Zusammenfassung
Das schulische Wohlbefinden ist ein grundlegendes, sozio-emotionales Bedürfnis aller Schüler*innen und daher ein zentraler Qualitätsindikator inklusiver Schulen. Wenig ist bislang jedoch über die Entwicklung des schulischen Wohlbefindens in inklusiven Klassen der Sekundarstufe I bekannt. Im Rahmen eines internen Evaluationsprozesses an der Laborschule Bielefeld, der inklusiven Versuchsschule des Landes Nordrhein-Westfalen, hat ein interdisziplinäres Team im Forschungs- und Entwicklungsprojekt „Wohlbefinden und Inklusion an der Laborschule – eine Selbstreflexion“ die Selbsteinschätzungen der Schüler*innen hinsichtlich ihres schulischen Wohlbefindens untersucht. Hierzu wurden alle Schüler*innen der Jahrgangstufen 6 bis 10 zwischen 2013 und 2018 jährlich zu einer Befragung eingeladen. Auf der Grundlage des zugehörigen, mit vielen Messzeitpunkten und hoher Beteiligungsquote ausgestatteten längsschnittlichen Datensatzes, wurden für den vorliegenden Beitrag lineare und quadratische Verläufe des schulischen Wohlbefindens von Schüler*innen aus inklusiven Lerngruppen der Sekundarstufe I vergleichend analysiert.
Unter Berücksichtigung von insgesamt sechs Komponenten des schulischen Wohlbefindens zeigt sich für zwei Komponenten eine lineare Entwicklung: Die Affinität zur Stammgruppe (bzw. zur eigenen Klasse) nimmt über die Sekundarstufe I leicht ab, ebenso die wahrgenommenen sozialen Probleme in der Schule. Die Verläufe der drei Komponenten Einstellungen und Emotionen gegenüber der Schule, schulischer Selbstwert und Sorgen wegen der Schule werden hingegen signifikant besser durch eine quadratische Modellierung abgebildet. Für diese zeigt sich mit zunehmender Jahrgangsstufe eine weniger ausgeprägte Abnahme (Einstellungen und Emotionen gegenüber der Schule, Abwesenheit von Sorgen wegen der Schule), der teilweise eine Zunahme in höheren Jahrgangsstufen folgt (schulischer Selbstwert). Das Ausmaß körperlicher Beschwerden verändert sich nicht signifikant in Abhängigkeit von der Jahrgangsstufe. Schulpädagogische Implikationen werden im Beitrag ebenso diskutiert wie die Perspektiven für künftige Forschung.
Abstract
School well-being is a basic requirement for every student and a major goal of inclusion within schools. Little is known, however, about developmental trajectories of school well-being in inclusive lower secondary school classes. As a part of a self-evaluation process at the Laborschule Bielefeld – an experimental school of the federal state of North Rhine-Westphalia – an interdisciplinary team investigated the school well-being of their students in the research and development project “Well-Being and Inclusion at the Laborschule – a Self-Reflection”. All students in grades 6 to 10 were invited to participate in a survey once a year between 2013 and 2018. Based on a respective longitudinal dataset, characterized by many measurement points and a high rate of participation, this paper analyzes linear and quadratic trajectories of school well-being of students visiting inclusive classes spanning most middle school and junior high school grades.
Considering a total of six components of school well-being, two show a linear development: The Affinity to Classmates decreases slightly over lower secondary level, likewise the preceived Social Problems at School. With respect to the three components Attitudes and Emotions Towards School, School-related Self-esteem, and Absence of Worries About School, a quadratic model appears to fit the data better. While two components show a decrease over time with descending rates (Attitudes and Emotions Towards School, Absence of Worries About School) an increase in higher grades is detected for School-related Self-esteem. No significant change was found for the level of Physical Complaints depending on the grade level. Educational implications of the findings as well as perspectives for further research on school well-being are discussed.
1 Einleitung
Schulische Inklusion verfolgt das Ziel der gleichrangigen Partizipation aller Schüler*innen unter Gewährung individueller Unterstützung und Förderung für deren bestmögliche akademische sowie sozio-emotionale Entwicklung (Kullmann et al. 2014; Göransson und Nilholm 2014; für eine Erörterung des Inklusionsbegriffs siehe Grosche 2015). Das schulische Wohlbefinden der Schüler*innen ist in diesem Kontext sowohl als Grundlage der erwünschten Lern- und Entwicklungsprozesse sowie als Indikator der Qualität schulischer Inklusion bedeutsam (Hascher 2017; Karvonen et al. 2018; Kleinkorres et al. 2020; Kullmann et al. 2015; Putwain et al. 2020).
Aufgrund der Indikatorfunktion ist die Frage nach der Entwicklung des schulischen Wohlbefindens in inklusiven Lerngruppen von großem Interesse, gerade im Hinblick auf die Sekundarstufe I. Diese fällt zusammen mit zahlreichen – auch außerschulischen – Entwicklungsaufgaben und geht häufig mit einer negativen Entwicklung der schulbezogenen Einstellungen und Motivation einher (Scherrer und Preckel 2019). Das in dieser Phase erhöhte Risiko für die Entfremdung von der Schule (Eder 2007; Fend 1997) bedingt möglicherweise das häufig berichtete geringere schulische Wohlbefinden in höheren Jahrgangsstufen (Lawes und Boyd 2018; Morinaj und Hascher 2019, 2022; Tobia et al. 2019). Die betreffenden Befunde stammen bislang fast ausschließlich aus Untersuchungen in nicht-inklusiven Regelklassen (siehe Abschn. 3). Inklusive LerngruppenFootnote 1 zeichnet die Besonderheit aus, dass in ihnen – aufgrund ihrer sehr heterogenen Zusammensetzung, die u. a. Schüler*innen ohne und mit sonderpädagogischen Förderbedarf (SPF)Footnote 2 umfasst – die Wahrscheinlichkeit für herausfordernde Lern- und Entwicklungsbedingungen und -situationen systematisch erhöht ist (Lütje-Klose et al. 2018). Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund ist eine vertiefte Charakterisierung der Entwicklung des schulischen Wohlbefindens in inklusiven Lerngruppen der Sekundarstufe I von besonderem Interesse.
Da echte Längsschnittdaten über die gesamte Spanne der Sekundarstufe I aus verschiedenen Gründen schwer zu erzielen sind, nutzen bisherige Studien zum Verlauf des schulischen Wohlbefindens in nicht-inklusiven Regelklassen meist querschnittliche bzw. quasi-längsschnittliche Designs (siehe Abschn. 3). Diese sind jedoch nicht geeignet, um Entwicklungsverläufe abzubilden (Singer und Willett 2003). Die wenigen Untersuchungen auf der Basis eines „echten Längsschnitts“ setzen eine lineare Veränderung voraus, wobei eine solche Modellierung auf der Grundlage verschiedener Befunde zur Entwicklung des schulischen Wohlbefindens in Frage zu stellen ist (siehe Abschn. 3). Ungeprüft blieb bislang beispielsweise, ob das schulische Wohlbefinden nach einer anfänglichen Abnahme in höheren Jahrgangsstufen wieder ansteigt und sich demzufolge nicht-lineare Entwicklungsprozesse zeigen.
Um solchen und weiteren Fragen zur Evaluation einer inklusiven Praxis nachgehen zu können, hat ein interdisziplinäres Team aus Lehrkräften und Wissenschaftler*innen das schulische Wohlbefinden der Schüler*innen an der Laborschule Bielefeld in einem multi-methodischen Ansatz untersucht. Dieser schließt eine längsschnittliche Befragung in den Jahrgangsstufen 6 bis 10 ein (siehe Abschn. 4; Geist et al. 2019; Kullmann et al. 2015). Neben dem Nutzen der Ergebnisse für schulinterne Entwicklungsprozesse ist es das Ziel der Versuchsschule, einen „Transfer […] in den erziehungswissenschaftlichen Diskurs“ herzustellen (Tillmann 2016, S. 304). An dieses Ziel anknüpfend, berichtet der vorliegende Beitrag über die Entwicklung des schulischen Wohlbefindens in inklusiven Lerngruppen über fünf Jahrgangsstufen der Sekundarstufe I, wobei die Charakterisierung des Verlaufs anhand eines Vergleichs linearer und quadratischer Modellierungen im Fokus steht.
2 Schulisches Wohlbefinden
Das schulische Wohlbefinden von Schüler*innen repräsentiert eine Form der Bilanz ihrer emotionalen und kognitiven Bewertungen aller schulbezogenen Erlebnisse und Erfahrungen (Hascher 2004; Kullmann et al. 2015). In Anlehnung an Befunde der psychologischen Wohlbefindensforschung (Becker 1994; Bradburn 1969; Diener 1984) gründet das Erleben von schulischem Wohlbefinden auf dem Ausmaß der Anwesenheit von positiven sowie der relativen Freiheit von negativen Emotionen und Kognitionen (Hascher 2004; Kullmann et al. 2015). Die Ausprägung wird dabei kurzfristig durch situatives Erleben (aktuelles Wohlbefinden bzw. State-Anteil) sowie langfristig durch die Beurteilung aggregierter Erfahrungen geprägt (habituelles Wohlbefinden bzw. Trait-Anteil; Becker 1994; Hascher 2004).
