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Open AccessOriginalarbeit

Entwicklung von psychischen Auffälligkeiten bei Mädchen und Jungen in stationären Jugendhilfeeinrichtungen zwischen den Jahren 2008 und 2020

Published Online:https://doi.org/10.1024/1422-4917/a000879

Abstract

Zusammenfassung.Fragestellung: Studien zeigen eine höhere Prävalenz von psychischen Auffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen in stationären Jugendhilfeeinrichtungen im Vergleich zur altersentsprechenden Allgemeinbevölkerung. Es fehlen bislang Untersuchungen zur Entwicklung über die Zeit. In der vorliegenden Studie wurden psychische Auffälligkeiten von Kindern und Jugendlichen in diesen Einrichtungen und die Entwicklung des psychosozialen Funktionsniveaus über die Jahre 2008 bis 2020 untersucht. Methodik: Psychische Auffälligkeiten wurden mittels der Child Behavior Checklist (CBCL) erfasst, das psychosoziale Funktionsniveau mittels der Achse VI des Multiaxialen Klassifikationsschemas (MAS). Insgesamt wurden die Daten von 3269 Kindern und Jugendlichen in Jugendhilfeeinrichtungen analysiert. Ergebnisse: Bei der Betrachtung der Häufigkeit von psychischen Auffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen in stationären Jugendhilfeeinrichtungen über die Jahre 2008 bis 2020 zeigt sich eine Abnahme externalisierender Verhaltensauffälligkeiten, wobei speziell Jungen ab 12 Jahren über die Jahre verglichen weniger auffällig sind. Bei internalisierenden Verhaltensauffälligkeiten gehen die hohen Problemwerte auf die Werte von älteren Mädchen zurück, wobei sich hier kein einheitlicher Trend über die Zeit zeigt. Bei über einem Viertel der Kinder und Jugendlichen ist das psychosoziale Funktionsniveau über die Jahre in etwa gleichbleibend deutlich beeinträchtigt. Schlussfolgerungen: In Anbetracht der Alters- und Geschlechtseffekte im Zusammenhang mit der Entwicklung psychischer Auffälligkeiten über die Zeit ist eine Überprüfung der Betreuungssituation in stationären Jugendhilfeeinrichtungen zu empfehlen.

Development of Mental Health Problems of Girls and Boys in Residential Care Between 2008 and 2020

Abstract.Objective: Studies show a high prevalence of mental health problems in children and adolescents in youth-welfare facilities compared to the general population. However, to date, studies on this development over time are lacking. The present study examines the development of mental health problems and psychosocial functioning in the years 2008 to 2020. Method: Mental health problems were assessed with the CBCL, psychosocial functioning with Axis VI of the MAS. In total, data from 3,269 children and adolescents from residential-care facilities located throughout Germany were included in the analysis. Results: a decrease in externalizing behaviour was observed regarding the frequency of mental health problem in children and adolescents in youth-welfare facilities from 2008 to 2020. Particularly boys aged 12 and older show less deviant behavior. Older girls show high internalizing behavior problem scores over time, but there is no consistent trend. More than a quarter of the institutionalized children in youth-welfare institutions show severely impaired psychosocial functioning at a consistent level over time. Conclusions: In light of the age and gender effects associated with the development of mental health problems over time, there is a need to regard the care situation in youth-welfare institutions.

Einleitung

Weltweit wird die Prävalenz von psychischen Störungen bei Kindern und Jugendlichen auf rund 7 bis 13 % geschätzt (Erskine et al., 2017; Kieling et al., 2011; Polanczyk, Salum, Sugaya, Caye & Rohde, 2015). Für Deutschland liegen Daten aus der KiGGS-Studie (n = 13.205, 50.3 % Mädchen) mit einer Prävalenz von 16.9 % (3–17 Jahre, 2014–2017) vor. Jungen wurden signifikant häufiger als psychisch auffällig eingeschätzt (19.1 % vs. Mädchen 14.5 %), vor allem in der Altersgruppe der 3- bis 14-Jährigen (Klipker, Baumgarten, Göbel, Lampert & Hölling, 2018). In den Jahren 2003 bis 2006 zeigt sich ein Rückgang von rund 3 % bei von Eltern eingeschätzten psychischen Auffälligkeiten bei ihren Kindern (Klipker et al., 2018). Dieser rückläufige Trend ist besonders auf die Prävalenz psychischer Auffälligkeiten bei den 9- bis 17-jährigen Jungen zurückzuführen (Rückgang von 4.5 % vs. 1.4 % bei Mädchen; Klipker et al., 2018). Demgegenüber dokumentieren aktuelle bundesweite vertragsärztliche Abrechnungsdaten eine stetige Zunahme an diagnostizierten psychischen Störungen, vor allem in den Jahren 2009 bis 2014 mit einer ebenfalls höheren Prävalenz bei Jungen von 31 % im Jahr 2017 im Vergleich zu 24 % bei den Mädchen. Jungen sind vor allem bis zum fünften Lebensjahr betroffen, bei Mädchen steigt der Anteil in der Altersgruppe ab 14 Jahren (Steffen, Akmatov, Holstiege & Bätzing, 2019).

