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Vereinigung zur Erhaltung Deutscher Burgen [Hrsg.]
Der Burgwart: Mitteilungsbl. d. Deutschen Burgenvereinigung e.V. zum Schutze Historischer Wehrbauten, Schlösser und Wohnbauten — 28.1927

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Nr. 1
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Pirchegger, Hans: Gösting in Steiermark
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https://doi.org/10.11588/diglit.35078#0027

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Gösting in Steiermark.
Bon "Prof. Or. H. Pirchegger in Graz.
ie Steiermark war ein burgenreiches Land und ist noch heute reich an Ruinen und Schlössern. Das
erklären die geographischen Verhältnisse ohne weiteres: durch die Steiermark zogen Handelsstraßen
von überstaatlicher Bedeutung, z. B. eine von Prag südwärts über den Pirn nach Judenburg, eine
andere von Ungarn und Polen über Wien und über den Semmering ebenfalls nach Judenburg und von
da durch Kärnten nach Venedig; eine dritte kam über den Karst von Triest her und begleitete die Mur,
um dann in die Semmeringstraße zu münden. An solch wichtigen Handelsstraßen erhoben sich, zumal wenn sie schon
von den Römern her bestanden, seit alters starke Festen, um den Handel zu schützen oder ihn — auszunützen. Der
Markgraf, später der Herzog, trachtete, möglichst viele Burgen anzulegen oder zu erwerben, um die
Ordnung aufrecht zu erhalten.
Dazu kam noch ein Zweites, Wichtigeres: die ungarische Nachbarschaft. Durch Jahrhunderte (895—1711)
erlitt die Steiermark ungezählte Einfälle, auf ihrem Boden wurden wilde Grenzkämpfe ausgesuchten, wie sie nur
in einer Mark Vorkommen konnten, wo das längere Schwert die Grenze von Fall zu Fall festsetzte. Hier waren Burgen
und seit dem 13. Jahrhunderte Grenzstädte eine Lebensnotwendigkeit. Und die steigerte sich, als seit 1471 die Türken
wiederholt ins Land einbrachen und nur vor Burg und Stadt zurückprallten.
Zu den ältesten, größten und stärksten Festen des Landesfürsten gehörte Gösting bei Graz. Der slawische Name
bedeutet wohl soviel wie Wald, und slawische Bauern waren es, die König Heinrich III. mit ihrem Besitze daselbst
zu Gestnic dem steirischen Markgrafen 1042 schenkte. Als der söhnelos starb, vermachte sein bischöflicher Bruder den
Besitz dem Bistum Würzbnrg, aber der neue Markgraf ließ ihn nicht fahren: wer den Grazer Schloßberg besitzt,
kann den Göstinger Berg nicht missen, weil er die Murenge und den Ausgang ins weite Grazer Becken sperrt; ebenso-
wenig den Wildoner Schloßberg am Südende der Ebene. Wohl gleichzeitig erhob sich auf allen dreien je eine Burg,
als die Welfin Sophie die Mark leitete (1129—1138). Vielleicht saß auf unserer der Edle und Freie Swiker als ihr
Lehensmann. Sein gleichnamiger Nachfolger war schon ein unfreier Ministerial, und nach 1210 verschwindet das
Geschlecht; fortan leiteten herzogliche Burggrafen die Feste.
Eine „Sage" — die sogar Geschichte sein will — weiß freilich, das edle Geschlecht der Herren von Gösting sei
mit Wülfing am 7. August 1260 erloschen, und sie kennt auch den Anlaß: um seine Tochter Anna bewarben sich zwei
Ritter, der von ihr heimlich geliebte fiel im Zweikampfe, und sie sprang nun verzweifelt vom nahen Felsen in die
Mur; den Vater traf daraufhin der Schlag. Diese wohl erdichtete romantische Erzählung, die sich zuerst 1815 vor-
findet, knüpft an den Namen „Jungfernsprung" an, eine Bezeichnung für Felsabstürze, die sich mehrmals im Lande
und öfters in den verschiedensten deutschen Gauen verbunden mit schlichten Sagen Nachweisen läßt; vielleicht hatten
diese Orte in fernster Vergangenheit eine größere Bedeutung (Kultstätten?).
Die Burg Gösting wurde im Familieuhader der Habsburger, der sich wegen der Teilungen entspann (1396
bis 1411), besonders wichtig, weil sie sicherer schien als selbst das Grazer Hauptschloß; deshalb brachte auch einer
der Herzoge seine Kleinodien und Urkunden hier unter. Später wurde sie und die dazugehörige kleine Herrschaft
wiederholt vom Landesfürsten verpfändet oder „in Bestand" weggegeben. Solche Bestandinhaber waren seit 1552
die Breuner, welche als eifrige Protestanten die Burgkapelle teilten: im oberen Stockwerk wurde für die Herrschaft
Gottesdienst gehalten, im unteren für die Dienerschaft angeblich Messe gelesen. Zur Zeit der Gegenreformation
hatte Maximilian von Schrattenbach die Feste inne, ein Lutheraner. Als er einmal zur Messezeit einen Hirsch schoß,
mußte er 100 Dukaten Strafe erlegen. Bald darauf kam der Kaiser nach Graz, weshalb alle Höflinge in ihrem kost-
barsten Gewände zu erscheinen hatten. Schrattenbach zog seine „Hirschledernen" an und wurde von Ferdinand,
der selbst über viel Humor verfügte, begnadigt.
Die Geldnot während des Dreißigjährigen Krieges zwang den Landesfürsten, die Herrschaft 1622 zu verkaufen,
und zwar an die reichen Freiherren von Eggenberg. Von diesen ging sie 1707 durch Kauf an die Grafen Attems über,
die sie noch besitzen. Der Waldreichtum macht sie heute wertvoll, die Burg ist lang zur Ruine geworden.
Die Feste erhob sich auf einen: steilen Kalkberg fast genau 200 m über der Mur, die hier über eine Stufe herab-
schäumt; die früher sehr bedeutende Schiff- und Floßfahrt fand in ihr ein ernstliches Hindernis, weshalb viele, ins-
besondere Persönlichkeiten von Rang und Stand, es vorzogen, auszusteigen und das letzte Stück Weges nach Graz
M Fuß zurückzulegen. Das mag die Anlage der Burg mitbestimmt haben. Ihr ältester Teil ist noch heute am
besten erhalten: die der heiligen Anna geweihte Kapelle, deren Alter durch einen halbrunden Anbau mit romanischen
Fenstern und durch den ährenförmigen Mauerverbund verbürgt ist. Die ganz ungewöhnliche Größe (5,66 : 9,66 m
lichte Weite, dazu 3 : 3,5 m halbrunder Altarraum) und einige Kragsteine an den Langseiten, auf denen doch sooft
ein Wehrgang ruht, sprechen dafür, daß die Kapelle der alte wehrhafte Pallas der Burg war, gut geschützt
durch steile Feldhänge und geteilt in mehrere Stockwerke und Räume*). Auch vom Berchfrit, der 9 m äußere Seiten-

*) B. Schwach, Die Ruine Gösting bei Graz (1927), lehnt mit dem Grazer Stadthistoriker Popelka diese Meinung ab und hält
Gösting für die älteste Pfarrkirche dieses Murgebietes. Gleichwohl trete ich für die ältere Anschauung ein, weil die Mutterkirchen an
Straßen lagen, leicht erreichbar; der Gottesdienst hätte die Burg gefährdet.
 
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