Die Einsatzbereiche der traditionellen Umwelt-Biotechnologie („Graue Biotechnologie“) weiten sich aus:

  • In Deutschland werden rd. 10.000 kommunale Kläranlagen mit biologischen Reinigungsstufen betrieben.

  • In biologischen Verwertungsanlagen werden in Deutschland 7,6 Mio. t Bioabfälle pro Jahr genutzt.

  • Insgesamt ist der Beitrag der Biomassenutzung zur Stromproduktion von 222 GWh in 1990 auf 5140 GWh in 2003 angestiegen.

Die Anwendungsfelder der modernen Biotechnologie sind:

  • „Rote Biotechnologie“ (Healthcare Biotechnology): Bioprodukte (Proteine, Antikörper, Enzyme) sollen bereits einen Marktanteil an Pharmaprodukten von ~20 % haben und Neuentwicklungen sollen zu 50 % Bioprodukte sein.

  • „Grüne Biotechnologie“: Die vor etwa 20 Jahren begonnene Nutzung gentechnisch veränderter Pflanzen erreichte in den USA 2004 einen Anteil von 45 % bei Mais, 86 % bei Soja und 76 % bei Baumwolle. Aktuelle Entwicklungen haben die Nutzung von Pflanzen (und Tieren) für die kostengünstige Produktion von Pharmaprodukten und Industrierohstoffen zum Ziel.

  • „Weiße Biotechnologie“: Nutzung der Biotechnologie als Baustein für eine nachhaltige zukunftsverträgliche Chemie („Green Chemistry“) und ihre Anwendung in der Ernährungsindustrie. Zu den Produkten gehören Bulk- und Feinchemikalien, Lebensmittel sowie Lebensmittelzusatzstoffe und Futtermitteladditive, Agrar- und Pharmavorprodukte, Hilfsstoffe für verarbeitende Industrien wie technische Enzyme und Biokraftstoffe. Es wurde prognostiziert, dass bis zum Jahr 2010 ca. 20 % der Umsätze der gesamten Chemieindustrie auf die Nutzung weißer Biotechnologie zurückzuführen sein sollten.

  • „Graue Biotechnologie“: Zum oben aufgeführten Bereich des Umweltschutzes hat sich heute die Umweltdiagnostik gesellt.

Alle Biotechnologiefelder stehen direkt oder indirekt in Beziehung zu umweltrelevanten Bereichen.

18.1 Biologische Schädlingsbekämpfung

Die Belange einer umweltgemäßen Schädlingsbekämpfung führen in zunehmendem Maße zur Suche nach Mikroorganismen, die als Antagonisten gegen sogenannte Schadinsekten eingesetzt werden können oder deren Stoffwechselprodukte sich als neue Wirkstoffe eignen.

18.1.1 Bioinsektizide

Als Bioinsektizide werden Bakterien, Pilze, Viren, Proteine oder auch niedermolekulare Sekundärmetabolite verwendet. Tab. 18.1 fasst einige Beispiele und die bekämpften Insekten zusammen.

Tab. 18.1 Mikroorganismen, Viren und Metabolite als Bioinsektizide

18.1.1.1 Bacillus thuringiensis und B. sphaericus

Bacillus thuringiensis ist das am besten untersuchte insektenpathogene Bakterium. Es wurde schon 1901 in Japan als bakterieller Erreger der Sotto-Krankheit (Schlaffsucht) der Seidenraupen isoliert. Als Erreger einer Mehlmottenraupen-Erkrankung ist es seit 1911 bekannt.

Bacillus thuringiensis produziert während der Endosporen-Bildung Toxine in Form von Kristallen, die auf ein breites Spektrum von Lepidoptera (Schmetterlinge) wirken, jedoch nicht auf andere Tiere und den Menschen. Weitere Subspecies wurden gefunden, die auf Diptera (Zweiflügler: Mücken, Fliegen) und einige Coleoptera (Käfer) pathogen wirken. Heute kennt man auch solche mit Wirksamkeit gegen Hymenoptera (Hautflügler wie Bienen, Wespen und Ameisen), Homoptera (Zikaden, Blattläuse), Orthoptera (Heuschrecken und Grillen), Mallophaga (Tierläuse wie Haar- und Federlinge), Nematodes (Rund- und Fadenwürmer), Milben und Protozoa (Tab. 18.1).

Bacillus thuringiensis bildet mehrere Virulenzfaktoren. Der wichtigste und selektiv wirkende Faktor ist das kristalline δ-Endotoxin (Abb. 18.1), das aus Proteinen verschiedener Zusammensetzung besteht. Ein Stamm synthetisiert normalerweise ein bis fünf verschiedene Toxine, die in Form eines einzelnen Kristalles oder einer Vielzahl in einer Zelle auftreten. Ca. 170 natürlich vorkommende Bt-Toxine mit unterschiedlicher Wirkungsbreite sind heute bekannt. Die Bacillus thuringiensis-Toxine gelangen mit der Nahrung in die Larven, Maden beziehungsweise Raupen der Schädlinge und entfalten im Darmtrakt ihre pathogene Wirkung. Die Schritte im Schädling sind die folgenden:

Abb. 18.1
figure 1

a Schematische Darstellung des parakristallinen δ-Endotoxins in der Zelle von Bacillus thuringiensis und Aktivierung der Protoxin-Zwischenstufen durch spezifische Proteasen im Darm der Raupen zum toxischen Peptid, b Anheftung an den Rezeptor, Umlagerung des Toxins und Bildung einer Pore, c Struktur von β-Exotoxin im Vergleich zum natürlichen Nucleosid

  1. 1.

    Auflösung des Kristalls im Mitteldarm der Raupe (pH > 9,5),

  2. 2.

    proteolytische Abspaltung des N- und C-terminalen Teils des Protoxins durch die Mitteldarm-Proteasen,

  3. 3.

    Bindung des aktivierten Toxins an den Rezeptor in der Epithelzellmembran im Mitteldarm,

  4. 4.

    Integration des Toxins in die Membran, sodass Ionenkanäle oder Poren gebildet und die Zellmembran der Darmepithelzellen irreversibel geschädigt werden, und

  5. 5.

    durch die Zerstörung der Darmschranke gelangen die Bakteriensporen in den Körper, sie keimen aus und bewirken eine Septikämie.

Die primär schädigende Wirkung geht also vom δ-Endotoxin aus. Bacillus thuringiensis ist nur schwach infektiös und breitet sich daher nicht epidemisch aus. Bacillus thuringiensis Präparate werden deshalb als Biopestizid ähnlich wie ein chemisches Insektizid eingesetzt und unterscheiden sich so von Mitteln zur biologischen Schädlingsbekämpfung, die sich autokatalytisch in der Schadinsektenpopulation ausbreiten, bis die Individuenzahl für Übertragungen zu gering geworden ist.

Von wenigen Stämmen der Pathovars thuringiensis werden neben dem δ-Endotoxin weitere Exotoxine wie das niedermolekulare β-Exotoxin gebildet. Die Struktur des ungewöhnlichen Nucleotides ist in Abb. 18.1c dargestellt. Es ist ein Antimetabolit der DNA-abhängigen RNA-Polymerase. Da seine Wirkung unspezifisch ist, wirkt es auch auf Wirbeltiere. Stämme, die neben dem δ-Endotoxin das β-Exotoxin bilden, wurden als Mittel gegen Fliegenmaden erprobt. Die Präparate werden dem Viehfutter zugesetzt, passieren ohne akute Schädigung den Darm und gelangen so in die Exkremente, in denen die Fliegenmaden leben.

Seit 1964 sind Bt-Präparate in Deutschland als Pflanzenschutzmittel zugelassen und unter verschiedenen Bezeichnungen im Handel. Sie werden vor allem im Mais-, Kartoffel-, Gemüse- und Obstanbau verwendet. Eine größere Bedeutung haben sie im ökologischen Landbau. Kommerziell erhältliche Bt-Präparate bestehen aus getrockneten Bakterien-Sporen und dem kristallinen Toxin. Die im Fermenter auf einfachen Medien kultivierten Bakterien werden vom Nährmedium abgetrennt und mit Haft- und Lichtschutzmitteln formuliert. Für den erfolgreichen Einsatz muss berücksichtigt werden, dass nur die fressenden Raupen bezeihungsweise Larven die Präparate aufnehmen.

Vergleicht man die Wirkungsgeschwindigkeit von Bt-Präparaten mit der anderer Insektizide, so wird deutlich, dass längere Zeitdauern notwendig sind, bevor das Bioinsektizid wirkt.