Im Vergleich zu den berichteten Prävalenzraten in der Allgemeinbevölkerung ist der Anteil von Kindern und Jugendlichen, die in stationären Einrichtungen der Jugendhilfe betreut werden und an psychischen Auffälligkeiten leiden, überproportional hoch (u. a. Bronsard et al., 2016; McMillen et al., 2005; Schröder, Pérez, Buderer & Schmid, 2017). So ergab eine Metaanalyse von Studien aus verschiedenen Ländern eine gepoolte Prävalenz von 49 %, fast viermal höher als in der Allgemeinbevölkerung (13.4 %; Bronsard et al., 2016). In einer norwegischen Studie (n = 400, 12–23 Jahre, 86 Einrichtungen) erfüllten 76.2 % innerhalb der letzten 3 Monate die Kriterien für mindestens eine psychische Störung nach dem Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-IV). Für Mädchen wurde dabei eine geringere Wahrscheinlichkeit errechnet, eine Diagnose zu erhalten, als für Jungen, wobei dieses Verhältnis störungsbildspezifisch unterschiedlich war (Jozefiak et al., 2016). Eine etwas niedrigere Prävalenz von 48.6 % für mindestens eine psychische Störung in den vergangenen 6 Monaten wird in einer Studie aus Frankreich (n = 183, 13–17 Jahre) in Wohngruppen berichtet. 32.8 % der Befragten zeigten dabei Störungen im internalisierenden und 17.5 % im externalisierenden Bereich. Die Prävalenz war bei Mädchen (64.9 %) signifikant höher als bei Jungen (36.6 %), dies betraf jedoch nur internalisierende Störungen (57.1 % vs. 15.1 % bei Jungen; Bronsard et al., 2011). Bei allen berichteten Studien handelt es sich um Querschnittsbefragungen, die keine Aussage zur Entwicklung der Prävalenz von psychischen Auffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen speziell in stationären Jugendhilfeeinrichtungen treffen können.

Zur Erfassung von psychischen Auffälligkeiten in Deutschland bei stationär in Jugendhilfeeinrichtungen untergebrachten Kindern und Jugendlichen liegen ebenfalls nur einzelne Querschnittsbefragungen vor. So wurde in einer Studie (n = 689, 4–18 Jahre, 20 Einrichtungen) festgestellt, dass nach Einschätzung der Betreuungskräfte (Child Behavior Checklist [CBCL]) und der Selbsteinschätzung der Kinder und Jugendlichen (Youth Self Report [YSR]) 81.2 % auffällige Werte (T-Wert > 59) beim Gesamtproblemwert aufwiesen (internalisierend: T-Wert = 60.1, SD = 10.1; externalisierend: T-Wert = 64.3, SD = 11.4). Ein Teil der Kinder und Jugendlichen (n = 464) wurde zusätzlich mit einem halbstrukturierten Interview untersucht (Diagnostik-System für psychische Störungen für Kinder und Jugendliche [DISYPS-KJ]; Döpfner & Lehmkuhl, 2000). Bei etwas über der Hälfte der Kinder und Jugendlichen (57.1 %, weibl. 51.4 %, männl. 59.6 %) ließen sich psychische Störungen nach ICD-10 (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) diagnostizieren (Schmid, Goldbeck, Nuetzel & Fegert, 2008).

Engel, Häßler und Pätow (2009) untersuchten in ihrer Arbeit ebenfalls psychische Auffälligkeiten und dabei mögliche Geschlechtsunterschiede (n = 42, 52 % weiblich, 13–20 Jahre) durch Selbstbeurteilung und Fremdeinschätzung durch Lehrkräfte und stellten im Vergleich zur Normalpopulation ebenfalls erheblich höhere Prävalenzraten für psychische Störungen fest; so waren 57 % im Selbsturteil auffällig. Bei der Fremdbeurteilung mit dem Teacher Report-Form (TRF; Achenbach, 1991) zeigten sich bei 36 % der Kinder und Jugendlichen klinisch relevante internale und bei 54 % externale psychische Auffälligkeiten. 56 % der Jugendlichen wurden von den Betreuungskräften insgesamt als psychisch auffällig eingeschätzt (Engel et al., 2009).

Aktuellere Daten liefert die Studie von Schröder et al. (2017; n = 731, MW = 13,5 Jahre, SD = 2.73), die die psychischen Auffälligkeiten von Kindern und Jugendlichen aus Jugendhilfeeinrichtungen mit denjenigen von Pflegekindern und Kindern aus der Allgemeinbevölkerung anhand der CBCL verglichen. 82.1 % der Kinder in der Jugendhilfeeinrichtung und 63.8 % der Pflegekinder zeigten auffällige Werte. Betrachtet man alle Studien in Jugendhilfeeinrichtungen abschließend gemeinsam, so ist bei der Einordnung der Prävalenz zu berücksichtigen, dass die Studien überwiegend auf unterschiedlichen Erhebungsinstrumenten basieren, was es schwierig macht, die berichteten Vorkommenshäufigkeiten bezüglich psychischer Auffälligkeiten zu kontrastieren.

Die insgesamt jedoch hohe berichtete Anzahl an Kindern und Jugendlichen mit psychischen Auffälligkeiten in stationären Jugendhilfeeinrichtungen zeigt die Notwendigkeit einer therapeutischen Intervention bei den betroffenen Kindern und Jugendlichen (Müller-Luzi & Schmid, 2017; Noske & Thun-Hohenstein, 2020). Ausgehend von der Studienlage soll explorativ untersucht werden, wie sich psychische Auffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen in stationären Jugendhilfeeinrichtungen über die Jahre in den Einrichtungen entwickeln. Obwohl diese Fragestellung sehr zentral für stationäre Einrichtungen zu sein scheint, lässt sie sich auf der Grundlage der vorliegenden Studienlage nicht beantworten.