Unter Berücksichtigung der Komplexität des Konstrukts hat sich in der jüngeren Forschung eine Konzeptualisierung des schulischen Wohlbefindens als Mehrkomponentenmodell entlang kognitiver, affektiver, physischer und sozialer Aspekte durchgesetzt (Hascher 2004; Holzer et al. 2021; Konu et al. 2002; Kullmann et al. 2015; Soutter et al. 2011; Wustmann Seiler 2012). Eine Variation besteht jedoch in dem Set an Komponenten zur Konzeptualisierung des schulischen Wohlbefindens (Holzer et al. 2021; Niclasen et al. 2018; Soutter et al. 2011). Die Unterschiede resultieren aus differierenden Bezugstheorien und methodischen Zugängen. Die Konzeptualisierung des schulischen Wohlbefindens nach Holzer et al. (2021) ist beispielsweise der positiven Psychologie zuzuordnen. Als theoretische Grundlage dient das Mehrkomponentenmodell zum subjektiven Wohlbefinden von Jugendlichen von Kern et al. (2016), das Wohlbefinden gemäß Flourishing als positives Funktionieren in mehreren biopsychosozialen Bereichen definiert (ebd.). Die Wohlbefindenskomponenten bilden folglich ausschließlich positive Eigenschaften und Einstellungen der Jugendlichen ab (ebd.; Holzer et al. 2021). Demgegenüber steht beispielsweise das transdisziplinäre Modell schulischen Wohlbefindens von Soutter et al. (2011). Dieses Modell umfasst sieben ebenfalls ausschließlich positive Komponenten und basiert auf Befunden zum subjektiven Wohlbefinden von Jugendlichen aus verschiedenen Domänen wie der Psychologie, der Soziologie sowie den Wirtschafts- und Gesundheitswissenschaften. Während Soutter et al. (2011) ihr Wohlbefindensmodell auf der Grundlage eines Reviews entwickelten, nutzen Holzer et al. (2021) eine qualitative Erhebung des Wohlbefindensverständnis von Schüler*innen und Lehrkräften zur Konzeptualisierung. Folglich werden je nach theoretischen Präferenzen und empirischem Zugang verschiedene Wohlbefindenskomponenten berücksichtigt.
Für die vorliegende Studie war die Erhebung eines nicht-leistungsorientierten Qualitätsindikators inklusiver Schulen das Ziel, wozu das Mehrkomponentenmodell des schulischen Wohlbefindens nach Hascher (2004) ausgewählt wurde, das für den deutschsprachigen Raum zum betreffenden Zeitpunkt als etabliert galt (siehe Abschn. 4) und seither weiter an Bedeutung gewann (Donat et al. 2016; Hascher 2004; Kullmann et al. 2015; Hascher 2017, Morinaj und Hascher 2022; Obermeier et al. 2021). Dieses Erhebungsinstrument berücksichtigt – im Gegensatz zu den zuvor beschriebenen Mehrkomponentenmodellen – explizit positiv und negativ ausgerichtete Komponenten.
Das Modell basiert auf dem „Berner Fragebogen zum Wohlbefinden Jugendlicher“ (Grob et al. 1991), dessen Struktur Hascher (2004) auf den schulischen Kontext übertrug. Die resultierende Operationalisierung erfasst das schulische Wohlbefinden anhand von sechs eigenständigen Komponenten, von denen drei positiv und drei negativ ausgerichtet sind. Schulisches Wohlbefinden gründet hier auf positiven Einstellungen und Emotionen gegenüber der Schule, einem positiven schulischen Selbstwert sowie dem Erleben von Freude und Anerkennung in der Schule (positive Komponenten) bei gleichzeitig wenigen Sorgen wegen der Schule, wenigen sozialen Problemen in der Schule und geringen körperlichen Beschwerden (negative Komponenten). Aus empirischer Sicht deutet eine Konstellation aus hohen Werten auf den positiven Komponenten und niedrigen Werten auf den negativen Komponenten auf ein hohes schulisches Wohlbefinden hin und vice versa (Hascher 2007).
Die Ausprägungen der Wohlbefindenskomponenten variieren über die Schulzeit, in der die Schüler*innen tiefgreifende Entwicklungsprozesse bewältigen (Hascher und Hagenauer 2011; Morinaj und Hascher 2022). Angesichts der erhöhten Wahrscheinlichkeit für herausfordernde Lern- und Entwicklungsbedingungen in inklusiven Klassen sowie des Entfremdungsrisikos gegenüber Schule in der Sekundarstufe I (Eder 2007; Fend 1997) ist ein tieferes Verständnis des Verlaufs bzw. der Änderungen jeder Wohlbefindenskomponente in dieser Phase für ihre gezielte Förderung von besonderem Interesse.
3 Schulisches Wohlbefinden in der Sekundarstufe I
Bisherige Untersuchungen zur Ausprägung des schulischen Wohlbefindens in Abhängigkeit von der Alters- oder Jahrgangsstufe beziehen sich hauptsächlich auf (nicht-inklusive) Regelklassen. Die zugehörigen Ergebnisse werden im Folgenden zunächst anhand querschnittlicher Befunde dargestellt, gefolgt von längsschnittlichen Untersuchungen zu den verschiedenen Stufen der Sekundarstufe I. Den Abschluss bildet eine überblicksartige Darstellung bisheriger Untersuchungen zur Ausprägung des schulischen Wohlbefindens in inklusiven Klassen.
3.1 Entwicklung des schulischen Wohlbefindens in Regelklassen der Sekundarstufe I
Deskriptive Befunde auf Basis unterschiedlicher Operationalisierungen und Stichproben zeigen, dass Schüler*innen der Sekundarstufe I über ein moderates bis hohes schulisches Wohlbefinden verfügen (Hascher und Hagenauer 2020; Løhre et al. 2010). So führen Hascher und Hagenauer (2020) beispielsweise an, dass die Schüler*innen durchschnittlich über positive Einstellungen gegenüber der Schule und einen hohen schulischen Selbstwert berichten (Skalenmittelwerte im oberen Skalenbereich), bei gleichzeitig wenigen sozialen Problemen in der Schule und einem geringen Maß an körperlichen Beschwerden (Skalenmittelwerte im unteren Skalenbereich).
Im Hinblick auf die Entwicklung des schulischen Wohlbefindens zeigt sich in querschnittlichen Studien eine Abnahme mit steigendem Alter bzw. steigender Klassenstufe (Guzmán et al. 2017; Inchley et al. 2016; Lawes und Boyd 2018; Schwab et al. 2015; Tobia et al. 2019). Die Annahme einer kontinuierlichen (linearen) Abnahme über die Sekundarstufe I kann jedoch u. a. auf der Grundlage einer Querschnittsstudie aus der Schweiz in Frage gestellt werden (Hascher und Hagenauer 2011). Dort zeigt sich die niedrigste Ausprägung des schulischen Wohlbefindens in der 7. Jahrgangsstufe. Das heißt, Schüler*innen dieser Jahrgangsstufe berichten über die negativste Einstellung zur Schule, das geringste Freudeerleben in der Schule bei gleichzeitig den meisten Sorgen wegen der Schule und dem höchsten Maß an körperlichen Beschwerden im Vergleich zu Schüler*innen der 5., 6. und 8. Jahrgangstufe. Für den schulischen Selbstwert und die sozialen Probleme in der Schule zeigen sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den einbezogenen Jahrgangsstufen.
In Anlehnung an die querschnittlichen bzw. quasi-längsschnittlichen Untersuchungsergebnisse berichten Längsschnittstudien eine Abnahme bestimmter Wohlbefindenskomponenten zu Beginn der Sekundarstufe I: So sinkt das Erleben von Freude in der Schule, der schulische Selbstwert und die Einstellung zur Schule zwischen der 6. und 7. Jahrgangsstufe (Hascher und Hagenauer 2011Footnote 3). Für die Abwesenheit von Sorgen wegen der Schule und sozialen Problemen in der Schule sowie für die Abwesenheit von körperlichen Beschwerden lässt sich ein solcher, rückläufiger Trend nicht feststellen (ebd.). Ähnliche Ergebnisse berichten Hohenwarter-Lohfeyer et al. (2017) für den Verlauf über die 7. Jahrgangsstufe an österreichischen Hauptschulen und Gymnasien. Lediglich die von Hascher und Hagenauer (2011) beschriebene Abnahme des schulischen Selbstwerts wird in dieser Studie nicht festgestellt (Hohenwarter-Lohfeyer et al. 2017).
Die Untersuchung einer Schweizer Primar- (4. bis 6. Jahrgangsstufe) und Sekundarstufenkohorte (7. bis 9. Jahrgangsstufe) zeigt für die Sekundarstufe keine Abnahme der positiven Einstellungen zur Schule und des schulischen Selbstwerts sowie keine Zunahme der körperlichen Beschwerden, wohl aber für die Primarstufe. Die Sorgen wegen der Schule steigen zwischen der 7. und 8 Jahrgangsstufe an, nehmen aber zwischen der 8. und 9. Jahrgangsstufe wieder ab. In beiden Kohorten sinkt die Freude in der Schule, während sich das Ausmaß sozialer Probleme in der Schule nicht verändert (Morinaj und Hascher 2022). Unter der Annahme einer linearen Veränderung zeigt sich bei Schüler*innen an weiterführenden Schulen in Deutschland eine kontinuierliche Abnahme der Schulfreude ab der 5. Jahrgangsstufe (5. bis 9. Jahrgangsstufe; Fischer et al. 2011). In den affektiven Einstellungen zur Schule lässt sich hingegen zwischen der 4. und 7. Jahrgangsstufe keine Verringerung feststellen (van Ophuysen 2008).
