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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 15.1915/​1916

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Zum neuen Jahr
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v. Bülow, J.: Heimfahrt zu Weihnachten
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XV, heft

Die Werkstatt der Kunst.

185

seiner Eindrücke, von der Stärke seiner künstlerischen
Persönlichkeit, Wir werden uns bis dahin bescheiden
müssen, um das Urteil über unsere Kriegskunst zu
fällen und der einzige Wunsch, den wir zur Jahres-
wende hegen können, ist, daß uns das Jahr l916 der
Erfüllung näher bringt.
Ihr anderen aber, die Ihr daheim bleibt, ebnet
das Land, daß die neue Saat aufgehen kann. Ver-
nichtet das Unkraut auf der Brache, laßt dem Ucker
lieber seine Ruhe, statt gewaltsam Früchte daraus zu

ziehen, die hohl sein könnten wie die Riesenrunkel-
rüben auf den Berliner Rieselfeldern!
Laßt das Jahr 1916 für die Kunst e4n Ruhejahr
werden, um den Kampf für die Folge um so lustiger
zu führen, um so siegreicher zu bestehen.
Venn der Feind wird nicht von außen kommen,
sondern bei uns, neben uns erstehen. Deshalb können
wir heut schon beginnen, ihm das Wasser abzugraben
und seine Wurzeln zu beschneiden.
Um so reicher wird die Ernte einmal sein.

IZeiinkakil zu Meiknackten.

Weihnachtsurlaub! Eine Glorie von Glück und
Hoffnung bildet sich um dieses Wort, man möchte
es mit feinen zierlichen Empirebuchstaben schreiben
und eine Arabeske von Friedensengeln und sich schnä-
belnden Täubchen Herumzeichnen. Ruch um das
Ding an sich. Obgleich es sich ein bißchen anders
entwickelt und in seinem Beginn verteufelt wenig
Poesie hat.
Wir haben ihn also eingereicht, nach dem alten
Wort, daß wer viel Urlaub bittet, auch viel bekommt.
Uber dann ist alles stumm. Wir glauben nicht mehr
dran. Bis endlich am 21. auf einmal der Schwadrons-
schreiber sagt: Übrigens ist Ihr Urlaub genehmigt.
Um 21! und ich sitze tief drin in Rußland am Rande
eines bildschönen Schützengraben und hing bereits
meine Leier zum heulen an eine Weide und nahm
einen besonders guten Karabiner für die von den
Russen zu erwartende Weihnachtsfreude in die Hand.
Drei Tage nur noch bis Weihnachten und ein
Brief geht fünf! Ein Brief wiegt 50 Gramm und
ich 160000! Uber der Schreiber tröstet. Menschen
kommen schon in 30 Stunden nach Berlin, wenn sie
nur den rechten Anschluß finden.
Also packte ich schleunigst meine Siebensachen,
nicht mehr und nicht weniger, holte Paß und Fahr-
scheine und sprang kopfüber in die Entlausungsanstalt.
Oie gehört ja nun auch zur Poesie des Weihnachts-
festes. Sonst war sie das jüdische Bad des Ortes, jetzt
durch Bretterwände in Offiziers- und Mannschafts-
bad geteilt. Ein schmutziger feuchter verräucherter
Holzkäfig. Als ich hinein ging, war ich läusefrei, als
ich sie verließ, juckte es mich am ganzen Körper, aber
es war wohl nur Einbildung, denn ich bekam einen
unterstempelten Schein, daß ich läuse- und seuchenfrei
sei und wo ein Stempel drauf ist, da steht auch die
Wahrheit bezeugt.
von dort ging ich zurBahn. Das Telefon, das hier
draußen nicht klingelt, sondern tutet wie ein Wald-
horn, hatte einen Zug zu 4 Uhr nachmittags ver-
heißen, der, wenn erging und schnell ging, den Abend
noch Anschluß an die große Linie zur Heimat bringen
müßte.
Das Telefon log nicht, aber der Zug hatte sich's
anders überlegt. Alle Tage war er gegangen, heute
blieb er nicht erst im Schnee stecken, sondern der Ein-
fachheit halber ganz aus. Der nächste ging „etwa"

4 Stunden später, genau wußte es keiner, abgesehen
davon, daß hier draußen alles von plötzlichen Um-
befehlen abhängig ist. Es konnte aber auch zwischen-
durch mal ein zufälliger Zug eintreffen, also da wir
einmal am Bahnhof waren, blieben wir. Oer Warte-
raum füllte sich schnell mit allerhand malerischen Ge-
stalten, ein feldgraues Gewusel jeglicher Waffen-
gattungen wogte im Dunkel des Raumes, durch den
nur ab und an ein Lichtstrahl aus dem Ofen schoß,
wenn wieder einer versuchte, dort nachzulegen, um
gegen die 10 Grad Kälte draußen anzuheizen.
Aber da solch russischer Ofen zwei Tage braucht,
ehe er wärmt —dann allerdings tut er es gründlich —,
so ersetzte man die Außenwärme durch Hoffnung und
Trampeln.
Wie, wer, was da im Saale stand, saß und lag,
war nicht zu erkennen, nur die Schatten der Pickel-
hauben rissen sich riesenhaft an den weißen Wänden
ab, wenn einer seine Glühbirne anknippste oder ein
Streichholz hervornahm.
Oie Ungeduldigsten standen am Fenster und bliesen
Löcher in die Eisschicht. Dadurch kam auch ich in die
Lage, als erster den ankommenden Zug zu melden,
der durch den Mondschein gegen die Schneelandschaft
unheimlich groß herangebraust kam, obgleich er tat-
sächlich nur eine Kleinbahn, allerdings eine königlich
sächsische Erzgebirgsbahn mit einem Kommando nach
Rußland darstellte.
Er hielt und war im Sturm genommen. Schneller
konnten wir nicht oben sein, wenn wir Russen gewesen
wären, hinter denen die Deutschen her sind.
Nun saßen wir auf Koffern im Viehwagen. Früher
galt es als gröbstes Schimpfwort, daß man im Vieh-
wagen würde fahren müssen. Du lieber Gott! In
diesem Kriege sind wir schon so viel Viehwagen ge-
fahren, daß wir besser wissen wie so einer federt, als
ein Schlafwagen erster Klasse. Wir machten uns auch
gar nichts aus dem Viehwagen oder vielmehr, wir
waren außerordentlich zufrieden mit ihm, denn ebenso-
gut hätten wir auf einer offenen Lore durch die Schnee-
nacht fahren können.
Er war ja auch nicht gerade geheizt, aber das ist
kein unbedingtes Erfordernis, einmal hatten wir
bereits seit 4 Stunden gefroren und dann wußten wir
auch, wozu wir's taten. Diesmal nicht nur fürs Vater-
land, sondern für unsere eigenen Heimwünsche. Aber
 
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