Methodik

Informationen zur Studie

Die Beantwortung der Fragestellungen erfolgt auf der Grundlage von Daten aus 38 stationären Einrichtungen der Jugendhilfe des Christlichen Jugenddorfwerk Deutschlands gemeinnütziger e. V. (CJD). In diesen Einrichtungen leben Kinder und Jugendliche, die aus verschiedenen Gründen, z. B. Kindeswohlgefährdung, Belastung durch familiäre Konflikte oder Auffälligkeiten im sozialen Verhalten, stationäre Leistungen durch die Jugendhilfe erhalten. In den Einrichtungen, die in die Studie miteingeschlossen wurden, werden seit dem Jahr 2008 regelmäßig bei Aufnahme eines Kindes/einer oder eines Jugendlichen in die Einrichtung (soziodemografische) Basisdaten wie Geschlecht, Alter, Finanzierungsart etc. erfasst und weitere Instrumente (z. B. zur Erfassung von psychischen Auffälligkeiten, von Lebens- und Beziehungsqualität und des psychosozialen Funktionsniveaus etc.) eingesetzt. Die Kinder/Jugendlichen und ihre Eltern sind über die standardmäßige Erfassung der Daten und die anonymisierte Weitergabe zu Studienzwecken informiert. Für die Studie liegt ein positives Votum der Ethikkommission der Universität Ulm vor. Im Rahmen dieser Arbeit werden die Daten der Erhebung psychischer Auffälligkeiten mittels der CBCL sowie zum psychosozialen Funktionsniveau berichtet.

Instrumente

Für die Analyse von psychischen Auffälligkeiten bei den stationär in Jugendhilfeeinrichtungen untergebrachten Kindern und Jugendlichen in den an der Studie beteiligten Einrichtungen wurde die CBCL herangezogen, die die Symptombelastung bei den Befragten erfasst und eine hohe Reliabilität und Testgültigkeit aufweist. Die Bewertung des Verhaltens des Kindes oder Jugendlichen erfolgt aus der Perspektive von Eltern oder anderen nahestehenden Erwachsenen (Arbeitsgruppe Deutsche Child Behavior Checklist, 1998). Die CBCL wird jeweils von einer (sozial)pädagogischen Fachkraft (Bezugsbetreuer_in des Kindes/der oder des Jugendlichen) in der Einrichtung wenige Wochen nach Aufnahme ausgefüllt und beinhaltet acht Primärskalen/Syndromskalen (Sozialer Rückzug [SR], Körperliche Beschwerden [KB], Ängstlich/depressiv [AD], Bizarres Verhalten [SZ], Aufmerksamkeitsprobleme [AP], Soziale Probleme [SP], Aggressives Verhalten [AV], Dissoziales/regelverletzendes Verhalten [DV]) und drei Sekundärskalen (Gesamtwert Problemverhalten, Internalisierendes Verhalten [SR+KB+AD], Externalisierendes Verhalten [AV+DV]), die anhand von 120 Items zum aktuellen Befinden oder rückwirkend für die letzten 6 Monate erfasst werden (z. B. zieht sich zurück, nimmt keinen Kontakt zu anderen auf, streitet oder widerspricht viel). Die Aussagen können auf einer dreistufigen Skala von 0 = „nicht zutreffend“, 1 = „etwas oder manchmal zutreffend“, 2 = „genau oder häufig zutreffend“ bewertet werden. Als klinisch auffällig gelten T-Werte ≥ 63 auf der Ebene der Sekundärskalen, der Grenzbereich liegt zwischen den T-Werten 60 bis 63. Die Normierung der CBCL erfolgte durch die PAK-KID-Studie (Döpfner et al., 1997).

Für die Analyse des psychosozialen Funktionsniveau der Kinder und Jugendlichen liegen Daten anhand der für die Jugendhilfe modifizierten Achse VI des Multiaxialen Klassifikationsschemas (MAS VI; Remschmidt, Schmidt & Poustka, 2012) vor, mit der die globale psychische, soziale und berufliche bzw. schulische Leistungsfähigkeit in den letzten 3 Monaten auf einer neunstufigen Skala beurteilt werden kann (1 = „Hervorragende oder gute soziale Anpassung auf allen Gebieten“, 9 = „Braucht ständige Betreuung [24-Stunden-Versorgung]“). Die Einschätzung erfolgte durch (sozial)pädagogische Fachkräfte in der Einrichtung (Bezugsbetreuer_in) wenige Wochen nach der Aufnahme des Kindes/der oder des Jugendlichen. Die Einstufung sollte darauf basieren, bis zu welchem Grad der junge Mensch z. B. in der Lage ist, angemessen Beziehungen mit Eltern, Geschwistern, Lehrkräften und anderen Erwachsenen aufrechtzuerhalten, mit schulischen bzw. beruflichen Anforderungen dem Alter und den gegebenen intellektuellen Fähigkeiten entsprechend zurechtzukommen, tragfähige Beziehungen zu Gleichaltrigen herzustellen, die auch gemeinsame Aktivitäten einschließen, und sich bei verschiedenen Freizeitaktivitäten zu engagieren. Bei dem für die Jugendhilfe modifizierten Instrument geht es nicht darum, die direkten Folgen einer psychischen Erkrankung einzuschätzen, sondern um eine globale Einschätzung des Kindes hinsichtlich seiner psychosozialen Funktionsfähigkeit im Alltag. Ein Wert von 1 bis 2 beschreibt dabei ein psychosoziales Funktionsniveau im sehr guten bis befriedigenden Bereich, Werte von 3 oder 4 gehen von mittleren Beeinträchtigungen aus, bei einem Wert von 5 oder 6 kann von mindestens deutlichen Beeinträchtigungen ausgegangen werden und ab einem Wert von 7 von schwerwiegenden Beeinträchtigungen mit einem sehr hohen Betreuungsbedarf.

Statistische Analysen

Die Auswertung der Daten erfolgte mit der Auswertungssoftware IBM SPSS Statistics Version 27.

