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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 34.1923

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Lang, Hugo: Die Spannung im Kunstwerk: Polarität und Gleichgewicht
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https://doi.org/10.11588/diglit.10459#0330

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INNEN-DEKORATION

309

ARCHITEKT KARL GRA1CHEN —LEIPZIG

SCHLAFZIMMER. SCHLEIFLACK U. MAHAGONI

DIE SPANNUNG IM KUNSTWERK

POLARITÄT UND GLEICHGEWICHT

Seit der klassischen Epoche«, - sagt Oskar H.Schmitz
im »Brevier für Einsame«, — »verstand man unter
Ästhetik die Lehre vom Schönen. Die Folge war jenes
blutlose akademische Epigonentum, das dann der Natu-
ralismus ablöste. Ihm warf man vor, daß er das Häßliche
suche. Der Naturalismus ist verschwunden, wie das
akademische Epigonentum, — aber seitdem hat die
Ästhetik aufgehört, die Lehre vom Schönen zu sein, sie
ist vielmehr die Lehre »vom Schönen und Häßlichen«
geworden . . Der Künstler soll ein »Gleichgewicht«
zwischen der Polarität Schön-Häßlich finden, — während
das Leben selbst dem alltäglichen Blick nur zu oft eine
nichtssagende Schönheit oder eine sinnlose Häßlichkeit
bietet. Das tiefer erkennende Auge entdeckt wohl auch
in der einseitigsten Pendelschwingung des Daseins stets
den verborgenen »Gegenpol«. Diesen sichtbar oder fühl-
bar zu machen, das ist Aufgabe des Künstlers . . Er
muß das »Minus« in der Schönheit, das »Plus« in der
Häßlichkeit sehen lassen. Dann befreien seine Werke
sowohl von der öden Leere als von dem überwältigenden
Grauen des oberflächlich betrachteten Daseins . . Daß
Musik nicht gleichbedeutend ist mit Wohlklang, sondern
ein Gleichgewicht darstellt zwischen Wohlklang und Miß-
klang, sollte jedem bewußt bleiben. Dann würde ebenso
die Süßlichkeit vermieden, wie die trostlose Kakophonie.

^Ebenso wie nicht das Kunstwerk uns als das Voll-
kommenste erscheint, in dem nur »Schönheit« dargestellt
wird, sondern das, welches die lebendigste Spannung
zwischen Schönheit und Häßlichkeit zeigt, so ist auch
der ethisch vollkommene Mensch nicht der, welcher sein
Ich dem Gegenpol, dem Nicht-Ich einfach preisgibt, son-
dern der, welcher zwischen Selbst-Behauptung und Selbst-
Hingabe das höchstgespannte und doch beweglichste
Gleichgewicht darstellt . . Das Gesetz: »Liebe deinen
Nächsten wie dich selbst« erscheint dem Erkennenden
nicht länger wie einem Untertan oder gar vom »Nächsten«
persönlich auferlegt, sondern von ihm selbst als Gesetz-
geber gewollt und geschaffen als Zauberformel, die das
Chaos zum Kosmos macht . . Wie immer wieder der
Künstler sein Werk gestaltet, ebenso kann der Einzelne
aus dem Chaos der ewig polar entzweiten Welt den
Kosmos seines Lebens schaffen« . . Diese Formulie-
rung geht, — so wichtig auch die Beachtung des »Gegen-
pols« in jedem Kunstwerk ist, das ihm, wie jedem Orga-
nismus, die lebendige Spannkraft verleiht, — doch wohl
über das Ziel hinaus, sofern damit die »Gleichwertigkeit«
der beiden Pole gefordert werden soll. Der unter starken
polaren Spannungen lebende Mensch der Neuzeit fordert
wohl vom Kunstwerk höchste »Lebendigkeit« und er
wird demnach jenes hochschätzen, in dem der Spannung-
 
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