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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 26.1915

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Poeschel, Erwin: Unser Kunstgewerbe und England
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https://doi.org/10.11588/diglit.7711#0111

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INNEN-DEKORATION

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UNSER KUNSTGEWERBE UND ENGLAND

Wir haben alle nur einen Haß — England", sagt
Lissauer, und sein Lied ist ein Ausbruch, eine
Eruption von Haß, seine jagenden Verse sind eine wilde
Reiterattacke, bei der jeder Säbelhieb pfeift: „Haß -
Haß — Haß". Und das ganze Volk fühlt dieses Lied aus
eigenem Herzen quellen, denn es haßt mit der tiefsten
Kraft seiner Seele. — So haßt nur, wer einmal geliebt hat.

Vor dem Krieg war in Deutschland gegen England
kein Haß, sondern eine ehrliche warme Zuneigung. Nicht
an diplomatische Annäherungsversuche soll dabei gedacht
sein, sondern nur an die Stimmung des Volkes und be-
sonders der intellektuellen Kreise. Wer den Gründen
dieser Zuneigung nachgeht, muß auch zu den Gründen
des Hasses kommen. Manche Wege führen zu ihrer Er-
kenntnis; vielleicht ist es nur ein Nebenpfad, der vom
Kunstgewerbe herkommt, aber einer mit manchen Aus-
blicken. — Es war einmal, daß wir alle das alleinige Heil
für das Kunstgewerbe darin suchten, bei der Schaffung
aller Gebrauchsgegenstände die reine Zweckform zu bil-
den. Man gab gewissermaßen in Kontur gezeichnete

Aktstudien der Gegenstände, und ein möglichst schlagen-
der Ausdruck ihrer Funktion war das Ziel. Aller Schmuck-
formen wurden sie entkleidet und ein rein konstruiertes
Automobilchassis sollte schon ein Kunstwerk sein können.
Nur so glaubten wir die neuen Daseinsformen künst-
lerisch fassen zu können. Aller Zierat galt uns als Schutt,
als Barbarismen einer ratlosen Zeit. Aber wir vergaßen
vielleicht, daß auch sie noch Züge deutschen Geistes
trugen, daß sie — wenn auch schädliche — Schößlinge
des Dranges nach Zier und Schmuck des Daseins, des
Verlangens nach Fülle waren. Wir können auch in den
unglücklichen Verirrungen des „Jugendstiles" völlig ent-
artete Sprößlinge gotischer Linienverzückungen sehen.

Es mußte sein, daß damals die deutsche Kunst allem
Schmuck absagte, gerade deshalb, weil im deutschen
Künstler immer dieser Drang nach Fülle lebendig blieb
und er deswegen die verschütteten Grundformen nur
finden konnte, wenn er völlig diese Wünsche verleugnete.
Der deutsche Geist mußte, um von einer Verirrung ab-
zukommen, dem abschwören, was zu seinem innersten

1916. II. 4.
 
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