Die Darstellung von psychischen Auffälligkeiten erfolgt deskriptiv auf der Grundlage der Rohwerte für den Gesamtwert Problemverhalten und für die Sekundärskalen Internalisierendes und Externalisierendes Verhalten mittels der CBCL. Anschließend erfolgte anhand der T-Werte eine Einteilung in die Gruppe klinisch auffälliger Kinder und Jugendlichen bei einem T-Wert ≥ 63.

Beim psychosozialen Funktionsniveau wurden für eine bessere Übersicht die insgesamt neun Stufen in vier Stufen zusammengefasst (1–2, 3–4, 5–6, ab 7).

Für die Analysen über die Zeit wurden zunächst Mittelwerte aus den Rohwerten auf der Ebene der Sekundärskalen und den Rohwerten des psychosozialen Funktionsniveaus gebildet und anschließend univariate Varianzanalysen durchgeführt. Das Geschlecht und das Alter wurden jeweils mit in die Analysen eingeschlossen. Das Alter wurde dabei aufgrund von Hinweisen zu Alterseffekten in der berichteten Literatur in zwei Kategorien aufgeteilt: unter 12- und über 12-jährige Kinder und Jugendliche. Für die Variable „Zeit“ wurde zusätzlich eine Trendanalyse mittels Kontrastschätzer vorgenommen. Zur Schätzung der Effekte wird die aufgeklärte Varianz berichtet.

Zur Betrachtung der Vorhersagbarkeit von Informationen über die Zeit (Jahr 2008 bis 2020) für die einzelnen Geschlechts- und Altersgruppen wurden darüber hinaus die bereits aus den Rohwerten errechneten Mittelwerte extrahiert und lineare Trends mithilfe von Regressionsanalysen einzeln berechnet. Für alle Analysen lag das Signifikanzniveau bei 5 %.

Ergebnisse

Deskriptive Auswertung

Für die Berechnung von psychischen Auffälligkeiten gingen Datensätze von 3269 Kindern und Jugendlichen aus 38 Einrichtungen der Jugendhilfe in die Analyse ein (37 % weiblich). Die Kinder und Jugendlichen in den stationären Jugendhilfeeinrichtungen waren zum Zeitpunkt der Erhebung im Durchschnitt 13.92 Jahre alt (SD = 2.8) und durchschnittlich 24.8 Monate in der Einrichtung der Jugendhilfe (SD = 16.6) untergebracht.

Gemäß der CBCL zeigen 40.1 % (n = 1311) der stationär in Jugendhilfeeinrichtungen untergebrachten Kinder und Jugendlichen klinisch auffällige Werte im externalisierenden Bereich und 40.9 % (n = 1338) im internalisierenden Bereich. 48.6 % (n = 1590) weisen klinisch auffällige Werte beim Gesamtwert Problemverhalten auf.

22.7 % (n = 742) der Kinder und Jugendlichen zeigen nach Einschätzung ihrer Betreuungskräfte ein gutes psychosoziales Funktionsniveau (Stufe 1 und 2), 45.4 % (n = 1485) weisen leichte oder mäßige soziale Beeinträchtigungen auf (Stufe 3 und 4), während 25.8 % (n = 844) deutliche soziale Beeinträchtigungen zeigen (Stufe 5 und 6). 6.1 % (n = 198) der Kinder und Jugendlichen in den Jugendhilfeeinrichtungen zeigen schwerwiegende soziale Beeinträchtigungen in den meisten Bereichen bis hin zu einem 24-Stunden-Betreuungsbedarf (ab Stufe 7). Für die Betrachtung der Mittelwerte aus den Rohwerten zu allen Messinstrumenten siehe das elektronische Supplement (ESM) 1, Tabellen 4, 5, 6 und 7.

Veränderung über die Zeit von internalisierendem und externalisierendem Verhalten sowie dem psychosozialen Funktionsniveau

Bei der Betrachtung der Mittelwerte über die Jahre hinweg, zeigt sich in den univariaten Varianzanalysen für beide Sekundärskalen ein Haupteffekt der Zeit (siehe Tabelle 1). In Bezug auf das externalisierende Verhalten zeigt sich bei genauerer Betrachtung der Variable „Zeit“ in der Trendanalyse ein linearer Trend der Zeit (Kontrastschätzer = –3.185; Standardfehler = 1.104; p = .004). Für internalisierendes Verhalten ergeben sich keine signifikanten Kontraste in der Trendanalyse, sodass der Haupteffekt der Zeit nicht auf einen linearen oder quadratischen Trend, sondern auf die Schwankungen zwischen den Jahren zurückzuführen ist.

Tabelle 1 Darstellung der Sekundärskalen über die Zeit in Abhängigkeit von Alter und Geschlecht

Differenzierte Ergebnisse auf der Ebene der Sekundärskalen können dem ESM 1 entnommen werden.

Im nächsten Schritt werden die Unterschiede zu Alter und Geschlecht unabhängig von der Zeit betrachtet: Die signifikanten Haupteffekte von Alter und Geschlecht bei internalisierendem Verhalten zeigen an, dass Mädchen und ältere Kinder über die Jahre hinweg häufiger psychische Auffälligkeiten aufweisen. Der Interaktionseffekt zwischen Alter und Geschlecht gibt Aufschluss darüber, dass vor allem ältere Mädchen höhere Symptombelastungen aufweisen (siehe Abbildung 1a).

Abbildung 1a–1c Mittelwerte und geschätzte Trendlinien für internalisierendes Verhalten, externalisierendes Verhalten (Sekundärskalen der CBCL) und für das psychosoziale Funktionsniveau über die Jahre hinweg mit Geschlechts- und Altersgruppen. Weiblich unter 12 wurde nicht eingezeichnet, da die Stichprobengröße/Jahre teilweise gering ist. Die Mittelwerte wurden aus den Rohwerten errechnet.

