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Open AccessÜbersichtsarbeit

„Mindful Parenting“ – Achtsamkeit in der Eltern-Kind-Beziehung

Published Online:https://doi.org/10.1024/1422-4917/a000853

Abstract

Zusammenfassung. Elterliche Selbstregulation ist von großer Bedeutung für die Eltern-Kind-Interaktion und die Entwicklung des Kindes. Achtsamkeitsbasierte Interventionen zielen grundsätzlich auf die Verbesserung dieser Fähigkeit, indem sie neurokognitive Funktionen positiv beeinflussen. Das neuere Konzept des „Mindful Parenting“ betont vor allem Aspekte der Achtsamkeit in der Gestaltung der Eltern-Kind-Beziehung. In den letzten Jahren wurden erstmals achtsamkeitsbasierte Interventionen speziell für Eltern entwickelt und evaluiert. Die Ergebnisse sprechen für einen positiven Effekt solcher Programme auf Eltern und Kinder. Diese können aufgrund methodischer Einschränkungen zwar nur als vorläufig gelten, lassen aber weitere Forschungsbemühungen als lohnend erscheinen.

Mindful Parenting: Mindfulness in the Parent-Child Relationship

Abstract. Parental self-regulation is vitally important for parent-child interaction and child development. Mindfulness-based interventions generally aim at improving self-regulation by positively influencing neurocognitive functioning. The recent conceptualization of “mindful parenting” focuses on mindfulness aspects in parent-child relationships. Mindfulness-based interventions specifically for parents were recently developed and tested, especially in clinical settings. The results suggest positive effects of such programs for parents and children. For now, their nature remains preliminary, but they encourage future research.

Einführung

Fehlende Zuwendung sowie ein hohes Ausmaß an negativem Affekt gegenüber dem Kind sind Risikofaktoren für die emotionale Entwicklung des Kindes (Morris, Silk, Steinberg, Myers & Robinson, 2007). Hierbei sind die emotionalen Kompetenzen und die Regulationsfähigkeit der Eltern von großer Bedeutung1. Familiäre Risikolagen wie Armut, Partnerschaftskonflikte oder chronischer Stress entfalten ihre negative Wirkung häufig über den vermittelnden Mechanismus negativer elterlicher Emotionalität und dadurch beeinträchtigter Eltern-Kind-Beziehungen (Conger, Conger & Martin, 2010). So fanden Crnic, Gaze und Hoffman (2005) in einer Längsschnittstudie an 125 Kindern, dass elterlicher Stress weniger positive Interaktionen zwischen Eltern und Kindern vorhersagte. Auf der anderen Seite belegt z. B. die Mannheimer Risikokinderstudie, dass feinfühliges Elternverhalten in vulnerablen Familien die Grundlage für die Entstehung resilienter Entwicklungsverläufe bilden kann (Hohm et al., 2017).

Die Einbeziehung von Achtsamkeit (engl.: „mindfulness“) in den Umgang von Eltern mit ihren Kindern kann einen Beitrag zur Verbesserung elterlicher Selbstregulation und Feinfühligkeit leisten. Seit 2007 sind vor allem im klinisch-psychologischen Setting Interventionen entstanden, die auf eine Verbesserung der Eltern-Kind-Beziehung durch die Vermittlung von Achtsamkeitstechniken abzielen. Dies wird als „Mindful Parenting“ (deutsch: „achtsame Erziehung“) bezeichnet. Erste Studien aus dem anglo-amerikanischen Raum und den Niederlanden sprechen für die positive Wirkung elterlicher Achtsamkeit (z. B. Geurtzen, Scholte, Engels, Tak & van Zundert, 2015; McKee, Parent, Zachary & Forehand, 2018). Im deutschsprachigen Raum gibt es bislang nur erste, nicht evaluierte Programmentwicklungen (Mangold, 2018; Valentin & Kunze, 2010). Im Folgenden wird das Nutzenpotenzial von Achtsamkeit für die Eltern-Kind-Beziehung skizziert, indem (1) Befunde zur Wirkung achtsamkeitsbasierter Interventionen zusammengefasst werden, (2) die konzeptuelle Übertragung auf das elterliche Erziehungsverhalten im Sinne von Mindful Parenting dargestellt wird sowie (3) ein Überblick über bestehende Forschung zur Wirksamkeit von Mindful Parenting und seiner Anwendung in Elternprogrammen gegeben wird. Abschließend werden Schlussfolgerungen zur Bedeutung von achtsamer Erziehung und ihrer Anwendung im präventiven Kontext bei Kindern, Jugendlichen und ihren Familien gezogen.

