möchten. Sowohl durch diese Cluster-Struktur als auch durch weitere partizipatorische Instrumente auf ganz verschiedenen Ebenen wie zum Beispiel die DARIAH-DE Working Papers[10], die Taxonomie zu DH-Verfahren (TaDiRAH)[11], das deutschsprachige Digital Humanities Blog DHd[12] oder die Angebotspalette inklusive „Einladung zum Mitmachen“[13] hat DARIAH-DE in Deutschland ein wesentliches Ziel erreicht: die Entfaltung und Verbreiterung von Digital Humanities-Methoden und Verfahren in die „Fläche“. Damit hat DARIAH wesentlich zur Akzeptanz der Digital Humanities in Deutschland beigetragen und für viele Nachwuchswissenschaftler ist es heute gängiger Forscheralltag, DH-Verfahren und -Methoden sowie digitale Daten zu erarbeiten, zur Verfügung zu stellen, zu nutzen und nachzunutzen. Die Entfaltung wird im englisch-sprachigen Raum gerne mit Community-Building oder Outreach umschrieben und ist eine starke Säule im Konzept der Nachhaltigkeit, wie auch z. B. die aktuellen Nutzerzahlen oder die Anzahl der assoziierten Projekte eindrücklich zeigen.

2.2 Stabilisierung der Forschungsinfrastruktur

Um DARIAH-DE auf ein stabiles Fundament zu stellen, müssen die folgenden wesentlichen Aspekte der Nachhaltigkeit berücksichtigt werden:

  1. Fachwissenschaftliche Nachhaltigkeit

  2. Datentechnische Nachhaltigkeit

  3. Technische Nachhaltigkeit

  4. Betriebliche Nachhaltigkeit

  5. Begleitende fachwissenschaftliche Aktivitäten

Die fachwissenschaftliche Nachhaltigkeit umfasst zwei Themenbereiche: Lehre und Forschung. Die Aktivitäten im Bereich „Lehre und Qualifizierung“ haben sich in den ersten beiden Förderphasen von DARIAH-DE sehr gut entwickelt. Die entsprechenden Seiten auf DARIAH-DE listen eine Reihe von Tutorials (u. a. elf Kapitel zu TEI[14]) und Schulungsmaterialien auf[15], darüber hinaus führt der DHd-Videokanal[16] in einige wesentliche Grundpfeiler der digitalen Forschungsinfrastruktur DARIAH ein (z. B. Digitales Edieren in einer Virtuellen Forschungsumgebung). Es gibt mittlerweile einige Bachelor- und zahlreiche Masterstudiengänge sowie Professuren im Bereich Digital Humanities, wobei hier die DARIAH-Partner vor Jahren Vorbildcharakter gezeigt haben (z. B. TU Darmstadt, Universität Würzburg). Hier gilt es, diese Schwerpunkte weiter auszubauen sowie die europäische Vernetzung weiterzuführen (insbesondere mit Irland und Dänemark als zuständigen Partnerländern auf EU-Ebene). Im Bereich Forschung ist es gelungen, sich in einem internationalen Diskurs auf eine Taxonomy of Digital Research Activities in the Humanities (TaDiRAH[17]) zu verständigen sowie eine umfangreiche Bibliographie[18] in Zotero anzulegen. Darüber hinaus sind neue fachwissenschaftliche Schwerpunkte in DARIAH integriert worden, in denen konkret bestimmte Fragestellungen zum Beispiel auf den Gebieten Big Data und Semantische Annotationen verfolgt werden.

Beide Bereiche, Forschung und Lehre, sind bei der Betrachtung von Nachhaltigkeitsaspekten unverzichtbar und haben naturgemäß auch einen starken Bezug zu den Überlegungen im Kapitel 2.1 bzw. zu Community-Building. Ohne die aktive Teilnahme gerade der jungen Nachwuchswissenschaftler, die über die entsprechende Ausbildung an den Hochschulen und Perspektiven als wissenschaftliche Mitarbeiter an diese neuen digitalen Methoden und Verfahren herangeführt und darin ausgebildet werden können, kann eine digitale Forschungsinfrastruktur nicht lebendig und entlang der Bedürfnisse der Nutzer entwickelt werden.