Betrachtet man diese Variablen bei den externalisierenden Verhaltensweisen, zeigen sich ebenso signifikante Haupteffekte von Alter und Geschlecht. Vor allem männliche Jugendliche und jüngere Kinder haben eine höhere Symptombelastung. Der Interaktionseffekt Alter und Geschlecht zeigt darüber hinaus, dass die auffälligste Gruppe unabhängig vom betrachteten Jahr die der männlichen Kinder unter 12 Jahren ist (siehe Abbildung 1b).

Bei der Betrachtung des psychosozialen Funktionsniveaus zeigt sich ebenso ein Haupteffekt der Zeit. So schwankt auch das psychosoziale Funktionsniveau über die Zeit und weist einen kubischen Trend auf (Kontrastschätzer = –.351; Standardfehler = .155; p = .023; siehe Tabelle 2).

Tabelle 2 Darstellung des psychosozialen Funktionsniveaus über die Zeit in Abhängigkeit von Alter und Geschlecht

Unabhängig vom Jahr zeigen ältere Kinder und Jugendliche ein besseres psychosoziales Funktionsniveau (Haupteffekt Alter) und Mädchen ein etwas besseres als Jungen (Haupteffekt Geschlecht). Der Interaktionseffekt zwischen Alter und Geschlecht zeigt, dass der Unterschied vor allem in der Gruppe der jüngeren Kinder zu finden ist. Männliche Kinder unter 12 Jahren sind am stärksten in ihrem psychosozialen Funktionsniveau beeinträchtigt (siehe Abbildung 1c). Der Interaktionseffekt zwischen Zeit, Alter und Geschlecht wiederum zeigt, dass sich die Unterschiede über die Jahre hinweg verändern.

Lineare Trendanalysen zu den Sekundärskalen und zum psychosozialen Funktionsniveau

Ausgehend von den Effekten durch Geschlecht und Alter wurden in den univariaten Varianzanalysen explorativ die einzelnen Alters- und Geschlechtsgruppen getrennt hinsichtlich ihrer Regressionsgeraden untersucht. Tabelle 3 zeigt die Steigungskoeffizienten und die Beta-Gewichte für die Kategorien. Hier wird ein signifikanter Anstieg bei der Sekundärskala zu internalisierendem Verhalten für Mädchen über 12 Jahre deutlich. Für die Sekundärskala zu externalisierendem Verhalten zeigt sich insgesamt eine Abnahme besonders für Jungen und im Speziellen für Jungen ab 12 Jahren. Beim psychosozialen Funktionsniveau zeigt sich ein leichter Trend in Richtung einer Verbesserung bei den Mädchen (siehe Tabelle 3).

Tabelle 3 Veränderung der Mittelwerte bei internalisierendem und externalisierendem Verhalten und dem psychosozialen Funktionsniveau über die Zeit in Abhängigkeit von Alter und Geschlecht

Diskussion

Bevölkerungsrepräsentative Studien berichten von einer leicht abnehmenden Anzahl psychisch auffälliger Kinder und Jugendlicher im Rahmen einer Befragung von Eltern (Klipker et al., 2018), erfassen allerdings dabei Kinder und Jugendliche in stationären Jugendhilfeeinrichtungen nicht explizit. Studien in stationären Jugendhilfeeinrichtungen hingegen zeigen, dass der Anteil von Kindern und Jugendlichen mit psychischen Auffälligkeiten in diesen Einrichtungen überproportional hoch ist (Schmid et al., 2008), geben allerdings keine Auskunft darüber, wie sich die Symptombelastung über die Jahre in stationären Jugendhilfeeinrichtungen entwickelt. Ziel der vorliegenden Studie war es daher, diese Fragen auf der Grundlage von Daten aus stationären Einrichtungen der Jugendhilfe des Christlichen Jugenddorfwerk Deutschlands gemeinnütziger e. V. zu beantworten und zu untersuchen, ob sich der berichtete abnehmende Trend hinsichtlich psychischer Auffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen in der Allgemeinbevölkerung auch bei Kindern und Jugendlichen in den Jugendhilfeeinrichtungen nachweisen lässt. Für die Analysen wurde die Einschätzung von (sozial)pädagogischen Fachkräften zu 3269 Kindern und Jugendlichen mit der CBCL aus den Jahren 2008 bis 2020 herangezogen.