Wirkung achtsamkeitsbasierter Interventionen

Techniken zur Einübung von Achtsamkeit haben ihren Ursprung im Buddhismus und in den östlichen kontemplativen Traditionen (Kabat-Zinn, 2003; Shapiro, Carlson, Astin & Freedman, 2006). Seit den 1970er-Jahren findet sie zunehmend Einzug in westliche Stressreduktions- und psychotherapeutische Behandlungsverfahren (z. B. Mindfulness-Based Cognitive Therapy [MBCT]; Segal, Williams & Teasdale, 2002). Fast alle dieser Verfahren basieren auf dem Mindfulness-Based Stress Reduction Program (MBSR) des Molekularbiologen Jon Kabat-Zinn (1982). Achtsamkeit wird in diesem modernen Kontext verstanden als (1) eine auf den aktuellen Moment bezogene Aufmerksamkeit auf und Bewusstheit von allen zugänglichen Ereignissen und Erfahrungen, (2) eine spezielle Form der Aufmerksamkeitslenkung, die absichtsvoll auf den aktuellen Moment gerichtet und nicht wertend ist (Brown & Ryan, 2004) sowie (3) eine Haltung, in der jeder Gedanke, jedes Gefühl und jede entstehende Sinneswahrnehmung akzeptiert wird, so wie sie ist (Bishop et al., 2004). Auf eine Kurzformel gebracht, ist „Achtsamkeit“ zu definieren als eine Form der Aufmerksamkeitsausrichtung, die sich auf den gegenwärtigen Moment richtet, absichtsvoll ist und ohne Bewertung erfolgt (Kabat-Zinn, 2003). Zentrales Ziel achtsamkeitsbasierter Interventionen ist es, in diesem Sinne die Aufmerksamkeitswahrnehmung der Teilnehmenden zu verändern, wodurch sie befähigt werden sollen, Ursachen von dysfunktionalem Stresserleben zu erkennen und konstruktiv aufzulösen (Crane et al., 2017). Das Trainieren von Achtsamkeit erfolgt in der Regel durch die formale Praxis der Meditation (z. B. Sitzmeditationen) sowie durch die Vermittlung alltagsrelevanter, informeller Aspekte der bewussten Aufmerksamkeitslenkung (wie achtsames Gehen, achtsames Essen). Ausgehend von der Beobachtung und Aufmerksamkeitsfokussierung auf den Atem wird die Aufmerksamkeitslenkung auf Körperempfindungen, Gedanken und Gefühle trainiert (Zylowska, Smalley & Schwartz, 2009).

In den letzten Jahren war die Wirksamkeit achtsamkeitsbasierter Interventionen Untersuchungsinhalt zahlreicher Studien und Metaanalysen mit gesunden und klinischen Populationen. Eine Metaanalyse mit k = 29 kontrollierten Studien zu den Effekten von MBSR bei gesunden Erwachsenen fand (a) große Effekte in Bezug auf die Stressreduktion, (b) mittlere Effekte in Bezug auf die Verbesserung von Angst- und Depressionssymptomen sowie die Lebensqualität der Probandinnen und Probanden und (c) kleine Effekte in Bezug auf Burn-out-Symptome (Khoury, Sharma, Rush & Fournier, 2015). Eberth und Sedlmeier (2012) fanden in ihrer Metaanalyse mit k = 39 kontrollierten Studien zu Effekten von MBSR- und Meditationskursen bei gesunden Erwachsenen neben der Reduktion von Angst und Stress und der Verbesserung des Wohlbefindens zahlreiche kleine bis mittlere Effekte z. B. in den Bereichen Aufmerksamkeit, Emotionsregulation und Selbstwert. Im klinischen Setting ergaben sich in einer Metaanalyse zur Effektivität achtsamkeitsbasierter Verfahren mit Stichproben aus k = 142 randomisierten kontrollierten Studien (RCTs) kleine bis mittlere Effekte im Vergleich zu aktiven Kontrollgruppen und mittlere Effekte bei Kontrollgruppen ohne Behandlung. Die Interventionen erwiesen sich als ähnlich effektiv wie andere evidenzbasierte Therapieverfahren (z. B. Kognitive Verhaltenstherapie [CBT]) oder pharmakologische Behandlungsansätze, insbesondere in der Behandlung von Depressionen, chronischen Schmerzen, Rauchen und Suchterkrankungen (Goldberg et al., 2018). Eine weitere Metaanalyse zur Effektivität von achtsamkeitsbasierter Therapie (Mindfulness-Based Therapy [MBT]) mit k = 209 Studien kam im Vergleich zwischen Patientinnen und Patienten und zu Wartelisten-Kontrollgruppen zu ähnlichen Ergebnissen (Khoury et al., 2013). Metaanalysen und Studien zur Behandlung von Suchterkrankungen und Rückfallprävention mit Achtsamkeitstraining (z. B. Garland, Boettiger, Gaylord, Chanon & Howard, 2012; Li, Howard, Garland, McGovern & Lazar, 2017; Witkiewitz, Marlatt & Walker, 2005) legen nahe, dass achtsamkeitsbasierte Interventionen auch in diesem Bereich Erfolge erzielen können.