Die teilweise nachgewiesene Abnahme in den Wohlbefindenskomponenten Freude in der Schule, Einstellungen zur Schule und schulischer Selbstwert wird häufig mit einer möglichen Diskrepanz zwischen den Bedürfnissen der Jugendlichen und den Rahmenbedingungen der Schule erklärt (Eccles et al. 1993). Diese wird möglicherweise durch den Übergang zur weiterführenden Schule initiiert, der als kritisches Ereignis für Jugendliche gilt (Gaspard et al. 2022; Tobia et al. 2019). Empirische Befunde zur motivationalen Entwicklung zeigen beispielsweise eine tendenziell stärkere Abnahme bestimmter motivationaler Komponenten zu Beginn der Sekundarstufe I, die sich in den höheren Jahrgangsstufen abschwächt (Gaspard et al. 2022). Als Begründung für diese geringer werdende Abnahme führen die Autor*innen reifungsbedingte Entwicklungsprozesse, eine stabile schulische Umgebung und den nahenden Schulabschluss an (ebd.).
In Übereinstimmung mit diesen Befunden lässt sich für das schulische Wohlbefinden ebenfalls eine Stabilisierung in den höheren Jahrgangsstufen für zuvor (stärker) sinkende Komponenten beobachten: So weisen etwa die Ergebnisse einer ungarischen Studie keine Veränderung in der Einstellung zur Schule, dem schulischen Selbstwert und den körperlichen Beschwerden während der Jahrgangsstufen 9 und 10 aus. Jedoch scheinen Konflikte zwischen den Schüler*innen und auch deren Sorgen zuzunehmen: Schüler*innen der 10. Klasse berichten über mehr soziale Probleme und Konflikte sowie mehr Sorgen wegen der Schule als noch in der 9. Klasse (Gál et al. 2022). In einer norwegischen Studie zeigt sich für die Zeitspanne zwischen der 8. und der 13. Jahrgangsstufe keine Veränderung im schulischen Wohlbefinden. Einschränkend ist hier jedoch anzumerken, dass die Erfassung des schulischen Wohlbefindens über ein Einzelitem erfolgte, das die Komplexität des Konstruktes nicht repräsentieren kann (Grandemo und Lagestad 2018).
Eine repräsentative belgische Studie untersuchte nicht-lineare Verläufe (kubisches und quadratisches Wachstumsmodell) des schulischen Wohlbefindens über die sechs-jährige Sekundarstufe anhand von vier MesszeitpunktenFootnote 4. Hierbei bildet die Modellierung eines kubischen Wachstums den Verlauf am besten ab: Nach anfänglicher Abnahme steigt das schulische Wohlbefinden gegen Ende der Sekundarstufe leicht an (De Fraine et al. 2005). Die Mehrkomponentenstruktur des schulischen Wohlbefindens wurde in dieser Untersuchung jedoch ebenfalls nicht berücksichtigt.
Werden die dargestellten Untersuchungen zusammengefasst betrachtet, zeigt sich die deutlich eingeschränkte Vergleichbarkeit der Studien aufgrund der uneinheitlichen Operationalisierung, der verschiedenen untersuchten Zeiträume innerhalb der Sekundarstufe I sowie der schulpädagogischen und organisatorischen Unterschiede zwischen den Schulsystemen. Um Annahmen über die Entwicklung des schulischen Wohlbefindens über die gesamte Sekundarstufe I aufstellen zu können, ist es erforderlich, Ergebnisse zu kürzeren Zeitperioden bzw. wenigen Schuljahren aus verschiedenen Studien zusammenzuführen (siehe Abschn. 5). So legen die Ergebnisse der oben dargestellten Studien beispielsweise nahe, dass die Einstellung zur Schule in den ersten Jahrgangsstufen der Sekundarstufe I abnimmt, sich aber in höheren Jahrgangsstufen stabilisiert (Hascher und Hagenauer 2011; Hohenwarter-Lohfeyer et al. 2017; Gál et al. 2022).
Wenngleich die Befunde teilweise eine geringer werdende Abnahme oder sogar einen leichten Anstieg (einzelner Komponenten) des schulischen Wohlbefindens in höheren Jahrgangsstufen der Sekundarstufe I, d. h. einen u‑förmigen Verlauf andeuten, modellieren bisherige Studien die Entwicklung überwiegend linear. Folglich können im Hinblick auf (nicht-inklusive) Regelklassen längsschnittliche Untersuchungen über hinreichend lange Zeiträume bzw. Schuljahre, die lineare und möglicherweise passendere quadratische Modellierungen unter Berücksichtigung einer Mehrkomponentenstruktur des schulischen Wohlbefindens vergleichend betrachten, als Forschungsdesiderat eingestuft werden. Diese könnten einen Beitrag zum umfassenderen Verständnis des Entwicklungsprozesses leisten.
3.2 Schulisches Wohlbefinden in inklusiven Klassen der Sekundarstufe I
Studien berichten über ein moderates bis hohes affektives schulisches Wohlbefinden – als Fokussierung auf das emotionale Erleben – der Schüler*innen aus inklusiven Klassen der Sekundarstufe I (Alnahdi und Schwab 2021; Schwab 2014). Die Autor*innen verweisen hier auf den Skalenmittelwert, der zugunsten des affektiven schulischen Wohlbefindens über oder nahe dem theoretischen Skalenmittelwert liegt (ebd.) und somit deskriptiv mit dem Niveau in Regelklassen vergleichbar ist (siehe Abschn. 3.1). Ebenso finden Untersuchungen, die die Einstellungen gegenüber der Schule der gesamten Schüler*innenschaft aus inklusiven Klassen und Regelklassen vergleichen, keine Unterschiede zwischen den beiden Klassensettings (Pozas et al. 2021; Schwab et al. 2015).
Weitere bisherige Untersuchungen fokussieren häufig auf Gruppenunterschiede in Abhängigkeit vom SPF-Status. Die zugehörigen Befunde erweisen sich als uneinheitlich. So berichten manche Studien über ein höheres affektives schulisches Wohlbefinden sowie eine positivere Einstellung gegenüber der Schule (bzw. Schulzufriedenheit) zugunsten von Schüler*innen ohne SPF in inklusiven Klassen (Alnahdi und Schwab 2021; McCoy und Banks 2012; Skrzypiec et al. 2016), andere Untersuchungen bestätigen diese Unterschiede jedoch nicht (Kröske 2020; Pozas et al. 2021; Schwab 2014; Venetz et al. 2019; Weber et al. 2023).
Für inklusive Klassen zeigt sich zudem, dass das affektive schulische Wohlbefinden nicht mit dem Anteil an Schüler*innen mit SPF in der Klasse zusammenhängt (Weber et al. 2023). Das affektive schulische Wohlbefinden der Schüler*innen sowie deren Einstellung gegenüber der Schule scheint nicht bedeutsam abhängig vom Klassensetting (Regelklasse vs. inklusive Lerngruppe) oder dem SPF-Status der Befragten (mit vs. ohne) zu sein, wohl aber von der Gestaltung der Lernumgebung (ebd.; Pozas et al. 2021). So zeigt sich beispielsweise, dass ein differenzierender Unterricht sowie ein unterstützendes Verhalten von Lehrkräften (und Mitschüler*innen) positiv mit dem affektiven schulischen Wohlbefinden und der Einstellung gegenüber der Schule in inklusiven Klassen assoziiert ist, während sich der systematische Ausschluss von Schüler*innen mit SPF im Unterricht (pull-out) negativ auf das soziale und emotionale Erleben der Betroffenen auswirken kann (Kröske 2020; Pozas et al. 2021; Wiener und Tardif 2004).
Zusammengenommen zeigt sich, dass bisherige Studien zum schulischen Wohlbefinden in inklusiven Klassen der Sekundarstufe I lediglich einzelne Aspekte wie das affektive schulische Wohlbefinden oder die Einstellung gegenüber der Schule untersuchen (Kröske 2020; Pozas et al. 2021; Schwab et al. 2015; Weber et al. 2023). Auch wenn Studien zum schulischen Wohlbefinden in den letzten Jahren stärker inklusive Klassen in den Blick nehmen, bleibt ein Bedarf an Untersuchungen, die das schulische Wohlbefinden und insbesondere dessen Entwicklung unter Berücksichtigung seiner Mehrkomponentenstruktur in inklusiven Klassen der Sekundarstufe I betrachten.
4 Selbstevaluation zum schulischen Wohlbefinden an der Laborschule Bielefeld im Rahmen des Forschungs- und Entwicklungsprojekts „Wohlbefinden und Inklusion an der Laborschule – eine Selbstreflexion“
Die vorliegende Untersuchung ist Teil eines Forschungs- und Entwicklungsprojekts (FEP) der Laborschule Bielefeld, inklusive Versuchsschule des Landes Nordrhein-Westfalen. Diese Schule begleitet Schüler*innen ab dem Vorschuljahr (sogenannter Jahrgang „Null“) bis zur 10. Jahrgangsstufe und bietet alle Abschlüsse der Sekundarstufe I. Die Aufnahme der Schüler*innen erfolgt im letzten Vorschuljahr (Jahrgang „Null“) auf der Basis eines Aufnahmeschlüssels, dessen Ziel es ist, die Gesellschaft von Nordrhein-Westfalen abzubilden (Devantié et al. 2019). Etwa 10 % der Schüler*innen besitzen einen SPF und sind mit (in etwa) diesem Anteil in jeder Lerngruppe vertreten. Während die Schüler*innen der Jahrgänge null bis zwei sowie drei bis fünf in jahrgangsgemischten Gruppen unterrichtet werden, sind die Jahrgänge 6 bis 10 jahrgangshomogen organisiert.