Die Untersuchung zeigt zunächst, dass fast die Hälfte der Kinder und Jugendlichen (48.6 %) in den untersuchten Einrichtungen von 2008 bis 2020 klinisch auffällige Werte im Gesamtwert Problemverhalten (CBCL) erreichten. 40.1 % der Kinder und Jugendlichen zeigten klinisch auffällige Werte im externalisierenden Bereich und etwa genauso viele Kinder und Jugendliche (40.9 %) im internalisierenden Bereich. Auch wenn damit ein beträchtlicher Anteil der insgesamt über 3000 Kinder und Jugendlichen in den betrachteten Einrichtungen nach Einschätzung der Betreuungsfachkräfte psychische Auffälligkeiten zeigen, fällt dieser Anteil prozentual teilweise deutlich geringer aus, als die bisherige Studienlage zu Kinder und Jugendlichen in Jugendhilfeeinrichtungen zeigt (z. B. 81.2 % bei Schmid et al., 2008; 82.1 % bei Schröder et al., 2017; bei Engel et al., 2009 54 % mit Auffälligkeiten im externalisierenden Bereich, 36 % mit Auffälligkeiten im internalisierenden Bereich). Dies mag damit zusammenhängen, dass diese Studien teilweise auf Selbsteinschätzungen beruhen, aus anderen Ländern stammen oder andere Screening-Instrumente für die Erfassung von psychischen Auffälligkeiten als unsere Studie verwenden, wobei in fast allen Studien aus Deutschland die Instrumente von Achenbach Verwendung gefunden haben. Gleichwohl liegt der Anteil der Kinder und Jugendlichen mit psychischen Auffälligkeiten auch in unserer Studie mit fast 50 % (Gesamtwert Problemverhalten) deutlich über der in Studien berichteten Prävalenz für psychische Auffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen in der Allgemeinbevölkerung in Deutschland (16.9 % bei Kinder und Jugendlichen im Alter von 3 bis 17 Jahren; Klipker et al., 2018). Um die hohen Prävalenzen von psychischen Auffälligkeiten in der Stichprobe der Kinder und Jugendlichen, welche in stationären Jugendhilfeeinrichtungen untergebracht sind, besser einordnen zu können, möchten wir auf die Gründe für die Unterbringung im Heim eingehen. Die Jugendhilfestatistik zeigt, dass im Jahr 2008 bis 2020 etwa gleichbleibend viele Kinder aufgrund einer eingeschränkten Erziehungskompetenz der Eltern bzw. Sorgeberechtigten stationär untergebracht wurden (2008: 19.8 %; 2020: 17.1 %) sowie aufgrund von Auffälligkeiten im sozialen Verhalten des jungen Menschen (2008: 15.3 %). Im Jahr 2020 wurden 11.7 % der Hilfen aufgrund von Entwicklungsauffälligkeiten bzw. seelischen Problemen des jungen Menschen oder der Gefährdung des Kindeswohls gewährt (Statistisches Bundesamt, 2009, 2021). So stellen also kritische Momente in der Entwicklung einen häufigen Aufnahmegrund dar, aber auch Situationen der Unversorgtheit, z. B. aufgrund schwerer Erkrankung der Eltern, was häufig hohe psychische Belastungen und psychosoziale Beeinträchtigungen bei den Kindern in den Familien auslösen kann (Romer, 2007). Bei der untersuchten Stichprobe handelt sich also um eine Inanspruchnahme- und Risikopopulation, die wenig vergleichbar ist mit Kindern und Jugendlichen der Allgemeinbevölkerung.

Ziel der Arbeit war es, die Gruppe der Kinder und Jugendlichen in den Einrichtungen auf der Ebene der Symptombelastung zu betrachten. Hierfür wurden die Rohwerte zum Problemgesamtwert herangezogen und Mittelwerte gebildet. Über die Jahre 2008 bis 2020 zeigt sich dabei, dass die Mittelwerte leicht schwanken (z. B. Jahr 2019: MW = 43.46; Jahr 2020: MW = 39.46). Da der Gesamtproblemwert allerdings nur global auf Auffälligkeiten hinweist und in diesem Wert zudem ganz verschiedene Symptombelastungen zusammenfasst ist, haben wir die weiteren Analysen auf der Ebene der Sekundärskalen durchgeführt. Betrachtet man die Ebene der Sekundärskalen (externalisierende und internalisierende Verhaltensauffälligkeiten), lassen sich unterschiedliche Entwicklungen nachweisen: Bei den externalisierenden Verhaltensauffälligkeiten zeichnet sich ein leichter Abwärtstrend von psychischen Auffälligkeiten von 2008 bis 2020 ab, was vorrangig auf die Abnahme von externalisierenden Verhaltensauffälligkeiten bei Jungen über 12 Jahren zurückgeht.

In Bezug auf internalisierende Verhaltensauffälligkeiten schwankt der Anteil über die Jahre 2008 bis 2020 hinweg, folgt jedoch keinem so eindeutigen Trend wie im Bereich der externalisierenden Verhaltensauffälligkeiten. Mädchen und ältere Jugendliche sind jedoch insgesamt etwas auffälliger. Vor allem Mädchen über 12 Jahren sind deutlich stärker von psychischen Auffälligkeiten im internalisierenden Bereich betroffen, was etwas höhere Werte vor allem in einigen der betrachteten Jahre erklärt (z. B. für das Jahr 2016: MW = 15.06 weibl.; 2019: MW = 16.88).

Interpretiert man die Daten in der Zusammenschau mit den vorhandenen Studien, zeigt sich der Trend hin zu geringeren Werten bei externalisierenden Verhaltensauffälligkeiten auch in der bevölkerungsrepräsentativen KiGGS-Studie. In dieser Studie wurden fast 5 % der Jungen in den Jahren 2014 bis 2017 im Vergleich zu den Jahren 2003 bis 2006 als weniger psychisch auffällig von ihren Eltern eingeschätzt (Klipker et al., 2018). Dieser rückläufige Trend geht nach Aussage einiger Autor_innen auf die rechtzeitige Identifizierung von männlichen Jugendlichen als Problemgruppe für externalisierendes Verhalten in den vergangenen Jahren zurück (Hölling, Schlack, Petermann, Ravens-Sieberer & Mauz, 2014; Klasen et al., 2016) und auf die Ausarbeitung zahlreicher Interventionen und Therapieansätze sowie Präventionsangebote, speziell für Jungen (u. a. Bisutti & Wölfl, 2011; Luedtke & Geiß, 2007). Dieser Erklärungsansatz kann auch für unsere Studie herangezogen werden. Möglicherweise spiegelt sich in diesen Daten aber auch eine verbesserte psychiatrische/psychotherapeutische Versorgung der Kinder und Jugendlichen wider, einschließlich einer berichteten Zunahme an Behandlungen mit Psychopharmaka in den letzten Jahren (Franke, Fegert, Krüger & Kölch, 2016).