Die datentechnische Nachhaltigkeit beschäftigt sich vordergründig mit dem Nachweis, der Nachnutzung und der persistenten Speicherung von digitalen wissenschaftlichen Sammlungen und Forschungsdaten der Geistes- und Kulturwissenschaften. Dies ist dergestalt realisiert worden, dass auf der Ebene der Forschungsdaten Suchanfragen durchgeführt werden und auf diese Weise ein direkter Zugriff auf die relevanten wissenschaftlichen Sammlungen erfolgt (vgl. Generische Suche[19]). Damit ist es möglich, sich mittels eines one-stop-Zugriffs einen Überblick über die Landschaft der bereits vorliegenden digitalen fachspezifischen Sammlungen zu verschaffen. Darüber hinaus wird so auch angestrebt, die Art, Qualität und Medialität von wissenschaftlichen Sammlungen einheitlich zu dokumentieren, um ihre Eignung für Text- und Data-Mining-Fragestellungen festzuhalten (z. B. Image-Digitalisierung, ‚schmutzige‘ Volltexterfassung, hochwertige Volltexterfassung zur Eignung von Text- und Data-Mining-Fragestellungen). Des Weiteren werden rechtliche Aspekte untersucht, um z. B. möglichst einheitliche Lizenzbedingungen für wissenschaftliche Sammlungen von Forschungsdaten unterschiedlichster Provenienz zu generieren und so den Wissenschaftlern die Nachnutzung von Forschungsdaten für ihre Forschungsfrage zu erleichtern. Die bisherigen Rückmeldungen aus den Fach-Communities zeigten, dass bei den Fachwissenschaftlern hier keine Rechtssicherheit besteht und es oftmals nicht klar ist, ob bestimmte Daten (z. B. auch Images) nachgenutzt werden dürfen. Vielfach fragen die Fachwissenschaftler auch, wo sie ihre Daten sicher ablegen oder gar persistent referenziert und zitierfähig publizieren können. Im Gegensatz zu einigen anderen Fachdisziplinen wie z. B. den Sozialwissenschaften oder der Klimaforschung gibt es in den Geisteswissenschaften in Deutschland noch kein fachwissenschaftliches Daten-Repository. Daher entwickelt DARIAH mit anderen Experten auf diesem Gebiet das DARIAH-DE-Repository[20], in dem alle Wissenschaftler ihre Forschungsdaten, Sammlungen etc. speichern, beschreiben und für die Nachnutzung bereitstellen können. Selbstverständlich wird dieses Daten-Repositorium die Kriterien für ein trusted data archive erfüllen.[21]

Die technische Nachhaltigkeit wird sich nicht nur in der Stabilisierung der bisherigen Dienste erschöpfen, sondern umfasst den kompletten Service-Lifecycle. Neue (fachwissenschaftliche) Dienste, die innerhalb oder außerhalb von DARIAH-DE entwickelt werden, gilt es nach definierten inhaltlichen und technologischen Qualitätskriterien und Policies zu integrieren. Nachhaltiger Betrieb bedeutet die Bereitstellung einer Speicher-Infrastruktur für fachwissenschaftliche Forschungsdaten, die die technische Langzeitarchivierung und -verfügbarkeit garantieren muss, und die redundant, ortsverteilt, stabil und dauerhaft angeboten werden muss. Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass zahlreiche Projekte in Deutschland nicht über zuverlässige Ansprechpartner in ihrer unmittelbaren Umgebung (z. B. ein Rechenzentrum) verfügen und quälend viel Zeit damit verbringen müssen, zu eruieren, wie sie an eine Virtuelle Maschine gelangen, eine bestimmte Datenbank aufsetzen oder einfach nur ein Wiki-Space bekommen, um ihre Projektergebnisse zu dokumentieren oder kollaborativ zu arbeiten. Auch hier hat DARIAH gerade den kleineren Konsortien schnell und unbürokratisch geholfen und damit auch auf dieser Ebene dazu beigetragen, Hürden im Bereich der Digital Humanities abzubauen.