Bezogen auf das Kindes- und Jugendalter gibt es deutlich weniger systematische Untersuchungen. Längsschnittstudien mit Schulkindern belegten 6 Monate nach deren Teilnahme an Achtsamkeitstrainings kleine bis mittlere Präventionseffekte in Bezug auf Stress, Wohlbefinden und psychische Gesundheit (z. B. Angst- und Depressionssymptome; Raes, Griffith, Van der Gucht & Williams, 2014; Van de Weijer-Bergsma, Langenberg, Brandsma, Oort & Bögels, 2014). Übersichtsarbeiten mit klinischen Populationen zeigten, dass sich Achtsamkeitstraining im Vergleich zu unbehandelten Kontrollen oder als Zusatz zu regulärer Behandlung günstig auf Suchterkrankungen, Angststörungen, Essstörungen, Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS), chronischen Schmerzen, Schlafstörungen und Lebensqualität im Kindes- und Jugendalter auswirkte (Borquist-Conlon, Maynard, Brendel & Farina, 2019; Chimiklis et al., 2018; Lin, Chadi & Shrier, 2019). Im Vergleich mit aktiven Kontrollgruppen zeigten sich in k = 17 RCTs nur noch Verbesserungen in den Merkmalen Achtsamkeit, Depressivität und Angst/Stress (Dunning et al., 2019). In einer Metaanalyse, die k = 20 Studien aus dem klinischen und Bildungskontext im Kindes- und Jugendalter miteinander verglich, erzielten Achtsamkeitsinterventionen in Studien mit psychisch kranken Kindern mittlere Effekte, bei gesunden Kindern in Schulkontexten hingegen kleine Effekte in Bezug auf psychopathologische Symptome (z. B. Angst, Depression), aber auch auf soziale Fähigkeiten, Lebensqualität, Aufmerksamkeit und Achtsamkeitslevel im Vergleich zu aktiven Kontrollgruppen (Zoogman, Goldberg, Hoyt & Miller, 2015).

Meist werden die Behandlungs- und Präventionseffekte von Achtsamkeit mit einer Verbesserung neurokognitiver Funktionen (Aufmerksamkeits- und Kontrollnetzwerke) begründet, die sich anhand von experimentellen Studien und Übersichtsarbeiten zeigen lässt (Mak, Whittingham, Cunnington & Boyd, 2018; Pandey et al., 2018). Dabei scheint vor allem das exekutive Aufmerksamkeitssystem von zentraler Bedeutung zu sein, das im anterioren cingulären Kortex (ACC), Regionen des präfrontalen Kortex, der anterioren Insula und in Teilen der Basalganglien liegt und dem die Verarbeitung und Überwachung komplexer mentaler Vorgänge zugeschrieben wird (Bush, Luu & Posner, 2000; Petersen & Posner, 2012). Bereits in Studien mit kurzen Meditationsdauern (5 Tage bis 4 Wochen) zeigen sich deutliche strukturelle Veränderungen wie eine höhere Neuroplastizität der weißen Substanz in der Umgebung des ACC, welche im Zusammenhang mit verbesserten Exekutivfunktionen und höherer Selbstregulationsfähigkeit stehen (Tang, Yang, Leve & Harold, 2012). Zudem zeigten Übersichtsarbeiten und neurokognitive Studien, dass Meditation und Achtsamkeitstraining die Fähigkeit fördern, die Aufmerksamkeit zu regulieren und zu kontrollieren, die Aufmerksamkeit auf Körperempfindungen und auf das Selbst zu lenken und aufrechtzuerhalten sowie die Emotionsregulation zu erleichtern (Hölzel et al., 2011; Mak et al., 2018; Pandey et al., 2018). Alle diese Effekte weisen auf eine gebesserte Funktionalität des exekutiven Aufmerksamkeitssystems im Gefolge von Achtsamkeitstrainings hin (Tang & Posner, 2015). Insgesamt zeigen neuere systematische Reviews, dass Achtsamkeit nicht nur bei Erwachsenen, sondern auch bei Kindern und Jugendlichen deren Selbstregulation positiv beeinflusst (z. B. Leyland, Rowse & Emerson, 2018; Pandey et al., 2018).

