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Die Konfiguration älterer Menschen als Nutzer*innen technischer Assistenzsysteme

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Assistiert Altern

Part of the book series: Altern & Gesellschaft ((AG))

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Zusammenfassung

Mit Stefanie Richter und Sven Nitschke stellt dieses Kapitel die für die Durchführung des nutzer*innenzentrierten Designs zentralen Projektakteur*innen in den Mittelpunkt der Analyse und zeigt auf, wie die förderpolitische Vorgabe, nutzer*innenzentriert technische Assistenzsysteme zu entwickeln, in den Projekten umgesetzt wird. Dazu werde ich zuerst den Designansatz in den Computer- und Technikwissenschaften sowie der deutschen Förderpolitik verorten und diesen in Bezug auf Forschungen in den Science and Technology Studies in den Blick nehmen. Anschließend beschreibe ich ethnographisch die Konfiguration von älteren Menschen als (Test-)Nutzer*innen in der Anforderungsanalyse und dem Usability-Test.

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Notes

  1. 1.

    Computer- und Technikwissenschaften fungieren an dieser Stelle als Terminus technicus, um die Vielzahl derjenigen Disziplinen einzuschließen, die sich mit der Entwicklung und Gestaltung von informationsverarbeitenden Technologien beschäftigen. Dazu zählen in einem engeren Sinne die Fachrichtungen Human-Computer Interaction (dt. Mensch-Computer-Interaktion, HCI), Human Factors (dt. Kognitive Ergonomie) und Sozioinformatik, die sich mit der Art und Weise, wie Menschen mit Computern und anderen informationstechnischen Endgeräten umgehen, auseinandersetzen und dazu Gestaltungsvorschläge entwickeln. In einem weiteren Sinne gehören dazu auch Disziplinen, die sich weniger mit der Gestaltung als vielmehr mit der Entwicklung und Produktion von Technologien befassen wie z. B. die Ingenieurwissenschaften.

  2. 2.

    In der Anwendung nutzer*innenzentrierter Ansätze in den Computer- und Technikwissenschaften bilden die Felder Human-Computer Interaction (HCI) und Computer Supported Cooperative Work (CSCW) eine Ausnahme. Hier spielte Nutzer*innenbeteiligung bereits in den 1980er Jahren eine zentrale Rolle und wurde als Ausdruck einer demokratisch-humanistisch orientierten Technikentwicklung verstanden (vgl. Mackay et al., 2000, S. 738; Suchman, 1987, 1993).

  3. 3.

    Nachfolgend wird sowohl die englische Bezeichnung „user-centered design“ mit der entsprechenden Abkürzung „UCD“ als auch die deutsche Übersetzung „nutzer*innenzentrierte Gestaltung“ verwendet.

  4. 4.

    Vor allem in den späten 1980er Jahren gab es zahlreiche Versuche, Designprinzipien für User Interfaces aufzustellen. Neben Normans Prinzipien sind vor allem Ben Shneidermans „Acht Goldene Regeln“ bekannt, die er in seinem Buch „Designing the User Interface: Strategies for Effective Human-Computer Interaction“ (1987) erstmalig veröffentlichte.

  5. 5.

    Innerhalb des deutschen Technikkontexts ist nutzer*innenzentriertes Design seit 2011 als Gestaltungsverfahren für interaktive Systeme nach deutscher (DIN), europäischer (EN) und internationaler (ISO) Norm zertifiziert (vgl. DIN EN ISO 9241-210:2011-01, 2011). Die Norm beschreibt Gestaltungsprozesse für interaktive Systeme mit dem Ziel, Praktiker*innen über diese Verfahren zu informieren und sie darin anzuleiten, „effektiv und zeitgerecht menschzentrierte Gestaltungsaktivitäten festzulegen“ und in der „Gestaltung und Neugestaltung von Hardware und Software zu nutzen“ (NAErg, 2019).

  6. 6.

    Der Gebrauch von Personas geht auf den Software-Entwickler Alan Cooper zurück, der in seinem Buch „The Inmates Are Running the Asylum“ (1999) dieses Instrument vorstellt. Scenario-based Design ist eine Methode, welche von den beiden HCI-Forscher*innen Mary Rosson und John Carroll konzipiert wurde (vgl. Rosson & Carroll, 2002).

