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BY 4.0 license Open Access Published by De Gruyter November 8, 2023

„re von naH – Vorwärts nach weit“

111. BiblioCON vom 23. bis 26. Mai 2023 in Hannover

  • Stefan Cordes

    Stefan Cordes

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    , Linda Martin

    Linda Martin

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    , Sina Menzel

    Sina Menzel

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    , Cosima Wagner

    Cosima Wagner

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    and Janet Wagner

    Janet Wagner

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From the journal ABI Technik

1 Einleitung

„re von naH [Hannover rückwärtsgelesen] – vorwärts nach weit“ – mit diesem Zitat des Dada-Künstlers Kurt Schwitters (1887–1948) als Konferenz-Motto fand vom 23. bis 26. Mai 2023 die 111. BiblioCON in Hannover statt. Unter dem neuen Konferenznamen BiblioCON (bis 2022 Deutscher Bibliothekartag) kamen mehr als 3 500 Teilnehmende aus 18 Ländern im Hannover Congress Centrum (HCC) und per Streaming im Digitalen zusammen, um in ca. 400 Vorträgen, Hands-on Labs, Workshops, Postern, Arbeitssitzungen und Podiumsdiskussionen aktuelle Themen des Bibliothekswesens zu diskutieren.

Alljährlich fällt es schwer, für den Konferenzbericht eine Auswahl aus dem Programm vorzunehmen, die die Breite des Spektrums an Themen widerspiegelt. In diesem Jahr haben wir uns als Ko-Autor*innen-Team der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin für folgende Schwerpunkte entschieden: Qualifikationen in Ausbildung und Beruf, Benutzungsforschung und Partizipation, Wissenschaftliche Communities adressieren, Wissenschaftliches Publizieren, Digital Humanities, Forschungsdaten und Bibliotheken sowie Fachreferat im Wandel. Für einen detaillierten Überblick über das Programm samt eingereichten Präsentationen verweisen wir auf den BIB Opus-Server[1] und das Bibliotheksjournal o-bib mit Themenschwerpunkt BiblioCON, in dem (neben weiteren Publikationsorten) ausgearbeitete Artikel der Beiträge erscheinen werden.

2 Qualifikationen in Ausbildung und Beruf: Fokus Nachhaltigkeit

Die bibliothekarische Ausbildung und Qualifikationen mit Fokus auf dem Thema Nachhaltigkeit standen im Mittelpunkt der Session „Machen ist wie wollen, nur krasser – Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE)“. Der Titel machte deutlich, dass es sich um Praxis- und Erfahrungsberichte handelte, in denen FaMI-Auszubildende (Fachangestellte für Medien- und Informationsdienst) sowie Berufsschullehrer*innen und Ausbilder*innen zu Wort kamen.

Die Berufsgruppe der FaMIs wird seit vielen Jahren an wissenschaftlichen und öffentlichen Bibliotheken sowie in Archiven, Bildagenturen und Informations- und Dokumentationsstellen ausgebildet. Die Session stand unter der Prämisse, dass Ausbildungsinhalte in Berufsschulen und an den Praxisorten den aktuellen Anforderungen und Herausforderungen des 21. Jahrhunderts entsprechen müssen, zum einen, um das Berufsbild attraktiv zu halten, zum anderen, um die Sinnhaftigkeit und Bedeutung von Bibliotheken als konsumfreier, sozialer, offener, inklusiver und vielfältiger Ort zu stärken. In Zeiten multipler Krisen, insbesondere des aktuellen Weltklimaberichts Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), mit dem wachsenden Bekenntnis von Bibliotheken, bis 2030 verstärkt die Agenda 2030 mit den 17 Zielen zur nachhaltigen Entwicklung voranzubringen, brauche es daher diesbezügliche praxisnahe Ausbildungsinhalte.

Den Auftakt bildete Wirtschaftspädagogin Birgit Vogler (Lehrerin an der Städtischen Berufsschule für Medienberufe in München), die in ihrem per Video aufgezeichneten Vortrag sie anschaulich erläuterte, wie sie das Thema BNE erstmals mittels eines eigenen Kurses in die FaMI-Ausbildung integriere: In zahlreichen Schulblöcken in der Berufsschule brachte sie den FaMI-Klassen des dritten Lehrjahres die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung näher und berichtete, wie die einzelnen Schritte hin zu einer eigenen Projekt-Idee bei den FaMI-Auszubildenden reiften. Ob Kleidertausch-Party, der Aufbau einer Saatgut-Bibliothek oder die Einführung eines digitalen Unterschriften-Pads für Neuanmeldungen, um Papier einzusparen, waren nur einige der genannten Beispiele, die die praxisnahe Umsetzung verdeutlichten. In der Auftaktphase des Kurses hatte Janet Wagner vom Netzwerk Grüne Bibliothek[2] Best-Practice-Beispiele aus Bibliotheken vorgestellt und Input zu den sieben Merkmalen einer Grünen Bibliothek gegeben, wie sie seit Januar 2022 offiziell von der IFLA-Sektion „Environment, Sustainability and Libraries“ (ENSULIB) formuliert sind.[3]

Die Auszubildenden dokumentierten und präsentierten ihre Projekte in der Berufsschulklasse, Birgit Vogler wird diesen Kurs auch für zukünftige FaMI-Klassen weiterhin anbieten. Der Kurs ist uneingeschränkt übertragbar auf Berufsschulen anderer Bundesländer, der gewonnene Erfahrungsschatz kann hilfreich sein, wenn weitere Berufsschullehrer*innen diesen Ansatz ebenfalls ergreifen möchten.