Mindful Parenting

Jon und Myla Kabat-Zinn transferierten das Konzept der Achtsamkeit erstmals in den Bereich der Erziehung (1997). Sie definierten „Mindful Parenting“ als eine spezielle Form der Wahrnehmung in der Eltern-Kind-Interaktion, die sich sowohl auf das Kind als auch auf das eigene elterliche Verhalten und Erleben und den gegebenen Kontext richtet, ohne das Gesamtgeschehen zu bewerten. Das Einüben dieser Form der Aufmerksamkeit führt zu weniger automatisierten Reaktionen, einem besseren Gespür für die aktuellen Bedürfnisse des Kindes und einem tieferen Verständnis für die eigenen Reaktionen und die eigene Biografie. Gouveia, Carona, Canavarro und Moreira (2016, S. 700) definieren achtsame Erziehung instrumenteller als eine „Reihe von elterlichen Praktiken oder Fähigkeiten, deren Ziel es ist, die Aufmerksamkeit in jedem Moment von Eltern-Kind-Interaktionen zu verbessern [eigene Übersetzung]“. Duncan, Coatsworth und Greenberg (2009) konzeptualisieren achtsame Erziehung als multidimensionales Konstrukt mit den Dimensionen (1) mit voller Aufmerksamkeit zuhören, (2) sich selbst und das Kind nichtwertend akzeptieren, (3) emotionales Bewusstsein seiner selbst und des Kindes, (4) Selbstregulation in der Eltern-Kind-Beziehung und (5) Mitgefühl für sich selbst und das Kind. Weiterhin postulieren Duncan et al. (2009) in ihrem theoretischen Wirkmodell zu „Mindful Parenting“, dass durch elterliche achtsame Erziehung das Wohlbefinden und die Selbstregulation des Kindes positiv beeinflusst wird und problematische Entwicklungsergebnisse wie Verhaltensauffälligkeiten oder Substanzmissbrauch weniger häufig auftreten. Die vermuteten Wirkmechanismen liegen ihrem Modell zufolge in einer Verbesserung des elterlichen Wohlbefindens, der Erziehungspraktiken (z. B. realistische Ziele und Konsequenzen setzen, konstruktive Kommunikation) und der Zuneigung zwischen Eltern und Kindern. Bögels, Lehtonen und Restifo (2010) nennen sechs Teildomänen, die durch Achtsamkeit in der Erziehung beeinflusst werden könnten: 1) elterliche Stressbewältigung, 2) elterliche Gedankenabwesenheit und Sorge („preoccupation“) resultierend aus psychopathologischen Symptomen der Kinder oder der Eltern, 3) elterliche Exekutivfunktionen (etwa Aufmerksamkeits- und Impulsivitätssteuerung), 4) das Wiederholen dysfunktionaler Schemata und Gewohnheiten aus der eigenen Kindheit, 5) selbstwert-dienliche Selbst-Aufmerksamkeit, 6) Paarebene (Elternbeziehung und elterliche Zusammenarbeit). Somit ist die Ausrichtung achtsamer Erziehung bidirektional, d. h., sie geht immer in Richtung „Kind“ und „Selbst“ gleichzeitig. Eine wachsende Anzahl neurobiologischer Forschungsarbeiten legt nahe, dass positive Effekte von Achtsamkeit in der Erziehung durch affektive neurobiologische Systeme der Eltern vermittelt werden (Chambers, Gullone & Allen, 2009). So bestehen Zusammenhänge zwischen einigen der genannten für Achtsamkeit relevanten Hirnregionen (wie z. B. der geringeren Reaktivität in der Amygdala, dem dorsalen ACC und dem präfrontalen Kortex) und förderlichen Eigenschaften von Eltern wie Feinfühligkeit, positiver Zuwendung, Selbstwahrnehmung und -regulation (siehe zusammenfassend Turpyn et al., 2021). Achtsamkeit beeinflusst somit vermutlich vor allem die Teile des von Feldman (2015) beschriebenen „parental brain“, die mit der Regulation negativer Emotionalität verbunden sind und erhöht über diesen Weg die Responsivität der Eltern gegenüber kindlichen Signalen.