Die Laborschule Bielefeld ist aufgrund ihres Versuchsschulcharakters von mehreren staatlichen Vorgaben freigestellt und entwickelt sowie erprobt u. a. neue Konzepte, Organisationsformen und Unterrichtsmodelle. Durch ihre jahrzehntelange Erfahrung als inklusive Schule hat sie einen großen Erfahrungsvorsprung gegenüber vielen Schulen des Regelschulsystems (Siepmann 2019). Es ist anzunehmen, dass die Entwicklung des schulischen Wohlbefindens an der Laborschule von den spezifischen Charakteristika des Settings beeinflusst wird: Beispielsweise wird der Verzicht auf eine äußere Differenzierung nach Leistung sowie auf eine Kompetenzbewertung gemäß der sozialen Bezugsnorm schulkulturell u. a. anhand eines Verzichts auf Abschulungen sowie auf die Vergabe von Zensuren bis zum Ende der 9. Jahrgangsstufe realisiert (Thurn 2011).
Aus der pädagogisch-psychologischen Forschung ist bekannt, dass Rückmeldungen gemäß der individuellen Bezugsnorm und die damit einhergehende Reduktion sozialer Vergleiche, wie sie auch an der Laborschule angestrebt werden, den Leistungsdruck und die Konkurrenz zwischen den Schüler*innen verringern und zu einem höheren schulischen Wohlbefinden beitragen können (Hascher und Hagenauer 2011; Kröske 2020). Des Weiteren zeigt sich, dass ein Fokus auf individuelle Lernprozesse und -fortschritte der Schüler*innen mit dem schulischen Wohlbefinden positiv korreliert (Baudoin und Galand 2022). An der Laborschule wird dieser Zusammenhang neben einer schüler*innenorientierten Didaktik durch ein Wahlkurssystem ab Jahrgangsstufe 5 gefördert, das den Schüler*innen erlaubt, ihren Interessen vertieft nachzugehen (Siepmann 2019). Auch die Berücksichtigung individueller Interessen ist positiv mit dem schulischen Wohlbefinden assoziiert (Ott 2020).
Im Rahmen des Versuchsschulauftrags arbeiten Lehrkräfte gemeinsam mit Wissenschaftler*innen in multiprofessionellen FEPs (Döpp 2013). Unter dem Titel „Wohlbefinden und Inklusion an der Laborschule – eine Selbstreflexion“ (WILS) untersuchte ein FEP die Selbsteinschätzungen der Schüler*innen hinsichtlich ihres schulischen Wohlbefindens und ergänzender Schulqualitätsvariablen (Geist et al. 2019; Kullmann et al. 2015). Die Beteiligten entwickelten ein multimethodisches Forschungsdesign, prüften Methoden auf ihre Durchführbarkeit in den inklusiven Lerngruppen und werteten insbesondere qualitative Daten gemeinsam aus (Geist et al. 2019; Külker et al. 2017).
Die quantitative Fragebogenerhebung erfasste die Ausprägung des schulischen Wohlbefindens inkl. zugehöriger Bedingungsfaktoren. Ein besonderes Interesse galt jenen Schüler*innengruppen, für die erfahrungsgemäß in Assoziation mit soziodemographischen Faktoren wie Migrationshintergrund, Geschlecht und SPF ein Risiko für ein geringeres schulisches Wohlbefinden anzunehmen ist (McCoy und Banks 2012; Morinaj und Hascher 2022).
Zu Beginn des Projekts, in den Jahren 2012 und 2013, wurde das von Hascher (2004) vorgestellte Fragebogeninstrument zur Erfassung des schulischen Wohlbefindens für den Einsatz in inklusiven Lerngruppen adaptiert und – soweit notwendig – modifiziert. Der betreffende Prozess und das Ergebnis sind bei Kullmann et al. (2015) ausführlich beschrieben. Neben der Anschlussfähigkeit an die bisherige Operationalisierung zum schulischen Wohlbefinden galten Klarheit, Prägnanz und Verständlichkeit als zentrale Kriterien, um ein möglichst selbstständiges Beantworten aller Items durch alle Schüler*innen – auch jenen mit SPF – zu gewährleisten. Die Prüfung der Gesamtzahl der Items war ebenfalls entscheidend, um Ermüdungseffekten – betrachtet auf die Gesamtheit des Fragebogens – vorzubeugen. Auch Anpassungen zugunsten der ökologischen Validität wurden vorgenommen, so dass in den Fragebogenitems statt „Klasse“ der Begriff „Stammgruppe“ genutzt wurde, weil dies an der Laborschule die übliche Bezeichnung ist.
In einer Prä-Pilotierung sowie einer (umfangreicheren) Pilotierung wurde die Verständlichkeit der Items auf Seiten der Schüler*innen gesondert erhoben. Auffällige Items, z. B. „Die Schule scheint mir sinnvoll“ (Skala: Einstellungen und Emotionen gegenüber der Schule) wurden aus dem bis dahin genutzten Instrument entfernt und durch geeignete Items aus anderen Instrumenten oder Eigenentwicklungen ersetzt (Kullmann et al. 2015).
Für Verständnisschwierigkeiten, auch in vereinfachter Version, sorgten des Weiteren Items aus der Skala „Freude und Anerkennung in der Schule“ (siehe Kullmann et al. 2015, S. 312). Auf der Basis verschiedener empirischer Befunde konnte diese ursprünglich zum sechs-faktoriellen Modell des schulischen Wohlbefindens gehörige Skala nicht als integraler Teil des Instruments berücksichtigt werden. Bereits in Studien, die unseren Analysen vorausgingen, zeigt die genannte Skala ungünstige Eigenschaften. So sind die Interkorrelationen mit anderen Skalen des schulischen Wohlbefindens äußerst gering und nicht signifikant (im Bereich r < 0,10) und sogar vereinzelt signifikant negativ (r = −0,23, Hascher 2004, S. 231 ff.; Hascher et al. 2011, S. 386 f.).
In der Studie von Wustmann Seiler (2012) gelingt es im Rahmen einer Hauptkomponentenanalyse nicht, die sechs-faktorielle Struktur unter Einbindung der Skala „Freude und Anerkennung in der Schule“ zu replizieren (im Unterschied zu Hascher 2004, 2007; wobei in allen drei Studien die (Neben‑)Ladungen nicht oder nicht vollständig angegeben sind). Die „verbleibende“, fünf-faktorielle Struktur wird in derselben Studie jedoch für weitere Messzeitpunkte im Rahmen einer konfirmatorischen Faktorenanalyse bestätigt (Wustmann Seiler 2012). In verschiedenen Studien zeigt dieselbe Skala zudem Reliabilitätskennwerte von Cronbachs Alpha < 0,70, die als „mindestens ungünstig“ eingestuft werden (Hascher 2004, S. 230, 2007, S. 338; Wustmann Seiler 2012, S. 143).
Analoge Befunde treten im Rahmen der o. g. Pilotierung zur Vorbereitung des Längsschnitts im WILS-Projekt auf, auf dem die in diesem Beitrag vorgestellten Befunde beruhen. Auch hier sind die Interkorrelationen mit den anderen Skalen zur Erfassung des schulischen Wohlbefindens teilweise sehr gering, ebenso der Reliabilitätskoeffizient Cronbachs Alpha (vor allem für die Teilstichprobe der Schüler*innen mit SPF, mit Cronbachs Alpha = 0,50, siehe Kullmann et al. 2015, S. 312). Die ursprüngliche, sechs-faktorielle Struktur des Erhebungsinstruments kann in einer konfirmatorischen Faktorenanalyse nicht bestätigt werden.Footnote 5
Ergänzt wurde das nunmehr fünf-teilige Instrument zur Messung des schulischen Wohlbefindens um eine positiv ausgerichtete Skala zur sozial-emotionalen Integration, die ebenfalls auf das eigene Erleben sowie die Klasse als wichtigste schulische Bezugsgruppe ausgerichtet ist und auf der Basis einer konfirmatorischen Faktorenanalyse als eigenständige Komponente innerhalb des Mehrkomponentenmodells bestätigt werden konnte (Skala „Affinität zur Stammgruppe“; Kullmann et al. 2015). Aus der Perspektive von Schüler*innen und Lehrkräften ist die sozial-emotionale Integration bzw. Eingebundenheit ein elementarer Teil des schulischen Wohlbefindens (Graham et al. 2017; Holzer et al. 2021). Verschiedene Mehrkomponentenmodelle des schulischen Wohlbefindens berücksichtigen die soziale Eingebundenheit daher als eigenständige positiv konnotierte Komponente (Holzer et al. 2021; Niclasen et al. 2018; Soutter et al. 2011). Dessen Ausprägung ist zudem entscheidend für das Gelingen schulischer Inklusion (Hascher 2017) und daher insbesondere bedeutsam für das schulische Wohlbefinden in inklusiven Lerngruppen.
Die Ergebnisse der Schüler*innenbefragungen an der Laborschule Bielefeld verweisen auf ein im Schnitt hohes schulisches Wohlbefinden in der Sekundarstufe I (Geist et al. 2019; Kullmann et al. 2015; Marker et al. im Druck). Das heißt, die Schüler*innen berichten im Durchschnitt über eine positive Einstellung zur Schule, eine hohe Affinität zur Stammgruppe und einen positiven schulischen Selbstwert, bei gleichzeitig wenigen Sorgen wegen der Schule, wenigen sozialen Problemen und geringen körperlichen Beschwerden (Kullmann et al. 2015). Die positive Bilanz gilt für Schüler*innen mit und ohne SPF, wobei sich für manche Komponenten und Erhebungszeitpunkte ein höheres Niveau zugunsten von Schüler*innen ohne SPF zeigt (ebd.).