Die etwas höhere Symptombelastung bei Mädchen im internalisierenden Bereich ist zwar bekannt (Bronsard et al., 2011; Ihle & Esser, 2002), sollte jedoch zukünftig stärker in den Blick genommen werden. Insbesondere bei den älteren Mädchen zeigt sich in den Daten ein Trend von 2008 bis 2020 hin zu einer höheren Belastung durch internalisierende Verhaltensauffälligkeiten, was auf der Grundlage der Analysen nicht weiter interpretiert werden kann und daher weiter untersucht werden sollte.

Bei der Auslegung der Studienbefunde muss jedoch grundsätzlich auch bedacht werden, dass dimensionale Verfahren wie die CBCL des Achenbach-Systems of Empirically Based Assessment (ASEBA) im strengen Sinne keine Aussagen über tatsächlich vorhandene psychische Störungen erlauben, sondern lediglich Hinweise auf solche geben können, sodass sich bei den betroffenen Kindern und Jugendlichen, die von (sozial)pädagogischen Fachkräften in den Einrichtungen eingeschätzt wurden, zunächst eine kinder- und jugendpsychiatrische und psychotherapeutische Untersuchung anschließen sollte, die dann auch die Einschätzung des psychosozialen Funktionsniveaus in Zusammenhang mit möglichen psychischen Störungen beinhalten könnte. Diese Einschätzung von entsprechenden Fachkräften kann dann ein valides Bild über das psychische Befinden von Kindern und Jugendlichen in stationären Jugendhilfeeinrichtungen vermitteln.

Betrachtet man das psychosoziale Funktionsniveau der Kinder und Jugendlichen, zeigen sich auch hier Schwankungen über die Jahre, wobei der signifikante kubische Trend inhaltlich nicht gut interpretierbar ist. Zunächst zeigen sich unabhängig von der Zeit Unterschiede hinsichtlich Alter und Geschlecht. So verfügen Mädchen und ältere Kinder über ein insgesamt besseres psychosoziales Funktionsniveau als jüngere Kinder bzw. Jungen, vor allem Jungen unter 12 Jahren. Bei detaillierter Betrachtung der Altersgruppen zeigt sich, dass zwar Mädchen insgesamt ein besseres psychosoziales Funktionsniveau aufweisen, dies aber darauf zurückgeht, dass Jungen unter 12 Jahren ein deutlich schlechteres psychosoziales Funktionsniveau zeigen. Der Interaktionseffekt macht deutlich, dass vorrangig jüngere, männliche Kinder Beeinträchtigungen im Alltag aufweisen. Möglicherweise hängt das damit zusammen, dass bei dieser Gruppe eher jüngerer, stationär in Jugendhilfeeinrichtungen untergebrachter Kinder eine besonders hohe (familiäre) Problembelastung vorliegt, denn offensichtlich haben ambulante Maßnahmen bei diesen Kindern und ihren Familien nicht ausgereicht. So berichten Studien darüber, dass vor allem jüngere Kinder dann stationäre Hilfen erhalten, wenn Vernachlässigung und Kindeswohlgefährdung vorliegen (Kaufhold, Pothmann & Schilling, 2016; Ulrich, Minet, von Wölfel & Drößler, 2013) oder sie aufgrund ihrer bestehenden Verhaltensauffälligkeiten einen so massiven Betreuungsbedarf haben, dass dieser nur stationär aufgefangen werden kann (Paul & Backes, 2008).

Gut ein Viertel der Kinder und Jugendlichen (25.8 %) weist deutliche Beeinträchtigungen im Alltag nach Einschätzung der (sozial)pädagogischen Fachkräfte auf, was sich beispielsweise an einem erheblichen Mangel an Freunden, Unfähigkeiten mit neuen sozialen Situationen zurechtzukommen und Schulabstinenz zeigt. Immerhin rund 6 % benötigen einen sehr hohen Betreuungsschlüssel bis hin zu einer 24-Stunden-Betreuung, was ein Signal an die Leitung der stationären Einrichtungen sein kann, ausreichend Kapazitäten für die Betreuung der Kinder und Jugendlichen in der Einrichtung bereitzustellen. In Anbetracht der erfassten Symptombelastung der Kinder und Jugendlichen in den Jugendhilfeeinrichtungen und deren Entwicklungen über die Jahre auf der Ebene der Querschnittsdaten ist auch auf eine ausreichende Qualifikation bei Fachkräften für die Problemlagen der Kinder in der Einrichtung zu achten.

Limitationen

Die abschließende Interpretation der Ergebnisse sollte unter Beachtung der Limitation erfolgen, dass die in der vorliegenden Studie verwandten Instrumente nicht geeignet sind, psychische Störungen zu erfassen, sondern lediglich Verhaltensauffälligkeiten, sodass auch an dieser Stelle nochmals auf die Notwendigkeit einer entsprechenden Untersuchung hingewiesen wird. Als limitierend bei dieser Arbeit stellte sich zudem heraus, dass nur wenig Daten aus der Gruppe der Mädchen unter 12 Jahren vorlagen, sodass eine separate Betrachtung dieser spezifischen Gruppe nicht vorgenommen werden konnte und eine Trendanalyse auch nur begrenzt möglich war. Außerdem sollte beachtet werden, dass aufgrund der explorativen Herangehensweise bei der Trendanalyse auf eine Korrektur des Signifikanzniveaus nach Bonferroni verzichtet wurde, wodurch einige Tests möglicherweise nicht mehr signifikant geworden wären.

Elektronisches Supplement

Das elektronische Supplement (ESM) ist mit der Online-Version dieses Artikels verfügbar unter

https://doi.org/10.1024/1422-4917/a000879.

