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  • Die Geburt des Autors aus dem Geist der Herausgeberfiktion. Editoriale Rahmung im Roman um 1800: Wieland, Goethe, Brentano, Jean Paul und E.T.A. Hoffmann
  • Rainer Godel
Die Geburt des Autors aus dem Geist der Herausgeberfiktion. Editoriale Rahmung im Roman um 1800: Wieland, Goethe, Brentano, Jean Paul und E.T.A. Hoffmann. Von Uwe Wirth. München: Fink, 2008. 473 Seiten. €59,00.

Uwe Wirths Habilitationsschrift (Frankfurt am Main, 2004) ist ein mutiges, ein kluges, ein ausgewogenes Buch. Und vermutlich wird es ein umstrittenes Buch werden: Denn eine interpretationsorientierte Literaturwissenschaft erhebt gegen Arbeiten mit literaturtheoretischem (erst recht poststrukturalistischem) Anspruch nicht selten den Einwand, der Aufwand theoretischer Bemühung spiegele sich nicht in der Innovation der Interpretationen. Wirth tut in seinem Buch alles Notwendige, um solche Vorwürfe überflüssig zu machen, indem er den systematischen Teil und die historischen Thesen eng verschränkt und so den gegenseitigen Nutzen von Literaturtheorie und Literatur-analyse sichtbar macht, ohne die Theorie zur Methode zu degradieren.

Es gibt, so Wirths Ausgangsthese, keine Autorschaft ohne Herausgeberschaft. Ziel des systematischen Teils ist es, die "Grundzüge" dieses "editorialen Dispositivs" (15) herauszuarbeiten. Wirth strebt eine literaturtheoretische Grundlegung von Modellen von Autor- und Herausgeberschaft an. Er sucht Funktionen von (Herausgeber-) Rahmungen in semiotischer, sprechakttheoretischer und narratologischer Perspektive zu bestimmen. Den 'Instrumenten' Wirths gemeinsam ist der Versuch zu beschreiben, [End Page 611] welche Funktionen Paratexte für die Trias Produktion—Text—Rezeption übernehmen. Klug entgeht Wirth durch Beschränkung und klare Argumentation der Gefahr, einzelne Konzepte (wie z. B. das durchlässige 'Dispositiv') zum Passepartout für Spekulation zu machen.

Wirth fügt zunächst der Sprechakttheorie mit der Diskussion von Barthes' und Foucaults Positionen zum "Tod" bzw. "Verschwinden" des Autors (19ff.) die Momente des Indeterminierten und Kontextuellen hinzu. Um das Verhältnis von Autor und Herausgeber zu untersuchen, muss die "Funktion Autor" (32 et passim) bestimmt werden. Die Frage schließt sich an, wie aus Texten ohne Autorfunktion (Privatbriefe u.a.) Texte mit Autorfunktion (literarische Werke) werden konnten. Wirths Antwort: Die Rahmungsfunktion wird durch Paratexte vollzogen, in denen das "editoriale Dispositiv," die "Funktion Herausgeber" (47 et passim), durch performative Rahmungsakte literarische Texte konstituiert. Wirth selbst hat vor einigen Jahren mit der Edition eines vielbeachteten Sammelbandes zur Performanz (Frankfurt am Main, 2002) die Grundlage für diesen Teil seiner Theorie gelegt.

Um diese performativen Akte zu beschreiben, wird als Ausgangspunkt der von Derrida entlehnte Gedanke gewählt, dass "jedes Zeichen mit jedem gegebenen Kontext brechen und [ . . . ] unendlich viele neue Kontexte zeugen" kann. Es kann "aufgepfropft" werden (51). Der Gefahr, dass mit einem solch allgemein semiotischen Zugriff Differenzen verloren gehen, begegnet Wirth einerseits, indem er mit Erving Goffman den Begriff der "Modulation" einführt, um den Wechsel zu einem fiktionalen Kontext zu beschreiben (53f.), andererseits, indem er in Derridas Zeichenbegriff das Index-Zeichen einschließt: Indices erzeugen Aufmerksamkeit, indem sie auf einen kausalen Zusammenhang oder als "degenerierte Zeichen" (59) auf die Referenz selbst verweisen. Jede paratextuelle Rahmung ist also nicht nur Aussage über etwas, sondern auch Hinweis auf den performativen Akt der Rahmensetzung. Rahmungsspuren in Vorworten, Fußnoten, Typographien sind durch doppelte Indexikalität gekennzeichnet: Sie können als Symptome der unentwegten Bewegung des aufpfropfenden Rahmenwechsels (Derridas "Parergonalität") wie als Anzeichen des Rahmenwechsels selbst gedeutet werden. Jedes In-Bezug-Setzen von Texten, jede "interpretative Aufpfropfung" (70), verschiebt die Aufmerksamkeit des Lesers auf Abweichungen. Durch einen solchen editorialen Rahmungsprozess wird—so Wirths These—Autorschaft konstituiert.

Mit Hilfe der Theorie der Aufpfropfung und Indexikalisierung macht Wirth paratextuelle Merkmale des Textes in Hinblick auf ihre Funktion für den Leser wie für den Textproduzenten beschreibbar. Die Autoreflexivität der Paratexte betrifft sowohl die Ebene der Leser-Reaktion (auf Fiktionssignale) als auch die Ebene des Zeigens an sich bzw. Auf-sich-selbst-Zeigens, was Wirth eingängig an den Vorworten zu Rousseaus Nouvelle Heloïse zeigt: "Nicht was das Vorwort sagt, sondern was sich an der negativen Geste, die es vollzieht, indexikalisch zeigt, ist 'signifikant'" (139).

Wirth fügt diesem Modell im Anschluss an (und in sorgfältiger Korrektur von) Genettes Unterscheidung von Erzählfunktionen eine narratologische Grundlegung hinzu. So wird es möglich, die "Aussageinstanzen" (187) zu differenzieren, die Paratext und Haupttext jeweils bestimmen. Insbesondere durch editoriale Unzuverlässigkeit...

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