Wirksamkeitsforschung zu Mindful Parenting

Im Vergleich zu den vielfältigen Forschungsbeiträgen zur allgemeinen Achtsamkeit liegt zur Wirksamkeit achtsamer Erziehung bislang erst wenig empirische Evidenz vor. Eine selektive, unsystematische Literaturrecherche in Forschungsdatenbanken und ergänzende Freihandsuche soll dazu einen ersten Überblick liefern. Als Suchbegriff wurde mindful parenting verwendet. Recherchezeitraum war Januar 2005 bis Dezember 2019. Die Hauptfragestellung musste die Effekte von Achtsamkeit auf Eltern und/oder Kinder betreffen, Nichtinterventionsstudien waren zugelassen, Interventionsstudien mussten ein Prä-post- oder ein Kontrollgruppendesign aufweisen. Alle Studien mussten in peer-referierten internationalen Journalen publiziert sein. Die Recherche führten Hilfskräfte, die Auswahl der Studien die Autorinnen durch. Inkludiert wurden nur solche Studien, auf die sich beide Autorinnen einigen konnten. Exkludiert wurden alle Studien zu Achtsamkeit im Sinne von Therapie und auch solche mit Achtsamkeit als rein therapie-supportivem Element sowie konzeptuelle und psychometrische Studien. Die Recherche in SCI-EXPANDED/SSCI erbrachte 222 „Resultate“ (23 davon wurden inkludiert) und die in PubMed/MEDLINE erbrachte 72 „Resultate“ (13 davon wurden inkludiert); die Überschneidung der inkludierten Studien lag bei 44 % zwischen den Datenbanken. Nach einer ergänzenden Freihandrecherche (unter Nutzung von Google Scholar) wurden schließlich k = 33 Studien identifiziert und in diesen Überblicksartikel aufgenommen (davon k = 17 nichtinterventive und k = 16 Interventionsstudien). Die nichtinterventiven Studien werden nun zunächst – getrennt von den Interventionsstudien – besprochen.

Von diesen nichtinterventiven Studien stammen sechs aus den USA (Bluth & Wahler, 2011; Coatsworth, Timpe, Nix, Duncan & Greenberg, 2018; McKee et al., 2018; Parent, McKee, Rough & Forehand, 2016; Park, Nix, Duncan, Coatsworth & Greenberg, 2019; Turpyn & Chaplin, 2016), vier aus Portugal (Gouveia et al., 2016; Medeiros, Gouveia, Canavarro & Moreira, 2016; Moreira, Carona, Silva, Nunes & Canavarro, 2016; Moreira, Gouveia & Canavarro, 2018), je zwei aus China (Siu, Ma & Chui, 2016; Wang et al., 2018) und den Niederlanden (Geurtzen et al., 2015; Tak, Van Zundert, Kleinjan & Engels, 2015) sowie je eine aus Australien (Beer, Ward & Moar, 2013), Chile (Corthorn & Milicic, 2016) und Großbritannien (MacDonald & Hastings, 2010). Zwei Studien erfolgten im klinischen Setting: Eine Studie (MacDonald & Hastings, 2010) zu Kindern mit diagnostizierten kognitiven Einschränkungen wie Autismus, Down-Syndrom o. a. und (Beer et al., 2013) zu Kindern mit Autismus-Spektrum-Störungen, alle anderen an nichtklinischen Stichproben. Außer in vier Fällen (Coatsworth et al., 2018; McKee et al., 2018; Park et al., 2019; Tak et al., 2015) handelt es sich um querschnittliche Erhebungen. Bis auf wenige Ausnahmen (Medeiros et al., 2016; Moreira et al., 2018; Park et al., 2019; Turpyn & Chaplin, 2016; Wang et al., 2018) arbeiten diese Studien ausschließlich mit Fragebogendaten der Eltern, erforschen aber die Wirkung achtsamer Erziehung im Hinblick auf Eltern- und Kindvariablen.

Befunde bei den Kindern

Zwei Studien zeigten negative Zusammenhänge zwischen achtsamer Erziehung von Müttern und internalisierendem Problemverhalten bei Jugendlichen (Bluth & Wahler, 2011; Wang et al., 2018). Ein Aspekt von achtsamer Erziehung (nichtwertende Selbstakzeptanz in der Elternrolle) hing auch in einer niederländischen Studie mit geringerer Depressivität von Jugendlichen mit einem Durchschnittsalter von 13 Jahren zusammen (Geurtzen et al., 2015; N = 901). In einer Teilstichprobe (Tak et al., 2015; N = 417) konnte 6 Monate später allerdings kein Zusammenhang zwischen achtsamer Erziehung und der Depressivität der Jugendlichen gefunden werden, was von den Autorinnen und Autoren unter anderem mit Verweis auf die fehlende Selbsteinschätzung der Jugendlichen diskutiert wird. In einer klinischen Untersuchung an Kindern mit Autismus (Corthorn & Milicic, 2016) hing ein niedrigeres Maß an achtsamer Erziehung mit höheren Problemwerten des kindlichen Verhaltens zusammen, eine weitere Studie fand inverse Zusammenhänge zwischen einer hoch ausgeprägten elterlichen Achtsamkeit und der Aggressivität von Jugendlichen (Coatsworth et al., 2018). In einer US-amerikanischen Untersuchung (Parent et al., 2016) zeigten sich in drei Altersgruppen (3–7 Jahre, 8–12 Jahre, 13–17 Jahre, N = 615) inverse Zusammenhänge zwischen achtsamer Erziehung von Müttern und Vätern und sowohl internalisierendem als auch externalisierendem Problemverhalten der Kinder. In zwei Untersuchungen wurde der Zusammenhang zwischen achtsamer Erziehung und dem Wohlbefinden von Kindern über die selbst eingeschätzte Bindungssicherheit der Kinder zu den Eltern vermittelt (Medeiros et al., 2016; Moreira et al., 2018). Eine hohe Achtsamkeit der Eltern ging mit einer höheren Achtsamkeit der Kinder einher (Bluth & Wahler, 2011; Siu et al., 2016). In einer längsschnittlichen Untersuchung beeinflusste Mindful Parenting das Ausmaß wiederkehrender Konflikte nach 2 bis 3 Monaten, was wiederum im Zusammenhang zu internalisierendem und externalisierendem Problemverhalten nach Ablauf eines Jahres stand (Park et al., 2019).