  7. 7.

    Diese Verfahren werden als Paper-Prototyping und Rapid-Prototyping bezeichnet. Neben Personas und Use Cases stellen sie eine weitere Möglichkeit dar, wie mit den gewonnenen Anforderungen umgegangen werden kann bzw. wie diese ausgewertet werden können.

  8. 8.

    UCD-Verfahren sind häufig eingebettet in iterative Gestaltungsprozesse, die darauf abzielen, sich durch ein zyklisches Durchlaufen verschiedener Entwicklungsschritte (Prototyping, Testing, Analyzing, Refining) dem finalen Endprodukt schrittweise anzunähern. Es kann als heuristisches Instrument zur Entwicklung interaktiver Systeme verstanden werden, das auf die Arbeiten von Jakob Nielsen zurückgeht (vgl. Nielsen, 1993).

  9. 9.

    Die ausgewählten Proband*innen sollten möglichst gut die zukünftige Zielgruppe repräsentieren, wozu beispielsweise statistische Verfahren der Stichprobenziehung zum Einsatz kommen können. Da die Tests aber häufig mit einer kleinen Zahl an Teilnehmer*innen arbeiten, müssen die Ergebnisse in ihrer statistischen Repräsentativität immer kritisch diskutiert werden. Inwieweit die Nutzer*innen im Projekt MemoPlay repräsentativ waren, darauf komme ich im weiteren Verlauf dieses Kapitels noch zu sprechen. An dieser Stelle geht es primär darum, in der Tradition der Wissenschafts- und Technikforschung darauf hinzuweisen, dass es sich auch im UCD um eine Konstruktion wissenschaftlicher Tat-Sachen handelt.

  10. 10.

    Mit Co-Design, Design Thinking oder Co-Creation existieren darüber hinaus Ansätze, die den Designprozess selbst und weniger die Evaluation in den Mittelpunkt stellen. Und mit value-sensitive Design wurde ein Design-Ansatz eingeführt, der den Schwerpunkt auf kulturelle Werte und biografische Erfahrungen legt. Im Kontext von Digitalisierung und Alter(n) bedarf es allerdings noch einer weiteren Etablierung dieser Ansätze vor allem in Deutschland. In den Niederlanden und Skandinavien finden sich hier schon früh Arbeiten u. a. von Huldtgren et al. (2013) für die Niederlande oder Suopajärvi (2012; 2015) für Finnland.

  11. 11.

    Diese partizipativen Designansätze haben ihren Ursprung im skandinavischen Raum. Dort gaben gewerkschaftliche Bestrebungen zur Beteiligung von Arbeitnehmer*innen an der Einführung von Computerarbeitsplätzen den Ausschlag für die Entwicklung partizipativer Ansätze in den 1970er Jahren (siehe u. a. Ehn, 1989; Bødker, & Pekkola, 2010). Auch in den Niederlanden findet sich eine weite Verbreitung von partizipativen Designansätzen.

  12. 12.

    Diese Ausrichtung in der deutschen Förderpolitik korrespondiert mit einer Neujustierung der europäischen Förderpolitik, die in ihrem 7. Forschungsrahmenprogramm partizipative und bedarfsorientierte Ansätze stärkt (Kehl, 2018b, S. 145 f.). Im 8. Forschungsrahmenprogramm wird diese Neuausrichtung dann umgesetzt und das Konzept einer verantwortungsvollen Forschung und Innovation (Responsible Research and Innovation (RRI)) etabliert. Dieses sieht eine möglichst frühzeitige Beteiligung von Stakeholdern im Entwicklungsprozess und einen möglichst transparenten Forschungsprozess vor. Siehe dazu u. a. das Strategiepapier der Europäischen Kommission (European Commission, 2013), Owen et al. (2012), von Schomberg (2013), Felt (2018) sowie Burget et al. (2017).

  13. 13.

    Die stärkere Berücksichtigung der sozialen, ethischen und rechtlichen Aspekte der Technologieentwicklung und -anwendung beruht ebenfalls auf den Empfehlungen des Expert*innenrates.

  14. 14.

