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Zeitschrift für christliche Kunst — 31.1918

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Hasak, Max: Mittelalterliche Hilfslinien beim Entwerfen
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https://doi.org/10.11588/diglit.4276#0061

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48

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST.

Nr. 5 6

MITTELALTERLICHE HILFSLINIEN
BEIM ENTWERFEN.

(Mit 5 Abbildungen.)

Haben sich die mittelalterlichen Baumeister irgendwelcher Hilfslinien bei
dem Entwurf ihrer Gebäude bedient? Sicherlich. Denn solche lassen sich
heute noch aus den Querschnitten und Ansichten herauslesen, wie sich auch
einige Nachrichten und Zeichnungen mit solchen Hilfslinien erhalten haben.
Nur sind das keine unverständlichen Zauberdreiecke oder Ergebnisse des gol-
denen Schnittes, sondern selbstverständliche und vernunftgemäße Linien, welche
in jedem Beschauenden von selbst das Gefühl der Ruhe, des Behagens und der
Ordnung auslösen, das uns das Bauwerk mit seinen tausend Punkten, Kanten
und Flächen erwecken soll.

Abb. 1.
Romanisch. Liebfrauenkirche Magdeburg.

Abb. 2.
Frühgotisch. Münster zu Straßburg.

Tritt man in ein Zimmer, so sieht ein jeder, hier herrscht wohltuende Ord-
nung oder abstoßende Unordnung. Tummelt sich eine Schar Tauben in der
Luft, dann sieht man eine Anzahl Punkte umherschwirren, die weder unsere
besondere Aufmerksamkeit, noch angenehmes Wohlgefallen erwecken. Sieht
man dagegen eine Schar wilder Gänse einhergezogen kommen, dann wird sich
jeder von selbst ihrer geordneten keilförmigen Reihen bewußt. Jedes Kind sieht
den Unterschied zwischen einem ungeordneten Volkshaufen und einer in Reih
und Glied daherziehenden Abteilung Soldaten. Einem jeden würde es unange-
nehm auffallen, wenn der eine Soldat länger, der andere kürzer, ohne Ordnung
in der Reihe stände; oder der eine etwas vorginge, der andere etwas zurückbliebe.

Genau so verhält es sich mit den vielen Punkten einer Außenansicht, eines
Innenraumes. Sollen sie wie eine Schar Tauben ungeordnet auf der Fläche oder
wirr im Raum umherschwirren? Oder lassen sie sich in die geraden Linien eines
wilden Gänsekeiles einordnen? Das letztere ist in der Tat der Fall. Die meisten
Punkte am Bau sind die Ecken einer Fläche oder einer Öffnung. Diese Flächen
und Öffnungen sind hoch oder breit; das jeweilige Verhältnis drängt sich von
selbst entgegen, und zwar durch die Richtung der Diagonale. Sind die Diago-
nalen der Offnungen und Flächen untereinander parallel gerichtet, so wirkt das
 
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