Befunde bei den Eltern – Stress und Emotionsregulation

In einer Studie an N = 62 Müttern von Vorschulkindern hingen höhere Werte elterlicher Achtsamkeit mit niedrigerem Stress (allgemein und in der Erziehung) und geringerer Depressivität und Ängstlichkeit der Mütter zusammen (Corthorn & Milicic, 2016). In einer klinischen Untersuchung an N = 28 Eltern von Kindern mit Autismus-Spektrum-Störungen gingen höhere Werte in achtsamer Erziehung ebenfalls mit geringeren Depressions- und Stresssymptomen der Eltern, jedoch nicht mit verminderter Ängstlichkeit einher (Beer et al., 2013). Eine portugiesische Arbeitsgruppe fand ebenfalls einen negativen Zusammenhang zwischen achtsamer Erziehung und elterlichem Stress (Gouveia et al., 2016). Generell hing elterliche allgemeine Achtsamkeit auch mit achtsamer Erziehung zusammen (Corthorn & Milicic, 2016; Moreira et al., 2016; Wang et al., 2018).

Befunde zum Erziehungsverhalten und der Eltern-Kind-Beziehung sowie der Eltern-Kind-Interaktion

In einer Untersuchung zeigten sich Zusammenhänge zwischen achtsamer Erziehung und dem elterlichen Erziehungsstil: Höhere elterliche Achtsamkeit hing positiv mit autoritativem Erziehungsverhalten und negativ mit autoritärem und permissivem Erziehungsverhalten zusammen (Gouveia et al., 2016). Eine Studie, die sich über einen längeren Zeitraum erstreckte (12 Monate) zeigte ebenfalls, dass sich Verbesserungen in achtsamer Erziehung positiv auf das Erziehungsverhalten und die Beziehungsqualität zwischen Eltern und Kindern auswirkte (Coatsworth et al., 2018). Eine Untersuchung an N = 105 Vätern von Kindern mit kognitiven Einschränkungen (MacDonald & Hastings, 2010) zeigte einen positiven Zusammenhang zwischen achtsamer Erziehung und väterlichem Engagement in der Erziehung. Eine Studie mit Vorschulkindern in China (Siu et al., 2016) fand ebenfalls Zusammenhänge in erwarteter Richtung zwischen elterlicher Achtsamkeit und bestimmten Erziehungsvariablen, z. B. mütterliches Engagement, Konsequenz sowie Selbstvertrauen in der Erziehung. Die einzige experimentelle Studie (Turpyn & Chaplin, 2016) zeigte bezogen auf die Eltern-Kind-Interaktion, dass achtsame Erziehung mit weniger negativem Emotionsausdruck bei den Eltern in einer Konfliktinteraktion mit ihren Kindern (N = 157, Alter 12–14 Jahre) einherging. Außerdem zeigte sich bei Eltern mit höherer Achtsamkeit in der Erziehung mehr gemeinsamer positiver Affekt in der Interaktionssituation. Dieser wiederum hing mit niedrigerem Substanzgebrauch der Jugendlichen zusammen. In einer Stichprobe von N = 395 Eltern von Kindern zwischen 3 und 13 Jahren (McKee et al., 2018) zeigten sich positive Zusammenhänge zwischen achtsamer Erziehung und konstruktiven Reaktionen der Eltern auf negativen kindlichen Affekt, sowohl quer- als auch längsschnittlich im Zeitabstand von 4 Monaten. Dieser Effekt war bei den Vätern deutlicher ausgeprägt als bei den Müttern.

Interventionsstudien zu Mindful Parenting

In den letzten Jahren wurden erste Versuche unternommen, die Achtsamkeit in der Erziehung bei Eltern im Rahmen präventiver Interventionen zu beeinflussen. Dumas (2005) legte erstmals ein Konzept für ein „Mindfulness-Based Parent Training“ vor, welches zum Ziel hatte, die dysfunktionalen Automatismen in Familien mit impulsiven Kindern zu durchbrechen. Besonders hilfreich seien hierfür folgende Strategien:

  1. 1
    Unterstützendes Zuhören – Kinder dürfen ihre Gedanken und Sorgen äußern, Eltern reagieren darauf nichtwertend und ohne Veränderungsdruck.
  2. 2
    Distanzierung – Eltern lernen, die eigenen Gedanken und Gefühle zu beobachten und benennen, ohne darauf gleich zu reagieren.
  3. 3
    „Motivated Action Plans“, d. h. konkrete Handlungspläne für kritische Situationen, durch deren Ausführung eingefahrene Interaktionsmuster durchbrochen werden können.

