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Die Kunst-Halle — 10.1905

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Nummer 22 (15. August 1905)
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Brosch, L.: Venedig: VI. Internationale Kunstausstellung, [2]
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Rapsilber, Maximilian: Grosse Berliner Kunstausstellung 1905, Die Plastik
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https://doi.org/10.11588/diglit.66262#0393

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Nr. 22


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loſe verfällt. Auch in Toscana ſieht es nicht beſſer
aus: Gelli beſchickt die Ausſtellung mit einem gut ge-
zeichneten Porträt, veraltet in der Mache. Chini kopiert
ein Pferd Stuck's und malt ſchwefelfarbige Wolken
dazu. Bei Nomellini, beſonders einem Bilde, iſt Alles
wie in bengaliſches Feuer getaucht: Roſa und Narmin
ſollen beſtrickend wirken und einen gewiſſen Duft
erzeugen. Sum Erſchrecken iſt der Lombardiſche
Saal, der Goldfries mit der olivengrünen Wand
läßt keine delikate Wirkung aufkommen. Sola's Land-
ſchaft, beſonders im Farbenfleck, wirkt friſch, zum Cheil
im Bordergrunde ſchwarz. Menteſſi iſt heuer noch
ſüßlicher als ſonſt. In Piemont ſucht man vergebens
ein annehmbares Stück. Den größten Manierismus
verräth Groſſo's Prinzeſſin Lätitia. Der Beſte hier iſt
noch der Pointelliſt Olivero, in deſſen Candſchaft Atmo-
ſphäre vibirt — ein ſonniges Bild. Wie aus einem
Konditorladen herauskommend, ſehen dagegen die
Sachen Tavernier's aus.

Und da wir ſchon bei der Landſchaftsmalerei ſind,
wäre noch Guglielmo Ciardi's „Ore serene“
nicht zu vergeſſen. Goldenen Klang hat dieſes Bild,
das im klaſſiſchen Geiſte gemalt iſt; etwas mehr Ab-
ſtufung des bergigen Hintergrundes hätte freilich nicht
geſchadet. Aber der Ausſchnitt des Ganzen iſt ſehr
diſtinguirt, die Intonation im Vorder- und Mittelgrunde
eminent. Fyriſch fein geſtimmt iſt auch die Landſchaft
Fragiacomo's. Solid ſind ferner einige Veduten des
Sanetti⸗Silla, der diesmal wieder zur Oelmalerei ge-
griffen hat — er, der geiſtreichſte, im Ton feinſte und
flotteſte Aquarelliſt von Venezianer Perſpektiven. Trans-
parent und fein iſt auch Bezzi. Keiner hat aber hier
den Muth, es mit der Sonne aufzunehmen; gerade in
einem Lande, wo ſie eine große Bolle ſpielt, möchte
eman glauben, daß Jeder in den Kampf mit derſelben
eintreten ſollte. Zuletzt ſei noch A. Rietti genannt, der
ſeine Porträts charakteriſtiſch auffaßt, obwohl ſie eine
etwas düſtere Wirkung zeigen. Alles Andere iſt am
beſten mit Schweigen zu übergehen.

* *

*

Wir haben bereits im vorigen Aufſatze von den
Radirungen der Meiſter Brangwyn und Sorn ge-
ſprochen. Einiges iſt hierbei noch nachzuholen. Keiner
hat die Schwarz-Weiß-Kunſt ſo an den Fingern weg
als der Armenier Sdgar Chahine, auf den wir
ſchon wiederholt hingewieſen haben. Die ſubtilſten
Geheimniſſe kennt und verwendet er. Hierzu geſellt
ſich eine raſche Charakterauffaſſung für jegliche
Menſchenkaſte. Er zaubert auf die Platte die hohe
Dame, die Griſette, den Arbeiter, Bettler, Akrobaten
mit gleicher Verve und voll Inhalt. Der Bewegung
jeder Geſtalt wird er gerecht, verführeriſch glitzern uns
ſeine Mädchen entgegen, aus allem ſprechen ihre In-
ſtinkte, ihre Launen: bei „Georgina“ zeichnet er nur
mit dünnen, wenigen Umriſſen die Geſtalt hin und
konzentrirt auf den Kopf das Hauptintereſſe. Armuth
ſchildert er ergreifend, mit Nerz und Verſtand iſt er
immer bei ſeiner Sache. Es prickelt, mouſſirt in ihm
förmlich. Dabei kommt immer Farbigkeit zur Geltung.
In den Augen liegt die Tiefe der Seele, und die
ſchreibt uns Chahine hin mit einem Glanz, einer
Durchdringung ohnegleichen. — Swölf Kaltnadel-
Arbeiten ſtellt ferner Jan Toorop aus. Bei allen iſt
das Schnittgrat weggeſchabt, und mit großer Delikateſſe
ſind die Blätter gezeichnet. Ich möchte von ihm drei
Trockenſtift-Seichnungen hervorheben: eine, die den
Titel führt „Die Kinder am Meer“, die andere „Netze
flickend“. Eine tiefe Weltanſchauung ſpricht aus Iſrasl's
„Talmudiſten“. Sehr einfach wirkt Storm van 'sGrave-