Anschließend berichtete Cäcilia Thalhammer aus der Sicht einer FaMI-Auszubildenden im dritten Lehrjahr an der Stadtbibliothek München von ihren Erfahrungen mit „BNE in der FaMI-Ausbildung“ (siehe auch Abb. 1). Sehr lebendig, engagiert und reflektiert stellte sie dem Fachpublikum ihr BNE-Projekt vor und zog anschließend Bilanz. Das Thema Selbstwirksamkeit und der Blick über den Tellerrand sind aus ihrer Sicht entscheidend für Auszubildende, um in der Ausbildungsbibliothek und darüber hinaus eigene Projekte umzusetzen und die Dringlichkeit von Handeln für Klimaschutz voranzubringen. Sie formulierte den Wunsch, dass sowohl die Förderung des selbständigen Arbeitens als auch die Nutzung vorhandener Potenziale wie Vorwissen zu Umwelt- und Klimafragen, ehrenamtliche Tätigkeiten, Erfahrungen im Bereich von Nichtregierungsorganisationen von den Ausbilder*innen anerkannt, abgerufen und für die praktische Ausbildung genutzt werden sollten. So führte sie unter anderem das eigene Bibliotheksteam in einem Workshop an das Thema „BNE, Agenda 2030 und die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung“ heran. Mit einem Quiz, Ideensammlungen und Austausch fungierte sie als Multiplikatorin von BNE in ihrer Ausbildungsbibliothek. Dies zeugte nicht nur von einer Offenheit im Team, die Hierarchien aufzulösen, sondern auch, wie der Auftrag des BNE-Projektes praktisch umgesetzt wurde. Ihr Schlussplädoyer an alle Anwesenden fiel eindeutig aus: „Mut zu handeln, Mut zu ermöglichen!“

Abb. 1: Vortragsfolie von Cäcilia Thalhammer
Abb. 1:

Vortragsfolie von Cäcilia Thalhammer

Simone Schütte präsentierte die praktischen Umsetzungen des Themas Nachhaltigkeit in der Ausbildung des aktuellen FaMI-Ausbildungsjahrgangs an der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin. Beispiele von der Mitarbeit im Bibliotheksgarten über Ausbildungseinsätze im Bereich Open Access bis zum elektronischen Berichtsheft und Weiterqualifizierungsmöglichkeiten verdeutlichten das Bestreben der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin, dem wichtigen Thema Nachhaltigkeit bereits in der Ausbildung Raum und Handlungsspielraum zu geben. Hervorgehoben wurden die vielfältigen Workshops und weiterführenden Qualifizierungen, die hierzu während der FaMI-Ausbildung angeboten und durchgeführt werden (z. B. der Workshop „FaMIs als ForFuture-Denker*innen in der grünen Bibliothek von morgen“) – ein Auftakt für die Auszubildenden, ihr eigenes BNE-Projekt zu entwickeln und umzusetzen.

Schließlich stellte Janet Wagner (Philologische Bibliothek, Freie Universität Berlin) ihre Masterarbeit zum Thema „Bildung für nachhaltige Entwicklung in der praktischen FaMI-Ausbildung – Möglichkeiten und Grenzen“ mit konkreten Handlungsempfehlungen für Auszubildende und Ausbilder*innen in Bibliotheken vor. Ausgehend von der Frage, warum gerade der berufliche Nachwuchs in Bibliotheken BNE in der Praxis erfahren müsse, präsentierte sie Antworten aus qualitativen Interviews, die sie mit Auszubildenden aus den Bibliotheken von Berlin Mitte und Berlin Pankow geführt hatte. Im Arbeitsalltag beschäftigten die Auszubildenden insbesondere Themen wie das Foliieren von Buchbeständen, Mülltrennung und Ressourcenschonung. Das ausgeprägte ökologische Bewusstsein der jungen Nachwuchskräfte sei ein Motor, Arbeitsabläufe zu ändern, Optimierungen anzustreben und nach dem Prinzip „Vermeiden, Verringern, Kompensieren“ zu agieren. Ebenso wurde die Übertragbarkeit von Erkenntnissen aus der Umfrage in die eigene Ausbildungstätigkeit diskutiert. Janet Wagner verwies darauf, dass weitere neueste Umfragen mit jungen Menschen in Ausbildung und Studium zeigten, dass es nach wie vor an Befähigungen seitens der Ausbildungsorte mangele, wirkungsvolles Handeln für eine nachhaltige Zukunft zu erfahren.[4]

Die Session machte deutlich, dass Themen wie „Bildung für nachhaltige Entwicklung“, konkrete Handlungsweisen zu Klima- und Umweltschutz sowie die Beförderung vielfältiger Fähigkeiten im Bereich der Gestaltungskompetenz eine Herausforderung für alle an der FaMI-Ausbildung Beteiligten darstellen. Um die Auszubildenden zu befähigen, selbstwirksam und nachhaltig in der Bibliothek agieren zu können, sei Wissen über ressourcenschonendes Arbeiten, Gesundheitsschutz oder Mülltrennung allein längst nicht mehr ausreichend. Die unterschiedlichen Praxiserfahrungen machten dies deutlich, zeigten aber auch Wege auf, wie sich Befähigungen zu Selbstwirksamkeit, Verantwortung und zukunftsfähiges Denken in die duale Ausbildung der FaMIs integrieren lassen. Die Teilnehmenden der Session waren sich einig: Nur gemeinsam im Bibliotheksteam lassen sich BNE-Fähigkeiten befördern. Nur ein gemeinsames Verständnis für die drängenden Krisen und Probleme unserer Zeit führt zu zeitnahen Handlungsweisen, die eine nachhaltige Zukunft und ein gutes Leben für alle ermöglichen.

3 Benutzungsforschung und Partizipation

3.1 Einbeziehung der Nutzenden

Die Nutzungsforschung hat in den letzten Jahren einen festen eigenen Platz im Kongressprogramm erhalten. Es werden unterschiedliche Begriffe wie UX (User Experience, Nutzungserfahrung), Benutzungsforschung, Marktforschung und Partizipation verwendet. Das gemeinsame Ziel der Forschung ist es jedoch, Bibliotheken nutzendenzentrierter weiterzuentwickeln.

Besonders deutlich wurde die Präsenz des Themas in Bibliotheken in der Session „Die unbekannte Welt der Nutzenden“. Im (deutlich überfüllten) Runden Saal stellten gleich sechs verschiedene Bibliotheken ihre Beispiele für Benutzungsforschung im Bibliotheks-Alltag vor. Ein bekannter Weg dabei ist der Fragebogen. Aber wie erreicht man Nutzende damit für Feedback? Einen Ansatz dafür stellte Ulrike Lengauer (Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt) vor. Ihr Ziel war es, insbesondere zur Funktion der ULB Darmstadt als Landesbibliothek mehr herauszufinden. Dabei war es besonders spannend, wie die Beteiligungs-Quote an der Befragung erreicht wurde: Unter anderem durch Präsenz vor einem Einkaufszentrum und direkte Werbung dort, wo die (noch Nicht-)Nutzenden einer Landesbibliothek zu vermuten sind.