Dawe und Harnett (2007) ergänzten einige der bis zu zehn Sitzungen des multidimensional-familientherapeutischen Programms „Parents under Pressure“ um Achtsamkeitskomponenten zur Emotionsregulation. Coatsworth et al. (2015, 2018) reicherten das etablierte „Strengthening Families Program“ mit Achtsamkeitskomponenten an, die sich an den fünf Dimensionen von Duncan et al. (2009, s. o.) orientieren. Beispiele für solche Komponenten sind kurze Übungen zum Aufmerksamkeitsfokus, Reflexionen über die Einzigartigkeit des Kindes, positive und negative Erziehungserfahrungen sowie elterliche Attributionen gegenüber dem Kind, Übungen zur Nichtreaktivität sowie Adaptationen von Liebende-Güte-Meditationen (Einübung einer wohlwollenden Haltung gegenüber allen fühlenden Lebewesen) aus der buddhistischen Tradition (Salzberg, 2011). Die meisten Studien stammen aus der Arbeitsgruppe mit und um Susan Bögels. Sie publizierte 2014 erstmals ein ausgearbeitetes Manual zur achtsamen Erziehung (Bögels & Restifo, 2014a, 2014b), das unter anderem auf MBSR und MBCT zurückgreift. Darin ist ein 8-Wochen-Kurs für Eltern sowie seine Handhabung und Durchführung beschrieben.

Einige Evaluationsstudien aus dem klinisch-psychologischen Setting liefern erste Hinweise auf die Wirksamkeit achtsamkeitsbasierter Elternprogramme (vgl. Townshend, Jordan, Peters & Tsey, 2014). Ein Überblick hierzu findet sich in Tabelle 1, zusammen mit Angaben zu den jeweiligen Effektstärken. Studien, die qualitative Defizite in der Darstellung aufwiesen (vgl. Schäfer, 2018), insbesondere durch das Fehlen von Angaben zu Effektstärken (ES) bzw. Angaben, die eine solche Berechnung ermöglichen, wurden hier nicht mit aufgeführt (z. B. Duncan et al., 2017; Singh et al., 2006, 2007; Srivastava, Gupta, Talukdar, Kalra & Lahan, 2011). In den kontrollierten Gruppenvergleichen finden sich eher kleine Effekte für das (neu zu erlernende) achtsame Erziehungsverhalten; subjektiv durch die Eltern empfundener Stress in der Erziehung reduziert sich dagegen mit großen ES. Die Zeiteffekte liegen durchweg im mittleren ES-Bereich, sind aber lediglich intra-individuelle Effekte.

Tabelle 1 Evidenz der Interventionen zur Vermittlung achtsamer Erziehung und Evaluationsergebnisse

Schlussfolgerungen und Ausblick

Erste internationale Studienergebnisse zeigen vielfältige Zusammenhänge zwischen achtsamer Erziehung, Besserungen im elterlichen Erziehungsverhalten und in der elterlichen Paarbeziehung, vermittelnden Mechanismen wie Stress- und Emotionsregulation sowie positive Effekte auf Wohlbefinden und Verhalten der jeweiligen Kinder. Allerdings lassen sich aufgrund des querschnittlichen Designs fast aller Studien bislang nur funktionale Zusammenhänge, aber keine kausalen Wirkpfade postulieren. Vor allem zur Schnittstelle zwischen Bindungs- und Achtsamkeitsforschung liegen nur wenige Studien vor. In einer dieser Untersuchungen hing eine sichere Bindungsrepräsentation der Eltern mit achtsamer Erziehung zusammen (9). Da Bindungssicherheit auch als balancierte Emotionsregulation aufgefasst werden kann (Gloger-Tippelt & König, 2009), d. h. die Fähigkeit, negative Gefühle angemessen wahrzunehmen, auszudrücken und zu regulieren, liegt die Schlussfolgerung nahe, dass Eltern mit sicheren Bindungsrepräsentationen auch achtsamer erziehen. Im Umkehrschluss könnte dies heißen, dass die Vermittlung von Achtsamkeitstechniken und -ansätzen bindungsunsicheren Eltern ermöglichen könnte, einen von mehr Sicherheit geprägten Stil im Umgang mit sich selbst und den Kindern ein Stück weit „nachzulernen“ (Townshend & Caltabiano, 2019).

