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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 22.1912

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Heft 5
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Benedix, Peter: Die Schönheit der Maria Weinzierl, [1]: eine Erzählung
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Halm, August Otto: Kleine Aufsätze der Musik, 7.: Beethoven; von Paul Bekker
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https://doi.org/10.11588/diglit.26494#0195

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Die SchLnheit der Maria Weinzierl.

mit dem ihnen geeignet erscheinenden Liede, das mit
der freundlichen Weisung ausgeht: „Wannst moanst,
daß i schlaf, so wirfst a Stoanderl aufi auf mei Dach."

Lag es nun an dem Dunkel der Nacht, oder mochten
die Musikanten sich infolge des allzu reichlich und unvor-
sichtig gegebenen Vorschusses zu viel Mut angetrunken
baben; kurz, es erhob sich ein Getön, daß es der Auf-
forderung, ein Stoanderl aufs Dach zu wersen, nicht
mehr bedurft hätte.

Nach wenigen Takten wurde es in verschiedenen
Zimmern des Schlosses hell, und im obersten Stockwerke
erschien der Geigenkünstler im Hemd anr offenen Fenster
und rief unter lebhafter Bewegung der Arme: „Auf-
hören! Aufhören!" in die dunkle Nacht hinaus. Jm
Erdgeschoß aber öffnete sich eine Tür und heraus trat
langsam eine schweigende Gestalt, angetan mit einem
langen Nachtgewand, und bewegte sich stumm auf die
Gruppe der Musikanten zu. Dort griff sie mit beiden
Händen in die Versammlung hinein und erreichte mit
der Rechten den Flötenspieler und mit der Linken den
Herrn van Hees und trug still die beiden sich vergeblich
Straubenden bis zu der nahen Gartenmauer, die sie
mit solcher Eile hinter sich ließen, als wäre alle Erden-
schwere von ihnen genommen.

Jn der Mitte des mit Gras bestandenen, stark ab-
schüssigen Schloßberges blieben sie hängen, wobei der
Musikus durch den Stamm eines Apfelbaumes ziemlich
unsanft in seiner Fahrt aufgehalten wurde, während
der Dichter ein wenig unterhalb in einem Holunder-
busch zur Ruhe kam und sich nicht erklären konnte,
warum der Toni ihn nicht erkannt hatte; denn er hatte
während der kurzen Reisevorbereitung ihm erregt und
ängstlich zugeflüstert: „Toni, so nehmen Sie doch Ver-
nunft an! Jch bins ja, der Herr van Hees! Toni, was
fällt Jhnen denn ein! Toni!" Aber der Toni hatte
keine Vernunft angenommen, sondern die Gelegenheit
für günstig erachtet, sich taub zu stellen und das auszu-
führen, worauf er schon seit langem gewartet hatte.

Und während dieses geschehen war, hatten sich die
anderen Musikanten, in der Ängst um ihre Jnstrumente,
in den Park hineingeflüchtet, und der dicke Baßgeiger
saß keuchend hinter einer großen Fichte, trocknete sich
den Schweiß von der Stirn und verwünschte das nächt-
liche Abenteuer.

Der Toni aber gab eine weitere Verfolgung auf
und ging schweigend in das Schloß zurück, welches er
zusperrte, in der Uberzeugung, daß das Ständchen
endgültig vorüber sei und der Unternehmer den Rest
der Nacht im Freien zubringen dürfte.

So kam es auch; der Herr van Hees stahl sich am
Morgen beschämt in sein Iimmer, packte dort seine
Sachen zusammen, zahlte und verschwand; denn er
hatte aus dem lächelnden Antlitz der Maria entnom-
men, daß seine Würde bei der Begebenheit einen un-
heilbaren Stoß empfangen hatte.

Jn der Eile seiner Abreise ließ er noch ein Buch in
einem Winkel liegen, das er selbst mit Lebensweisheiten
angefüllt hatte und das auf jedem Blatte in einer
steilen und geschnörkelten Schrift einen epigrammatischen
Ausspruch enthielt. Maria erblickte das Buch, hob es
auf und fand darin auf der ersten Seite die folgende
Sentenz: „Man muß das Dasein nicht schmaler machen

als es ist, denn es gilt, das flache Leben in ein höheres
zu steigern!" und des weiteren: „Man soll das Schicksal
und die Schuld nicht auseinander stellen, denn es geht
alles mit gleichen Schritten und die tiefsten Dinge
hängen an der Oberfläche."

Äls sie dieses gelesen, klappte sie schweigend das
Buch wieder zu und legte es dorthin, wo sie es ge-
funden hatte.

Nach einigen Tagen traf ein aufgeregter Brief aus
der Stadt ein, worin der Herr van Hees sich nach dem
Verbleib jenes Buches erkundigte und den Herrn Wein-
zierl beschwor, ihm dasselbe sofort zu übersenden, denn
es sei etwas Kostbares und Unersetzliches.

Nachdem sein Wunsch ersüllt worden war, hörte
man nichts mehr von dem Herrn van Hees; denn
seine Werke, die er in nummerierten Eremplaren auf
kaiserlich Japan drucken und in gebleichtes Schweins-
ledcr binden ließ, traten niemals in den Bereich ein-
facher und nützlicher Menschen.

Jn die verlassenen Räume aber zog während dieses
Jahres nicmand anders mehr als cine glückliche Be-
gebenheit, die für eine kurze Stunde darin sichtbar war.

Dazu aber brauchte es einiger Vorbereitungen und
eines größeren festlichen Vorganges, wovon in dem
Nachfolgenden Näheres berichtet werden soll.

(Fortsetzung folgt im nächsten Heft.)

leine Aufsähe über Musik.

7. Beethoven. Von Paul Bekker.

(Verlag Schuster k Loeffler, Berlin.)

Ein gewaltiges Buch liegt vor mir, geschmackvoll,
ja vornehni ausgestattet, wie es einem Monumental-
werk zukommt, und mit einem Titel, der ein solches
crwarten laßt: „Beethoven". Nicht weniger.

Ehe ich es aufschlage, findet eine kleine Kontroverse
statt. Meine Vernunft, anspruchsvoll und unbedingt
(lies „unbelehrbar"), wie sie nun einmal ist, sagt zu mir:
Du wirst nun das Wissenswerte über Beethoven, so-
weit es bis jetzt erschlossen werden konnte, du wirst
vor allem (oder doch zum mindesten) über das Aller-
wichtigste, nämlich über Beethovens Werk, und zwar
ganz gewiß vor allem über die wichtigste, d. i. die eigentlich
musikalische Seite seines Schaffens etwas zu lesen
bekommen. Eine Kritik der Thematik und Melodik,
der Harmonik, der Rhythmik Beethovens wird ein
Hauptstück des Buches sein; ein anderes Hauptstück wird
die Form zum Gegenstand haben; die Frage, inwiefern
die einzelnen Qualitäten der musikalischen Sprache
Beethovens dieser Form dienen, von ihr gefordert oder
erlaubt wurden, wird erörtert werden; es wird von da
aus, wie bei einem so ins Große angelegten Buch wohl
zu vermuten, das Wesen der Sonatenform überhaupt
betrachtet werden, wobei auch deren späteres Wachsen
und Werden mit zu befragen wäre; ja eine Kritik dieser
Form ist sogar unerläßlich, wenn eine Kritik der einzelnen
Bestandteile der musikalischen Diktion stattfand und ihr
Ausammenhang mit der Form beleuchtet wurde. Endlich
muß wohl der historische Blick auf das Schaffcn Beet-
hovens gerichtet werden; nicht nur welche Oualitäten

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