Claudia Lienhard (Eidgenössische Technische Hochschule Zürich – ETH) machte in ihrem Vortrag vor allem die Möglichkeiten qualitativer Ansätze deutlich. Indem sie die beeindruckende Fülle an Erfahrungen aus den Bereichen Marktforschung, Innovation und Netzwerken der letzten Jahre an der ETH teilte, wurden insbesondere die gemeinsame Gestaltung von Services mit Nutzenden anhand kreativer Methoden (Co-Creation) und der stetige Austausch mit festen Gremien von Studierenden und wissenschaftlichem Personal (Sounding Boards) hervorgehoben. Ihr Fazit: Nutzenden-Bezug funktioniert dann, wenn die Leitungsebene ihn unterstützt, Ressourcen von Beginn an dafür eingeplant werden, Projekte abteilungsübergreifend praktiziert und gelebt werden und das Erwartungsmanagement ernst genommen wird.

Alena Behrens (Leibniz Informationszentrum Wirtschaft – ZBW) machte an einem weiteren Beispiel deutlich, wie man mit Nutzenden mehr über die mögliche zukünftige Gestaltung des Lernortes Bibliothek herausfinden kann. In Interviews ging das Team Benutzungsdienste proaktiv auf Nutzende zu und befragte sie zu ihren Anforderungen an die ZBW. Zusätzlich wurden Nichtnutzende bei studentischen Einführungsveranstaltungen und einem Wissenschaftsfestival zum selben Thema befragt. Ninon Franziska Frank (Universitätsbibliothek Hildesheim) machte anschließend deutlich, wie erhellend es sein kann, wenn man die vermeintliche Hürde überwindet, Personen innerhalb des eigenen Gebäudes einfach anzusprechen. Anhand verschiedener Maßnahmen – unter anderem mit informierenden Postern, Zählungen und einer Wand für freies Feedback – wurden wichtige Rückmeldungen von Nutzenden zu einem Umbau im Bibliotheksgebäude der UB Hildesheim eingeholt.

Romy Hilbrich (Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz) und Sina Menzel (Freie Universität Berlin) stellten anschließend mit „Walk in your users’ shoes“ eine niedrigschwellige Methode der Benutzungsforschung vor, die nach eigener Aussage: „Jede und jeder nach dem Vortrag in den nächsten Wochen selbst bei sich anwenden kann.“ Bibliotheksangehörige mit „frischem Blick“ auf die eigene Einrichtung (z. B. neue Mitarbeitende, Praktikant*innen, Auszubildende) protokollieren hierbei in strukturierter Weise ihre ersten Eindrücke in der jeweiligen Bibliothek – positive wie negative.

Aber auch über die dem Thema explizit gewidmete Sitzung hinaus gab es zahlreiche Beispiele auf der Tagung, an der sich die Nutzenden-Einbeziehung widerspiegelte: Für die Stadtbibliothek Hannover berichteten Tom Becker und Michael Stünkel beispielsweise von einem umfassenden Prozess zu einem neuen Raumkonzept, an dem auch Nutzende beteiligt wurden. Im sehr gut besuchten hands-on Lab „Räumliche Entwicklung von Bibliotheken als offener Dialogprozess“ von Olaf Eigenbrodt und Miriam Green (Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg) hatten Teilnehmende schließlich auch selbst die Möglichkeit, eine kreative Methode zur Raumentwicklung auszuprobieren. Mithilfe von Fotos verschiedener Lern-, Arbeits- und Entspannungsräumen konnten die Teilnehmenden in Kleingruppen Collagen erstellen, um bestimmten Anforderungen an Bibliotheksräume zu begegnen.

Nicht zuletzt gaben auch die Berufsverbände dem Thema eine Bühne: Die in diesem Jahr gegründete Special Interest Group „UX in Bibliotheken“ des BIB hielt eine Arbeitssitzung für den Einstieg und die Ausgestaltung von Benutzungsforschung ab. Auf der Podiumsdiskussion zu „Kundenorientierte und inklusive Services“ der dbv-Kommission ging es um die essenziellen Schritte und Erfahrungen in puncto Zielgruppenorientierung. Es bleibt also sehr spannend, ob das Thema in seiner Präsenz in den nächsten Jahren noch weiterwächst.

3.2 Zusammen ausprobieren: Scholarly und Digital Makerspaces als Vermittlungsräume

Wo und wie neue Zugänge und Methoden zur Arbeit mit Sammlungen und Kulturerbe-Beständen gemeinsam mit Nutzenden ausprobiert werden können, war das Thema eines Hands-on Labs zu „Scholarly und Digital Makerspaces als Vermittlungsräume für digitale Bestände und Methoden“, das von Linda Freiyberg (DIPF Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation, Berlin), Daniel Erdmann (Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung des DIPF) sowie Ben Kaden und Tim Köhler (beide Klassik Stiftung Weimar) geleitet wurde. In der ersten Hälfte des Workshops wurden unterschiedliche Konzepte von Library Labs am Beispiel der SLUB Dresden (Makerspace mit Fotostudio, 3D-Drucker, Fotostudio usw.), der Humboldt-Universität zu Berlin (Scholarly Makerspace als „Lernort für digitale Werkzeugkompetenz in den Geistes- und Kulturwissenschaften“ mit „virtueller“ Laborausstattung) und der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar (Sammlungsvermittlung zu digitalisiertem/digitalisierbarem Kulturerbe und Objekten der Klassik Stiftung Weimar an eine breite Öffentlichkeit) sowie internationale Beispiele wie die Labs der Library of Congress und der British Library in den Blick genommen. Im zweiten Teil des Workshops erstellten die Teilnehmenden unter Einbeziehung eigener Anwendungsbeispiele in Gruppen Anforderungsprofile für Scholarly und Digital Makerspaces hinsichtlich Hardware, Methoden, Sammlungen und Forschungsunterstützung, die anschließend gemeinsam diskutiert wurden. Der Workshop endete mit dem Vorschlag, eine Community of Practice zu Scholarly und Digital Makerspaces in Bibliotheken zu gründen.