    Dabei dominiert vor allem die Integration des Designansatzes in den Prozess der Technikentwicklung. Diego Compagna und Stefanie Derpmann haben demgegenüber im Rahmen ihrer Beteiligung an dem BMBF-geförderten Verbundprojekt WiMi-Care (Förderung des Wissenstransfers für eine aktive Mitgestaltung des Pflegesektors durch Mikrosystemtechnik) versucht, das Konzept des Scenario-based Design von Rosson und Carroll (2002) zu modifizieren, indem sie die Bedarfs- und Anforderungsanalyse sozialwissenschaftlich durch die Aufnahme der Grounded Theory als Methode und Erkenntnisinstrument erweitert haben und in ihrem Nutzen für eine partizipative Technikentwicklung analysiert haben (vgl. u. a. Compagna & Derpmann, 2009; siehe auch Cieslik et al., 2012; Compagna & Kohlbacher, 2015; Compagna, 2012).

  15. 15.

    Siehe dazu Pinch und Bijker (1984), Bijker et al. (1987) sowie MacKenzie und Wajcman (1985).

  16. 16.

    Interpretative Flexibilität, soziale Gruppe und Schließung stellen neben dem technologischen Rahmen die zentralen Begrifflichkeiten in SCOT dar (Pinch & Bijker, 1984). Siehe dazu auch den Aufsatz von Estrid Sørensen (2012a), in dem sie den sozialkonstruktivistischen Ansatz Bijkers für die Europäische Ethnologie produktiv macht. Zum Beitrag von SCOT für die Analyse der Nutzer*innen-Technik-Relation innerhalb der soziologischen Technikforschung und den Science and Technology Studies siehe Oudshoorn und Pinch (2003).

  17. 17.

    Während mit SCOT die Ko-Konstruktion von Technik und Nutzer*innengruppe im Prozess der Schließung herausgearbeitet werden kann, lassen sich damit kreative Aneignungs- oder Modifikationsprozesse einer vermeintlich ‚stabilisierten‘ Technologie kaum erfassen, auch weil die frühzeitige Definition der relevanten Nutzer*innengruppen wenig flexibel für andere Gruppen ist (Oudshoorn & Pinch, 2003, S. 3 f.).

  18. 18.

    Die Kritik an Woolgars Konzept richtete sich entsprechend an seine stark unilineare Perspektivierung von Agency innerhalb der konfigurierenden Alter-Technik-Relation. Designer*innen wurden von ihm als aktive Gestalter*innen konzipiert und die Nutzer*innen weitestgehend als passive Empfänger*innen (vgl. Mackay et al., 2000). Diese Asymmetrie überwinden gerade Ansätze aus den feministischen Science and Technology Studies (vgl. Oudshoorn & Pinch, 2003; Joyce & Mamo, 2006).

  19. 19.

    Annemarie Mol und Marianne de Laet weiten später die Vorstellung der Re-Skription mit ihrem Konzept der fluiden Technologie noch aus und verweisen auf die kreativen und nicht vorhersehbaren situierten Aneignungs- und Modifikationspraktiken der Nutzer*innen in Bezug auf die Technik (vgl. de Laet & Mol, 2000).

  20. 20.

    Hagen et al. plädieren gegenüber einer solchen Vereinnahmung vielmehr dafür, eben diese Prämissen und Implikationen zum Gegenstand der Forschung zu machen (2018, S. 128; siehe dazu auch Künemund, 2018; Compagna, 2012; Compagna & Kohlbacher, 2015; Compagna, 2018).

  21. 21.

    Dieser umfasste Aussagen wie „Ich bin stets daran interessiert, die neuesten technischen Geräte zu verwenden.“ oder „Ich habe Angst, technische Neuentwicklungen eher kaputt zu machen, als dass ich sie richtig benutze.“, welche auf einer fünfstufigen Likert-Skala durch Ankreuzen einzustufen waren, wobei der Wert 1 als „stimmt gar nicht“ und der Wert 5 als „stimmt völlig“ codiert war.

  22. 22.

