Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 22.1911

DOI Artikel:
Wenzel, Otto: Hat Tizians sogenannte "Himmlische und irdische Liebe" immer so ausgesehen wie heute?
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.5953#0158

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Hat Tizians sogenannte »Himmlische und irdische Liebe« immer so ausgesehen wie heute? 292

HAT TIZIANS SOGENANNTE »HIMMLISCHE UND
IRDISCHE LIEBE« IMMER SO AUSGESEHEN WIE
HEUTE?

Seit einiger Zeit macht sich an deutschen Uni-
versitäten die Tendenz bemerkbar, daß der angehende
Kunsthistoriker auch in die Technik der Künste sich
einen Einblick verschaffe, und manche Hochschullehrer
greifen schon selbst zu Pinsel und Modellierholz als
neuem Mittel zu anschaulicherer Gestaltung ihres Unter-
richts. Andererseits nehmen auch Künstler wieder,
wie in den Zeiten der Renaissance, die Feder zur
Hand, um ihre Erfahrungen der Kunstwissenschaft
einzureihen. Es ist darum erfreulich, zu sehen, wie
Künstler und Wissenschaftler, die früher und auch
häufig heute noch in einer gewissen Feindschaft zu-
einander stehen, von verschiedenen Seiten zusammen
kommen, um manches Rätsel zu lösen, vor dem Stil-
kritik und Urkundenforschung stumm bleiben.

Es soll heute Gelegenheit genommen werden, das
viel besprochene Bild des venetianischen Meisters,
dessen Deutung und Benennung schon häufig und
nicht immer mit besonderem Glücke versucht worden
ist, in seiner äußeren Erscheinung einer technischen
Betrachtung zu unterziehen, die geeignet ist, seinen
Kunstwert zu erhöhen und das Meisterwerk einer ver-
gangenen Epoche unserm modernen Empfinden näher
zu bringen. Den Anstoß dazu hat zweierlei gegeben:
erstens die bei Restaurierungsarbeiten gemachte Be-
obachtung, daß früher alte ererbte Meisterstücke rück-
sichtslos verändert worden sind (man denke an Tizians
Bildnis, angeblich Tommaso Mosti, in der Pitti-Galerie,
bei dem sich zeigte, daß man über das von Tizian
selbst gemalte Gewand ein anderes darüber gepinselt
hatte); und zweitens die Farben Wirkung einer un-
lasierten Kopie des Bildes, welche die bei anderen
Restaurierungsarbeiten aufgedrängte Vermutung von
späteren Veränderungen zur Gewißheit werden ließ.

Wie sah nun das Bild eigentlich aus? Hat es diese
unwahrscheinliche, der Natur so wenig entsprechende
Tönung immer gehabt?

Diese Frage legte sich der Restaurator der Uffizien,
Otto Vermehren, vor, als er sich anschickte, das Bild
zu kopieren. Während diese Frage bei den Figuren
sich ziemlich einfach beantworten ließ, ergab sich die
Hauptschwierigkeit bei der Vegetation, deren dunkel-
braune Farbe so herauskommen sollte, wie sie heute
erscheint. Aus seinen Erfahrungen wußte Vermehren,
daß unter der aufgetragenen dunkelbraunen Schicht,
gewöhnlich eine frische, sorgfältig detaillierte
grüne Malerei sitzt. Bei diesem Bilde nun ist die
dunkelbraune Schicht noch stärker als gewöhnlich.
Um nun dieses eigentümliche Tiefbraun mit dem
darunter liegenden Grün gut zu erhalten, konnte nicht
eine Mischung vorgenommen werden, denn Mischun-
gen geben nicht dieses Braun, sondern es mußte erst
eine pastose, detaillierte grüne Untermalung ausgeführt
werden, auf die dann nach dem Trocknen die braune
Lasur mehr oder weniger gleichmäßig aufzulegen
wäre, entsprechend den Schichten des Originales.
Als Beispiel für das Überdecken der grünen Farbe
mit einer braunen Lasur seien hier erwähnt: der grüne