Literatur

Anhang

CME-Fragen

  1. 1.
    Welche geschlechtsbezogenen Aussagen treffen für die untersuchten Kinder und Jugendlichen in Jugendhilfeeinrichtungen zu? (Mehrfachauswahl)
    • a)
      Jungen weisen über die Untersuchungsjahre hinweg häufiger psychische Auffälligkeiten im internalisierenden Bereich auf.
    • b)
      Ältere Mädchen weisen eine höhere Symptombelastung auf als Jungen.
    • c)
      Die auffälligste Gruppe bei externalisierenden Störungsbildern sind Jungen über 12 Jahren.
    • d)
      Mädchen zeigen im Alter bis 12 Jahren ein besseres psychosoziales Funktionsniveau als Jungen.
    • e)
      Für alle untersuchten Bereiche (internalisierende, externalisierende Verhaltensauffälligkeiten und psychosoziales Funktionsniveau) wurden Geschlechtsunterschiede festgestellt.
  2. 2.
    Welche Aussage trifft hinsichtlich des Untersuchungszeitraums zu? (Einfachauswahl)
    • a)
      Externalisierende Verhaltensauffälligkeiten nehmen über die Jahre deutlich zu, d. h. die Kinder und Jugendlichen in den Einrichtungen zeigen bspw. mehr aggressives Verhalten gegenüber anderen.
    • b)
      Die Gruppe der älteren Jungen über 12 Jahren weist einen starken Anstieg an internalisierenden Verhaltensauffälligkeiten auf.
    • c)
      Insgesamt ist der Betreuungsbedarf von Kindern und Jugendlichen in den Einrichtungen der Jugendhilfe erwartungsgemäß stark angestiegen, was sich vom positiven Trend des psychosozialen Funktionsniveaus ableiten lässt.
    • d)
      Ältere Mädchen zeigen einen bedeutsamen Anstieg an internalisierendem Verhalten über den Untersuchungszeitraum, auch wenn es in den einzelnen Jahren starke Schwankungen gibt.
    • e)
      Die Häufigkeit internalisierender Verhaltensauffälligkeiten verändert sich vorrangig bei männlichen Jugendlichen über den Untersuchungszeitraum.
  3. 3.
    Welche altersbezogenen Aussagen treffen für die untersuchten Kinder und Jugendlichen in Jugendhilfeeinrichtungen zu? (Mehrfachauswahl)
    • a)
      Mädchen und Jungen im Alter unter 12 Jahren zeigen häufiger internalisierendes Verhalten als Mädchen und Jungen im Alter über 12 Jahren.
    • b)
      Mädchen im Alter über 12 Jahren sind im Vergleich zu Jungen am stärksten von psychischen Auffälligkeiten belastet.
    • c)
      Mädchen im Alter von über 12 Jahren zeigen häufiger externalisierendes Verhalten als Jungen im Alter unter 12 Jahren.
    • d)
      Kinder im Alter unter 12 Jahren sind psychisch am wenigsten auffällig.
    • e)
      Mädchen im Alter unter 12 Jahren sind psychisch am wenigsten auffällig.
  4. 4.
    Welche der folgenden Aussagen treffen zu? (Mehrfachauswahl)
    • a)
      Entwicklungsauffälligkeiten bzw. seelische Probleme sind bei über jedem zehnten Kind ein Aufnahmegrund in eine stationäre Jugendhilfeeinrichtung.
    • b)
      Die psychischen Auffälligkeiten wurden rückwirkend für das letzte Jahr erhoben.
    • c)
      Knapp die Hälfte der Kinder und Jugendlichen in der Untersuchung zeigen klinisch-psychisch auffälliges Verhalten.
    • d)
      Externalisierende Verhaltensauffälligkeiten kommen in der vorliegenden Untersuchung in etwa gleich häufig vor wie internalisierende Auffälligkeiten.
    • e)
      Knapp die Hälfte der Kinder und Jugendlichen in den untersuchten Jugendhilfeeinrichtungen ist psychisch krank.
  5. 5.
    Welche Aussagen treffen hinsichtlich des psychosozialen Funktionsniveaus zu? (Mehrfachauswahl)
    • a)
      Das psychosoziale Funktionsniveau wird in einigen Jugendhilfeeinrichtungen in Deutschland standardmäßig erhoben.
    • b)
      Ein Viertel der untersuchten Kinder und Jugendlichen zeigt eine schwerwiegende soziale Beeinträchtigung in den meisten Bereichen bis hin zu einer 24-Stunden-Betreuung.
    • c)
      Über die Erhebungsjahre hinweg zeigt sich stetig ein schlechteres psychosoziales Funktionsniveau der untersuchten Kinder und Jugendlichen.
    • d)
      Das psychosoziale Funktionsniveau hängt vom Alter der untersuchten Kinder und Jugendlichen ab und nicht vom Geschlecht.
    • e)
      Das psychosoziale Funktionsniveau kann anhand einer für die Jugendhilfe modifizierten Achse VI des Multiaxialen Klassifikationsschema erhoben werden.

Um Ihr CME-Zertifikat zu erhalten (min. drei richtige Antworten), schicken Sie bitte den ausgefüllten Fragebogen mit einem frankierten Rückumschlag bis zum 30.04.2023 an die nebenstehende Adresse. Später eintreffende Antworten und solche ohne bzw. mit nicht frankierten Rückumschlägen können nicht mehr berücksichtigt werden.

Luisa Schula

LWL-Universitätsklinik Hamm der Ruhr-Universität Bochum

Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik

Heithofer Allee 64

59071 Hamm, Deutschland

Abbildung 2

Abbildung 2 Fortbildungszertifikat.