Die betriebliche Nachhaltigkeit stellt sicher, dass Digital-Humanities-Projekte schon vor Antragseinreichung via Menükarte die benötigten Dienste aussuchen und dann eine Liste der möglichen Optionen (inklusive Kosten z. B. für Storage) erhalten. Dieser Aspekt umfasst den Aufbau betriebswirtschaftlicher und rechtlicher Kompetenz, damit Funktionalitäten in der zukünftigen Service-Unit von DARIAH-DE dauerhaft bereitgestellt werden können. So wird sichergestellt, dass die Antragsteller bereits bei der Projektplanung eine solide Finanzierung für die Nutzung der Forschungsinfrastruktur berücksichtigen. Darüber hinaus werden in diesem Bereich verschiedene Möglichkeiten sondiert, um DARIAH auch ohne Drittmittel-Förderung solide und sicher finanziell und rechtlich auf die Beine stellen zu können. Dies ist mit Sicherheit ein Aspekt, der nicht naturgemäß mit Fachwissenschaftlern, die intrinsisch an ihren Forschungsfragen interessiert sind, intensiv und über längere Zeit diskutiert werden kann. Hier sind andere Wissenschaftsorganisationen und politische Entscheidungsträger gefragt, sich an übergreifenden Lösungsszenarien zu beteiligen. DARIAH hat dazu im Rahmen des BMBF-geförderten Projekts TextGrid mehrere Round Tables zusammen mit Vertretern aus den Ministerien verschiedener Bundesländer, des Wissenschaftsrates, des Rates für Informationsinfrastruktur, weiterer wissenschaftlicher Einrichtungen, wie relevante Leibniz- oder Max-Planck-Institute, anderer großer Forschungsinfrastrukturprojekte und des BMBF durchgeführt. Dazu wurden von DARIAH-Seite konkrete Kostenpläne vorgestellt, Eigenanteile beziffert und Rechtsformen mit ihren Vor- und Nachteilen diskutiert. Insgesamt kann festgehalten werden, dass dies ein komplexer und langfristiger Prozess ist. Die Beteiligten waren sich einig darin, dass der Prozess vorangetrieben und die Diskussion geführt werden muss und dass Deutschland digitale Forschungsinfrastrukturen wie DARIAH u. a. definitiv braucht – allein, es gibt noch keine Vorbilder, an denen man sich orientieren kann. Und natürlich steht die Frage im Raum, wer sich mit wieviel Ressourcen an DARIAH beteiligt, was die Fachwissenschaftlern in der eigenen Institution oder im Bundesland davon haben (keiner möchte quer-subventionieren) und wie viele digitale Forschungsinfrastrukturen oder Daten-Repositorien in Zukunft ‚vor der Tür‘ stehen? Dies sind natürlich berechtigte Fragen, die allerdings ein Forschungsverbund wie DARIAH allein nicht beantworten kann und mag. Die DARIAH-Partner können hier Diskussionen anstoßen und den Prozess moderieren, die Entscheidungen müssen, grundlegender und nationaler gedacht, an anderer Stelle getroffen werden.

Die begleitenden wissenschaftlichen Aktivitäten knüpfen an aktuelle Diskussionen zu Forschungsinfrastrukturen und virtuelle Forschungsumgebungen an. Sie fragen nach Erfolgskriterien für digitale Methoden und Verfahren der Digital Humanities. So wird beispielsweise analysiert, wie der Impact von digitalen Forschungsinfrastrukturen überhaupt gemessen werden kann und ob Nutzerzahlen oder gesellschaftlich relevante Forschungsthemen das Maß aller Dinge darstellen. Eine nicht zu unterschätzende Herausforderung stellt der Bereich Usability der Forschungsinfrastruktur dar, insbesondere, wenn sie sich an Fachwissenschaftlern mit unterschiedlich ausgeprägter IT-Affinität wendet. Die Forderung der geistes- und kulturwissenschaftlichen Community nach intuitiver Bedienungsfreundlichkeit ist ernst zu nehmen, da die Akzeptanz von Digital-Humanities-Angeboten auch von diesem Faktor abhängt. Dies bedeutet aber auf der anderen Seite auch, dass gewissen Entwicklungen in DARIAH professionalisiert werden müssen. Es reicht nicht mehr aus, wenn die eigenen Partner oder mit DARIAH assoziierte Kollegen die Dienste, Werkzeuge und Services bedienen können. In einer Welt von Google und Dropbox dürfen die Einarbeitungshürden nicht zu hoch sein, sonst sinkt die Akzeptanz, sinken die Nutzerzahlen.[22]