Mit Hilfe der Gentechnik wurde die Fähigkeit zur δ-Endotoxinbildung auf Rhizosphärenbakterien, wie Pseudomonas fluorescens, mit dem Ziel übertragen, Erdraupen zu bekämpfen.

Die aus Bacillus thuringiensis isolierten Bt-Toxin-Gene (cry) wurden auf Pflanzen übertragen. Diese produzieren nun selbst den für Fraßschädlinge giftigen Wirkstoff. Um eine gentechnisch vermittelte Insektenresistenz zu erzeugen, wurden verschiedene Varianten von Bt-Genen genutzt, bei Mais etwa cry1Ab, cry1Ac und cry9c. Diese unterscheiden sich sowohl in der Länge, als auch durch die verwendeten Promotoren. Je nach Bt-Gen-Variante differieren die transgenen Maissorten sowohl bei der Menge des Bt-Toxins als auch bei dessen Verteilung in der Pflanze. Die ersten kommerziell angebauten Bt-Maispflanzen enthielten in allen Pflanzenteilen (Pollen, Stängel, Maiskolben) hohe Bt-Toxin-Mengen, die höher als notwendig waren, um die gewünschte Wirkung zu erzielen. Neuere Bt-Maissorten produzieren nicht nur geringere Bt-Toxin-Mengen, sondern auch nur da, wo sie benötigt werden, das heißt im Stängel. Das wird dadurch erreicht, dass die cry-Gene mit gewebespezifischen Promotoren versehen werden, die nur in bestimmten Pflanzenteilen „anspringen“.

Bei Mais erscheint das Bt-Konzept besonders attraktiv, da es erstmals die Bekämpfung der Maiszünsler-Raupen in der Pflanze ermöglicht. Doch nicht nur in Mais wurden Bt-Gene übertragen, sondern andere Varianten in Baumwolle oder die Kartoffel.

Im Jahr 2004 wurden weltweit auf einer Fläche von 81 Mio. ha GVO-Pflanzen (GVO = genetisch veränderte Organismen) geerntet. Davon entfielen 19 % auf insektenresistente Bt-Pflanzen, weitere 9 % auf eine Kombination von Herbizid- und Insektenresistenz. Mit 72 % ist Herbizidresistenz das dominierende Merkmal.

Der Anbau von Bt-Mais in den USA lag 2004 bei 10 Mio. ha und machte etwa 45 % des Maisanbaus aus. Weitere Länder, in denen Bt-Mais angebaut wird, sind Argentinien, Kanada, Spanien und Südafrika.

Bt-Baumwolle wurde 2004 in den USA auf etwa 2,5 Mio. ha angebaut, welches etwa 76 % der Anbaufläche ausmachte. Anbau von Bt-Baumwolle erfolgt auch in Argentinien, Australien, China, Indien, Indonesien, Mexiko und Südafrika.

Bei etwa 30 Pflanzenarten wird daran gearbeitet, durch Übertragung von Bt-Genen Resistenzen gegen verschiedene Fraßinsekten zu erzeugen.

Ein Vorteil des Bt-Toxins ist seine Wirkgenauigkeit (Spezifität). Es greift die jeweiligen Schädlinge an und verschont andere Tiere, vor allem die Nützlinge. Nicht immer scheinen die Erwartungen so zuzutreffen. Fraßinsekten entwickeln mit der Zeit Resistenzen gegen eingesetzte Insektizide. Bei den klassischen Bt-Präparaten ist dieses bis auf vereinzelte Fälle bisher nicht geschehen. Es wird jedoch befürchtet, dass ein großflächiger Anbau von Bt-Pflanzen die Resistenzbildung beschleunigt: „Da in den Gen-Pflanzen der Wirkstoff während der gesamten Vegetationsperiode vorhanden ist, können Schädlinge leichter Resistenzen entwickeln, als wenn Bauern das Insektizid nur hin und wieder versprühen.“ In den USA wurde der Anbau von Bt-Pflanzen durch ein obligatorisches Resistenzmanagement begleitet. Danach müssen anteilig Flächen mit konventionellen Sorten ohne Bt-Toxin als Refugien gepflanzt werden, um zu vermeiden, dass „Wild-Pflanzen“ zu „BT-Pflanzen“ werden.

Stechmückenpathogene Bakterien sind seit den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts bekannt, als die ersten Isolate von Bacillus sphaericus mit larviziden Eigenschaften entdeckt wurden. Um 1980 wurden Isolate aus adulten Kriebelmücken in Nigeria gefunden, die zusammen mit Bacillus thuringiensis subsp. israelensis eine herausragende Bedeutung in der biologischen Bekämpfung von Stech- und Kriebelmücken erlangten.

Die toxische Wirkung von B. sphaericus basiert, wie bei B. thuringiensis, auf der Bildung von parasporalen Proteinkristallen, die sich bei B. sphaericus in einem von einer Membran umhüllten „Sporen-Kristall-Komplex“ befinden. Im Gegensatz zu B. t. subsp. israelensis besitzt B. sphaericus ein binäres Toxin, das aus zwei Proteinen mit den Molekulargewichten von 51,4 und 41,9 kDa besteht. Beide sind für die stechmückentoxische Wirkung notwendig. Der Wirkmechanismus der binären Toxine beruht, ähnlich wie bei B. t. subsp. israelensis, auf der Bindung an Rezeptoren. Weitere Toxine (Mtx-Toxine) mit einem Molekulargewicht von bis zu 100 kDa können in vegetativen B. sphaericus-Zellen produziert werden. Diese Mtx-Toxine sind ebenfalls toxisch für Stechmückenlarven, jedoch weder den binären Toxinen, noch denen von B.t. subsp. israelensis homolog.

In den letzten Jahren hat B. sphaericus an Bedeutung zugenommen, vor allem wegen seines besonderen Wirkspektrums und seiner Fähigkeit, unter gewissen Bedingungen wiederverwendet zu werden oder zu persistieren. Durch das Wiederverwenden kann sich eine Langzeitwirkung ergeben, wodurch sich das Zeitintervall für Wiederbehandlungen vergrößert.

Zielorganismen sind Vertreter verschiedener Stechmücken-Genera, wie Aedes, Anopheles und Culex. Allerdings gibt es große Unterschiede in der Empfindlichkeit bei den Arten innerhalb eines Genus. Einige Stechmückenarten, vorwiegend Culex-Arten, aber auch manche Anopheles-Arten reagieren besonders empfindlich auf B. sphaericus, während andere Arten, wie Aedes aegypti, fast unempfindlich sind. Im Gegensatz zu B. thuringiensis subsp. israelensis tötet B. sphaericus keine Larven der Kriebelmücke (Black Flies) ab.

Die Proteintoxine von B. sphaericus sind für Warmblüter und andere Nichtziel-Organismen ungefährlich.

18.1.1.2 Bioinsektizide aus Actinomyceten

Wirkstoffe aus Actinomyceten sind weitere Bioinsektizide. Abamectin ist ein Wirkstoffgemisch, das als Akarizid/Insektizid erstmals 1986 für Pflanzenschutzzwecke registriert wurde und heute in über 80 Ländern in den verschiedensten Kulturen angewendet wird. Es wird aus einem in Japan isolierten Mikroorganismus gewonnen, der eine gute Wirkung gegen Nematoden zeigte. Insgesamt wurden acht ähnliche makrozyklische Lactone, die Avermectine (siehe Abb. 18.2) aus dem Myzel von Streptomyces avermitilis isoliert und als Aktivsubstanzen identifiziert. Die Avermectine zeigen anthelmintische (ant helmintic, gegen Würmer) Eigenschaften, haben aber weder bakterizide noch fungizide Wirkung. Die Hauptkomponente B1 wirkt äußerst aktiv gegen eine Reihe von Milben und Insekten. Diese wurde daher zur Anwendung im Pflanzenschutz ausgewählt.

Abb. 18.2
figure 2

Wirkstoffe gegen Insekten aus Actinomyceten

Abamectin zeigt hauptsächlich eine Fraßwirkung. Die Kontaktaktivität ist wegen der raschen oxidativen Abbaubarkeit auf Blattoberflächen eher begrenzt. Die Halbwertszeit von Abamectin beträgt weniger als 4 h. Die physiologische Wirkungsweise im Insekt erfolgt durch die Stimulation der Abgabe des Neurotransmitters γ-Aminobuttersäure in inhibierenden Zellen der Nerven/Muskelplatte, was über eine anhaltende Unterdrückung der Muskelkontraktion zur Lähmung führt. Sie erfolgt innerhalb von Stunden nach Einnahme einer toxischen Dosis, ist irreversibel und führt zum Tode.