4 Wissenschaftliche Communities adressieren

Welche Bedarfe haben wissenschaftliche Communities und wie können diese zielgruppengerecht adressiert werden? Hierzu wurden in Hannover einige Beispiele aus der Praxis vorgestellt.

4.1 Onboarding@UB – FU Berlin

Unter dem Titel „Onboarding@UB – Ein Startpaket für Neuberufene an der Freien Universität Berlin“ stellte Stefan Cordes (Freie Universität Berlin) ein neues Service-Angebot der Universitätsbibliothek vor, das sich in Form eines „Startpakets“ speziell an neuberufene Professorinnen und Professoren richtet. Das UB-Startpaket für Neuberufene vermittelt frühzeitig einen gebündelten Überblick über das Service-Portfolio der Universitätsbibliothek und stellt diese direkt in Kontakt zu Expert*innen aus allen Abteilungen der UB. Auf diese Weise würden die Services der UB von Anfang an sichtbarer.

Das neue Angebot wurde im Rahmen einer abteilungsübergreifenden AG-Sichtbarkeit konzipiert und für die UB aufgesetzt. Neben einer grundlegenden Kartierung bisheriger Services wurden aufgrund von zielgruppenorientierten qualitativen Interviews weitere Bedarfe und Wünsche von Neuberufenen identifiziert und in das zukünftige Angebots-Portfolio der UB integriert. In diesem Zusammenhang verwies Cordes auf die Offenheit der AG, an der alle UB-Beschäftigten bei Interesse mitarbeiten konnten, und nannte vor allem die abteilungsübergreifende Zusammensetzung der AG-Mitglieder besonders hilfreich, motivierend und zielführend. Alternierende Aufgaben und sich agil und ad hoc zusammenfindende Unterarbeitsgruppen mit hoher Eigenverantwortung konzipierten die Rahmenbedingungen des neuen Service-Angebots und „übergaben“ das Ergebnis zur Finalisierung und Durchführung des Startpakets an ein neu etabliertes fünfköpfiges Startpaket-Team.

Das Service-Portfolio des Startpakets wird über ein Online-Info-Portal[5] (Landing-Page) kommuniziert. Die Auswahl von Service-Angeboten erfolge über die Themenfelder „Forschen & Publizieren“ sowie „Lehren & Prüfen“. Über das Portal könnten zudem erste Beratungstermine abgestimmt und individuelle Themenschwerpunkte für Gespräche mit Expert*innen vereinbart werden.

Das Team Startpaket der UB koordiniere in diesem Kontext die Anfragen und stelle gegebenenfalls die Kontakte in die jeweiligen UB-Bereiche her. Ein persönliches Beratungsgespräch – auf Deutsch oder Englisch – sei somit jeweils der Ausgangspunkt des Startpakets. Je nach individuellem Bedarf stelle die Universitätsbibliothek ihre Services dabei genauer vor und entwickele gemeinsam mit den Neuberufenen passgenaue Unterstützungsmöglichkeiten. Neben einer persönlichen Ansprechperson in der jeweiligen Fachbibliothek lernten die Professor*innen und ihre Mitarbeitenden dabei weitere Kolleg*innen aus der Universitätsbibliothek kennen, die sie in verschiedenen Bereichen ihres wissenschaftlichen Alltags gezielt unterstützen können. Auf diese Weise soll die nachhaltige Vernetzung zwischen Forschenden und Lehrenden mit der Universitätsbibliothek frühzeitig aufgebaut und gestärkt werden.

4.2 Liaison-Zusammenarbeit von Bibliothek und Fachbereichen – FU Berlin

Auf der Ebene der fachspezifischen Services berichtete Lina Geiges-Erzgräber (Freie Universität Berlin) als Fachreferentin für Geographie und Geowissenschaften in Vertretung für die Ko-Autoren Heinz-Alexander Fütterer und Andreas Hübner (ebenfalls beide Freie Universität Berlin) über die Liaison-Zusammenarbeit von Bibliothek und Fachbereich Geowissenschaften bezüglich der Publikation von Forschungsdaten. In Zielvereinbarungen hatte der Fachbereich ein Budget für Personalmittel erhalten mit den Zielen, die „Aufmerksamkeit für Forschungsdatenmanagement zu erhöhen“, „Forschende beim Forschungsdatenmanagement zu unterstützen“ und „Sichtbarkeit der am Fachbereich produzierten Daten zu verbessern“. Als sichtbares Ergebnis stand am Ende eine neue visuell ansprechende Webseite des Fachbereichs, auf der die Forschungsdaten mit Erläuterungen zum Kontext der Datenerhebung, den vorliegenden Daten und dazugehörigen Fachartikeln vorgestellt werden.

Die Liaison-Zusammenarbeit zwischen Bibliothek und Forschenden bestand in Beratungen zu Publikationsorten (internen wie externen Repositorien), zur möglichst offenen nachnutzbaren Publikation der Daten sowie der Unterstützung bei der Erstellung von Forschungsdaten-„Portraits“ auf der neuen Webseite, die zugleich in einer über die unmittelbare Fach-Community hinaus interessante Weise dargestellt werden sollten (Stichwort Nachnutzung für Citizen Science). In enger Zusammenarbeit mit Dekanat und Forschenden konnte die UB (Liaison Librarian, Fachbibliothek und Zentrale) auf diese Weise einen „Beitrag zum Kulturwandel“ leisten, Forschungsdatenpublikationen würden nun stärker als „wertvolles Produkt der wissenschaftlichen Arbeit“ am Fachbereich wahrgenommen.

4.3 DFG-gefördertes Projekt „Magna cum fraude“

Schließlich stellten Ulrich Herb (Saarländische Universitäts- und Landesbibliothek, SULB) und Tamara Köstenbach (SULB, Humboldt-Universität zu Berlin) die Ergebnisse eines DFG-geförderten Projekts mit dem Titel „Magna cum fraude“ sowie einer daraus hervorgegangenen Masterarbeit zur Frage „Welchen Beitrag können Bibliotheken zur Sicherung der wissenschaftlichen Integrität leisten?“ vor. In einem ersten Schritt wurden naturwissenschaftliche Publikationen mit manipulierten oder gefälschten Daten ermittelt und die anschließende Reaktion von Herausgeber*innen, Redaktionen und Verlagen auf die Meldung der manipulierten Ergebnisse notiert. Anschließend wurden auf dieser Basis ein Fragebogen erstellt und zehn qualitative Interviews mit Fachwissenschaftler*innen und Infrastruktureinrichtungen durchgeführt.

