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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 8.1894-1895

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Heft 12
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Nietzsche und seine Bedeutung
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https://doi.org/10.11588/diglit.11729#0187

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Lvveites Märzbett tsss.

12. Dekt.

Lrscheint

Derausgeber:
Feuüinsnü Zlvensnjus.

Bestellxreis:
vierteljäbrlich 2^/2 Mark.

S. Zsbrg.

Oietzlcke und leine Kedeutung.

)vr knapp einem Jahrzehnt ivar Friedrich
Nietzsche in den weiteren Kreisen des in
Zeitschriften blätternden Publikums nahezu
nnbekannt, aber er hatte eine kleine, zer<
streute Gemeinde, die ihn las und zu lesen verstand.
Wie viel besser Paßte doch dieser Znstand sür die eso-
terischen Lehren des einsamen Philosophen, als der
Lärm, der sich hente um seinen Namen erhebt! Ver-
stündnislos wird er geschmüht nnd verständnislos ver-
göttert. Auf der einen Seite steht eine Schar junger
Litteraten, die ihn maßlos überschätzt und in ihm den
neuen Messias, den Begründer einer höheren Moral
verkündet. Aus der andern Seite rechnet man seine
Werke unter die Polizeilich zu verbietende Schnndlitteratur.
Noch jüngst im Reichstage, in jener denkwürdigen „Um-
sturzdebatte" wnrde seiner in höchst wunderlicher Weise
Erwähnung gethan. Und welche Jronie! Er, der
schrankenlose Jndividualist, dem Sozialismus znwider
ist bis ins Mark, der „Philosoph des Aristokratismus",
der Alles, was Demokratie heißt, mit Hohn überschüttet,
— mußte als Popanz herhalten, nm ein Gesetz zu
rechtsertigen, das gegen Sozialismns und Demokratie
gemünzt war. Und wenige Tage daranf brachte die
Kreuzzeitnng, das vornehmste Blatt der Dentsch-Konser-
vativen, einen Aufsatz über den „Umstnrz im Salon"
mit Ansührungen ans „Jenseits von Gnt nnd Böse"
nnd „Also sprach Zarathnstra", der auf die Gefahren
der „Tollhaus-Philosophie" und des „ekelhaften Wahn-
witzes" Nietzsches ansmerksam machte: „Wer einmal den
bedentendeu Einslnß kennen gelernt hat, den dieser

Psendophilosoph gerade unter nnserer gebildeten Jugend,
den Stndenten aller Faknltäten, Litteraten, Künstlern n. s. w.
gewonnen hat — dank seiner nnbestreitbar hochpoetischen
und bestechend geistreichen Sprache hauptsächlich —, wer
andererseits einen Blick geworsen hat in die Werke dieses
Mannes, die von unsagbarer Gemeinheit der Gesinnung,
von einer tenslischen, jedes Hohe nnd Heilige in den
Staub ziehenden Frivolität geradezu strotzen, der wird
sich dem Eindruck nicht entziehen können, daß von einer
ungehinderten Verbreitnng dieser Schriften eine Ver-
rohnng des Denkens und Fühlens droht, die nns mit
schweren Besorgnissen in die Znkunft schanen lüßt."
Znm Schluß folgt dann ein recht deutlicher Wink an
den Staatsanwalt.

Aber so beschränkt ein solcher Standpnnkt anch
sein mag, er ist mir -— gestehe ich's ehrlich — immer
noch lieber, als jene kritiklose Verherrlichung Nietzsches.
Die Herren, die ihn vertreten, sind doch wenigstens
konsequent und wissen, was sie wollen. Sie sehen in
Nietzsche nnr das Abstoßende nnd Gefährliche, können
nur dieses sehen nnd urteilen danach klar nnd einsältig.
Welch unbeschreibliche Verwirrnng aber haben die ver-
führerischen nnd blendenden Werke des Modephilosophen
in den Köpfen des jungen schriststellernden Geschlechtes
angerichtet! Jene Werke, die so wenig eine plumpe
wörtliche Auslegung vertragen, die mehr als irgend
welche andere zu ihrem Verständnis des bewnßten
Körnchens Salz bedürfen! Grüne Leutchen, deren Zu-
gehörigkeit znr „großen Herde" ganz anßer Frage steht,
glauben ihrer unbedentendeu Persönlichkeit den Stempel
 
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