Abamectin wirkt gegen alle mobilen Stadien von Schadinsekten, die Pflanzengewebe fressen oder Pflanzensaft saugen, es hat jedoch keine ovizide Wirkung. Die wichtigsten Zielorganismen sind Milben und blattminierende Dipteren. Abamectin wird nach der Behandlung sehr rasch ins Blatt aufgenommen, wo es vor Abbau durch UV-Strahlung und vor einer Abwaschung durch Regen geschützt ist. Da Abamectin sehr stark an Bodenpartikel gebunden wird, ist es im Boden immobil und zeigt keine Auswaschung. Es zeigt keine Bioakkumulation und wird von Mikroorganismen im Boden rasch abgebaut. Im Wasser ist es unlöslich. Der Abbau in Pflanzen erfolgt hauptsächlich an der Blattoberfläche durch Photolyse.

Spinosad ist ein weiterer insektizider Wirkstoff. Er wird von dem Actinomyceten Saccharopolyspora spinosa gebildet, zeichnet sich durch ein breites Wirtspektrum und eine schnelle Wirkung aus, die der synthetischer Insektizide vergleichbar ist (Tab. 18.2). S. spinosa wurde 1982 auf einer Karibikinsel in der Erde einer ehemaligen Rumbrennerei entdeckt. Seit 1994 wird die Entwicklung von Spinosad als insektizides Präparat weltweit betrieben und 1997 erfolgte in den USA die erste Zulassung.

Tab. 18.2 Geschwindigkeit der Wirkung von Insektiziden

S. spinosa produziert eine Reihe von Metaboliten, die Spinosyne, wobei in Spinosad nur die beiden biologisch aktiven Formen Spinosyn A und D enthalten sind. Spinosyn A und D sind makrocyclische Lactone, wobei sich die beiden Isomere nur sehr geringfügig unterscheiden (siehe Abb. 18.2). Spinosyn A und D haben ein Mengenverhältnis von etwa 85 zu 15 % im Spinosad.

Die Aufnahme des Wirkstoffes erfolgt durch Fraßaktivität sowie über Kontakt. Die Wirksamkeit aufgrund von Fraßaktivität ist 5–10 mal höher als jene durch Kontakt. Die Wirkung von Spinosad beruht auf einer Beeinflussung der neuronalen Aktivität der Insekten. Der Wirkstoff beeinflusst den in der postsynaptischen Zelle lokalisierten Nicotin-Acetylcholin-Rezeptor und bewirkt einen Ioneneinstrom, was zu Hyperaktivität der Neuronen und Muskelaktivität führt und endet mit der vollständigen, irreversiblen Lähmung des Insektes. Neben der Wirkung von Spinosad auf den Nicotin-Acetylcholin-Rezeptor wird auch eine Beeinflussung des γ-Aminobuttersäure-Rezeptors vermutet. Die Bindungsstellen von Spinosad sind verschieden von denen anderer insektizider Wirkstoffe.

Spinosad findet bei einem breiten Spektrum von Kulturen Anwendung: Kartoffel, Gemüse, Salat, Mais, Raps, Baumwolle, holzige Pflanzen, Zierpflanzen und Rasen. Schmetterlinge, Zweiflügler, Schaben sowie Käfer, die mit Spinosad bekämpft werden können, sind: Baumwolleule (Helicoverpa armigera sowie Spodoptera littoralis), Zuckerrübeneule (Spodoptera exigua), bekreuzter Traubenwickler (Lobesia botrana), Fruchtschalenwickler (Adoxophyes orana), Maiszünsler (Ostrinia nubilalis), Kohlweisslinge (Pieris spp.), Kohleule (Mamestra brassicae), Hausfliege (Musca domestica), Minierfliegen (Liriomyza spp.), deutsche Schaben (Blatella germanica) und Kartoffelkäfer (Leptinotarsa decemlineata).

Spinosad hat eine geringe akute Toxizität gegenüber Säugern und Vögeln sowie ein günstiges Umwelt- und Nützlingsprofil. Es wird als nicht-karzinogen, nicht-teratogen, nicht-mutagen und nicht-neurotoxisch beurteilt.

Der Abbau von Spinosad in der Umwelt erfolgt hauptsächlich durch Photolyse und mikrobielle Metabolisierung. Das Potenzial, im Boden zu wandern, ist in Abhängigkeit von der Bodenart sehr gering bis gering.

18.1.1.3 Pilzpräparate

Wichtige pilzliche Krankheitserreger von Insekten sind in Tab. 18.1 angeführt. Diese Pilze befallen die Insekten, durchdringen mittels Chitinasen die Insektencuticula, vermehren sich im Insektenkörper und bilden niedermolekulare Toxine. So bildet Beauveria das Cyclodepsipeptid Beauvericin, Entomophthora zwei Azoxybenzol-Toxine. Das Mycel durchwuchert das tote Insekt und dringt nach außen, wo es zur Sporulation kommt. Die Sporen können auf andere Individuen gelangen und dort auskeimen (Abb. 18.3).

Abb. 18.3
figure 3

Beauvericin ist ein Mycotoxin, welches von vielen Fusarium Spezies gebildet wird und aus Beauveria bassiana isoliert worden ist. Es ist ein bioaktives Cyclodepsipeptid ähnlich dem des Valinomycins und enthält drei D-α-Hydroxy-isovaleryl-und N-Methyl-L-phenylalanyl-Gruppen in alternierender Folge

Abb. 18.4
figure 4

Ergebnisblatt der Ermittlung der aeroben Abbaubarkeit für Benzol mit dem Programm BIOWIN und den Modellrechnungen Biowin1-6. #die Werte in Biowin1 errechnen sich als: Σ Fragmente + Molekulargewichtsparameter + Gleichungskonstante. ##die Werte in Biowin2 errechnen sich als: eΣ Fragmente + Molekulargewichtsparameter + Gleichungskonstante/1 + eΣ Fragmente + Molekulargewichtsparameter + Gleichungskonstante. ###„Ready Biodegradability Prediction“ ist eine Kombination der Informationen aus zwei Modellrechnungen. Eine Klassifizierung „YES“ liegt vor, wenn Biowin3 (weeks or faster) bewertet und Biowin5 (>0,5) ausweist. Die Kombination soll eine höhere Richtigkeit der Voraussage erlauben

Von einigen Pilzen gibt es bereits Präparate, andere sind in der Erprobung. Beauveria bassiana-Präparate bestehen aus Sporen, die in Submers- und Oberflächenkultur auf Substraten wie Melasse oder Kleie am Myzel gebildet werden. Für den erfolgreichen Einsatz sind die ökologischen Bedingungen entscheidend, unter denen eine effektive Infektion erfolgt. Im Freiland sind entsprechende Bedingungen schwer voraussehbar. Daher werden einige Präparate für den Einsatz in Gewächshäusern entwickelt.

Beauveria bassiana darf als Insektizid (gegen Borkenkäfer) nach § 6a Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 Buchstabe b des Pflanzenschutzgesetzes für landwirtschaftliche, forstwirtschaftliche oder gärtnerische Zwecke zur Anwendung im eigenen Betrieb hergestellt werden. Ebenso Beauveria brongniartii (= B. tenella) gegen Maikäfer und Metarhizium anisopliae gegen Rüsselkäfer und Borkenkäfer.

18.1.1.4 Virenpräparate

In der Land- und Forstwirtschaft werden Baculoviren bereits seit langem zur biologischen Bekämpfung von Schadinsekten eingesetzt, die aber wegen ihrer im Vergleich zu chemischen Mitteln langsamen Wirkung bisher nur eine untergeordnete Rolle spielen.

Baculoviren sind die größte und diverseste insektenspezifische Virusgruppe. Die Viren besitzen ein doppelsträngiges, zirkuläres DNA-Genom von 90–190 kb. Die Familie der Baculoviridae wurde bisher in 2 Gattungen gruppiert, den Nukleopolyhedro- und den Granuloviren. Diese Klassifikation beruht überwiegend auf der Morphologie der Einschlusskörper dieser Viren. Ist ein Virion von einer Kapsel umgeben, bezeichnet man sie als Granulose-Virus (GV), sind zahlreiche Virionen von einer Kapsel eingeschlossen, so spricht man von Kernpolyeder-Viren (KPV oder NPV=Nucleopolyeder Virus).