Ein wichtiges Ergebnis der Studie war der allgemeine Wunsch nach mehr offener Kommunikation im Umgang mit fragwürdigen Publikationen. Die Herstellung von Öffentlichkeit sei besonders wichtig, nicht zuletzt um Verlage und Journals dazu zu bringen, transparenter mit zurückgezogenen Artikeln/Beiträgen (englischer Fachbegriff: retraction) umzugehen. Allerdings gaben befragte Fachwissenschaftler*innen zu Protokoll, dass mehr als die Hälfte der betroffenen Verlage/Journals die Zusammenarbeit beim Thema retraction verweigert hätten und oft erst Jahre später eine Korrektur/Addendum zu einem zurückgezogenen Aufsatz erschienen sei. Zugleich müsse für institutionelle bzw. Fachrepositorien ein Mindestniveau an Datenqualität sichergestellt werden, da teils von Verlagen bereits zurückgezogene Publikationen noch Jahre später auf Open-Access-Servern hinterlegt seien.

In der Diskussion mit dem Publikum wurde zunächst kritisch hinterfragt, ob und welche Rolle Bibliotheken bezüglich einer Verbesserung der retraction-Praxis spielen könnten. Müsse dies nicht Aufgabe der Wissenschaft sein? Andererseits seien bei der Publikation von Forschungsdaten auf Universitätsrepositorien ja Bibliotheken in der Rolle eines Publishers und es bestehe also Handlungsbedarf. Schließlich wolle man als Ort der Kuration von Informationen die Aufgaben im retraction-Prozess nicht nur kommerziellen Anbietern (inklusive Google) überlassen, die in der Vergangenheit oft ihr wirtschaftliches Interesse vor die wissenschaftliche Integrität gestellt hatten. Die Session endete mit einer Einladung zur Fortführung der Diskussion, was Bibliotheken künftig zu dem Thema beitragen können bzw. wollen. An der SULB ist hierzu bereits ein Folgeantrag in Arbeit.

5 Wissenschaftliches Publizieren: Open Access heißt Vernetzung

Open Access und Open Science auf der BiblioCON 2023 – auch in diesem Jahr gab es auf der Konferenz viele Formate, die den Teilnehmenden ermöglichten, sich aktiv mit den Themenfeldern auseinanderzusetzen. In der Konferenzwoche boten fünf Sitzungen Informationen über die Open-Access-Transformation, Diamond Open Access sowie Strategien und Vernetzung. Darüber hinaus bot ein Hands-on Lab die Möglichkeit zum Austausch über Open Science.

5.1 Das Potenzial von Open Access

Die Session „Wissenschaftliches Publizieren und Open Access – Open Access Strategien und Vernetzung“ zeigte auf, welchen Stellenwert Kollaboration und Kooperation in der Umsetzung von Open Access einnehmen. Vier Beiträge konzentrierten sich auf das Potential, das im Themenfeld Openness steckt. Das Projekt Transform2Open, vertreten durch Margit Schön (Forschungszentrum Jülich), stellte Ziele und Arbeitspakete des Projekts vor; Linda Martin (Open-Access-Büro Berlin c/o Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin) führte in die Nutzung und die Weiterentwicklungsmöglichkeiten des oa.atlas von open-access.network[6] ein; die Aufgabenfelder und Hintergründe zur Landesvernetzungsstelle open-access.nrw wurden durch Nina Schönfelder (Universität Bielefeld) und Renate Voget (Hochschulbibliothekszentrum des Landes Nordrhein-Westfalen) beleuchtet; einen Einblick in die Vermittlung von Open Science an der Universität Zürich und die Rolle, die die UB in dieser einnimmt, gaben Andrea Malits und Rudolf Mumenthaler (beide Universität Zürich).

5.2 Verschiedene Open-Access-Projekte

Das Projekt Transform2Open trifft einen Nerv der Zeit: Seit der Wissenschaftsrat 2022 Empfehlungen zur Transformation des wissenschaftlichen Publizierens zu Open Access[7] veröffentlicht hat, sind viele Institutionen um die Einrichtung bzw. die Umsetzung eines Informationsbudgets bemüht. Die Projektpartner Zentralbibliothek des Forschungszentrums Jülich, das Helmholtz Open Science Office und die Universitätsbibliothek der Universität Potsdam bündelten ihre Expertise in dem Feld. Das Projekt Transform2Open befindet sich mit seinem Anliegen in bester Gesellschaft. So grüdete sich im Februar 2023 unter anderem eine digitale Fokusgruppe[8] zu der Thematik gebildet.

Der oa.atlas ist ein Tool, das Strategien und Services rund um Open Access an deutschen Hochschulen und Forschungseinrichtungen zeigt. Die Datensammlung ist im Rahmen des BMBF-geförderten Projekts open-access.network entstanden und wird durch das Open-Access-Büro Berlin und das Helmholtz Open Science Office betreut.

Einen Einblick in die Angebote einer Landesvernetzungsstelle bot open-access.nrw: Darunter eine zentral bereitgestellte Plattform zum Journal Hosting und eine Rechtsberatung, die die Hochschulen des Landes in Anspruch nehmen können. Die Service-Palette sei ebenso breit wie die Anforderungen, die von den Wissenschaftseinrichtungen des Landes an die Vernetzungsstelle herangetragen würden. Neben open-access.nrw bestehen in Berlin, Brandenburg und Schleswig-Holstein zentrale Stellen mit dem Schwerpunkt der Open-Access-Vernetzung.

Wie eng eine Verknüpfung von Aufgabenfeldern zwischen verschiedenen Bereichen – darunter Forschungsabteilung und Bibliothek – sein sollte, um die Open-Access-Transformation zu stärken, zeigte das Beispiel aus Zürich. Die Rollen, die unterschiedliche Abteilungen einnähmen, die Heterogenität des Themenkomplexes Open Science und die Einbindung verschiedener Akteur*innen (z. B. Fördernde) führe zu einem erhöhten Abstimmungsbedarf seitens aller Beteiligten.