    Hier wurde die Nutzung technischer IK-Geräte wie Smartphones/Mobiltelefone und Computer erhoben und persönliche Informationen abgefragt. Dazu wurde beispielsweise erfragt, wie oft die Person Dateien aus dem Internet hoch- oder herunterlädt. Zur Beantwortung konnte zwischen „oft“, „gelegentlich“, „selten“ oder „nie“ gewählt werden.

  23. 23.

    Dabei mussten Ja/Nein-Fragen, wie z. B. „Würden Sie gerne Ergebnisse Ihrer Übungsdurchführung sehen?“, ebenso beantwortet werden wie komplexere Fragestellungen, wie „Was würde Sie motivieren, Übungen regelmäßig durchzuführen?“. Die Befragung gliederte sich in folgende Themen: Ausgabegerät, Steuerung, Kommunikation auf der Plattform, Übungen, weitere Funktionen, Datenschutz, Service, Ausblick.

  24. 24.

    Insgesamt konnten 143 Teilnehmer*innen gewonnen werden. Anhand der Ausschlusskriterien der Studie (mind. 60 Jahre alt, im Besitz eines Computers, keine Erfahrung im Umgang mit einem Tablet, keine Metallimplantate, Tinnitus, Klaustrophobie, die gegen eine Untersuchung im MRT sprechen) wurden 80 Personen rekrutiert. Die Hälfte von ihnen gaben eine verminderte Gedächtnisleistung (subjective memory impairment, SMI) an, einem Prädiktor für pre-mild cognitive impairment (MCI), die wiederum typisch für den diagnostischen Verlauf einer Alzheimer Erkrankung ist (vgl. Jessen et al., 2010). Erfasst wurde diese mittels des Mini-Mental State Tests von Folstein et al. (1975).

  25. 25.

    Das Durchschnittsalter der Teilnehmer*innen lag bei 70 Jahren mit einer Verteilung von 61 bis 90 Jahren. 55 % der Teilnehmer*innen waren weiblich. 60 % der Teilnehmer*innen hatten einen Hochschulabschluss. Während 45.2 % verheiratet waren, lebten 49.6 % allein. Die Verteilung zeigt deutlich, dass die Studienteilnehmer*innen mehrheitlich zu den besser gebildeten, in städtischer Zentrumsnähe wohnenden Bevölkerungsteilen zählen. Diese Verzerrung der Stichprobe wurde auch von den Projektmitarbeiter*innen erkannt und beispielsweise im Rahmen von Veröffentlichungen kritisch diskutiert.

  26. 26.

    Der Zahlen-Symbol-Test (ZST) ist ein Untertest des Hamburg-Wechsler-Intelligenztest für Erwachsene (HAWIE). Die Testbatterie besteht aus 10 Untertests (Subtests), die Sprachverständnis, wahrnehmungsgebundenes logisches Denken, Arbeitsgedächtnis und Verarbeitungsgeschwindigkeit messen. Anhand von Normtabellen lässt sich die Leistung eines Probanden mit den Leistungen der Altersgruppe vergleichen. Der ZST misst die Verarbeitungsgeschwindigkeit, dazu wird einer Serie von Zahlen jeweils das entsprechende Symbol zugeordnet (vgl. Wirtz, 2020).

  27. 27.

    Bei der Installation konnten die Teilnehmer*innen die Hilfe von Jakob Heisen, der studentischen Hilfskraft der FSA, in Anspruch nehmen, der für den technischen Support während der Studie zuständig war. Zudem fand ein Telefon- und Videoanruf statt, um zu prüfen, inwieweit die Teilnehmer*innen in der Lage waren, über das Gerät per Videotelefonie zu kommunizieren. Jenseits der im Projekt eingeplanten Hilfestellungen bei der Installation und dem Check-Up-Anruf vor Testbeginn, zeigt sich, dass ein hoher Bedarf an technischem Support bestand, der nicht immer per Telefon oder E-Mail gegeben werden konnte. So fanden in den acht Wochen der Testung zusätzlich zu den elf Hausbesuchen bei denjenigen, welche sich eine selbstständige Installation und Inbetriebnahme nicht zutrauten, weitere zehn Besuche durch die studentische Hilfskraft Jakob Heisen statt. Neben Problemen mit der Internet-verbindung und der Installation der Kamera waren vor allem System-Abstürze der Grund, mit Richter und Nitschke Kontakt aufzunehmen.

