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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 5.1889-1890

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Brandes, Otto: Der Salon Meissonier, [2]
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Kaden, Woldemar: Cerbara: Erinnerungen zweiter Hand ; nach dem Italienischen des Giustino (Ferri)
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https://doi.org/10.11588/diglit.10738#0384

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2ye

Der Salon Meissonier. von Dtto Brandes — Cervara. Erinnerungen zweiter Hand

Korsengesicht zuckt. Des Kaisers ganzes Denken konzen-
triert sich auf die vor ihm sich abspielende Aktion. Sein
Stab folgt ebenfalls mit dem regsten Interesse der
Schlacht, nur ein General, am Rande des Bildes, wen-
det sich anscheinend um einen Befehl zu erteilen auf sei-
nem Pferde halb um. Der Himmel ist trübe und wolken-
schwer. Im Vordergründe liegen einige Soldatenleichname.
Das Bild ist mit der bekannten Mcissonicrschcn Meister-

schaft gemalt, die in einer sorgfältigen Behandlung der
Figur des Haupthelden, in der gewissenhaften Beobachtung
aller Details, in einer genauen Kenntnis des Pferdes
besteht, aber eine mitteilsame Stimmung, etwas das packt,
mit fortreißt, uns das Herz füllt, entwickelt sich aus dem
Bilde nicht. Man wird diesen Meissonier anstaunen,
zu einer Bewunderung aber wird, wer ehrlich ist, sich
nicht aufschwingen können.

Lervara
Erinnerungen zweiter Hand.*) Nach dem Italienischen des Giustino §. Ferri
von Waldemar Raden

uch das hat man gesagt, jawohl, meine Herren, daß
der Gendarm von Cervara tot sei, und doch, er
lebt! Verschwunden auf Zeit, weil die Tradition des
Festes unterbrochen war, ist er wieder ans Licht ge-
kommen, noch schwankend zwar von dem vielen Wein,
den er am letzten Cervarafeste getrunken, aber doch zur
Stelle, als er vernommen, daß dieses Jahr wieder eines
gefeiert werden sollte. Er lebt noch und hebt noch,
immer noch der alte unbeugsame Exekutor des Auftrages,
die Unordnung überall streng aufrecht zu erhalten, immer
noch geneigt, der furchtlosen Bevölkerung der Via Mar-
gutta, des Cafe Greco, der Villa Medici, des Janiculus
das Beispiel des unauslöschlichen Durstes zu geben,
immer bereit eins, auch beide Augen zu schließen über
die Achtung vor den Gesetzen von Cervara, soweit sie
ihn angehen, unermüdlich in der Forderung strengster
Observanz bei andern."
Nein, der Gendarm von Cervara war nicht gestor-
ben, dem Zwange der Zeiten war er gewichen und kommt,
kaum haben sich diese geändert, hervorgehüpft wie der
Held des sechsten Tages, bedrohlich sein hölzernes
Schwert schwingend und nichts begehrend als „Batailles
und Bouteilles".
Und mit dem Gendarmen erstand die Schar alter
vertrauter Gestalten. Die alte Via Praenestina sieht sie
wieder, die tragikomischen Krieger, die die Mitte halten
zwischen Horatius Cocles und Don Quixote, gerüstet mit
Kürasien aus silberpapierüberklebter Pappe und ameri-
kanischen Karabinern aus Schilfrohr, hohe flatternde
Federbüsche auf dem Helm, mit rothwollenen Achselklappen
auf dem künstlerisch drapierten römischen Mantel. Die
stolz sich brüstenden Eselein erfüllen die heitere Lust des
Maien mit ihren Jauchzlauten; der Generalstab tummelt
sich elegant und kühn auf Rosien, die man vor fünf,
sechs Jahren noch an der Salita del Tritone als maje-
stätische Omnibuspferde bewunderte. Alles ist Verwirr-
ung, Frohsinn, Übermut und für einen ganzen Tag
lang wird die stille Majestät der römischen Campagna
tempelschänderisch entweiht durch den Frühlingskarneval,
der wie ein neuer Barbaren-Einsall hervorbricht aus
Porta Maggiore und durch die Mauern drängt: viel-

farbig, geräuschvoll, hastig, formlos, und sich lebhaft
abhebt von dem weit hingedehnten lichten Grün der
Wiesen.
*
* -z-
Nach dem Essen, wo jedermann sich verpflichtet
fühlt, etwas Geistreiches zu thun, entdeckte ich, an eine
Mauer gelehnt, einen meiner alten Freunde, der, wenn
er auch längst auf die Kunst verzichtet und seine Bart-
bürsten L la krussien sich hatte wachsen lassen (um seiner
Kundschaft mehr Vertrauen einzuflößen), dennoch dem
alten Cervara treu geblieben war.
„Wie geht der Handel mit den gefärbten Brillen,"
fragte ich ihn.
„Schlecht, recht schlecht; Konkurrenz zu groß; die
Männer der Politik, die naturalistischen Schriftsteller, die
Stadträthe, alle verkaufen sie gefärbte Brillen. Wenn
ich jünger wäre und keine Kinder hätte, weiß Gott, sieh,
ich wäre im stände, unter die Kunstkritiker zu gehen."
„Keine Kinder, — was sollen die Kinder dabei?"
„Wer Familienvater ist, muß an alles denken.
Glaubst du denn nicht, daß Kind eines Kunstkritikers sein,
immer einen gewissen Hang zu Verbrechen vermuten läßt?
Mein Freund hatte der Kunst entsagt, der alte Haß
aber war ihm treu geblieben. Ich streckte mich neben
ihn ins Gras; wir plauderten ein wenig von diesem
und jenem, bis er auf das Kapitel von der modernen
Kunst kam, die er haßte, wie die Kritiker, und auf den
Verfall aller Dinge, auch des Cervaras.
„Aber wieso ist Cervara in der Decadenz?"
„Sieh, ich bin ein gut Teil älter als du, und
zu meiner Zeit, wenn man ein Bild oder eine Statue
beurteilen sollte, da führte man gute Gründe ins Feld,
da verzog man das Maul nicht zur Fratze, da streckte
man nicht die Zunge heraus oder strich mit dem Daumen
vernichtend durch die Luft. Daraus kannst du schließen,
daß es sich ungefähr um das Steinzeitalter handelt.
Und doch, schon zu meiner Zeit war Cervara nicht mehr
das, was es in dem heroischen Zeitalter gewesen, wo die
Künstlergenossenschaft vom Pontemolle zum Feste sich in
der Cervaragrotte versammelt hatte als zu einer wirk-


*) Dem jüngsten Künstlergeschlecht hat der Name „Cervara" einen fast fremden Klang. Was ist Cervara? Bor Rom,
draußen vor Porta Maggiore, zweigt links die alte Via Praenestina ab, auf dieser erreicht mau in zwei Stunden Fahrt, zu Fuß
in anderthalb Stunden, hinter dem Tor di Sapienza, am Casali Cervaretto vorüber, die in den vulkanischen Tuff gebrochenen
Cervara-Grotten, wo die Künstler in friedlicheren Zeiten ihre ausgelassenen Maifeste feierten. Am 6. Mai d. I. hat wieder
einmal ein solches, und zwar in glänzender Weise stattgefunden. Der Unsinn war König, aber seine Begleiterin, die süße Harm-
losigkeit, die in früheren Olympiaden die Festordnerin machte, fehlte diesmal.
 
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