Baculoviren sind pathogen für Larven, insbesondere von Schmetterlingen, Zweiflüglern, Hautflüglern und Käfern, das heißt sie sind nur in ganz bestimmten Entwicklungsstadien der Insekten einsetzbar. Wird dieser Zeitpunkt verpasst sind die Viren unwirksam. Baculoviren infizieren Darmepithel- sowie Fettkörperzellen und verursachen den Tod der Larven beziehungsweise Raupen. Die Spezifität der eingesetzten Viren ist hoch, sodass toxische und umweltbelastende Nebenwirkungen nicht zu erwarten sind.

Der erste großflächige Einsatz zur Schädlingsbekämpfung erfolgte mit dem Kernpolyeder-Virus gegen die Kiefernbuschhorn-Blattwespe (Neodiprion sertifer). Inzwischen sind wirksame Präparate gegen den Apfelwickler, den Schwammspinner und die Kohleule (Mamestra brassicae) im Einsatz beziehungsweise in der Erprobung. Präparate werden mit Hilfe von Raupen-Zuchten hergestellt. Die Gewinnung mit Zellkulturen von Insekten wird angestrebt.

Mit gentechnischen Methoden sollen die Viren so verändert werden, dass sie über einen längeren Zeitraum wirksam sind. Derzeit wird ferner an einer Optimierung gearbeitet, zum Beispiel an der rascheren Abtötung der Zielorganismen oder an der Ausweitung des Wirtsspektrums durch den Einbau genetischer Informationen für die Herstellung von Giften gegen Skorpione, Spinnen oder Milben. Als Strategie zur Verbesserung der biologischen Sicherheit transgener Baculoviren wurde das Gen entfernt, welches das Hüllprotein kodiert. Baculoviren können dadurch nicht mehr ihre Hülle ausbilden, die sie vor Umwelteinflüssen schützt – ihre Infektiosität bleibt aber erhalten. Die bisher in den USA, Canada und Großbritannien durchgeführten Freisetzungsversuche von transgenen Baculoviren hatten zum Ziel, die Effektivität im Freiland sowie Auswirkungen auf Nichtzielorganismen zu untersuchen.

18.1.2 Biofungizide und -herbizide

Zur Biologischen Kontrolle von phytopathogenen Pilzen wird die Nutzung des Mycoparasitismus untersucht. Mycoparasiten sind Pilze, die auf anderen Pilzen parasitieren, indem sie in die Hyphen des Wirtspilzes eindringen und das Cytoplasma als Substrat verwerten.

Praktische Bedeutung als Fungizid hat der Einsatz des antagonistischen Pilzes Peniophora gigantea gegen die durch Heterobasidion annosum (Fomes annosus) verursachte Wurzelfäule der Kiefer erlangt. Heterobasidion annosum besiedelt die Baumstümpfe von frisch gefällten Bäumen. Über das Wurzelsystem geht der Pathogen auf benachbarte gesunde Bäume über. Wird die frische Schnittfläche mit Sporen des Antagonisten P. gigantea beimpft, kann der Pathogen die Fläche nicht mehr besiedeln (Possessions-Prinzip). Die Sporen können mit dem Schmieröl der Kettensägen auf die Schnittfläche der Bäume gebracht werden.

Ein in Europa unterentwickeltes Gebiet ist der Einsatz von phytopathogenen Pilzen zur Unkrautbekämpfung, die sogenannten Mycoherbizide. In den USA werden die Sporen des Pilzes Colletotrichum gloeosporioides im Reis- und Sojabohnenanbau gegen das Unkraut Aeschynomene virginica eingesetzt. In Europa laufen Versuche mit dem Blattfleckenerreger Curvularia lunata gegen die Hühnerhirse (Echinochloa crus-galli) und dem Rostpilz Puccinia striiformis gegen die Acker-Kratzdiestel (Cirsium arvense). Chondostereum purpureum ist vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit als Herbizid gegen die amerikanische Traubenkirsche zugelassen.

18.2 Design neuer Chemikalien

Die Umweltmikrobiologie ist zurzeit stark durch nachsorgende Maßnahmen, sogenannte „end of the pipe“-Aktivitäten geprägt. Ein Paradigmenwechsel zum vorsorgenden und integrierten Umweltschutz ist zu fordert. Grüne Chemie (Green Chemistry) beziehungsweise Nachhaltigkeit in der Chemie strebt dies an. Es ist die Bezeichnung für Bestrebungen, chemische Herstellungsverfahren zu ändern oder neue zu entwickeln, um eine sichere und saubere Umwelt im 21. Jahrhundert zu gewährleisten.

Wie müssen Produkte (Chemikalien) aussehen, um dies zu erfüllen? Gibt es hierfür Regeln? Oder muss bei jeder neuen Chemikalie auf Abbaubarkeit geprüft werden? Was besagt das, welches ist der Kriterienkatalog, der zu einer Einordnung führt?

18.2.1 Struktur-Wirkungs-Beziehung/Vorhersage der Abbaubarkeit

Man versucht seit langem zu ermitteln, ob strukturelle Eigenschaften von Substanzen für das zu erwartende Abbauverhalten Anhaltspunkte geben und zur Klassifikation von abbaubaren und persistenten Substanzen eingesetzt werden können. Von den zahlreiche Struktur-Wirkungs-Beziehungen (Struktur-Activity-Relationships, SARs) oder quantitativen Struktur-Aktivitätsbeziehungen (QSAR), die in den letzten Jahren zur Abschätzung des Bioabbaus entwickelt worden sind, soll hier das von der Environmental Protection Agency (EPA) entwickelte Programm BIOWIN als Teil von EPI-Suite angesprochen werden. Es handelt sich dabei um ein frei verfügbares Softwarepaket, mit dem Parameter, wie aerobe biologische Abbaubarkeit, Oktanol/Wasser-Verteilungskoeffizient, Schmelzpunkte, Hydrolyseraten und vieles mehr, abgeschätzt werden können.

Es umfasst drei Typen von mathematischen Modellen zur Abschätzung der aeroben biologischen Abbaubarkeit:

  1. 1.

    Linear und Non-Linear Biodegradation Modell (Biowin1 und Biowin2) modelliert anhand von 295 Chemikalien.

  2. 2.

    Ultimate und Primary Biodegradation Modell (Biowin3 und Biowin4) (eine Bewertung mittels Befragung von Experten).

  3. 3.

    Linear und Non-Linear MITI Biodegradation Modell (Biowin5 und Biowin6) (Etablierung unter Nutzung von 884 experimentell untersuchter Verbindungen).

Ein Molekül wird hierzu in verschiedene Teile „Fragmente“ zerlegt, denen man jeweils einen positiven oder negativen Einfluss auf die Abbaubarkeit zuschreibt (beziehungsweise einen Zahlenwert hat berechnen lassen). Ferner wird die Größe des Moleküls berücksichtigt. Bei zunehmender Größe wird die biologische Abbaubarkeit als schwieriger eingeschätzt (siehe Tab. 18.3).

Tab. 18.3 Strukturfragmente, die bei der Modellberechnung zur Abbaubarkeit einer Chemikalie berücksichtigt und als positiv (+) oder negativ (−) beurteilt werden
Tab. 18.4 Berücksichtigte Wirkungskategorien

Es ist eine verbreitete Beobachtung, dass Substanzen „leicht abgebaut“ werden, die hydrolysierbare Gruppen wie Carbonsäure-Ester (C(O)OR), -Amide (C(O)NR2) und -Anhydride (C(O)O(O)CR) oder Phosphorsäureester besitzen. Das ist nicht weiter verwunderlich, da diese in Proteinen, Polysacchariden und Lipiden vorkommen. Folglich haben alle Organismen hydrolytische Enzyme, um solche funktionellen Gruppen zu spalten.

Weiterhin gibt die Anwesenheit von Hydroxyl (-OH), Formyl (-CHO) und Carboxyl (-COOH)-Gruppen gewöhnlich einen Hinweis darauf, dass der Abbau einer Verbindung „leicht“ geht, denn sauerstoffbeinhaltende Strukturen sind sehr verbreitet in Metaboliten des normalen Stoffwechsels.

Im Gegensatz dazu verlangsamen einige Strukturmerkmale die Abbaubarkeit beträchtlich. Chlor- und Nitro-Gruppen besonders an aromatischen Ringen werden als Ursache einer chemischen Persistenz angesehen. Weiterhin scheinen Strukturmerkmale wie quaternäre C-Atome (CR1R2R3R4 ohne R = H) und tertiäre Stickstoff-Atome (NR1R2R3 ohne R = H) die Abbaubarkeit zu erschweren.