Die bisherigen – wenigen – Interventionsstudien sprechen für einen positiven Effekt von Trainings zur achtsamen Erziehung. Die Stichprobengrößen der Studien sind jedoch oft klein, ES werden nicht immer berichtet und es handelt sich überwiegend um besonders belastete Familien aus dem klinisch-psychologischen Setting. Eine Ausweitung der Untersuchungen auf weitere Interventionskonzepte und Zielgruppen erscheint somit ebenso notwendig wie eine qualitative Verbesserung der Forschungslage durch prospektive, kontrollierte Untersuchungen mit Eltern und Kindern. Für familienbasierte Programme spricht die Tatsache, dass, wie oben dargestellt, auch Kinder und Jugendliche von Achtsamkeit profitieren könnten. Es ist also möglich, Achtsamkeitsinhalte gleichzeitig – wenn auch mit unterschiedlichem Schwerpunkt – an Eltern und Kinder heranzutragen und somit z. B. Themen wie Emotionsregulation, Selbstkontrolle, Umgang mit Stress und Konflikten oder Selbstakzeptanz im Sinne eines interaktionellen Ansatzes „von beiden Seiten her“ zu verbessern. Die Intervention „My Mind“ für Eltern mit ADHS-diagnostizierten Kindern ist ein Beispiel hierfür (Siebelink et al., 2018). Außerhalb des klinischen Settings stellen sich im Risikosetting über das „Präventionsdilemma“, d. h. die schwierige Erreichbarkeit gerade von vulnerablen Eltern und Familien, besondere Herausforderungen. Die Entwicklung neuer Rekrutierungsstrategien unter Nutzung innovativer digitaler Kanäle erscheint jedoch lohnend: Nicht nur benötigen belastete Familien in besonderer Weise Unterstützung – bei ihnen wirkt Prävention häufig intensiver als bei unbelasteten Vergleichsgruppen (z. B. Bröning et al., 2017). Onlineinterventionen wie die von Potharst et al. (2019) können hier eine niedrigschwellige Alternative sein, zumal bereits Belege für ihre Wirksamkeit vorliegen (Nieuwboer, Fukkink & Hermanns, 2013; Spijkerman, Pots & Bohlmeijer, 2016). Ob auch weniger belastete Familien von achtsamkeitsorientierter Prävention profitieren können, ist noch offen. Eine Studie an Jugendlichen und ihren Eltern aus der Normalpopulation erbrachte heterogene Befunde (Coatsworth et al., 2015). Differenzielle, qualitativ hochwertige Forschung mit standardisierten Interventionen an unterschiedlichen Populationen muss hier in Zukunft weitere Erkenntnisse liefern.

International und für den deutschsprachigen Raum liegen einige bewährte, evidenzbasierte Präventionsprogramme zur Stärkung von Elternkompetenzen vor, wie z. B. STEP oder Triple P (vgl. zusammenfassend Arnaud, Sack & Thomasius, 2019). Diese Programme richten sich an unterschiedliche Alters- und Zielgruppen und sind häufig behavioral und für das Gruppentrainings-Setting ausgerichtet. Das US-amerikanische „Strengthening Families Program“, ein familienbasiertes Programm zur Prävention von Sucht- und Verhaltensproblemen, wurde ebenfalls für Deutschland adaptiert (deutsch: „Familien Stärken“; Baldus et al., 2016; Bröning et al., 2017). Auch hier liegt der Fokus vor allem auf der praktischen, verhaltensnahen Vermittlung bestimmter Elternkompetenzen. Dem Erlernen konstruktiven Erziehungsverhaltens sind jedoch, besonders bei vulnerablen Familien, häufig Grenzen gesetzt, die in den emotionalen Kompetenzen und in der Emotionalität der Eltern liegen. Eine um Achtsamkeitselemente erweiterte deutschsprachige Version des Programms ist zwischenzeitlich entwickelt worden und wird derzeit in einer kontrollierten Studie evaluiert (Arnaud et al., 2020; Franz et al., im Druck). Achtsamkeit bietet die Möglichkeit, diese tiefer liegenden Prozesse der Selbstakzeptanz, der emotionalen Regulation und der Aufmerksamkeitslenkung (vielleicht auch neurobiologisch) zu verändern. Das Konzept des Mindful Parenting transportiert dieses Veränderungspotenzial in die Eltern-Kind-Beziehung, wo es mit bidirektionaler Wahrnehmung und Akzeptanz (mit Bezug auf „Selbst“ und „Kind“) Wirkung entfalten kann.

Literatur

1 Personen, die im Sinne primärer Bezugspersonen die Elternrolle einnehmen, z. B. Pflegeeltern, sind hier und im Folgenden ebenfalls mit „Eltern“ gemeint.