Fazit der Sessions war, dass die Ausgestaltung von Vernetzungs- und Strategieangeboten zum Thema Open Access breit sei und Wissen und Angebote auf unterschiedlichen Ebenen vermittele. Die Arbeitsfelder von Projekten, Einrichtungen und Vernetzungsstellen inklusive Bibliotheken greifen hierbei ineinander.

6 Digital Humanities, Forschungsdaten und Bibliotheken

Unter den forschungsnahen Diensten von Bibliotheken standen auf der BiblioCON auch die Themenfelder Digital Humanities (DH) und Forschungsdaten(-Management) im Mittelpunkt einer Vielzahl von Beiträgen. Während auf dem Abstract-Server der BiblioCON allein 31 Beiträge mit dem Stichwort „Forschungsdaten“ verknüpft sind – von Online-Archiven für Oral-History-Interviews über FID-Fachrepositorien und die Zusammenarbeit mit NFDI-Konsortien bis Data-Literacy-Schulungen im Fachreferat und Data Stewards – sind es für das Stichwort „Digital Humanities“ immerhin acht Beiträge und eine Podiumsdiskussion.

6.1 Mehr „Team-Work“ von Wissenschaft und Bibliotheken für die Digital Humanities

Anhand der Titel der Vorträge zum Thema Digital Humanities (DH) ließ sich bereits erkennen, dass Bibliotheken als Daten- und Plattform-Provider eine feste Rolle in dem Bereich eingenommen haben: Von der Erstellung von Ground Truth-Daten-Korpora für die Analyse von Handschriften und gedruckten Texten über die Verknüpfung von Normdaten (Stichwort: Linked Open Data) oder die Unterstützung von digitalen Editionen und Sammlungen sowie die Bereitstellung von Infrastruktur, mit der lizensierte Daten für wissenschaftliche Projekte genutzt werden können, bis zur Vorstellung des OpenDNB Labs wurden Services für die digitalen Geisteswissenschaften präsentiert.

Eine Panel-Diskussion zu „Mehr Freiräume für die DH an wissenschaftlichen Bibliotheken“ (Moderation: Cosima Wagner, Freie Universität Berlin) stellte die Frage, wie Orte für die DH-Praxis an Bibliotheken nachhaltig aufgebaut und Herausforderungen bezüglich der Diversität der Anforderungen begegnet werden kann. Während Swantje Dogunke (Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek) die Brückenfunktion von Bibliotheken für die Unterstützung von DH-Prozessen betonte, aber auch für eine klarere Festlegung, was nicht geleistet werden könne, plädierte, forderten Dennis Mischke (Freie Universität Berlin) und Timo Steyer (UB Braunschweig) mehr Freiräume für das interdisziplinäre Experimentieren inklusive des „erfolgreichen Scheiterns“ an Bibliotheken ein.

Peer Trilcke blickte aus seiner Perspektive als Professor für deutsche Literatur des 19. Jahrhunderts und Leiter des Theodor-Fontane-Archivs an der Universität Potsdam kritisch auf die Fähigkeit von wissenschaftlichen Bibliotheken, mit der Geschwindigkeit der digitalen Transformation z. B. im Bereich der Computational Literary Studies als Service-Provider mithalten zu können. Er stellte jedoch zugleich in Frage, ob Bibliotheken überhaupt in allen Bereichen der DH-Expertenwissen vorhalten müssten und ob es nicht eher um einen gemeinsamen, engeren Prozess gehen müsse, in dem zunächst einmal erarbeitet werde, was Basisdienste von Bibliotheken für DH sind. Er erwarte von Bibliotheken vor allem ein Produkt, das für seine Forschung in den DH essentiell sei: qualitativ hochwertig aufbereitete, zur Verfügung stehende Daten. Und analog zu bibliothekarischen Verbundkatalogen: Wäre nicht auch der Aufbau eines Verbundkatalogs für Daten-Korpora eine wichtige Aufgabe, bei der Bibliotheken die Initiative übernehmen könnten?

In der Diskussion mit dem Publikum wurden die Erwartungen an, das Selbstverständnis von und die zahlreichen Herausforderungen beim Aufbau von DH-Services in Bibliotheken kontrovers diskutiert. Einig war man sich aber, dass es mehr Räume für den gemeinsamen Austausch und „Team-Work“ von Wissenschaft und Bibliotheken geben müsse, um zu einer klareren Rollenverteilung und bedarfsgerechten Angeboten in Bibliotheken zu kommen. Hier biete auch die Personalgewinnung von Digital Humanists als Quereinsteiger*innen in Bibliotheken eine wichtige Chance für die Liaison-Aufgaben zwischen Forschung und Bibliotheken. Für den Aufbau einer Community of Practice wurde am Ende noch auf die Initiative zu „DH in Bibliotheken“ verwiesen, die sich seit Beginn des Jahres 2023 regelmäßig trifft und eine Mailingliste[9] betreibt.

6.2 NFDI und Bibliotheken

Als neue „Räume“, in denen ebenfalls Strukturen der engeren Zusammenarbeit und des Austauschs von Wissenschaft und Bibliotheken aufgebaut werden, können auch die geisteswissenschaftlichen Konsortien der Nationalen Forschungsdateninfrastruktur (NFDI) angesehen werden, die auf der BiblioCON in einer eigenen Session zur „Rolle von Bibliotheken in der NFDI“ moderiert von Stefan Schmunk (Hochschule Darmstadt) präsent waren: Jürgen Kett (DNB) und Christoph Kudella (Universität Göttingen) legten am Beispiel der Beteiligung ihrer Bibliotheken an den Konsortien Text+ (sprach- und textbasierte Forschungsdaten) sowie Base4NFDI (Initiative aller Konsortien für NFDI-weite Basisdienste zu Querschnittsthemen) dar, welche Synergien sich z. B. im Bereich der Normdaten ergeben. Mittels named entity recognition würden in DH-Projekten Personennamen in Texten identifiziert, die als neue Vorschläge für die Gemeinsame Normdatei (GND) eingebracht werden könnten. Umgekehrt könne der GND-Explorer zum Erkennen und Verknüpfen mit bereits vorhandenen Normdaten genutzt werden. Im Bereich der NFDI-Basisdienste könnten Bibliotheken auch ihre Expertise unter anderem im Identity- und Accessmanagement einbringen.