Es ist insgesamt festzuhalten, dass die Modell-Analysen wichtige Einblicke ermöglichen, die reduktionistische Betrachtungsweise jedoch mit Vorsicht benutzt werden sollte. Wie in der Box Seite 584 gezeigt, treten stets Ausnahmen auf, die nicht den QSAR-Regeln gehorchen. Durch Statistik eingeführte Vorstellungen können eine andere Sicht auf ein Problem anregen, aber definitive Antworten benötigen experimentelle Untersuchungen. QSAR ist aber schon heute eine wichtige Methode in der Chemikalien-Anmeldung in den USA. Zur besseren Beurteilung von Chemikalien sind Verbesserungen nicht nur bei der Entwicklung aussagekräftiger Prüfsysteme notwendig, sondern vor allem auch Fortschritte in der Beurteilung selbst.

Die Bewertung einer Chemikalie durch die verschiedenen Modelle ist als Ergebnisblatt für die bekannte Chemikalie Benzol in Abb. 18.5 dargestellt. Dort sind neben den Ergebnissen auch die verwendeten Fragmentkriterien aufgeführt (Abb. 18.4).

Abb. 18.5
figure 5

Gegenüberstellung von Einschätzung der Rapid Biodegradation durch QSAR (Biowin) und experimentellen Daten von MITI sowie beschriebenen bakteriellen Reinkulturen, die die Substanz als C- und E-Quelle nutzen; +: „leicht abbaubar“; −: „nicht-leicht abbaubar“; ?: keine Information vorhanden

Die jeweiligen Modelle wurden mit 295 Chemikalien auf ihre Richtigkeit hin überprüft: Biowin1 (Linear Regression Modell) zeigte eine 89,5 %, Biowin2 (Non-Linear Regression Modell) eine 93,2 %, Biowin5 eine 81,3 % und Biowin6 eine 80,7 % richtige Zuordnung zu „nicht leicht abbaubar“ oder „leicht abbaubar“. Die Nutzung der Kombination der beiden Modelle 3&5 ist anzuraten, da hier auch Expertenwissen mit einbezogen wird.

18.2.2 Abbaubare Alternativen zu heutigen Chemikalien

Bei der Suche nach Antibiotika hat man sich früher Naturstoffe als Leitstrukturen angeschaut, um neue Substanzen mit bestimmter Wirkung abzuleiten. Bei der Erzeugung von Chemikalien stand einzig die technologische Eigenschaft im Vordergrund. Heute muss auch die Umwelteignung berücksichtigt werden. Also versucht man einen Kompromiss: Von der Natur abgeschaut werden Substanzen mit der gewünschten Wirksamkeit. Aber auch der Aspekt der Abbaubarkeit unter Beachtung der oben aufgeführten allgemeinen Kenntnisse wird berücksichtigt.

Aminopolycarboxylate wurden als Alternativen für EDTA entwickelt: EDTA ist ein hoch effizienter Chelator, wird aber im MITI-Test als nicht abgebaut (tertiäre Aminfunktionen verbunden durch eine Ethylen-Brücke) bewertet. Im Gegensatz dazu steht Strombin (Abb. 18.6), ein Naturstoff, der gut abgebaut wird, aber schlechte technische Leistungsmerkmale bezüglich komplexierender Eigenschaften hat. Die Suche nach einem Kompromiss sollte den folgenden Sachverhalt berücksichtigen: EDTA, welches Schwermetalle komplexiert hat, wird nicht in die Zelle aufgenommen. Nur die Aufnahme der freien Säure findet statt und nur Erdalkali-EDTA-Komplexe mit entsprechend geringen Komplexbildungskonstanten erlauben die Aufnahme und damit den Abbau. Das heißt man braucht Komplexbildner mit weniger guter Komplexierungseigenschaft, wenn es um Abbaubarkeit geht.

Abb. 18.6
figure 6

Gegenüberstellung von Naturprodukten, synthetischen, klassischen Produkten und „Kompromiss-Produkten“ mit Chelatoreigenschaften

Eine Kombination von Strombin und EDTA ist Iminodisuccinat (IDS). IDS kann mit Metallionen einen fünffach koordinierten Komplex eingehen. Für die oktaedrische Form der vollständigen Komplexstruktur wird ein Wassermolekül zusätzlich in der sechsten Koordinationsstelle benötigt (Abb. 18.7). Die fünf Liganden des IDS, die als Elektronendonor wirken können, sind die vier Carboxylatgruppen und der Stickstoff. Das Metallion und die Liganden des IDS bilden 4 Chelatringe.

Abb. 18.7
figure 7

Iminodisuccinat (IDS), als Metallkomplex (links), ohne Komplexierung (rechts)

EDTA ist unabhängig von den Metallionen der stärkste Komplexbildner, während IDS, Ethylendiaminodisuccinat und NTA geringere, aber untereinander vergleichbare Komplexierungseigenschaften besitzen. Die Komplexbildungskonstanten pK mit Ca2+ machen dies deutlich: EDTA 10,7; IDS 6,7; Ethylendiaminodisuccinat 4,2; NTA 6,4. IDS kann demzufolge nur dann als EDTA-Substitut eingesetzt werden, wenn die schwächeren Bindungseigenschaften gegenüber Metallionen in Kauf genommen werden können.

Das Einsatzgebiet von IDS als nur mittelstarker Chelator ist umfangreich. Es findet Anwendung in Produkten des täglichen Bedarfs wie Oberflächen- und Sanitärreiniger, Wasch- und Geschirrspülmittel, Shampoos, Duschgels und Cremes, außerdem in großtechnischen Prozessen wie beispielsweise der Textil- und Papierherstellung, der Fotoindustrie sowie zur Herstellung von Spurennährstoffdüngern für den landwirtschaftlichen Einsatz.

Das IDS zeigt eine geringe Remobilisierungsrate für Schwermetalle und ein gutes ökotoxikologisches Gesamtprofil. Biologische Abbauuntersuchungen mit technischem IDS zeigten im OECD 302B Test eine DOC-Abnahme von 89 % und im OECD 301E Test eine von 79 % (für die Tests siehe Abschn. 5.2.1).

Verwendete technische Mischungen bestehen aus Enantiomeren in folgender Zusammensetzung: 50 % R,S-IDS, 25 % S,S-IDS und 25 % R,R-IDS (Abb. 18.6). Sie erfüllen das Kriterium der „leichten biologischen Abbaubarkeit“. Die einzelnen IDS-Enatiomere werden aber unterschiedlich abgebaut: R,S- und S,S-IDS sind leicht abbaubar. Das Enatiomer R,R-IDS hingegen wird mit Belebtschlamm einer kommunalen Kläranlage nicht abgebaut, jedoch mit solchem einer industriellen der chemischen Industrie. Für eine endgültige Beurteilung des Abbauverhaltens in der Natur sind die IDS-Metallkomplexe zu berücksichtigen, da sie überwiegend vorliegen. Fe2+- und Ca2+-IDS erfüllen das Kriterium der leichten Abbaubarkeit im MITI-Test, während Mn2+- und Cu2+-IDS nur eine Sauerstoffzehrung von 55 beziehungsweise 40 % aufwiesen, das heißt als nicht leicht abbaubar eingeschätzt werden müssen.

„Naturabschauen“ reicht also für das Erreichen des gewünschten Ziels nicht unbedingt aus, da Enatiomere unterschiedliches Abbauverhalten zeigen können und da die Bindung des Metall-Ions an Chelatoren zu unterschiedlichem Abbauverhalten führen kann.

Ein anderes Beispiel für einen abbaubaren Komplexbildner ist Citrat. Um seine technologischen Eigenschaften zu verbessern, wurden zwei Moleküle Citrat mittels Ethylenglycol über hydrolisierbare Ester-Bindungen miteinander verbunden: Der Chelator hat nun gute technische Eigenschaften für den Einsatz im Textilbleichungsprozess und zeigt zugleich eine leichte Abbaubarkeit.

Beispiele aus dem gleichen Technologiebereich sind Dispergiermittel für Farbstoffe der Textilverarbeitung. Dispergiermittel müssen hydrophile und lipophile Eigenschaften haben. Sie sind deshalb aus Aromaten aufgebaut, dem lipophilen Teil, und sie besitzen Sulfonsäuregruppen, um Wasserlöslichkeit zu gewährleisten. Die bisher benutzten Naphthalinsulfonsäuren sind bekannt für ihre schlechte Abbaubarkeit. Die „neuen“ Dispergiermittel bestehen aus Biphenyl (lipophil), an welches Polyethoxygruppen (hydrophil) gekoppelt sind. Die ethoxylierten Hydroxybiphenyle sind gut abbaubar (Abb. 18.8).