  28. 28.

    In den meisten Fällen werden Usability-Tests in sogenannten Usability-Laboren durchgeführt, um Umwelteinflüsse auszuschließen und die Testsituation im Sinne statistischer Gütekriterien stabil und für alle Proband*innen vergleichbar zu halten. Um eine stärkere Referenz zur gewohnten Umgebung und den darin sich vollziehenden Alltagspraktiken herzustellen, werden in den letzten fünf bis acht Jahren vermehrt Living Labs und Reallabore eingesetzt (vgl. u. a. Müller, 2018; Müller et al., 2015; Ogonowski et al., 2018).

  29. 29.

    In den jeweiligen Schritten wurde sie zwar durch weitere Mitarbeiter*innen der Forschungsstelle unterstützt, die Verantwortung für die Durchführung lag jedoch bei ihr.

  30. 30.

    Die Daten aus den Fragebögen wurden von Stefanie Richter deskriptiv ausgewertet und in Form von Tabellen und Graphen aufbereitet. Die Interviews transkribierte sie gemeinsam mit Sven Nitschke.

  31. 31.

    Diese Generalisierung, die nicht mehr zwischen den Interviewteilnehmer*innen unterscheidet, forciert die Verfremdung der Aussagen von den Aussagenden und macht eine Zuordnung nur noch schwer möglich. Als alleiniges Unterscheidungskriterium wird weiterhin die Diagnose mild cognitive impairment (MCI) vermerkt.

  32. 32.

    Die Sozialwissenschaftlerin Silvia Staub-Bernasconi weist daraufhin, dass es einen qualitativen Unterschied zwischen Bedürfnis und Bedarf gibt (vgl. Staub-Bernasconi, 2019). Sie betont, dass Bedürfnisse etwas sind, das man hat „und zwar unabhängig davon, ob man sich ihrer bewusst ist oder nicht, ob man sie in Sprache fassen kann, haben will oder nicht, ob man sie gut oder schlecht findet“ (ebd., S. 290). Demgegenüber sind Bedarfe Ergebnis einer politischen Aushandlung (vgl. ebd., S. 296). Darin verweist sie auf den rechtlichen Status von Bedarfen bspw. in der pflegerischen Versorgung. Ihrer Analyse nach kommt es häufig zur Verwechslung von Bedürfnissen und Bedarf. In der Bedarfs- und Anforderungsanalyse werden Bedürfnisse der älteren Zielgruppe erhoben und im Akt der Auswertung in Bedarfe und Anforderungen an das zu entwickelnde technische Artefakt umgewandelt. Staub-Bernasconi folgend stellt eine solche analytische Transformation eben jene Aushandlung dar, die aus Bedürfnissen Bedarfe macht.

  33. 33.

    Als Instrument wird dazu die MoSCoW-Priorisierung gewählt, die zwischen unbedingt erforderliche (MUST), zu erreichende (SHOULD), mögliche (COULD) und zukünftige (WON’T) Anforderungen unterscheidet. Inkonsistente und redundante Anforderungen werden entfernt.

  34. 34.

    Neben dem Bedarfsmodell werden auf Grundlage der Anforderungen Nutzer*innenszenarien entwickelt, um vor allem den Entwickler*innen die Bedürfnisse der Nutzer*innen möglichst plastisch und praxisnah zu vermitteln.

  35. 35.

    Zum methodologischen Problem der Zeitlichkeit: Diejenigen, welche sich an der Technikentwicklung beteiligen, sind nicht zwangsläufig auch diejenigen, welche von den Technologien profitieren werden. Grund dafür sind der langwierige technische Entwicklungsprozess, die langsame Dissemination aufgrund kultureller und sozialer Gewohnheiten, finanziellen Beschränkungen, mangelnde öffentliche Aufklärung und fehlende Infrastruktur.

  36. 36.

    Die folgende ethnographische Beschreibung beruht auf meiner teilnehmenden Beobachtung im Rahmen dieses Testtermins.

  37. 37.

    Die Begriffe Nutzer*innentest und Usability-Test werden im Folgenden synonym verwendet.