5 Fragestellung
Die Förderung des schulischen Wohlbefindens ist ein grundlegendes Ziel von Inklusion. Um die Entwicklung des schulischen Wohlbefindens über die Schulzeit zu verstehen sowie pädagogische Praxis zu evaluieren, sind Längsschnittstudien unerlässlich. Bisherige Untersuchungen zeigen, dass sich das schulische Wohlbefinden über die Sekundarstufe I verändert. Allerdings unterscheidet sich die Veränderung der einzelnen Wohlbefindenskomponenten teilweise je nach betrachtetem Zeitraum bzw. betrachteter Jahrgangsstufen. Auf dieser Grundlage kann die Annahme einer linearen Entwicklung zugunsten einer quadratischen in Frage gestellt werden (siehe Abschn. 3.1). In Verbindung mit dem dargestellten Forschungsdesiderat, wonach die wenigen bislang vorliegenden Längsschnittstudien zum schulischen Wohlbefinden in der Sekundarstufe I sich auf (nicht-inklusive) Regelschulen beziehen und meist kurze Zeitperioden betrachten, widmet sich die vorliegende Studie folgender Fragestellung:
Welche Entwicklungsverläufe zeigen sich für die sechs Komponenten des schulischen Wohlbefindens zwischen der 6. und der 10. Jahrgangsstufe in den inklusiven Lerngruppen der Laborschule Bielefeld?
Zur Beantwortung soll für die einzelnen Wohlbefindenskomponenten geprüft werden, ob für die Beschreibung ihres Verlaufs über die Jahrgangsstufen eine lineare – wie bislang meist – oder eine quadratische Modellierung angemessener ist. Begründete (Vor‑)Annahmen hierzu können lediglich in eingeschränkter Form durch eine Zusammenführung der Erkenntnisse zu kürzeren Zeitperioden aus verschiedenen Studien und Übertragung auf die hier interessierenden, inklusiven Lerngruppen aufgestellt werden (siehe Abschn. 3).
Hinsichtlich der Einstellungen und Emotionen gegenüber der Schule und des schulischen Selbstwerts deuten die Ergebnisse der dargestellten Längsschnittstudien (siehe Abschn. 3.1) darauf hin, dass diese Komponenten in den ersten Jahrgangsstufen der Sekundarstufe I abnehmen (Hascher und Hagenauer 2011; Hohenwarter-Lohfeyer et al. 2017), sich jedoch in den höheren Jahrgangsstufen stabilisieren (Morinaj und Hascher 2022; Gál et al. 2022). Vergleichsstudien zwischen inklusiven und nicht-inklusiven Klassen zeigen zudem, dass das Niveau der Einstellungen gegenüber der Schule in beiden Klassensettings vergleichbar ist (Pozas et al. 2021). Es lässt sich folgende Hypothese aufstellen:
Hypothese 1
Für die Einstellungen und Emotionen gegenüber der Schule und den schulischen Selbstwert zeigt sich eine über die Jahrgangsstufen geringer werdende Abnahme im Sinne eines quadratischen Trends.
Für die Sorgen wegen der Schule und die sozialen Probleme in der Schule legen die dargestellten Ergebnisse nahe, dass die Ausprägungen beider Komponenten über die ersten Jahrgangsstufen der Sekundarstufe I zunächst konstant bleiben (Hascher und Hagenauer 2011; Hohenwarter-Lohfeyer et al. 2017), jedoch tendenziell in den höheren Jahrgangsstufen der Sekundarstufe I ansteigen, sodass in dieser Phase mehr Sorgen wegen der Schule (Gál et al. 2022; Morinaj und Hascher 2022: Anstieg zwischen 7. und 8. Jahrgangsstufe) und mehr soziale Probleme in der Schule (Gál et al. 2022) berichtet werden. Es lässt sich folgende Hypothese aufstellen:
Hypothese 2
Für die Abwesenheit von Sorgen wegen der Schule sowie die Abwesenheit von sozialen Problemen in der Schule wird eine stärkere Abnahme zum Ende der Sekundarstufe I im Sinne eines quadratischen Trends erwartet – d. h. die Sorgen und sozialen Probleme nehmen tendenziell zu.
Für die körperlichen Beschwerden zeigt sich in verschiedenen Untersuchungen und über unterschiedliche Jahrgangsstufen ein gleichbleibendes Niveau (Hascher und Hagenauer 2011; Hohenwarter-Lohfeyer et al. 2017; Morinaj und Hascher 2022; Gál et al. 2022). Auf dieser Grundlage wird für die Komponente körperliche Beschwerden folgende Hypothese formuliert:
Hypothese 3
Für die körperlichen Beschwerden zeigt sich ein gleichbleibendes Niveau über die Jahrgangsstufen im Sinne eines horizontal geradlinigen bzw. linearen Verlaufs.
In dieser Untersuchung wird die Affinität zur Stammgruppe als Komponente des schulischen Wohlbefindens betrachtet (siehe Abschn. 4). Aufgrund fehlender Voruntersuchungen kann für die Entwicklung der Affinität zur Stammgruppe keine Hypothese aufgestellt werden.
6 Methode
6.1 Datenerhebung und Stichprobe
Im WILS-Projekt wurde zwischen 2013 und 2018 jährlich eine Paper-Pencil-Befragung aller Schüler*innen der jeweils dreizügigen Jahrgangsstufen 6 bis 10 durchgeführt. Die Gesamtstichprobe umfasst 654 Schüler*innen (51,2 % weiblich) aus 29 inklusiven Lerngruppen (mit ca. je 23 Schüler*innen), wobei im Schnitt 10,2 % einen SPF aufweisen und 26 % eine andere Familiensprache als Deutsch oder Deutsch nur als zweite Familiensprache sprechen. Die Beteiligungsquote fiel an den sechs Erhebungszeitpunkten mit 93 bis 97 % sehr hoch aus. Die Befragung wurde jährlich zwischen Mitte März und Ende Mai von einer Person, die nicht an der Schule tätig ist, durchgeführt. In wenigen Erhebungen waren Sonderpädagog*innen oder Schulbegleitungen anwesend, um Schüler*innen zu unterstützen, die zur Bearbeitung Hilfe benötigten (z. B. Vorlesen der Items). Fach- oder Klassenlehrkräfte sowie anderes pädagogisches Personal waren nicht anwesend.
Die Untersuchung weist ein zeitlich-sequentielles Design auf, aus dem sich eine Datengrundlage mit verschiedenen Schüler*innenkohorten ergibt. Da jede Jahrgangsstufe nur rund 60 Schüler*innen umfasst, wurden die Messungen aus unterschiedlichen Befragungsjahren zusammengeführt (als seien alle Schüler*innen einer Jahrgangsstufe zum gleichen Zeitpunkt befragt worden – und nicht zu sechs verschiedenen). Eventuelle Unterschiede im schulischen Wohlbefinden zwischen den Schüler*innen, die durch die unterschiedlichen Eintrittszeitpunkte in die Befragung bedingt sein könnten (z. B. Besuch der 6. Jahrgangsstufe zum Messzeitpunkt in 2013 oder 2016), wurden bei den Analysen statistisch kontrolliert (siehe Abschn. 6.3). Durch die regelmäßigen Zu- bzw. Abgänge in den Jahrgängen sechs bzw. zehn variiert die Anzahl der Messzeitpunkte pro Schüler*in zwischen eins und fünf, je nach Zeitpunkt des Eintritts in die Befragung. Nicht designbedingte Stichprobenausfälle zwischen den Messzeitpunkten betreffen im Schnitt 6,3 % der Schüler*innen (Maximum: 8,4 % in 2017). Die Missings weisen keine erkennbare Struktur auf. Logistische Regressionen zeigen, dass die Befragungsteilnahme an den einzelnen Messzeitpunkten nicht von dem vorherigen Niveau des schulischen Wohlbefindens abhängt.
Die Analysen umfassen alle Schüler*innen mit mindestens einem Messzeitpunkt. Rund 76 % der Schüler*innen nahmen an mindestens zwei Erhebungswellen teil, 54 % an mindestens drei.
6.2 Erhebungsinstrument
Im Rahmen des WILS-Projekts wurde eine für inklusive Lerngruppen adaptierte und modifizierte Form des Fragebogens zur Erfassung des schulischen Wohlbefindens von Jugendlichen nach Hascher (2004) eingesetzt (siehe Abschn. 4 sowie Kullmann et al. 2015).
Die Skala zur Erhebung der sognannten Affinität zur Stammgruppe wurde neu entwickelt und ergänzt, um der Relevanz des für inklusive Lerngruppen besonders relevanten Faktors sozialer Eingebundenheit besser gerecht zu werden (siehe Abschn. 4; für Details: Kullmann et al. 2015).
Der Fragebogen erfasst das schulische Wohlbefinden anhand von sechs Komponenten durch je eine Skala (Tab. 1; Gesamtfragebogen in Kullmann et al. 2015). Alle Items wurden auf einer 6‑stufigen Skala beantwortet (0 = trifft gar nicht zu bis 5 = trifft voll zu). Die Skalen Sorgen wegen der Schule, soziale Probleme in der Schule und körperliche Beschwerden wurden für die weiteren Analysen invertiert, sodass hohe Ausprägungen den Grad der Abwesenheit dieser Wohlbefindenskomponenten anzeigen.