Abb. 18.8
figure 8

Dispergiermittel für Farbstoffe der Textilverarbeitung: Naphthalinsulfonsäuren beziehungsweise ethoxylierte Hydroxybiphenyle

Abb. 18.9
figure 9

Bestandteile einer Ökobilanz nach DIN EN ISO 14040

18.3 Produktintegrierter Umweltschutz durch Biotechnologie

Chemische und mechanische Verfahrensschritte werden immer häufiger durch effiziente biotechnologische Prozesse ersetzt. Das nützt letztlich nicht nur der Umwelt, sondern zahlt sich auch aus. Erfolgreiche Anwendungen der Biotechnologie im Produktionsintegrierten Umweltschutz (PIUS) sind anschließend aufgezählt:

  • Textilindustrie: „Biostoning“ von Jeans (Cellulasen), Entschlichten (Stärkeabbau: Amylasen) und Bleichmittelentfernung (Katalasen, Peroxidasen).

  • Lederindustrie: Globulin- und Fettentfernung (Proteasen), Beizen (letzter Arbeitsgang vor der Gerbung: Auflockerung des Kollagens durch Proteasen).

  • Lebensmittelindustrie: Süßstoffherstellung (Phenylalanin für Aspartam), Abbau von Trübstoffen und Aufschluss von Fruchtfasern (Pektinasen).

  • Papier- und Zellstoffindustrie: Aufschluss von Holzfasern (Xylanasen), Entwässern von Papier (Pektinasen, Cellulasen), Biobleiche, Biopulping, Lipase für Druckfarbenbeseitigung, Papierbeschichtung mit modifizierter Stärke aus Kartoffeln oder Mais (Amylase).

  • Chemische Industrie: Spezial- und Feinchemikalienproduktion, Einsatz von Enzymen in Waschmitteln, Herstellung von Aminosäuren, organischen Säuren, Alkoholen, Kohlenhydraten und Vitaminen.

  • Metall-Industrie: Reinigung und Entfettung, biologische Erzlaugung zum Beispiel zur Kupfergewinnung.

Biotechnische Produktionsprozesse sind nicht per se umweltverträglich. Daher müssen auch sie einer ökologischen Bewertung unterzogen werden, um ihren Einsatz zu rechtfertigen.

In einem Forschungsvorhaben des Umweltbundesamtes wurde beispielhaft a) die biotechnische Produktion von Vitamin B2, b) ein Verfahrensschritt bei der Lederherstellung sowie c) der Einsatz von Enzymen in Waschmitteln mit der jeweiligen nicht-biotechnischen Alternative verglichen. Die vergleichende Bewertung orientierte sich an den Normverfahren zur Durchführung von Ökobilanzen.

18.3.1 Verfahrensvergleich: Biotechnische und chemisch-technische Prozesse

Der Vergleich biotechnischer und chemischer Prozesse wird am Beispiel der Vitamin B2-Produktion sowie einem Verfahrensschritt der Lederherstellung erläutert.

18.3.1.1 Biotechnische und chemisch-technische Vitamin B2-Herstellung

Für die chemisch-technische Vitamin B2-Produktion wird ein vielstufiger Syntheseprozess genutzt, für den neben nachwachsenden Rohstoffen auch verschiedene umweltrelevante Chemikalien eingesetzt werden (siehe Abb. 18.10, links). Der biotechnische Herstellungsprozess erfordert dagegen nur eine einstufige Fermentation, für die neben nachwachsenden Rohstoffen nur geringe Mengen chemischer Hilfsmittel mit geringer Umweltrelevanz benötigt werden. Die in vergleichsweise großen Mengen als Abfall anfallende Biomasse kann biologisch verwertet werden, sodass sie keinen negativen Einfluss auf die Gesamtbilanz des Prozesses hat.

Abb. 18.10
figure 10

Schematischer Vergleich der chemisch-technischen und biotechnischen Produktion von Vitamin B2

In Tab. 18.5 sind die Ergebnisse der vergleichenden Wirkungsabschätzung zusammengefasst. Deutliche Umweltentlastungen für die aggregierten Wirkungskategorien kumulierter Energieaufwand (KEA-Ressourcenbeanspruchung), Treibhaus-, Versauerungs-, terrestrisches Eutrophierungs- und Ozonbildungspotenzial wurden beim biotechnischen Prozess im Vergleich zum chemisch-technischen ermittelt. Das aquatische Eutrophierungspotenzial lag beim biotechnischen Prozess allerdings höher als beim chemisch-technischen. Der Verfahrensvergleich bei den als humantoxisch eingestuften und ausgewerteten 5 Einzelstoffen ergab für die Parameter Benzo(a)pyren und Blei nur geringfügige Unterschiede bei einem generell geringen Belastungsniveau. Die relativ geringen Cadmiumemissionen waren beim biotechnischen Prozess höher als beim chemisch-technischen. Bei den in relevanten Mengen emittierten Schwefeldioxid und Staub ergab der Vergleich für die Anwendung des biotechnischen Verfahrens eine ausgeprägte Umweltentlastung. Das biotechnische Verfahren zeigte bei den als ökotoxisch eingestuften und ausgewerteten 9 Einzelstoffen bei 6 Parametern zum Teil deutliche Umweltentlastungen im Vergleich zum chemisch-technischen Verfahren. Bei den Parametern Ammoniak und Ammonium ergaben sich für den biotechnischen Prozess höhere Emissionswerte. Die Emissionen lagen bei beiden Verfahren bei dem Parameter Fluorwasserstoff auf einem niedrigen Niveau.

Tab. 18.5 Wirkungsabschätzung beim Vergleich biotechnische und chemisch-technische Vitamin B2-Herstellung

Schon 1990 führte bei der BASF die Entwicklung und Umsetzung eines fermentativen einstufigen Prozesses für die Produktion von Vitamin B2 gegenüber dem alten, petrochemischen Verfahren zu einer Senkung der Abfälle um 95 %, der CO2-Emission um 30 % und des Ressourcenverbrauches um 60 %. Die Produktionskosten wurden so durch den Einsatz des Pilzes Ashbya gossypii um insgesamt 40 % verringert.

18.3.1.2 Biotechnische und chemisch-technische Lederherstellung

Die Lederherstellung besteht aus einer Kette von Einzelschritten, die sich nach dem eingesetzten Verfahren, nach der Art der Rohware und dem herzustellenden Produkt voneinander unterscheiden können. Für den Verfahrensvergleich wurde der Teilschritt des Weichens und Äscherns betrachtet. Die Weiche hat die Aufgabe, die Rohhaut von anhaftenden Verunreinigungen zu befreien, Konservierungsmittel zu entfernen und den Quellungszustand wie am Körper des lebenden Tieres wieder herzustellen. Unter Äschern wird der Prozessschritt verstanden, bei dem die Häute enthaart werden und die Faserstruktur der Haut aufgeschlossen wird. Die Auswertungen beinhalten den Vergleich eines „haarzerstörenden chemischen Prozesses“ und eines „haarerhaltenden enzymatischen Prozesses“. Die Haare werden beim haarzerstörenden Prozess durch den Chemikalieneinsatz weitgehenden hydrolytisch zersetzt und ins Abwasser eingetragen. Beim haarerhaltenden Prozess werden die Haare lediglich gelockert und dann mechanisch durch Abwalken oder eine maschinelle Enthaarung entfernt. Sie können dann abgetrennt und einer Verwertung zugeführt werden. Weltweit sollen etwa 15 % der praktizierten Verfahren zum Weichen und Äschern den Einsatz von Biokatalysatoren nutzen (Abb. 18.11).

Abb. 18.11
figure 11

Lederherstellung: Vergleich der chemisch-technischen und der biotechnischen Verfahren des Weichens/Äscherns

Die Ergebnisse der Wirkungsabschätzung für den Vergleich enzymatischer und chemischer Prozessführung beim Weichen und Äschern sind in Tab. 18.6 zusammengefasst.

Tab. 18.6 Wirkungsabschätzung beim Einsatz von Enzymen beim Weichen/Äschern bei der Lederherstellung

Das enzymatische Weichen/Äschern wies gegenüber dem chemischen Umweltentlastungspotenziale für alle aggregierten Wirkungskategorien auf.

Bei den als humantoxisch eingestuften und ausgewerteten 5 Einzelstoffen waren die Emissionen bei den Parametern Cadmium, Schwefeldioxid und Staub beim enzymatischen deutlich niedriger als beim chemischen Weichen/Äschern.

Bei den als ökotoxisch eingestuften und ausgewerteten 9 Einzelstoffen dokumentieren die Ergebnisse bei 7 Stoffen deutliche Minderemissionen bei der Anwendung des enzymatischen Weichens/Äscherns.

