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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 25.1915

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Heft 2
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Zoff, Otto: Ernst Heidrich gefallen
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Zech, Paul: Drei Kriegsgedichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.26491#0084

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Ernst Heidrich gefallen.

wie Dürer anfangs aus seiner Generation hervorkam,
wie er sich aber bald aus Jtalien vorwärts strebende
Krafte aneignet, wie er mit diesen eine Zeitlang wirt-
schaftet, wie er sich dann wieder im Deutsch-Jdyllischen
findet, wie er mit der zweiten Reise nach Venedig aber-
mals den lateinisch-monumentalen Gesetzen verfallt, um
endlich — am Ende des Lebens — bei dem neuerwachten
Germanentum des erfiandenen Luthers zu enden.

Bloß kunsthistorisch genommen, ist das kleine Buch
von einer gründlichen Befähigung, die unter den jünge-
ren Kräften dieser Wissenschaft heute kaum ihresgleichen
hat. Heidrichs Auge hatte jene scharfe Krast, welche man
nüt bloßer Schulung allein nicht erwerben kann: hier
war Bestimmung zum Beruf am Werk. Der Hans im
Märchen hat die Stimmen der Vögel verstanden: viele
aber studieren Aoologie und dennoch wird die Sprache
eines Sperlings für sie immer nur Gepieps bleiben.
Ernft Heidrich aber war einfach dazu geboren, aus
produzierter Form die Essenz zu erkennen. Nimmt man
eine Schulung, eine Bildung und ein Gelernthaben
dazu, welche vor keiner Schwierigkeit Halt machten,
dann sieht man in ihm den Kunsthistoriker idealcr Bil-
dung, der langsam abhanden kommt. Denn die jüngeren
gehen jetzt zweierlei Weg: Die einen bleiben in der
Schulung, das heißt also im Material hängen, und
mögen auf diese Weise lobenswerte Sammelarbeit,
Fundamentierung zustande bringen, die irgend einmal
eine geistige Potenz zusammenfassen wird. Die andern
aber verlassen sich wieder auf die bloße Jntuition und
verschweben in einer willkürlichen Subjektivität, die von
allem Beginn an für die Wissenschaft wertlos ist. Heidrich
hatte beides: Jntuition und Kenntnis in begnadetem Maß.

Was er in der Geschichte des Dürerschen Marien-
bildnisses begonnen, davon kam er zeitlebens nicht mehr
ab. Was er hier für Dürer aufzeigte, zeigte er später
für die ganze Reformationszeit, zeigte er endlich für
das Wesen des Deutschen überhaupt. Wenn Dürer
zeitlebens die Bemühung hatte, aus dem religiös-meta-
physischen Deutschen zu einer Bejahung der Welt im
antiken Sinn zu gelangen (er fühlte sich nicht nur zu-
fälligerweise in Venedig am Aiel seiner Wünsche), wenn
er in dieser Bemühung nach der zweiten italienischen
Reise auch weite, geradezu unbegreifliche Fortschritte
machte, dann müssen seine letzten Lebensjahre — von
diesem Gesichtspunkt aus betrachtet — mit ihrem aber-
maligen Aurücksinken in religiös-eingeengte Vorstellun-
gen, mit ihrem Hauptwerk, den „Aposteln", als voll-
ständiges Scheitern seines Weges angesehen werden.
Die berühmten vier Apostel in der Münchener Pinakothek
sind für Heidrich ein Ausammenbruch menschlicher Selbst-
erziehung. Und sind nicht nur der Ausammenbruch des
einzigen Menschen Dürer, sondern der ganzen deutschen
Kulturentwicklung im sechzehnten Jahrhundert. Denn
damals war Deutschland in dem guten Beginn, sich aus
mittelalterlicher Dogmatik zur positiv-werktätigen, anti-
pfäffischen Anschauung durchzuringen. Die Renaissance
Jtaliens gab das Vorbild, an ihr sah Deutschland seinen
Weg vorgezeichnet. Das Vorbild wirkt fruchtbar. Aller-
orts regen sich Kräfte. Ein gesunder Humanismus ver-
schafft Aufklärung. Ein Drang nach Bildung macht sich
allerorts geltend. Da aber tritt der neue Priester Luther

in die Entwicklung der Kultur ein und zerbricht sie. Für
die schon untergrabene, gelockerte, schwankende Dogmatik
setzt er eine neue ein, welche fest steht, die Menge ge-
fangen nimmt und die begonnene Linie auf Jahrhunderte
unterbricht. An die Stelle des weltlich-heiteren Rosen-
kranzfestes tritt der unerbittliche Glaube der vier Apostel.

Mit einer solchen Ausführung hatte Heidrich für das
deutsche Wesen im allgemeinen einen Schlüssel gegeben.
Was von Dürer, was vom sechzehnten Jahrhundert gilt,
das gilt von jedem Mitglied dieser Nation. Dieselbe
Katastrophe hat sich nachher und vorher, in tausenden
und tausenden Fällen immer wieder ereignet. Jmmer
wieder die Sehnsucht nach der realen Ordnung aller
Kräfte im Sinne der Romanen. Jmmer wieder dieser
Erlösungsdrang des analytischen, hinterweltlichen Geistes.
Der Mönch will das Leben leben, aber er kann die Blicke
vom Himmel nicht losreißen. Von Theoderich, der sich
von den unterworfenen Jtalienern, wie ein Schulknabe
vom Lehrer, imponieren ließ, überDürer bis zuNietzsche:
es ist derselbe Geist. Niemals ermüdende Versuche, doch
immer wieder ein Luther, der sie aufhält und verlöscht.

Aus der Verfolgung von Silberstiftlinien, aus der
Einreihung historischer Tatsachen gelangte so Heidrich
zu Erkenntnissen, die schon kulturhistorisch im allgemeinen,
und schließlich menschlich im geistigsten Sinn waren.
Daß er, kaum über die Dreißig, als Nachfolger Dehios
an der Straßburger Universität, jung und berühmt, sein
Leben lassen mußte, ist für die Wissenschaft ein nicht gut
zu machender Verlust. Seit Dvoraks Untersuchung über
das Rätsel der Brüder van Eyck war keinem mehr die
Fahigkeit in solchem Maße gegeben, Material zum Aus-
druck werden zu lassen. Die Nation aber verliert in ihm
ihren tiefsten und innigsten Geliebten. Was immer an
ihr groß, schön, tragisch und ewig war, er hat es in einer
einzigen Wurzel erkannt: in ihrer metaphysischen Sehn-
sucht. Jm edelsten Sinn des Wortes hat er für sie
gelebt, im schwersten Sinn des Wortes ist er für sie
gestorben. Or. Otto Aoff.

rei Kriegsgedichte von Paul Zech.

Her langt nur eine hagre Hand ...

Iwei Stunden grau durchrauchte Nacht
und noch nicht Mond nicht Sterne;
nur Schritte rund, wo Eisen wacht,
und feindlich fremde Ferne.

Wie lange schon von Hause fort,
von Kindern, eingewiegten,
von dir, der trosterborgtem Wort
unruhig Hingeschmiegten.

Euch fühlend herzuflehn ist schwer;
denn in dem Hintergrunde
von Meilenmärschen und Gewehr
stirbt das Gefühl im Munde.

Her langt nur eine hagre Hand;
wie schwörendes Verbürgen,
wie aus dem eigenen Gewand
so nah ... Wen wird sie würgen?

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