3 Schlussfolgerungen

Fragestellungen im Bereich der Nachhaltigkeit implizieren, dass sich ein Forschungs- und Entwicklungsprojekt vom Status eines Drittmittel-finanzierten Projekts in den Status einer Organisation mit Rechtsform und klaren Entscheidungs- sowie Finanzierungsstrukturen begibt. Es gibt hier nicht viele Vorbilder, d. h. die Erfahrungswerte sind gering und DARIAH dürfte eines der ersten Konsortien sein, das sich mit Fragen rund um die Nachhaltigkeit bereits so ausgiebig befasst hat. Das Beispiel CERN zeigt eindrucksvoll, was ein politischer Wille bewirken kann und wie über die Jahre mehrere Milliarden Euro bereitgestellt werden können. Das Deutsche Klimarechenzentrum[23] wird von der Max-Planck-Gesellschaft und der Freien und Hansestadt Hamburg (Universität Hamburg) betrieben, bei grob geschätzten ca. 100 Klimaforschern in Deutschland steht der Verdacht einer Quer-Subventionierung von Forschern aus anderen Bundesländern oder Wissenschaftseinrichtungen nicht im Raum. Bei potentiell mehreren zehntausend digital arbeitenden Geisteswissenschaftlern in Deutschland sieht dies natürlich anders aus und es dürfte unwahrscheinlich sein, dass sich einzelne Einrichtungen finden und bereit erklären, die finanzielle Gesamtlast zu tragen. Die EU hat mit der Implementierung des ERIC eine eigene Rechtsform für die hauptsächlich von ihr initial finanzierten digitalen Forschungsinfrastrukturen geschaffen. Ohne ein ERIC hätten es die meisten Forschungsinfrastrukturen der ESFRI-Roadmap nicht geschafft, den Übergang aus der von der EU finanzierten Konzeptionsphase in die von den Mitgliedsländern finanzierten Entwicklungsphase zu erreichen. Spannend wird es dann noch einmal zu sehen, ob der Übergang von der Entwicklungs- in die Betriebsphase, wie ihn sich die EU im ESFRI-Prozess vorstellt, gelingt. Bisher sind die meisten Forschungsinfrastruktur-Projekte ähnlich wie DARIAH noch in der Entwicklungsphase und ihnen steht die Transformation in eine nachhaltige Organisationsstruktur noch bevor.

Die folgenden Kernfragen müssen für eine perspektivische Organisation DARIAH geklärt werden:

  1. Welche Institutionen garantieren Nachhaltigkeit über die Etablierung neuer Digital-Humanities-Stellen (z. B. Professuren, Zentren) hinaus? Für welche Aspekte der Nachhaltigkeit übernehmen welche Einrichtungen dauerhaft Verantwortung (z. B. Daten, Dienste, Schulungen etc.)?

  2. Wie sieht eine Mischfinanzierung für den Betrieb der Forschungsinfrastruktur aus? Eine Mischfinanzierung kann sich aus einer stabilen Grundfinanzierung, Projekt-Finanzierung (Projektpauschale oder im Antrag extra ausgewiesene und begründete Sachkosten) und einem institutionellen Beitrag zusammensetzen.

  3. Welche Rechtsform und welches Organisations- und Geschäftsmodell mit welchen Entscheidungsstrukturen kommt infrage, so dass auch in Zukunft die dynamische und flexible Weiterentwicklung der Forschungsinfrastruktur gewährleistet werden kann? Sind die bisherigen Entscheidungsstrukturen ausreichend, um nationale Diskussionen und Ergebnisse in die Forschungsinfrastruktur zu integrieren und/oder um einzelnen Bundesländern ausreichend Stimmrecht zu verleihen? Ist ein solches Konstrukt dann handlungsfähig im Sinne guter Forschung? Welche weiteren Player müssen in welcher Form noch eingebunden werden?