18.3.2 Umweltentlastungseffekte durch Produktsubstitution

Analoge Produkte mit funktioneller Gleichwertigkeit wurden bezüglich Rohstoffbereitstellung, Herstellungsprozesse für das chemisch-technische und das biotechnische Produkt sowie deren anschließende Nutzungsphase (Produktnutzung + Abfallentsorgung) verglichen.

18.3.2.1 Produktvergleich: Enzymeinsatz in Vollwaschmitteln

Enzyme sind heute fester Bestandteil der marktführenden Waschmittel, da ihr Einsatz zum Teil Einsparungen anderer Waschmittelbestandteile ermöglicht. Ziel der Bilanzierung dieses Produktvergleiches war deshalb herauszufinden, ob durch die Herstellung und Anwendung eines enzymhaltigen Waschmittels Umweltentlastungen möglich sind (Abb. 18.12).

Abb. 18.12
figure 12

Schematischer Vergleich des Waschvorganges mit enzymfreiem und -haltigem Waschmittel

Die Ergebnisse der Wirkungsabschätzung für den Vergleich enzymfreier und -haltiger Waschmittel durch die Szenarien Modernes Waschmittel und Traditionelles Waschmittel sind Tab. 18.7 zusammengefasst.

Tab. 18.7 Wirkungsabschätzung beim Vergleich Modernes Waschmittel und Traditionelles Waschmittel

Es zeigt sich, dass das Moderne Waschmittel zum Teil deutliche Umweltentlastungspotenziale für alle betrachteten Wirkungskategorien und nahezu alle Einzelparameter aufwies.

18.3.3 Zusammenfassung PIUS

Aus dem nachsorgenden Umweltschutz ist die Biotechnologie inzwischen nicht mehr wegzudenken. Doch vor allem die fortschrittlichen PIUS-Konzepte profitieren zunehmend von ihrem nahezu unerschöpflichen Potenzial. Die Vorteile liegen auf der Hand:

  • Einsparung von Energie und wertvollen Ressourcen (zum Beispiel reduzierte Abwassermengen in der Papierindustrie).

  • Optimierung des Wirkungsgrades (geringerer Rohstoffbedarf, bessere Ausbeute, weniger Abfall).

  • Verminderung unerwünschter Nebenprodukte und Abfälle (meist biologisch abbaubar und ökologisch unbedenklich) beziehungsweise Umwandlung in biologisch abbaubare Substanzen.

  • Qualitätssteigerung durch schonendere Behandlung der Rohstoffe.

  • geringerer Bedarf an Chemikalien.

  • Verbesserung der Produktqualität.

  • Verkürzung der Prozesszeiten.

Biotechnologische Prozesse werden im Gegensatz zu vielen mechanischen oder chemischen Vorgängen deshalb als „sanfte“ Verfahren bezeichnet.

18.4 Biokraftstoffe

Aus Biomasse lässt sich, wie in Abschn. 14.5 gezeigt, Biogas gewinnen. Zudem ist die Produktion von grundsätzlich drei verschiedenen Sorten flüssigen Kraftstoffes aus Biomasse möglich: Bioethanol, Biodiesel und Biomass-to-Liquid (BTL)-Kraftstoff (Abb. 18.13).

Abb. 18.13
figure 13

Alternative Kraftstoffe aus Biomasse

Abb. 18.14
figure 14

Weltweite Ethanolproduktion aus verschiedenen Rohstoffen. (Biomasse 2. Generation: Sämtliche Biomasse außer Nahrungsmittel [Holz, Stroh, Industriealt- u. Abfallholz, Energiepflanzen, Reststoffe])

Abb. 18.15
figure 15

Weltweite Biodieselproduktion aus verschiedenen Rohstoffen. (Biomasse 2. Generation: Sämtliche Biomasse außer Nahrungsmittel [Holz, Stroh, Industriealt- u. Abfallholz, Energiepflanzen, Reststoffe])

18.4.1 Bioethanol

Bioethanol entsteht durch Gärung kohlenhydrathaltiger Pflanzen. Neben stärkehaltigen Pflanzen wie Weizen, Roggen oder Mais sind Zuckerrohr und -rüben die am häufigsten verwendeten Ausgangsmaterialien. Während sich zuckerhaltige Pflanzen direkt vergären lassen, muss bei Getreide und Kartoffeln die Stärke zunächst enzymatisch zu Zucker abgebaut werden (siehe Abschn. 4.4.4).

Für Bioethanol geht man bei den effizientesten Rohstoffen von einem Umwandlungsfaktor von drei aus, das heißt aus 3 kg Biomasse entsteht 1 kg Bioethanol. Ein Jahresertrag von 2560 L Bioethanol je Hektar auf der Basis von Getreide wird kalkuliert.

Die Herstellungskosten liegen in Europa bei etwa 60 Cent pro Liter.

In den USA und im europäischen Ausland wird Ethanol vor allem aus Mais hergestellt, Brasilien setzt auf die Vergärung von Zucker aus Zuckerrohr.

In Europa ist Schweden der Vorreiter mit dem Treibstoff E85, einer Kraftstoffmischung mit einem Anteil von bis zu 85 % Ethanol. Nur sogenannte Flexible Fuel Vehicles können E85-Kraftstoff verwenden. Sie verbrauchen wegen der niedrigen Energiedichte des Ethanols etwa 50 Vol.-% mehr Kraftstoff als mit Benzin betriebene Autos.

1 L Ethanol ersetzt ca. 0,66 L Otto-Kraftstoff und kann bis zu 5 % beigemischt werden. Ethanol besitzt Eigenschaften, die die Qualität von Otto-Kraftstoffen verbessern. So weist der Alkohol eine höhere Oktanzahl auf als herkömmliche Otto-Kraftstoffe (Tab. 18.8).

Tab. 18.8 Vergleich von Energieinhalten und chemischen Eigenschaften verschiedener Treibstoffe (Li et al., 2010)

18.4.2 Biodiesel

Biodiesel wird durch Umesterung zum Beispiel mit Methanol von Pflanzenöl (häufig Rapsöl mit einem Ölgehalt von 40–45 %) oder tierischen Fetten gewonnen (Abb. 18.16).

Abb. 18.16
figure 16

Reaktionsablauf bei der katalytischen Umesterung von triglyceridischem Rapsöl zu den entsprechenden Fettsäuremethylestern

Das Umesterungsprodukt des Rapsöls erhält die Eigenschaften, die denen des Dieselkraftstoffes auf Mineralölbasis weitgehend entsprechen. Der Nachteil von Biodiesel ist seine Aggressivität: Er verursacht leicht Korrosion und leckende Dichtungen, außerdem verstopfen Filter. Bisher in Motoren eingesetzte Gummis und Kunststoffe lösen sich auf. Zudem kann es passieren, dass die Einspritzpumpe im Auto leidet.

Für die Nutzung von Biodiesel in Reinform ist die Freigabe des Motorherstellers erforderlich. In Mischungen ist Biodiesel bis 5 % ohne Anpassung des Motors einsetzbar.

Der Umwandlungsfaktor für Raps liegt bei etwa drei: Aus 3 kg Rapskorn entsteht 1 kg Biodiesel. Die Herstellungskosten liegen in Deutschland bei etwa 75 Cent pro Liter.

18.4.3 Biomass-to-Liquid-Kraftstoff

Biomass-to-Liquid (BTL)-Kraftstoff entsteht durch drei Verfahrensschritte: Zunächst wird Biomasse in einem Niedrigtemperaturverfahren zu Biokoks und teerhaltigem Gas mit hoher Energiedichte konvertiert. Aus diesem Ausgangsrohstoffen wird teerfreies Synthesegas (CO und H2) hergestellt. In einem dritten Schritt entstehen aus dem Synthesegas nach dem Fischer-Tropsch-Verfahren an Eisen- und Kobalt-Katalysatoren flüssige Kohlenwasserstoffe.

Die Herstellungskosten werden auf etwa 60 Cent pro Liter in der Zukunft abgeschätzt.

BTL-Kraftstoff hat zahlreiche Vorteile: Er kann in herkömmlichen Otto- und Dieselmotoren eingesetzt werden, ohne dass sie dazu umgerüstet werden müssen.

Bei BTL-Kraftstoff geht man von einem Umwandlungsfaktor von fünf bei den effizientesten Rohstoffen aus, aus 5 kg Biomasse entsteht 1 kg BTL-Kraftstoff. Da die ganze Pflanze verwendet werden kann, ergibt sich eine bis zu drei Mal höhere Feldausbeute (Kraftstoff pro Hektar) als bei Biodiesel oder Bioethanol (Tab. 18.9).

