die Deutsche Literatur
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Joseph Roths Vaterphantasien
MASAKI AIZAWA
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1985 Volume 75 Pages 97-106

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Abstract

Die Vaterphantasien sind das Hauptthema der sogenannten "Joseph-Roth-Legende“. Ich habe einmal versucht, diese "Legende“ mit dem "Familienroman“ von Sigmund Freud und Marthe Robert in Zusammen-hang zu bringen. Roth, der als Kind ohne Vater und auch ohne Stiefvater aufgewachsen ist, mußte sich den Vater in seiner Phantasie ausmalen. Das eben zielte auf einen "Familienroman“, und diesen eigentlich zur Kindheit gehörenden "Familienroman“ konnte Joseph Roth dann auch als Erwachsener nicht überwinden. Hier entstand seine "Legende“, und hier ist wahrscheinlich auch seine Geburt als Romanschriftsteller zu sehen. Dabei muß man zuerst auf Roths Frühreife hinweisen, die sicherlich daher rührt, daß er ohne Vater aufgewachsen ist. Aber zugleich darf man nicht über-sehen, daß in der Frühreife eine tiefe Traurigkeit steckte. In seinem Feuilleton "WIEGE“ erzählt er, daß er als Kind seiner Wiege beraubt wurde. Diese Wiege ist offensichtlich ein Symbol der Kindheit, und das Ereignis bedeutet für ihn, daß er seiner Kindheit beraubt wurde. Darin wurzelte seine Frühreife und auch seine Wehmut, die immer tiefer wurde, während er als heimatloser Ostjude und als ein der dahingegangenen Monarchie angehörender Altösterreicher durch ganz Europa wanderte. Wahrschein-lich machte diese Frühreife und Wehmut einen Geschichtenerzähler aus ihm. Und während ihn seine Mutter und eine andere Frau seiner Wiege-Kindheit beraubten, trat in seiner Phantasie der Vater, zumal er nicht vor-handen war, als Wiederhersteller der verlorenen Kindheit auf. Kindheit heißt ein einheitliches Universum, das sich im allgemeinen mit dem Bild der Mutter verbindet. Bei Roth war das aber eine väterliche Welt, und aus dieser Vorstellung, die man etwa als pervers bezeichnen könnte, entsteht eine Formulierung: Mutterhaß und Vatersehnsucht bei Roth. Seine Miso-gynie z.B. wurzelte in seinem Mutterhaß, obwohl sie auch zu einer Tradition gehörte, die von Schopenhauer über Nietzsche bis zu den Wienern Freud, Weininger und Kraus reichte. Dagegen war seine Vatersehnsucht ein Grundwunsch, der ihn fast lebenslang begleitete und seine Schöpfung be-wußt und unbewußt bestimmte. Auf diesen Wunsch bezog sich etwa auch sein Lob der alten Habsburger Monarchie, denn das Bild von dem Kaiser Franz Joseph I. verband sich für Roth mit seinen Vaterphantasien.
Seine Vaterphantasien haben zwei Eigenschaften. Erstens ist es die Vaterschaft, die die harte Wirklichkeit der Erwachsenen, das, mit Freud gesprochen, "Realitätsprinzip“ verkörpert. Das ist zwar nicht eine be-sondere, sondern eine allgemeine väterliche Eigenschaft, aber selbst der Vater in diesem Sinne war für Roth ein Gegenstand der Phantasie. "ZIPPER UND SEIN VATER“ ist neben "DIE FLUCHT OHNE ENDS“ ein repräsentatives Werk für seine "Neue Sachlichkeit“. Er will also über "das Beobachtete berichtet“ haben, und diesmal beobachtet er nicht nur einen Heimkehrer-Sohn, sondern auch einen Vater, den alten Zipper. Dieser Vater ist eben eine Verkörperung des "Realitätsprinzips“, was sich in Zippers Uhr symbolisiert. Und der Stil ist auch so kühl und sachlich wie ein Uhrwerk. Aber obwohl der Vater bestimmt "ein Ausbund von liberalem Kleinbürgertum, ein Spießer“ ist, macht ihm Roth merkwürdigerweise gar keinen Vorwurf. Das ist doch begreiflich, wenn man bedenkt, daß auch hinter diesem realen Vaterbild seine Vatersehnsucht steckte. Man kann wohl sagen, daß Roth auch in diesem Sinne kein Expressionist sein konnte.
Die zweite Eigenschaft seiner Vaterphantasien besteht darin,

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