Die sechs-faktorielle Struktur des Messinstruments wurde mittels konfirmatorischer Faktorenanalyse mit dem R‑Paket lavaan geprüft. Es zeigen sich gute Fit-Werte (χ2 (237) = 1430,27, p < 0,01, CFI = 0,94, SRMR = 0,04, RMSEA = 0,04). Zudem wurde die Invarianz des Messinstruments (konfigurale, metrische, skalare) über die Jahrgangsstufen ebenfalls mit dem R‑Paket lavaan geprüft. Aufgrund der Anfälligkeit des χ2-Differenztest insbesondere bei großen Stichproben, wird nach der Empfehlung von Cheung und Rensvold (2002) auch dann das eingeschränktere Modell bevorzugt, wenn der Unterschied zwischen den Modellen hinsichtlich des Comparative Fit Index (∆CFI) gleich oder größer als −0,01 ist. Skalare bzw. partielle skalare Messinvarianz kann für alle Skalen angenommen werden (Tab. 2).
6.3 Analyse
Die Analyse erfolgte anhand längsschnittlicher Mehrebenenmodelle, unter Berücksichtigung der komplexen DatenstrukturFootnote 6. Um den Effekt der Jahrgangsstufe auf das schulische Wohlbefinden zu untersuchen, wurde diese unabhängig vom Erhebungsjahr als Zeitvariable herangezogen. Als Kontrollvariable (Dummy-Codierung) wurde der „Eintrittszeitpunkt in die Befragung“ in die Modelle aufgenommen (siehe Abschn. 6.1).
Zunächst wurde der Verlauf der Wohlbefindenskomponenten als lineare Funktion der Zeit modelliert (mit Intercept und linearem Slope). Alternativ erfolgte die Modellierung einer nicht-linearen Veränderung in quadratischer Form (unter Hinzunahme eines quadratischen Slopes). Die Fixed Effects der Modelle geben Aufschluss über den personenübergreifenden allgemeinen Wachstumsverlauf. Die Random Effects auf der Ebene der Schüler*innen wurden modelliert, um die Variationen in den Ausgangsniveaus (6. Jahrgangsstufe) und den individuellen Verläufen zwischen den Schüler*innen zu beschreiben.
Um zu prüfen, ob die Hinzunahme eines quadratischen Wachstumsfaktors zu einer besseren Erklärung des Verlaufs bzw. zu einer (signifikanten) Reduktion der Devianz führt, erfolgte ein deskriptiver Vergleich der linearen und quadratischen Modelle anhand des Akaike Information Criterion (AIC) sowie des Bayesian Information Criterion (BIC). Zudem wurde die Anpassungsgüte mittels Likelihood-Ratio‑χ2-Test geprüft (Hox 2010; Raudenbush und Bryk 2002).
Die beschriebenen Modellierungen und Analysen erfolgten für jede Komponente des schulischen Wohlbefindens separat. Die Berechnungen wurden mit dem R‑Paket lme4 durchgeführt.
7 Ergebnisse
7.1 Deskriptive Statistik
Für die sechs Komponenten des schulischen Wohlbefindens sind die Mittelwerte und Standardabweichungen in Tab. 3 ersichtlich. Über alle Jahrgangsstufen und für alle Wohlbefindenskomponenten liegt der Mittelwert über dem theoretischen Skalenmittelwert von 2,5. Die deskriptiven Kennwerte zeigen die höchste Ausprägung der Komponenten Einstellungen und Emotionen gegenüber der Schule, Affinität zur Stammgruppe, schulischer Selbstwert und Abwesenheit von Sorgen wegen der Schule in der 6. Jahrgangsstufe. Während die sozialen Probleme in der Schule in der 10 Jahrgangsstufe am geringsten sind, zeigt sich das geringste Maß an körperlichen Beschwerden in der 8. Jahrgangsstufe (bei relativ gleichbleibendem Niveau über die Jahrgangsstufen).
7.2 Vergleich linearer und quadratischer Wachstumsmodelle
Im Hinblick auf die vergleichende Prüfung linearer und quadratischer Wachstumsmodelle zeigt sich anhand des AIC und des BIC sowie des Likelihood-Ratio‑χ2-Test, dass eine quadratische Modellierung die Veränderung in den Komponenten Einstellungen und Emotionen gegenüber der Schule, schulischer Selbstwert und Abwesenheit von Sorgen wegen der Schule (signifikant) besser abbildet (Tab. 4).
Für die Wohlbefindenskomponenten Affinität zur Stammgruppe, Abwesenheit sozialer Probleme in der Schule und körperlicher Beschwerden zeigt sich hingegen eine bessere Passung der linearen Modelle (Tab. 4).
7.3 Verläufe des schulischen Wohlbefindens über die Sekundarstufe I an der Laborschule Bielefeld
Auf der Grundlage der Ergebnisse des Modellvergleichs wird im Folgenden der längsschnittliche Verlauf aller Komponenten des schulischen Wohlbefindens dargestellt. Präsentiert wird in Tab. 4 sowie in den Abb. 1 und 2 jeweils das Modell, das den Verlauf der betreffenden Komponente besser abbildet (linear oder quadratisch). Die Ergebnisse der betreffenden Mehrebenenanalysen zeigen, dass Schüler*innen der 6. Jahrgangsstufe durchschnittlich positive Einstellungen und Emotionen gegenüber der Schule, einen hohen schulischen Selbstwert sowie eine hohe Affinität zur Stammgruppe aufweisen. Darüber hinaus berichten diese über ein geringes Ausmaß körperlicher Beschwerden, wenige Sorgen wegen der Schule und ein geringes Ausmaß sozialer Probleme in der Schule (Fixed Effects, Intercepts, Tab. 5). Die Random Effects auf Schüler*innen- und Klassenebene zeigen für alle Komponenten, dass Unterschiede im Ausgangsniveau eher zwischen den Schüler*innen als zwischen den Lerngruppen bestehen (siehe Tab. 5).
Die fünf Wohlbefindenskomponenten Einstellungen und Emotionen gegenüber der Schule, Affinität zur Stammgruppe, schulischer Selbstwert, Sorgen wegen der Schule sowie soziale Probleme in der Schule verändern sich signifikant in Abhängigkeit von der Jahrgangsstufe. Lediglich für die körperlichen Beschwerden zeigt sich keine Veränderung (nicht signifikanter, linearer Slope der Jahrgangsstufe, Fixed Effects, Tab. 5).
7.3.1 Wohlbefindenskomponenten mit quadratischem Wachstumsmodell
Für die Einstellungen und Emotionen gegenüber der Schule, den schulischen Selbstwert sowie die Abwesenheit von Sorgen wegen der Schule weisen die negativen linearen Wachstumsraten als Parameter der quadratischen Modelle ein Absinken des Wohlbefindens mit steigender Jahrgangsstufe aus, während die positiven quadratischen Slopes eine mit der Jahrgangsstufe geringer werdende Abnahmerate anzeigen (Tab. 5). Über den Verlauf der Jahrgangsstufen erleben die Schüler*innen ähnlich starke Veränderungen in den Ausprägungen dieser drei Wohlbefindenskomponenten (siehe niedrige Varianzen der Veränderungsraten auf Ebene der Schüler*innen, Random Effects, Jahrgangsstufe, Tab. 5).
Die Visualisierung der Verläufe – die sich aus den Parametern der Fixed Parts ergeben (Intercepts und Slopes aus Tab. 5) – zeigt für die Abwesenheit von Sorgen wegen der Schule die stärkste Abnahme in den ersten Jahren der Sekundarstufe I. Die damit zum Ausdruck kommende Tendenz zu stärkeren Sorgen wegen der Schule verliert über die Zeit an Dynamik, erkennbar am flacheren Verlauf in den höheren Jahrgangsstufen der Sekundarstufe I (Abb. 1). Ein ähnliches Bild ergibt sich für die Einstellungen und Emotionen gegenüber der Schule (Abb. 1), bei jedoch höherem Niveau und insgesamt weniger dynamischem Verlauf. Für die Wohlbefindenskomponente schulischer Selbstwert zeigt sich ein u‑förmiger Verlauf: Nach anfänglicher Abnahme steigt dieser ab der 8. Jahrgangsstufe (Tiefpunkt) wieder deutlich an. Die Selbstbeurteilung der Schüler*innen in der 10. Jahrgangsstufe ist mit dem Ausgangsniveau in der 6. Jahrgangsstufe vergleichbar (Abb. 1).
7.3.2 Wohlbefindendenskomponenten mit linearem Wachstumsmodell
Während die Affinität zur Stammgruppe über die gesamte Zeitspanne sinkt, verringern sich die sozialen Probleme in der Schule ebenso stetig (siehe Tab. 5 und Abb. 2). Unterschiede in der Stärke der Veränderung fallen zwischen den Schüler*innen gering aus (niedrige Varianzen des Faktors „Jahrgangsstufe“ für beide Komponenten, Random Effects, Tab. 5). Das Maß an körperlichen Beschwerden bleibt über die Zeitspanne konstant.
