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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 12.1921

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Sechstes Heft
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Gramlich, Hermann: Gedichte
DOI Artikel:
Blümner, Rudolf: Zur Geschichte des Sturm und des deutschen Journalismus [9]: Briefe gegen Paul Westheim
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https://doi.org/10.11588/diglit.47209#0142

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Welt
dünstelt
sterben.
Sehnsucht
im Tag verirrt
steigt zu den Sternen
will
Dich
Gott
finden.

Zur Geschichte des Sturm und
des deutschen Journalismus
Briefe gegen Paul Westheim
Neunter Brief
Dass Sie in nicht ferner Zeit sich über die
gegenstandslose Malerei äussern werden,
habe ich bekanntlich früher gewusst als
Sie. Seit langem propagieren Sie Künstler
und reproduzieren deren Werke, die Sie
ohne eine Anerkennung Kandinskys ab-
lehnen müssten. Wer freilich, wie Sie,
ohne ein inneres Verhältnis zu den Künsten
sich mit ihnen abgibt, muss wahllos für
Gutes und Schlechtes eintreten, wie es ihm
Zufall, Gelegenheit oder emsiges Bemühen
zutragen» Es mag also sein, dass Sie selbst
nichts von der Notwendigkeit empfinden,
entweder Kandinsky nicht länger einen
krummen Hund zu schelten oder gegen
alles, was der absoluten Kunst verdächtig
ist, mit gleicher Beschränktheit zu wüten.
Bisher taten Sie weder das eine noch das
andere. Sie tadelten Kandinsky und pro-
pagierten absolute Kunst, — immer voraus-
gesetzt, dass deren Schöpfer nicht etwa im
Sturm ausstellten» Denn warum soll ich
Sie nicht endlich einmal mit einem kräftigen
Stoss dahin schleudern, wo der Hund be-
graben liegt? Es hat noch Keinem bei Ihnen
geschadet, dass er dem Sturm „entlaufen“
war. Maler und Bildhauer, deren Arbeiten
Sie im Sturm nicht der Rede wert fanden,
wurden Ihnen lieblich und angenehm, weil
sie aus irgendeiner Kinderei mit dem Sturm
„böse“ waren. Je mehr Tratsch sie Ihnen
zutrugen, umso mehr schwärmten Sie für
Kubismus und absolute Malerei. Was
Wunder, dass auch Kandinskys „gigantische
Tunkpapiere“ anfingen, Ihnen weniger
miserabel zu erscheinen. Herr Brass hat
es Ihnen gesteckt, dass ein deutscher Haupt-
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mann, Baehr geheissen, vor zwei Jahren
in den Angelegenheiten Kandinskys eine
Konferenz bei Walden hatte. Und wenn
Ihnen Herr Brass mitgeteilt hat, dass in
dieser Konferenz Dinge zur Sprache kamen,
„die hart an der Grenze des Ehrenrührigen
lagen“, so muss ich Herrn Brass zustimmen.
Es war sogar sehr ehrenrührig für Herrn
Baehr, Einiges zu behaupten, das Herr
Walden durch einen Brief Kandinskys
widerlegen konnte. Es war hart an der
Grenze des Ehrenrührigen für Herrn Baehr,
und noch etwas über die Grenze hinaus,
dass Walden ihn in dieser Konferenz vor
fünf Zeugen einen Lügner nannte, — worauf
sich Herr Baehr bestens empfahl. Aber
Herr Brass, der es nicht für unwürdig hält,
Sie mit Material gegen den Sturm zu ver-
sehen, hat Ihnen noch einiges Andere ge-
steckt, das in dieser Konferenz sich zuge-
tragen hat. Er schachtelt zu dem Zweck
seinem Gestecke einen Brief ein, den er am
23. Oktober 1919 an Herrn Rudolf Bauer
gerichtet hat: „Bedeutend schärfer und hart
an der Grenze des Ehrenrührigen sind da-
gegen die Angriffe, die Herr Richter und
Herr Hauptmann Baehr in jener Konferenz
gegen Herrn Walden richteten und die Herr
Walden nicht entkräften konnte.“ Darin
nun kann ich Herrn Brass nur zum Teil
Recht geben. Herr Richter kramte damals
einen kleinen Zivilprozess aus, den er wegen
eines in Budapest verloren gegangenen
Bildes vor Jahren gegen den Sturm ange-
strengt hatte. Es handelte sich um 100 Mark
und um einen Bagatellprozess, an dessen
Einzelheiten sich zu erinnern Walden wahr-
haftig keine Verpflichtung hatte. Nun war
es allerdings nicht sehr vornehm, dass Herr
Richter, der mit zweideutiger Rede den
Verlust des Bildes anzweifelte, die Ent-
kräftigung seiner Verdächtigung von Herrn
Walden sozusagen aus dem Stegreif ver-
langte, nachdem er sich vermutlich wie ein
Schulbube auf den Fall präpariert hatte.
Es war nicht sehr vornehm, aber nicht
hart an der Grenze des Ehrenrührigen. Hart
an der Grenze des Ehrenrührigen, wie der
Lieblingsausdruck des Herrn Brass lautet,
oder etwas über diese Grenze hinaus war
es dagegen, dass Herr Richter mit zwei-
deutiger Rede Dinge behauptete, deren Un-
wahrheit ihm bekannt sein musste.
Wenn Herr Brass auf diese Bagatelle noch
 
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