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18. Keft.

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Die Kröschleicherin.
Novelle nach einem englischen Stoff
von
A d L o o.
(Nachdruck verboten.)
Erstes Kapitel.
Hochsommer.
Das Boot mit den drei jungen Leuten
fuhr vorüber, just als der Squire und seine
Schwägerin an das Ufer traten. Sie stan-
den da still und schauten demselben nach,
wobei er den Hut schwenkte, Während sie
dem Nachen bloß mit strengen Augen folgte. -
Der Squire stand im Junisonnenschein, das
hübsche Haupt unbedeckt, indeß Miß Mac-
uair im Schatten der Linden stand; und
es war klar, daß ihre vierzig Jahre schwerer
auf ihr lasteten, als des Squires seine
süufundvierzig auf ihm, und daß der düstere
Schatten, welcher auf ihrem harten, strengen
Gesichte ruhte, ihr durch langes Gewöhnen
gleichsam zur zweiten Natur geworden war.
So schauten die Beiden dem Boote nach,
wie es so still und geräuschlos seinen
schnellen Lauf nahm. Ein junger Mann
lehnte träg am Steuerruder, der Andere
rastete am kleinen Ruder, wobei er das
junge Mädchen zwischen ihnen theoretisch im
Schiffen zu unterrichten versuchte. Eine Bie-
gung des Users brachte den Kahn den Nach-
sehenden außer Sicht. Da wandte sich der
Squire um mit einem Seufzer, den nichts
zu rechtfertigen schien. Miß Macnair hörte
ihn aber deutlich und erinnerte sich später
noch oft an denselben.
„Nora Carleton," bemerkte sie, „hat
keine Festigkeit in ihren Vorsätzen, denn ich
hörte sie erst gestern noch zu den Jungen
sagen, daß sie nie wieder mit ihnen auf
dem Wasser fahren wolle."
„Na, damit wollte sie die Burschen eben
ein wenig necken," lachte der Squire. „Durch
derlei erhält sie sie unter ihrer Botmäßigkeit."
„Ihr Charakter ist schrecklich veränder-
lich und ihr Wesen kindisch. Zum Glück ist
sie fast noch ein Kind — vielleicht ist da
noch Besserung möglich."
„Sie ist Neunzehn, Karolinc. Da ist
sie doch kein Kind mehr!"
Es lag fast ein wenig Aerger in diesen
Worten des Squires und seine Schwägerin
fühlte das gleich heraus.
„Nun, es gibt auch Mädchen," sagte
sie gewichtig, „die viel jünger und dennoch
schon ernster sind. Meine eigene liebe
Schwester war Neunzehn und dabei doch
fest und fertig in ihrem Wesen."
„Ja, das war sie," bekräftigte Mr.
Jllustr. Wclt. XXVI. 18.

Die Erbschleicherin. Ter Heirathsantrag. (S. 430.)


Sutton. Aber er nahm sich keine Mühe,
die Verdienste der seligen Mrs. Sutton des
Weitern auszuführen.
Das schöne Gut High-Sutton war (wie
man munkelte) kein Sitz ungetrübten Frie-
dens gewesen für seinen Herrn, so lange
die verstorbene Herrin gelebt und geherrscht
hatte, und obwohl seine Zwillingssöhne von
ihrer Mutter stets nur in respektvollen Aus-
drücken reden hörten, so hatten sie doch
Beide das unbestimmte Gefühl, daß High-
Sutton zu Lebzeiten ihrer Mutter womöglich
noch ungemüthlicher und unheimischer ge-
wesen sein müsse, als es jetzt unter der
Aegide ihrer harten und mißtrauischen Tante
war.
Daher kam es vielleicht auch, daß Mr.
Sutton so nachsichtig war mit seinem zweiten
Sohne, welcher das eifersüchtige und düstere
Temperament seiner Mutter geerbt hatte.
Es schien fast naturgemäß dadurch, daß er
sanfter war gegen diesen mürrischen und
schweigsamen jungen Menschen, als gegen
dessen (nur uni zwanzig Minuten altern)
Bruder, der ganz seines Vaters franke,
geniale Natur besaß, voll Ehrlichkeit, Offen-
heit und Vertrauen.
Aber nicht an des Squires Zwillings-
söhne dachte Miß Macnair, wie sie mit
ihrem Schwager das Stromufer verließ,
sondern an ein Thema, welches ihre Seele
noch sicherer zu bitteren Spekulationen leitete.
„Nora ist sorglos und flatterhaft und
geschwätzig."
„Sag's nur grad heraus, Karoline,"
warf Winter Sutton freundlich ein. „Sag's
mit Einem Worte: Nora ist irisch."
„Ich wollte, sie wäre in Irland ge-
blieben." '
„Ach, das denkst Du selber nicht so,"
war die ruhige Antwort auf diese unbe-
dachte Aeußerung. „Nora's Mutter war
die früheste und treue Freundin meines
Weibes und auch die Deinige. Was konntest
Du weniger thun, als sie hieher einladen
und freundlich sein mit ihr — jetzt, wo sie
mutterlos ist — wie unsere eigenen Jungen?"
„Na, da finde ich doch einen gewaltigen
Unterschied zwischen ihrer Stellung und der
Stellung unserer eigenen Kinder," ent-
gegnete Miß Macnair, „denn ihr Vater
— mein Gott! Er und Nora Hausen wie
zwei alberne Kinder daheim auf Baggalley
und die ganze Besitzung geht mit Eilzug-
geschwiudigkeit zum Teufel! 's war ohne-
dies; nie viel werth. Nora muß den Ab-
stand zwischen sich und uns fühlen, wenn
sie hier ist."
„Ich hoffe, sie thut's," sagte der Squire,
während ein freundliches Licht aus seinen
Augen strahlte.
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