Reinhard Altenhöner (Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz) und Maria Effinger (UB Heidelberg) berichteten über ihre Aktivitäten als Co-Sprecher*innen für Arbeitspakete im Konsortium NFDI4culture, das eine „bedarfsorientierte, forschungsgeleitete Infrastruktur für Forschungsdaten des materiellen und immateriellen Kulturerbes anhand der FAIR- und CARE-Prinzipien“ aufbaut. Aus ihrer Sicht sei die Beteiligung von Bibliotheken an der NFDI eine große Chance, ein kontinuierlicher, aktiver und unverzichtbarer Partner der „wissenschaftlichen Wertschöpfungskette“ zu sein. Als besonders fruchtbar zeige sich dabei die Zusammenarbeit von FIDs und NFDI-Konsortien, da erstere bereits etablierte Infrastrukturen sowie eine enge Anbindung an die Fach-Communities besäßen. Die NFDI benötige „Maschinen“, die Ergebnisse aus den Konsortien in die Communities hereintragen könnten. Auch dabei seien FIDs bewährte Partner.

Die Herausforderungen und neuen Services für das Forschungsdatenmanagement von Objekten als „materiellem Erbe von rund drei Millionen Jahren Menschheits- und Umweltgeschichte“ waren das Thema des Vortrags von Frank Dührkohp (Verbundzentrale des GBV – VZG, Digitale Bibliothek, Göttingen) und Henriette Senst (Deutsches Archäologisches Institut – DAI) zum Konsortium NFDI4objects. Forschungsdatenmanagement orientiert sich hier „am Forschungszyklus eines Objektes, der ‚Objektbiographie‘: Dokumentieren, Sammeln, Schützen, Analysieren, Speichern und Teilen“. Wie auch in anderen Konsortien üblich, gibt es bei 4objects verschiedene Task Areas, in denen Arbeitspakete definiert sind. Um Aufgaben, die in mehreren Task Areas identisch sind, zu bündeln, wurde das „Task-Related Activities for Implementation and Launch of services“-Konzept (TRAILs-Konzept) entwickelt, das im Vortrag am Beispiel der Entwicklung eines „Rich Metadata Discovery Service“ für numismatische Objekte erläutert wurde. Mit dem TRAILs-Format sei zudem transkonsortiale Kooperationen, z. B. mit NFDI4culture, Text+ und weiteren externen Partnern möglich.

Schließlich stellten Silvia Daniel und Arnost Stanzel (beide Bayerische Staatsbibliothek, BSB) die Zusammenarbeit der BSB mit dem 2022 genehmigten Konsortium NFDI4memory vor. Die BSB als „größte geschichtswissenschaftliche Bibliothek Deutschlands“ sei als mit-antragstellende Bibliothek (Status co-applicant) bei 4memory zusammen mit dem Historischen Datenzentrum Sachsen-Anhalt für die data-connectivity der geschichtswissenschaftlichen Forschungsdaten zuständig. Eine besondere Herausforderung liege im Bereich der mehrsprachigen- und -schriftlichen Forschungsdaten. Bei der Entwicklung eines Datenschemas für 4memory sei dies zu berücksichtigen, auch in Zusammenarbeit mit den FIDs.

In der Abschlussdiskussion der Session wurde die Frage aufgeworfen, wie eine nachhaltige Weiterentwicklung von bibliothekarischen Services im Bereich der Forschungsdaten gelingen könne, wenn eine dauerhafte Finanzierung (insbesondere Personalmittel) nicht gesichert sei. Einig war man sich jedoch, dass das „Experiment NFDI“ für die Forschungspolitik deutlicher mache, wo Strukturen langfristig finanziert werden müssen.

7 Fachreferat im Wandel

Wie verändern sich angesichts neuer Anforderungen wie z. B. im Bereich des Forschungsdatenmanagements die Aufgaben und Stellenprofile im Fachreferat an wissenschaftlichen Bibliotheken, war das Thema der Session zu „Fachreferat im Wandel“. Angela Hammer (Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt) berichtete über den Neuorganisationsprozess des Fachreferats an der ULB Darmstadt, im Rahmen dessen Tandems von Fachreferent*innen und Kolleg*innen im gehobenen Dienst gebildet sowie Aufgaben neu zugeordnet wurden. Die digitale Transformation der Wissenschaft erfordere nicht nur im Fachreferat eine Stärkung und Weiterentwicklung von digitalen Qualifikationen und Kompetenzen, sondern in allen Statusgruppen der Bibliothek. Daher wurde die Neu-Organisation der Fachreferatsarbeit auch als Chance aufgefasst, ein „geändertes Verständnis der eigenen Funktion“ sowie Eingruppierungsfragen für alle Bibliotheksbeschäftigen in einer Gesamtperspektive zu betrachten. Empfehlenswert sei hier ein sukzessives Vorgehen, da eine enge Kommunikation und Zusammenarbeit aller Beteiligten essentiell für das Gelingen sei. Kritische Fragen zu Befürchtungen eines Ungleichgewichts, da auf diese Weise Stellen mit „höherwertigen“ datenbezogenen Aufgaben entstünden versus Stellen, die nur noch niedrig zu bewertende Arbeiten erledigen, beantwortete sie mit einem Verweis auf das Konzept der Mischarbeitsplätze mit Querschnittsaufgaben, wodurch dies aufgefangen würde.

7.1 Ergebnisse des BMBF-Forschungsprojekts „DataStew“

Als neues bibliothekarisches Aufgabenprofil stellten Jens Dierkes (Universitäts- und Stadtbibliothek Köln) und Birte Lindstädt (ZB MED) den/die Data Steward und seine/ihre Rolle für eine „qualifizierte Forschungsunterstützung“ vor. Sie stützten sich auf Ergebnisse des vom BMBF geförderten Forschungsprojekts „DataStew“, in dem fünf prototypische Stellenprofile erarbeitet wurden (Generalisten, FDM-Beratung, disziplinär eingebundene Data Stewards, Koordinator*innen, informationsinfrastrukturnahe Data Stewards). Wichtigstes Ergebnis der Studie sei jedoch, dass es nicht „das eine“ ideale Profil eines/einer Data Steward*s gebe, sondern dieses immer abhängig von den Bedarfen der jeweiligen Einrichtung sei.