8 Diskussion
Ein tieferes Verständnis der Entwicklung aller Wohlbefindenskomponenten im inklusiven Setting ist notwendig, um die Wirkungen einer inklusiven Praxis und differentieller Lernumgebungen beurteilen sowie differenzierte Fördermaßnahmen entwickeln zu können. Im Rahmen des schulinternen Forschungs- und Evaluationsprojekts WILS der Laborschule Bielefeld wurden daher die Daten einer längsschnittlichen Schüler*innenbefragung genutzt, um die Entwicklung der Komponenten des schulischen Wohlbefindens zwischen der 6. und 10. Jahrgangsstufe in inklusiven Lerngruppen zu analysieren.
8.1 Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse
Dass Schüler*innen der Laborschule Bielefeld im Schnitt ein hohes schulisches Wohlbefinden aufweisen, kann als Hinweis für den Erfolg der dortigen Form einer inklusiven Lernumgebung gedeutet werden. Jedoch verändert sich auch an dieser Schule die Ausprägung von fünf der sechs Wohlbefindenskomponenten im Laufe der Sekundarstufe I: Während das Ausmaß körperlicher Beschwerden in Übereinstimmung mit der betreffenden Hypothese (Hypothese 3) – bei einem im Durchschnitt sehr geringen Belastungslevel – stabil bleibt, ist für die Komponenten Einstellungen und Emotionen gegenüber der Schule und schulischer Selbstwert in Übereinstimmung mit der hier zugehörigen Hypothese (Hypothese 1) eine quadratische Modellierung des Verlaufs angemessener: Für die Einstellungen und Emotionen gegenüber der Schule zeigt sich in den ersten Jahren der Sekundarstufe I eine stärkere Abnahme, die mit steigender Jahrgangsstufe an Dynamik verliert. Der schulische Selbstwert der Schüler*innen sinkt bis zur 8. Jahrgangsstufe und steigt anschließend sogar wieder an, sodass in Jahrgangsstufe 10 etwa das Ausgangsniveau (Jahrgangsstufe 6) erreicht wird. Der Verlauf der Abwesenheit von Sorgen wegen der Schule lässt sich in Übereinstimmung mit der zugehörigen Hypothese (Hypothese 2) durch eine quadratische Modellierung besser abbilden. Allerdings zeigt sich entgegen der Hypothese in den ersten Jahren der Sekundarstufe I eine stärkere Abnahme, die mit steigender Jahrgangsstufe an Dynamik verliert. Für den Verlauf der Abwesenheit von sozialen Problemen in der Schule ist entgegen der oben genannten Hypothese (Hypothese 2) eine lineare Modellierung angemessener: Die Schüler*innen an der Laborschule nehmen soziale Probleme mit steigender Jahrgangsstufe in kontinuierlich geringerem Ausmaß wahr. Eine lineare Abnahme über die gesamte Sekundarstufe I zeigt sich lediglich für die Affinität zur Stammgruppe.
Das schulische Wohlbefinden der Schüler*innen gilt als Indikator für eine gelingende inklusive Praxis. Folglich wird ein hohes schulisches Wohlbefinden und dessen Aufrechterhaltung angestrebt. Die Ergebnisse zeigen, dass auch Schüler*innen einer inklusionserfahrenen Schule wie der Laborschule Bielefeld zeitweise (geringe) Einbrüche im schulischen Wohlbefinden erleben. Die Adoleszenz ist geprägt durch Reifungsprozesse, vielfältige Entwicklungsaufgaben und teils belastenden Herausforderungen, sodass sich für die Jugendlichen in der Sekundarstufe I eine Abnahme der allgemeinen Lebenszufriedenheit bzw. des subjektiven Wohlbefindens zeigt (Herke et al. 2018). Die vorliegende Untersuchung unterstreicht somit, dass entsprechende Einbrüche im schulischen Wohlbefinden in der Sekundarstufe I unabhängig vom Schulsetting zu erwarten sind. Zudem hält die Sekundarstufe I neben der Transition von der Grundschule weitere kritische Ereignisse für alle Schüler*innen bereit wie z. B. Wechsel von Lehrkräften, Kurswahlen oder die Berufsorientierungsphase. Anhand der abflachenden Dynamik der Abnahmen deutet sich jedoch an, dass Einbrüchen begegnet und ein hohes Niveau des schulischen Wohlbefindens in inklusiven Lerngruppen über die Jahrgangsstufen aufrechterhalten werden kann.
Die Entwicklung der Einstellungen und Emotionen gegenüber der Schule an der Laborschule Bielefeld verläuft, wie in Studien an nicht-inklusiven Schulen gezeigt, unter Abnahme zwischen der 6. und 7. Jahrgangsstufe (Hascher und Hagenauer 2011; Hohenwarter-Lohfeyer et al. 2017) und einer zunehmenden Stabilität gegen Ende der Sekundarstufe I (Gál et al. 2022). Die zu Beginn der Messperiode (ab Jahrgangsstufe sechs) stärkere Abnahme in den Einstellungen und Emotionen gegenüber der Schule könnte an der Laborschule durch mittelfristige Wirkungen des schulinternen Wechsels von jahrgangsübergreifenden Stammgruppen (3. bis 5. Jahrgangsstufe) in neu zusammengesetzte jahrgangshomogene Stammgruppen bedingt sein (siehe Abschn. 4). Der Übergang von der Grundschule zur weiterführenden Schule stellt auch im Regelschulsystem (i. d. R. nach der 4. Jahrgangsstufe) ein kritisches Lebensereignis dar (Sirsch 2000). Dieser sowie die damit einhergehenden Veränderungen der Lernumgebung können sich u. a. auf die Einstellungen und Emotionen gegenüber der Schule auswirken (Knoppick et al. 2015; Tobia et al. 2019; Symonds und Galton 2014). Auch wenn die Schüler*innen der Laborschule keinen Schulwechsel erleben, bringt der Wechsel ihrer primären Bezugsgruppe in der 6. Jahrgangsstufe größere Veränderungen mit sich (v. a. in Bezug auf Mitschüler*innen, Lehrkräfte und Fächer), die eine erhöhte Unsicherheit der Schüler*innen begünstigen können.
Einen möglichen Erklärungsansatz für die beschriebene Stabilisierung in den höheren Jahrgangsstufen liefern Befunde zur motivationalen Entwicklung von Schüler*innen der Sekundarstufe I: Demnach sinken bestimmte motivationale Komponenten (z. B. Interesse, Wertüberzeugungen) zunächst in stärkerem Maße, bevor die Dynamik sich in höheren Jahrgangsstufen verringert. Als Grund wird u. a. der näher rückende Schulabschluss als biographierelevanter, extrinsischer Faktor vermutet (Frenzel et al. 2010; Gaspard et al. 2022). Dessen Bedeutsamkeit beeinflusst möglicherweise die Einstellung zur Schule und wirkt zumindest mittelbar der Schulentfremdung und folglich dem Sinken des schulischen Wohlbefindens entgegen (Morinaj und Hascher 2019). An der Laborschule wird der näher rückende Abschluss durch die Einführung von Ziffernnoten am Ende der 9. Jahrgangsstufe besonders deutlich. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang, dass sich in der 10. Jahrgangsstufe weder Einbrüche im schulischen Selbstwert noch vermehrte Sorgen wegen der Schule zeigen. Dies könnte ein Hinweis auf die Qualität der alternativen Bewertungspraxis der Laborschule sein, die u. a. hohe Grade der Selbstreflexion, der Peer-Evaluation und des konstruktiven Feedbacks von Seiten der Lehrkräfte einschließt (weiterführend siehe Biermann 2019).
Die beschriebene Abnahme des schulischen Selbstwerts in den ersten Jahren der Sekundarstufe I könnte – in Analogie zu Befunden für Regelklassen (Hascher und Hagenauer 2011) – durch den Wechsel der primären Bezugsgruppe bedingt sein (Trautwein und Lüdtke 2010). Die Einschätzung des eigenen schulischen Selbstwerts beruht u. a. auf dem Kompetenzvergleich mit Mitschüler*innen (Marsh et al. 2008). Die Schüler*innen der Laborschule waren zuvor Teil einer jahrgangsgemischten Gruppe, in der sie als ältere Schüler*innen jüngere Schüler*innen unterstützen konnten. Der Wechsel in eine neue jahrgangshomogene Stammgruppe kann somit auch zu einem stärkeren Leistungsvergleich und einer leistungsbezogenen Verunsicherung beitragen. Die fünf Schuljahre nach dem Übergang in die 6. Jahrgangsstufe sind an der Laborschule von einer hohen Stabilität der Lernumgebung inklusive eines durchgehend verantwortlichen Klassenleitungstandems geprägt. Mit dem Näherrücken des Schulabschlusses gehen schulkonzeptionell u. a. unterstützte Reflexionen der eigenen Stärken und Ziele einher (Devantié et al. 2019). Es zeigt sich nicht nur eine Stabilität (Gál et al. 2022), sondern ein Anstieg des schulischen Selbstwerts in den höheren Jahrgangsstufen.