ſande; beſonders in den Waſſerpartien erzielt er Weiche
und Bewegung. Von Dingeman's ſchönen Radirungen
ſei beſonders „Der Schleifſtein“ hervorgehoben, ein ex-
quiſites Stück, herrlich im Ton, mit tiefem, warmem
Schwarz und hellem Weiß, die im Gegenſatz zu ein-
ander bei der Griffelkunſt ſo wirkſam ſind. Manches
ſchöne Profil findet ſich auch von Silcken, ſehr zart und
korrekt im Strich. Dupont's intereſſante altmeiſterliche
Striche haben, zumal in den Bewegungen der Pferde,
manches Gute. Mit Energie ſchreibt Boſch Veduten
hin, und beim Anblick von Dirkſen van Angeren's
winterlicher Landſchaft fröſtelt es einem wirklich durch
Mark und Bein; derſelbe hat auch ein temperament-
volles, tief geätztes Stück „Die kranke Frau“ mit leiden-
ſchaftlichem Striche aufgefaßt. Von Thaulow ſind vor-
zügliche, ſuggeſtiv farbige Radirungen vorhanden.

* *
N.

Von deutſchen Skulpturen haben wir bereits das
Wichtigſte hervorgehoben; noch ein paar Worte über
die anderen. Unter den Italienern iſt ein vielver-
ſprechendes Talent in Antonio Camaur aufgetaucht,
der in ſeinem „Sogno“ ein liegendes Liebespaar, in
ſüßes Traumgeſpinnſt verſunken, darſtellt. Faszinirender
Lebenshauch ſprüht aus dieſen Geſtalten. Die heikle
Poſition derſelben iſt prächtig gelöſt, man glaubt das
Aufathmen der Glücklichen rhythmiſch zu vernehmen.
Man kann geſpannt ſein, was dieſer bis jetzt un-
bekannte Bildhauer uns in Sukunft ſagen wird. Diel-
leicht führt er uns immer tiefer in die Wonnen und
Myſterien von Eros ein. — Edle, wuchtige Kraft ver-
rathen die bekannten, von der Arbeit zurückkehrenden
Grubenarbeiter und der „Steinklopfer“ von Meunier.
Voll Ausdruck und Sartheit iſt die Statuette Dalou's,
ein köſtlich modellirter Frauenakt wird von einem Satyr
umarmt. So auch eine impreſſioniſtiſche Bruſtbüſte von
E. Millès, in der alle Flächen breit und ſicher ver-
arbeitet ſind. Eine Würdigung endlich von Leonardo
Biſtolfi, der hier eine Sonderausſtellung ſeiner Werke
zeigt, wäre nur in einer eigenen Abhandlung möglich.

Crosse Zerliner Kunstausstellung 1905.

Die Plaſtik.

a die Berliner Bildhauer im Winter nur ſelten

Gelegenheit haben, ihre Werke an die Geffent-

lichkeit zu ſtellen, wird man im Sommer, ſchon
um der lieben Gerechtigkeit willen, die Ergebniſſe de-
plaſtiſchen Schaffens ſich um ſo angelegentlicher zu Ge-
müthe führen. Daher kommt es wohl, daß die Bild-
hauer im Sommer immer mächtig auftrumpfen und
womöglich alle Medaillen für ſich in Anſpruch nehmen
möchten, daß die Ausſtellungsleitung die Plaſtik ſo zart
und liebevoll wie ein Sorgenkind behandelt. So fehlt
es auch dieſes Mal ſelbſt nicht an Neuerungen zu
ihren Ehren. Um ihnen die Intimität des Bürger-
hauſes an die Hand zu geben, hat man draußen eine
quergeſtellte Reihe von Kojen geſchaffen, eine Anord-
nung, die öfters getroffen zu werden verdiente. Im ſog.
blauen Saal aber haben die Bildhauer ihr Ehren-
konventikel, inſofern hier die plaſtiſche Elite und die in
edlem Material ausgeführten Werke, ſoweit der Vor-
rath reichte, zuhauf geſtellt ſind. Durch die Kartons
 
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