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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 2.1888-1889

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Heft 15
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Biese, Alfred: Kunst- und Naturgenuss
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https://doi.org/10.11588/diglit.11724#0231

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15. Stück.

Lrscbcint

Derausgeber:

zferdinand Nvenarius.

Kestellpreis:
vierteljährlich 2 Mark.
Anzeigen: Z gesp. Nonp.-Zeile 40 pf.!

2. Zabrg.

Ikunst- und

den Tagen der kzegelschen Begrisfs-
philosophie und der Bomantik ist auch iu

Äschetik eiue bedeutsame Wandlung der
^^^^^Anschauungsweise eingetreten; an die Stelle
der Abstraktion und der Synthese trat die Lrfahrung
und die Induktion, welche die genaue Durchforschung
des Linzelnen zur Grundlage einer Lrzielung all-
gemeiner Gesichtspuilkte machte. chtatt des weges
„von Oben nach Unten", welchen z. B. Hegel, -vischer,
Solger u. v. a. gingen, schlug besouders erfolgreich
G. Th. Fechner den Weg „von Unten nach Oben"
ein. Und auf diesem U)ege weiter zu waudern, die Fülle
entwicklungsfähiger Reime, welche in seinem Buche
niedergelegt siud, zur Tntsaltung zu bringen, wird nicht
am wenigsten die Aufgabe der heutigen ästhetischen
Forschung sein' Fechner macht vor allem in wirk-
samster Weise das Gesetz Her Oerknüpfung (der Asso-
ziation) zur Richtschnur setnks Gedankenganges und
findet die Murzel alles.Lustgefühts in der eiilheitlichen
Verknüpfung mannigfacher Vorstellungen. Äiese zer-
gliedert er in „direkte" uud „assoziirte", d. h. er unter-
scheidet die sinnliche und die geistige „Farbe" eines
Gegenstandes; die erstere besteht in der Form, der
Färbung, dem Ton u. s. f. und die letztere in all dem
rNannigfaltigen, an welches die äußere Anschauung
uns in unserm Geiste erinnert. So erfreueu wir uns
z. B. bei der Orange nicht nur an der schönen Gold-
farbe und an der Rundung und an dem Duft, sondern
zu der sinnlichen Form und Farbe gesellt sich die geistige:
wir erinnern uns an den schönen Baum, an dem die
Frucht gewachsen ist, an den warmen Himmel, an das
herrliche Land, zu dem uns vielleicht eine romantische
Sehnsucht zieht. Alle diese Griunerungen verschmelzen
sich mit der Anschauung zu dem ästhetischen Lustgefühl,
welches uns der Anblick einer Orange erweckt. Aber
fragen wir uns nun, wie eine solche verknüpfung


Maturgenuss.

der verschiedenen Vorstellungen möglich ist, und suchen
dieselbe auf eine tiefere wurzel unserer menschlichen
Anschauungsweise zurückzuführen, so werdeu wir zu-
gleich auf das innerste wesen, auf die eigentliche
Grundlage allen Aunst- und Naturgenusses überhaupt
geführt werden.

Ls giebt wohl kaum einen Begriff, der schwerer
zu bestimmen ist, als der des Schönen; fast rührend
ist es, aus der neuesteu veröffentlichuug der Briefe
uuseres größten Ästhetikers Vischer zu ersehen, welche
Rlühe jener ihm macht und wie er Iahrzehnte lang
den Gedanken einer völligen Umgestaltung seines
werkes mit sich herumträgt und doch nicht aus der
Umpanzerung, in welche die Hegelsche Begriffsphilo-
sophie ihn geschlagen hatte, sich befreien kann. 0"
der That: ein Schönes an und für sich giebt es nicht,
sondern alles ist nur schäu in dem schauenden Auge,
in dem empfäuglichen Gemüte. Noch mehr als die
äußere sinnliche Form des Schönen, als der Ton und
dib Farbe selbst ist der iunere geistige Gehalt desselben
— freier Hchein: es ist eine Umformung des
äußeren Bildes zu einem inneren, das Trgebnis einer
Vermischung von Gegenstand und Geist des Beschauers,
was wir als „schön" empfinden. Denn „alles Ver-
gäugliche ist nur ein Gleichnis" — und nicht minder
bedeutsam ist auch für die Ästhetik, für den Genuß
des ^chönen das U)ort: „Du gleichst dem Geist, den
du begreifst". Nur der findet in der vergänglichen
welt der sinnlichen wahrnehmungen Gleichnisse seines
eigenen inneren cheelenlebens, der eigene seelische Reg-
ungen zu dem Geschauten in Beziehung zu setzen ver-
mag. Nur das wirkt auf den Rlenschen, wofür seine
ganze geistige Anlage oder seine augenblickliche Stimm-
ung vorbereitet ist; nur das reizt seine Nerven und
reizt sein Schönheitsgefühl, was in seinem ^Znnern
nachzittert und nachklingt, was wie eine Offenbarung


iiöer alle Weöiele^eAMcbönen.

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