Während die an der Laborschule gefundene Stabilität körperlicher Beschwerden auf Seiten der Schüler*innen über die Sekundarstufe I früheren Befunden entspricht (Hascher und Hagenauer 2011; Hohenwarter-Lohfeyer et al. 2017; Gál et al. 2022; Morinaj und Hascher 2022), stellt die kontinuierliche Verringerung sozialer Probleme in der Schule einen Unterschied zu Ergebnissen früherer längsschnittlicher Untersuchungen an Regelschulen dar (Hascher und Hagenauer 2011; Hohenwarter-Lohfeyer et al. 2017; Gál et al. 2022; Morinaj und Hascher 2022). Ausgehend von der heterogenitätssensiblen Schulkultur an der Laborschule, kann als Erklärungsmöglichkeit auf die elaborierten Maßnahmen zur Schaffung eines positiven Sozialklimas verwiesen werden (Siepmann 2019; Textor 2019). Die schulkonzeptionell verankerte Berücksichtigung des sozial-emotionalen Lernens, die im Kontext schulischer Inklusion gefordert wird (Hascher 2017), mag sich ebenfalls in erwartungskonformer Weise positiv auf die sozialen Beziehungen und das Schulklima (Baumsteiger et al. 2022; Taylor et al. 2017) und somit auf das schulische Wohlbefinden sowie die soziale Inklusion der Schüler*innen (Weber et al. 2023) auswirken.
Das geringe Maß an sozialen Problemen in der Schule an der Laborschule ist zudem möglicherweise zurückzuführen auf den Verzicht einer Etikettierung sowie eines wiederkehrenden Ausschlusses (pull-out) von Schüler*innen mit SPF (Siepmann 2019). Etikettierungs- und Ausschlussprozesse können sich negativ auf das soziale und emotionale Erleben der Betroffenen (Wiener und Tardif 2004) sowie das soziale Klima in der Lerngruppe auswirken. Schüler*innen mit SPF an der Laborschule berichten im Rahmen einer qualitativen Teilstudie des WILS-Projektes, dass sie sich als vollwertiges Mitglied ihrer Gruppe sehen, eine angenehme Atmosphäre innerhalb der Schule wahrnehmen und in soziale Netzwerke eingebunden sind, in denen sie offen über Probleme und Schwierigkeiten sprechen können (Geist et al. 2019).
Diese Interviewstudie zeigt zudem, dass sich vor allem in den höheren Jahrgängen Freundschaften vermehrt über die eigene Stammgruppe hinaus bilden (Geist et al. 2019). Dieser Befund korrespondiert mit dem oben berichteten, kontinuierlichen Sinken (in geringem Ausmaß) der Affinität zur Stammgruppe. Obschon die Schüler*innen einen starken Zusammenhalt in ihrer Stammgruppe wahrnehmen (ebd.), könnte die zunehmende Vernetzung über die Stammgruppe hinaus eine Abkopplung von dieser begünstigen.
8.2 Limitationen und Fazit
Die Ergebnisse der vorliegenden Studie können als Anhaltspunkt für das Potenzial einer inklusiv gestalteten Lernumgebung dienen und legen insbesondere eine gezielte Förderung des schulischen Wohlbefindens zur Mitte der Sekundarstufe I bzw. 8. Jahrgangsstufe nahe. Bei der Interpretation der Ergebnisse sind mehrere Limitationen zu berücksichtigen. Aufgrund der Betrachtung einer Einzelschule und des spezifischen Versuchsschulkontextes sind die Ergebnisse nicht repräsentativ für die Schüler*innenschaft an inklusiven Regelschulen. Im Gegensatz zu vielen Regelschulen hat die Laborschule Bielefeld einen langen diversitätsaffinen Schulentwicklungsprozess durchlaufen. Die bereits über längere Zeit erarbeiteten Prinzipien und Rahmenbedingungen der Schule erleichtern die pädagogische Arbeit im Sinne der Inklusion erheblich (Siepmann 2019). Interessant und instruktiv – auch für die Arbeit an der Laborschule Bielefeld selbst – wäre es, die Studie in inklusiven Klassen des Regelschulsystems zu replizieren sowie die Erklärungsansätze in weiterführenden Untersuchungen zu überprüfen.
Die erste Datenerhebung fand für die Schüler*innen in der zweiten Schuljahreshälfte der 6. Jahrgangsstufe statt. Die Datenerhebung sollte in zukünftigen Studien zu einem früheren Zeitpunkt ansetzen, um zu prüfen, inwieweit die stärkere Abnahme einzelner Wohlbefindenskomponenten zu Beginn der Sekundarstufe I tatsächlich auf den Übergang von der Primar- in die Sekundarstufe zurückzuführen ist.
In Bezug auf die Datengrundlage ist darüber hinaus zu beachten, dass sich die Stichprobe designbedingt aus mehreren Schüler*innenkohorten zusammensetzt und die Anzahl der Messzeitpunkte zwischen diesen variiert (siehe Abschn. 6.1). Für Folgestudien wäre es wünschenswert, die Zahl der Proband*innen, die über den gesamten Untersuchungszeitraum begleitet wurden, auszuweiten sowie die Entwicklung des schulischen Wohlbefindens in inklusiven Lerngruppen in Abhängigkeit zu soziodemographischen Merkmalen und dem ‚Ausgangsniveau‘ des schulischen Wohlbefindens zu untersuchen, um möglicherweise systematisch abweichende Entwicklungsprozesse bestimmter Schüler*innengruppen aufzudecken.
Jenseits der vorliegenden linearen und quadratischen Modellierung der Entwicklung wären grundsätzlich alternative nicht-lineare Modelle, bspw. das kubische Modell, von Interesse, dessen Prüfung die vorliegende Datengrundlage nicht erlaubte.
Resümierend kann festgehalten werden, dass die Entwicklung des schulischen Wohlbefindens von Schüler*innen der Sekundarstufe I an einer inklusiven Versuchsschule durch jährliche Vollerhebungen der Sekundarstufe I über sechs Jahre detailliert untersucht wurde. Die Verläufe der Wohlbefindenskomponenten ähneln teilweise jenen aus bisherigen Forschungen und liefern vertiefte Einblicke in die Entwicklung des schulischen Wohlbefindens an einer inklusionserfahrenen Schule, z. B. in Bezug auf den Anstieg des schulischen Selbstwerts in den höheren Jahrgangsstufen der Sekundarstufe I. Zukünftig werden weitere Untersuchungen zum schulischen Wohlbefinden benötigt, die sich mit Entwicklungsfragen anhand einer beschreibenden sowie erklärenden Perspektive beschäftigen, um inklusionsfördernde Schulentwicklungsmaßnahmen zuverlässig bewerten zu können.
Notes
Im vorliegenden Text werden die Begriffe Lerngruppe, Klasse und Stammgruppe synonym verwendet. Lerngruppe ist der allgemeine Terminus einer unterrichteten Gruppe von Lernenden, sei es in Klassen, Kursen oder deren Teilgruppen. Klasse meint die organisatorische Grundeinheit einer Jahrgangsklasse im Regelschulsystem, während die „Stammgruppe“ das zugehörige Äquivalent an der Laborschule bezeichnet.
Gemäß der Kultusministerkonferenz (KMK) ist ein SPF „bei Kindern und Jugendlichen anzunehmen, die in ihren Bildungs‑, Entwicklungs- und Lernmöglichkeiten in einer Weise beeinträchtigt sind, dass sie im Unterricht der allgemeinen Schule ohne sonderpädagogische Unterstützung nicht hinreichend gefördert werden können“ (Kultusministerkonferenz 2021, S. 264). Die KMK differenziert zwischen acht verschiedenen Formen des SPF (ebd.). Neben der Möglichkeit zur Unterrichtung in der (inklusiven) Regelschule ist für Schüler*innen mit SPF der Besuch einer Förderschule in fast allen Bundesländern weiterhin möglich. Überwiegend wird den Eltern ein Wahlrecht über den Beschulungsort ihrer Kinder mit SPF eingeräumt, wobei zwischen den Bundesländern unterschiedliche Priorisierungen zwischen einer inklusiven oder separierten Unterrichtung zu erkennen sind (Werning und Lichtblau 2020). Die konkrete Gestaltung des inklusiven Unterrichts liegt in der Verantwortung der Einzelschule und kann somit sehr unterschiedlich sein.
In diesem Beitrag präsentieren die Autor*innen eine querschnittliche (s. oben) und eine längsschnittliche Untersuchung.
Nach einer sechs-jährigen Primarstufe besuchen die Schüler*innen ab einem Alter von 12 Jahren die Sekundarstufe.
Auf der Basis einer verkürzten und inhaltlich überarbeiteten Fassung der Skala „Freude an der Schule“ konnte zwischenzeitlich (bzw. nach dem Abschluss der Datenerhebungen im WILS-Projekt im Jahr 2018) die sechs-faktorielle Struktur des Instruments zur Erfassung des schulischen Wohlbefindens für Schüler*innen an Schweizer Regelschulen der Sekundarstufe I anhand einer CFA bestätigt werden (Hascher et al. 2019; Hascher und Hagenauer 2020).
In der vorliegenden Datenstruktur sind die Messungen (Level 1) in den Schüler*innen (Level 2) geschachtelt, und diese wiederrum in verschiedenen Lerngruppen (Level 3). Auf der Basis des konservativen Grenzwertes von ICC < 0,05 (Julian 2001) wird davon ausgegangen, dass die Abwesenheit von sozialen Problemen in der Schule und die Abwesenheit von körperlichen Beschwerden nicht bedeutsam durch die Lerngruppenzugehörigkeit beeinflusst sind. Daher wurde Level 3 nur für die vier anderen Wohlbefindenskomponenten modelliert, wobei auf diesem Level keine Prädiktoren einbezogen wurden.
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Marker, R., Kullmann, H., Zentarra, D. et al. Schulisches Wohlbefinden von Schüler*innen der Sekundarstufe I in inklusiven Lerngruppen – Analysen zum Entwicklungsverlauf an der Laborschule Bielefeld. Unterrichtswiss (2024). https://doi.org/10.1007/s42010-024-00199-0
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