Im Abschlussbericht wurde ein „Entscheidungsbaum für die Umsetzung von Data Stewardship in dem jeweiligen Kontext“ erarbeitet, mittels dessen sich der jeweiligen Einrichtung angepasste Data-Steward-Stellenzuschnitte zusammenstellen lassen. In der Diskussion wurde die Frage nach geeigneten Personengruppen für diese Stellen sowie die Möglichkeit der Aus- bzw. Weiterbildung erörtert. In den NFDI-Konsortien habe man die Erfahrung gesammelt, dass Fachwissenschaftler*innen, die sich zum Thema FDM weiterbilden lassen, als ideal angesehen werden. Das Fachstudium sei die wichtigste Basis für gute Data Stewardship.

7.2 Trainingsprogramm BERD@NFDI – Universitätsbibliothek Mannheim

Die Konzeption eines Trainingsprogramms für Bibliotheksbeschäftigte, die sich für fachspezifische FDM-Services für die Wirtschaftswissenschaften weiterbilden wollen, war das Thema des Vortrags von Irene Schumm und Jorge Murcia Serra (beide Universitätsbibliothek Mannheim). Das BERD@NFDI genannte Konzept baut auf dem Train-the-Trainer Kurs von FDMentor auf und ergänzt diesen um fachspezifisch relevante Aspekte wie rechtliche und ethische Herausforderungen sowie Informationen zu Anbietern von wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsdaten. Einbezogen wurden auch Desiderata von Fachreferent*innen, die mittels Interviews abgefragt wurden.

Erste Ergebnisse des Programms zeigten, dass forschungsnahe Services auch sehr gut in einer Tandem-Zusammenarbeit von Bibliothekar*innen, die „generisch“ zum FDM beraten, und fachspezifischen Bibliothekar*innen (z. B. Fachreferent*innen) gelingen können.

7.3 Liaison Librarians – Universität Zürich

Schließlich wurde in der Session noch die Zusammenarbeit von Liaison Librarians und Forschenden der Hydrologie an der Universität Zürich in den Blick genommen. Anne Véron (Universität Zürich) erläuterte den Ausgangspunkt der Zusammenarbeit, als europäische Forschende der Hydrologie feststellten, dass Namen von in ihrer Community als besonders einflussreich geltenden Wissenschaftler*innen nicht in der Liste der Highly Cited Researchers (HCR) auftauchten, die jährlich durch das Clarivate Institute for Scientific Information publiziert wird. Dank des Hintergrundwissens der Liaison Librarians zur bibliometrischen Methode hinter der HCR-Liste bzw. ihrer Vernetzung mit weiteren Expert*innen zu dem Themengebiet in der UB, konnten Fehlerquellen identifiziert und an die Forschenden zurückgespielt werden.

Auch wenn der Zeitaufwand für die Recherche und eigenen Berechnungen hoch gewesen sei, plädierte sie dafür, derartige Anfragen prioritär zu bearbeiten, da man sich so als wichtige Informationsdienstleister*innen für die Forschung unentbehrlich mache. In diesem Sinne bedeute die neue Bezeichnung aller Fachreferent*innen der UB an der Universität Zürich als Liaison Librarians auch eine Chance, nicht nur mit Forschenden eine „Liaison“ einzugehen, sondern auch in der UB mit weiteren Expert*innen zusammenzuarbeiten.

8 Fazit

Neben den Vortragssessions, Workshops und Arbeitssitzungen bot auch das Format der „#Freiräume“ einen offenen Ort für bibliothekarische Vernetzung und Information zu Themen wie „Künstliche Intelligenz und der Umgang mit Quellen“, „Dekolonialisierung von Bibliotheken“, „Bibliothek der Dinge“, „Scheitern als Lehrgelegenheit“, „Game Labs an Hochschulen“, „Animal Assisted Library Activities“ oder auch der Vorstellung der Kommissionen des dbv.

In der Abschlussveranstaltung der BiblioCON stand im ersten Teil das „heiße“ Thema ChatGPT im Mittelpunkt einer Paneldiskussion moderiert von Ute Engelkenmeier (Berufsverband Information Bibliothek e. V.). Auf dem Podium waren sich Karolin Bubke (Hochschule Hannover), Ursula Georgy (Cologne University of Applied Sciences – TH Köln) und Timo Steyer (UB Braunschweig) einig, dass Large Language Models ein wichtiges Thema für Bibliotheken sind, zu dem bereits jetzt eine hohe Nachfrage nach Leitlinien und Schulungen für die Anwendung bestehe. Unterschiedlich wurden jedoch die Potentiale und Fähigkeiten von KI-Generatoren wie ChatGPT gesehen, die zwischen „technologisch-optimistischer“ und kritischer Bewertung der „Ground Truth“-Daten-Korpora, auf denen ChatGPT beruht, sowie des Wirtschaftsmodells des Unternehmens OpenAI dahinter schwankten.

Im zweiten Teil der Veranstaltung wurde der mit 7 500 Euro dotierte Publizistenpreis der deutschen Bibliotheken (Helmut-Sontag-Preis) an die Journalist*innen Brit Bentzen, Anna Berkhout, Anna-Lena Borchert, Nina Cöster und Immo Maus verliehen. Sie wurden für ihre fünfteilige Serie über Bibliotheken in Bremen und Bremerhaven in der Sendung buten un binnen von Radio Bremen ausgezeichnet, die ein differenziertes, aktuelles Bild der Arbeit von und in Bibliotheken jenseits des „Verstaubten Buch“-Klischees bot und ihre wichtige soziale und kulturelle Rolle für die Gesellschaft auch vor dem Hintergrund von drohenden Budgetkürzungen im Bereich der öffentlichen Bibliotheken darstellte.

Nach der BiblioCON ist vor der BiblioCON – die 112. BiblioCON wird vom 4. bis 7. Juni 2024 in Hamburg stattfinden.

Über die Autoren

Stefan Cordes

Stefan Cordes

Linda Martin

Linda Martin

Sina Menzel

Sina Menzel

Cosima Wagner

Cosima Wagner

Janet Wagner

Janet Wagner

Online erschienen: 2023-11-08
Erschienen im Druck: 2023-11-27

© 2023 bei den Autoren, publiziert von De Gruyter.

Dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

Downloaded on 27.4.2024 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/abitech-2023-0052/html
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