Mantel des Heiligen auf dem linken Flügel des Por-
tinari-Altars von Hugo van der Goes zeigt intensives,
schönes Grün mit Resten einer abgenommenen braunen
Patina; die Moses-Landschaften Giorgiones in den
Uffizien haben schöne grüne Vegetation; auf dem
Porträt des Prälaten Beccadelli kamen unter einer un-
durchsichtigen dicken braunen Schicht grüne detailliert
gemalte Franzen am Sessel zum Vorschein; das Por-
trät der Herzogin von Urbino von Tizian zeigt eine
Tischdecke in kräftigem Grün, an der ebenfalls Reste
früheren braunen Aufstriches sichtbar sind. Ähnliche
Beispiele könnten unzählige noch vorgebracht wer-
den, aus denen man sieht, daß man um die Wende
des 15. zum 16. Jahrhundert keine Furcht vor der
Anwendung sehr intensiven Grüns hatte. Von sol-
chem Grün ist nun auf der sogenannten Himmlischen
und irdischen Liebe wenig genug zu sehen. Nur
bei sehr scharfer Betrachtung kann man an kleinen
Stellen noch erkennen, daß das Grün versteckt vor-
handen ist. Bei der Kopierarbeit nun zeigte sich bei
Anlegen der zunächst nur als Untermalung gedachten
grünen Farbe wider Erwarten, daß dieses Grün, wel-
ches recht intensiv aufgetragen werden mußte, da es
doch später mit der tiefbraunen Lasur abgedämpft
werden und doch immer noch farbig wirken sollte,
und welches dem Frühlingsgrün der draußen befind-
lichen Parklandschaft der Villa Borghese entsprach,
mit den anderen Farben des Bildes merkwürdig gut
harmonierte. Namentlich das weiße Gewand der be-
kleideten Frau, das im Original nicht zu rechter Wir-
kung kommt, erhielt plötzlich eine Bedeutung als
Farbe. In diesem unlasierten Zustand baute sich das
Bild nicht auf den Farben Blau, Rot, Weiß und
Braun auf, sondern auf Blau, Weiß, Rot und Grün.
Und zwar Grün in großen Mengen, etwas, was selten
gesehen wird. Eine ähnliche Farbenstimmung hat
Böcklins Vita somnium breve.

Otto Vermehren hat sich lange Zeit mit der Frage
beschäftigt, warum denn das Grün z. B. in den alten
Bildern, das oft bei der Reinigung in ungewöhnlicher
Frische zutage tritt, so starke, harte asphaltbraune
Schichten auf sich hat, die alle darunter liegenden
Details aufheben. Die Annahme, es handle sich da-
bei nur um braun gewordenen Firnis, ist ungenügend.
Warum sollten wohl alle übrigen Stellen des Bildes
gereinigt worden sein, nur die grünen nicht? Erst
glaubte Vermehren, es könne sich auch um eine grüne
Lasurfarbe handeln, die später braun geworden sei,
und zwar dachte er an Grünspan (essigsaures Kupfer-
oxyd), das eine wunderbar kalte, blaugrüne Lasur
gibt, obwohl diese charakteristische Farbe auf keinen
alten Bildern in ihrer starken Intensität mehr anzu-
treffen ist. Allerdings wird in alten Malerbüchern
vor ihrer Anwendung gewarnt; Leonardo sagt z. B.,
das aus Kupfer bereitete Grün gehe, auch wenn es
mit Öl verrieben sei, mit seiner Schönheit in Dunst
auf, löse sich von der Tafel, auf die es gemalt ist,
wenn man mit einem Schwamm darüber fahre, son-
derlich bei feuchtem Wetter1). Da nicht völWg be-

1) Leonardo, Das Buch von der Malerei. Herausgegeben
von Heinrich Ludwig (Quellenschriften XV), pag. 244: »El
 
Annotationen