  38. 38.

    Im Kontext der Nutzer*innenbeteiligung im Förderprogramm „Altersgerechte Assistenzsysteme“ nehmen darüber hinaus häufig ältere Menschen teil, die über einen Projektpartner akquiriert werden. Das können ein beteiligtes Alters- oder Pflegeheim sein oder ein Wohlfahrtsverband.

  39. 39.

    So geht es für einige Teilnehmer*innen auch darum, ihre Erfahrungen und ihr Wissen weitergeben zu können und einen aktiven Beitrag zu Wissenschaft und Gesellschaft zu leisten.

  40. 40.

    Dass ältere Menschen technikskeptischer als andere Altersgruppen seien, wird durch Forschungsarbeiten zunehmend widerlegt. So zeigen Peine et al., dass ältere Menschen elektrischen Fahrrädern (E-Bikes) überhaupt erst zum entscheidenden Markterfolg verholfen haben (vgl. Peine et al., 2017). Weitere Forschungsarbeiten betonen ebenfalls, dass ältere Menschen sehr wohl offen gegenüber technischen Innovationen seien, vorausgesetzt der Nutzen der Technologien ist schnell ersichtlich und erlebbar (vgl. Birken et al., 2017; Künemund, 2016; Künemund & Tanschus, 2013; Marschollek & Künemund, 2014; Meyer, 2016; Pelizäus-Hoffmeister, 2013).

  41. 41.

    Hinsichtlich der Auswahl von Teilnehmer*innen in Usability-Studien betont Diego Compagna, dass technikferne, gebrechliche und sozial schwache Personengruppen vergleichsweise seltener an Technikentwicklungsprojekten beteiligt werden (vgl. Compagna, 2018). Diese fehlende Beteiligung schwer erreichbarer, pflegebedürftiger oder hochaltriger Nutzer*innen führt zu der paradoxen Situation, dass vor allem jüngere, gesunde, aufgeschlossene und mobile ältere Menschen Assistenzsysteme testen, für die sie als Zielgruppe nur bedingt in Frage kommen.

  42. 42.

    Liminalität stellt in kulturellen Übergangsphasen die Phase der Unbestimmtheit und Offenheit dar, in der die Person, welche den Übergang durchläuft, nicht länger die Person ist, welche sie vorher war, aber auch noch nicht die Person ist, zu welcher sie werden soll Der Kulturanthropologe Victor Turner hat diesen Begriff in die sozial- und kulturanthropologische Forschung eingeführt, um kulturelle Übergänge wie Geburten oder Hochzeiten zu beschreiben (vgl. Turner, 1964, 1969). In seiner Beschreibung ritueller Übergänge greift er dabei auf das dreiphasige Modell des Religionswissenschaftlers Arnold van Gennep zurück (vgl. van Gennep, 1909). Nach van Gennep sind Übergangsriten (rites de passage) von einer Trennungs-, einer Übergangs- und einer Angliederungsphase gekennzeichnet, die je eigene Riten aufweisen (ebd.). Turner, der sich in seiner Forschung stark mit sozialen Bewegungen und dem Verhältnis von Kultur und Gegenkultur auseinandersetzt, ist vor allem die Phase des Übergangs bedeutsam, um zu beschreiben, wie Akteur*innen in gesellschaftliche Strukturen eingebunden werden. Ziel seiner Arbeit ist dabei zugleich aufzuzeigen, dass in dieser Phase der Unbestimmtheit das Potential einer anderen Kultur liegt (vgl. Turner, 1969).

  43. 43.

    Welche Konsequenzen sich daraus für die Nutzer*innen ergeben, lege ich in Kapitel 9 dar.

  44. 44.

    In einem niederländischen Projekt wurden beispielsweise die Teilnehmer*innen auch am Verfassen von Artikeln und Berichten beteiligt (vgl. Huldtgren et al., 2013). In einem finnischen Projekt wurden sie zu Co-Forscher*innen (vgl. Suopajärvi, 2015).

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Endter, C. (2021). Die Konfiguration älterer Menschen als Nutzer*innen technischer Assistenzsysteme. In: Assistiert Altern . Altern & Gesellschaft. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-34656-0_8

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