Bei all diesen ökonomischen, betriebswirtschaftlichen und rechtlichen Fragestellungen dürfen natürlich die Forscher und die IT-Experten nicht außer Acht gelassen werden. Gerade in virtuellen oder digitalen Umgebungen spielen soziale Komponenten eine sehr große Rolle. Die Interaktion zwischen Fachwissenschaften und (technologischen) Infrastruktur-Betreibern kann sich mitunter herausfordernd gestalten. Gegenseitige Akzeptanz, gemeinsames terminologisches Verständnis und Neugierde sind sicherlich die Erfolgsfaktoren dafür, dass ein Forschungsvorhaben mit heterogenen Playern gelingen kann. Es darf auch nicht verschwiegen werden, dass die Informatik viele technologischen Entwicklungen im Bereich einer Forschungsinfrastruktur wie DARIAH nicht unbedingt immer als cutting edge ansieht, andererseits sind Forschungsfragen in der Informatik nicht immer für geisteswissenschaftliche Fragestellungen relevant oder führen nicht immer zu Entwicklungen, die die Digital Humanities voranbringen.

Im Sinne der oben beschriebenen Entfaltung und Stabilisierung der digitalen Forschungsinfrastruktur von DARIAH-DE ist die Vision für die kommenden Jahre, eine zugleich stabile, verlässliche, aber auch flexibel einsetzbare, offene und innovationsfördernde digitale Forschungsinfrastruktur für die Geisteswissenschaften in den Routinebetrieb zu bringen. Forschungsvorhaben nutzen in Abhängigkeit von ihrem Bedarf ausgewählte Komponenten von DARIAH-DE (und DARIAH-EU), um wesentliche Stufen ihres Forschungsprozesses digital unterstützt durchführen zu können. DARIAH-DE vertritt die Überzeugung, dass eine Forschungsinfrastruktur nicht nur fachwissenschaftlich, technologisch oder betriebswirtschaftlich zu sehen ist, sondern die soziale Komponente einen großen Einfluss hat. Dies bedeutet, dass DARIAH-DE auch die notwendigen Kompetenzen in den Digital Humanities fördern sowie für virtuelle und reale Plattformen zur Unterstützung des Austauschs sorgen wird und die Herausbildung eines lebendigen, internationalen Netzwerks von Geisteswissenschaftlern, die mit digitalen Daten, Methoden und Werkzeugen forschen, vorantreibt.

Letztendlich bleibt festzuhalten, dass ein langjähriges und von der EU initiiertes Vorhaben wie DARIAH nur bis zu einem bestimmten Punkt den nötigen Reifegrad aus sich heraus entwickeln kann, um im Rahmen einer definierten Organisations- und Rechtsform den nachhaltigen (Routine-)Betrieb aufzunehmen. Irgendwann müssen sich kluge Köpfe mit dem nötigen politischen Schwergewicht Gedanken darüber machen, wie die digitale Transformation auch von physischen Gebäuden hin zu digitalen Forschungsinfrastrukturen gelingen kann, wer dafür die Verantwortung übernimmt, wie es finanziert wird und wie lokale, regionale und Bundesland-Grenzen überwunden werden können. Die Geisteswissenschaften sind längst im digitalen Raum angekommen und international sehr gut vernetzt – allein, die nötige digitale Infrastruktur und ihre kooperative Entwicklung und Nutzung haben hier noch einen Weg zu beschreiten.

Literaturverzeichnis

Bender, Michael (2016): Forschungsumgebungen in den Digital Humanities. Nutzerbedarf, Wissenstransfer, Textualität. 1. Aufl. Mouton de Gruyter (Sprache und Wissen, v. 22). Online verfügbar unter http://gbv.eblib.com/patron/FullRecord.aspx?p=4451865.10.1515/9783110463927Search in Google Scholar

Online erschienen: 2016-7-1
Erschienen im Druck: 2016-7-1

© 2016 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Downloaded on 28.4.2024 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/bfp-2016-0022/html
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