Tab. 18.9 Gegenüberstellung herkömmliche und alternative Kraftstoffe

18.5 Strom aus Mikroorganismen

Brennstoffzellen und im Zusammenhang mit ihnen der Wasserstoffwirtschaft wird allgemein eine große Zukunft prognostiziert. Gerade erneuerbare Energieträger könnten in diesem Bereich eine zentrale Rolle spielen. Völlig andere Wege werden beschritten, um analog zur Brennstoffzelle chemische Energie ohne Verbrennung in elektrische Energie umzuwandeln.

Die sogenannte „Bio-Brennstoffzelle“ bedient sich Mikroorganismen, aus deren Stoffwechsel Elektronen abgetrennt und einer Anode zugeführt werden.

Bio-Brennstoffzellen zur Erzeugung von elektrischer Energie aus reichlich vorhandenen organischen Substraten (auch Abfall oder Sedimentmaterial) können verschiedene Vorgehensweisen beinhalten.

18.5.1 Wasserstoff-Produktion in Bioreaktoren für konventionelle Brennstoffzellen

Mikroorganismen haben die Fähigkeit elektrochemisch aktive Substanzen zu produzieren, die metabolische Intermediate oder Endprodukte der anaeroben Atmung sind.

Für die Zwecke der Energiebildung werden diese Brennstoffsubstanzen an einer separaten Stelle produziert und dann in die Brennstoffzelle transportiert, um als Brennstoff verbraucht zu werden. In diesem Fall produziert der Bioreaktor den Brennstoff, das heißt der biologische Teil der Anlage ist nicht direkt in den elektrochemischen Teil integriert (Abb. 18.17). Dieser Aufbau erlaubt es, den elektrochemischen Teil unter Bedingungen laufen zu lassen, die nicht kompatibel mit dem biologischen Teil der Anlage sind. Die beiden Teile können sogar zeitlich unabhängig von einander betrieben werden. Der bei einem solchen Aufbau am häufigsten verwendete Brennstoff ist Wasserstoff, welcher den weit-entwickelten und hoch-effizienten H2/O2 Brennstoffzellen aus dem Bioreaktor zugeführt wird.

Abb. 18.17
figure 17

Schematischer Aufbau einer Bio-Brennstoffzelle mit separatem Bioreaktor zur Herstellung des Brennstoffes und konventioneller Brennstoffzelle. Bildteile: Primärsubstrat (Glucose oder Klärabfall: Dreieck leer); Brennstoff (Kreis leer); oxidierter, verbrauchter Brennstoff (Dreieck voll)

18.5.2 Mikrobielle Herstellung von Brennstoff im Anodenraum der Brennstoffzelle

Der Fermentationsprozess findet bei einem anderen Aufbau direkt im anodischen Kompartment der Brennstoffzelle statt, wobei die Anode in situ mit dem produzierten Fermentationsprodukt versorgt wird (Abb. 18.18). In diesem Fall werden die Bedingungen im anodischen Kompartment vom biologischen System bestimmt, sodass sie beträchtlich anders als in konventionellen Brennstoffzellen sind. Es liegt also eine wirkliche Bio-Brennstoffzelle vor und nicht eine Kombination aus Bioreaktor und konventioneller Brennstoffzelle. Dieser Aufbau beruht auch häufig auf der biologischen Produktion von H2, doch die elektrochemische Oxidation des H2 läuft in Gegenwart der biologischen Komponenten unter milden Bedingungen ab. Um anaerobe Bedingungen zu gewährleisten, sind Zellen auf der Anode in Gelen immobilisiert, das heißt die Fermentation von Clostridium butyricum findet direkt an der Oberfläche der Elektrode statt, sodass die Anode mit H2 beliefert wird. Als Kathode wird häufig eine O2-Elektrode eingesetzt.

Abb. 18.18
figure 18

Schematischer Aufbau einer Bio-Brennstoffzelle mit integrierter Herstellung des Brennstoffes im Anodenraum. Bildteile: Primärsubstrat (Glucose: Dreieck leer); Brennstoff (Kreis leer); oxidierter, verbrauchter Brennstoff (Dreieck voll)

18.5.3 Direkter Elektronentransport von der Zelle zur Elektrode

Das metallreduzierende Bakterium Shewanella putrefaciens hat Cytochrome in der äußeren Membran. Diese Elektronencarrier sind in der Lage einen anodischen Strom bei Abwesenheit eines terminalen Elektronenakzeptors (unter anaeroben Bedingungen) zu erzeugen. Dies ist ein Beispiel eines sogenannten mediatorfreien Elektronentransportes.

Bei Geobacter Spezies, weiteren Metallreduzierern, wurden elektronenleitende Pili, sogenannte Nanodrähte („Nanowires“), gefunden, die von den Bakterien produziert werden. Das Bakterium bildet auf Graphit-Elektroden einen Biofilm, ein mediatorfreier Elektronentransport findet statt, der sich in einer Bio-Brennstoffzelle nutzen lässt. Der Aufbau ist in Abb. 18.19 für Geobacter und den Treibstoff Acetat dargestellt.

Abb. 18.19
figure 19

Aufbau und Ablauf in einer Bio-Brennstoffzelle mit dem Electricigenen, Geobacter, als Elektronenlieferant

18.5.4 Mediatoren zum Elektronentransport

Häufig werden chemische Mediatoren verwendet, um die Elektronen von der Elektronentransportkette aufzunehmen, um sie dann an die Anode der Brennstoffzelle zu transportieren. In diesem Fall unterscheidet sich der in den Organismen ablaufende Prozess klar von dem natürlichen, da der Elektronenfluss zur Elektrode und nicht zum natürlichen Elektronenakzeptor erfolgt.

Da die natürlichen Elektronenakzeptoren gewöhnlich sehr viel effizienter als diese Mediatoren sind, müssen sie aus dem System entfernt werden.

Die in situ elektrische Kopplung der in der mikrobiellen Zelle erzeugten Metabolite mit dem Elektrodensystem lässt sich auch durch diffusible Elektronenmediatoren gewährleisten.

Diese Redoxspezies mit kleinem Molekulargewicht können als Transportvehikel für Elektronen zwischen dem Inneren der Bakterien und der Elektrode dienen. Thionin ist besonders häufig als Mediator des Elektronentransportes mit Proteus vulgaris und Escherichia coli getestet worden (Abb. 18.20).

Abb. 18.20
figure 20

Elektronentransport aus einer Zelle zur Anode mit einem niedermolekularen, diffusiblen Mediatormolekül. Der Organismus, hier Proteus vulgaris, ist kovalent an die Elektrode gebunden

Testen Sie Ihr Wissen

Welche Faktoren beeinflussen die Abbaubarkeit?

Sie wollen Baculoviren gegen Schadinsekten einsetzen. Wie eng ist das zeitliche Einsatzfenster?

Vergleichen Sie die verschiedenen (Bio)insektizide unter einander bezüglich Wirkgeschwindigkeit.

Warum sind die sehr hohen Komplexbildungskonstanten des EDTA problematisch, wenn Sie an die Abbaubarkeit denken?

Welche möglichen Probleme ergeben sich beim Einsatz von Pilzpräparaten gegen Insekten, da gleichzeitig auch Lebensmittelpflanzen beimpft werden könnten?

Was verstehen Sie unter PIUS?

Nennen Sie Bioinsektizide gegen Anopheles und die Kriebelmücke.

Durch welche Ereignisse ist Bacillus thuringiensis zum ersten Mal aufgefallen?

Welches ist der Vorteil der Bt-Endotoxine gegenüber dem β-Exotoxin? Beschreiben Sie den Wirkmechanismus beider Toxine.

Nennen Sie Bt-Pflanzen.

Welche Sekundärmetabolite können als Bioinsektizide eingesetzt werden?

Welche Meinung haben Sie zu QSAR bei der Beurteilung von Chemikalien bezüglich biologischer Abbaubarkeit? Nennen Sie bisher nicht gelöste Probleme bei der Nutzung der mathematischen Abschätzungen der Abbaubarkeit.

Welche Wirkungskategorien werden bei einer Ökobilanz berücksichtigt?

Welche Form eines Biokraftstoffes lässt sich aus dem Rapskorn, welche aus der Gesamtpflanze erzeugen?

Beschreiben Sie Typen der Bio-Brennstoffzellen. Welche Funktion haben Mediatoren? Was sind Nanodrähte? Informieren Sie sich in der angegebenen Literatur bezüglich Marktreife solcher Stromerzeuger.