Aktuelle Neurologie 2007; 34 - V45
DOI: 10.1055/s-2007-987456

Strategien der visuellen Suche bei Patienten mit homonymer Hemianopsie

A Sprenger 1, B Machner 1, D Kömpf 1, H Kimmig 1, C Helmchen 1, W Heide 1
  • 1Lübeck, Celle

Hintergrund: Suchstrategien von Patienten mit homonymer Hemianopsie während der Suche nach Zielobjekten („targets“) in einem Suchbild mit zahlreichen Distraktoren („items“) sind noch weitgehend unbekannt. Frühere Studien untersuchten die Suchpfade der Patienten entweder während der freien Betrachtung komplexer Bilder oder bei der Suche nach einfachen Zielobjekten ohne Distraktoren. Wir stellten die Frage, ob parallele (bottom-up) und serielle Suchmechanismen trotz eines Gesichtsfeldausfalles in Folge einer postchiasmalen Läsion intakt bleiben. Lassen sich Störungen der Suche tatsächlich durch ein rein sensorisches Defizit erklären?

Methoden: Wir zeichneten die Augenbewegungen von 9 Patienten mit homonymer Hemianopsie und 9 gleichaltrigen Kontrollprobanden während einer visuellen Suche auf. Alle Patienten wurden innerhalb der ersten Wochen nach ihrem Hirninfarkt untersucht (8 bis 30d, Mittelwert 13d). Das Ausmaß des Gesichtsfeldausfalles wurde mit der Goldmann-Perimetrie bestimmt (5 linksseitig, 4 rechtsseitig). Die Zielobjekte, die sich entweder durch die Farbe (rot, grün, blau), die Form (Kreis, Dreieck, Quadrat) oder die Kombination beider Merkmale von den übrigen Distraktoren unterschieden, mussten entdeckt und mit einem Mausklick bestätigt werden.

Ergebnisse: Die Patienten zeigten längere Bearbeitungsdauern, bedingt durch eine höhere Anzahl und kleinere Amplitude von Sakkaden. Gleichwohl sie bereits fixierte Zielobjekte erneut aufsuchten (Re-Fixationen), erkannten sie diese als „alt“ und markierten sie nicht fälschlich mit einem wiederholten Klick als „neu“ (intaktes räumliches Arbeitsgedächtnis). Die Suchstrategien (top-down) waren weitgehend intakt, jedoch suchten die Patienten häufiger seriell, da sie sich nicht auf den pop-out-Effekt farblicher Objekte verlassen konnten, der eine schnelle parallele Suche ermöglicht. Halbfeldanalysen erbrachten keinen Unterschied hinsichtlich der Sakkadenanzahl, jedoch waren die Sakkadenamplituden signifikant kleiner in Richtung des betroffenen Halbfeldes.

Schlussfolgerungen: Die nachgewiesene Beeinträchtigung von Patienten mit homonymer Hemianopsie nach akutem Hirninfarkt bei einer komplexen visuellen Suchaufgabe wird größtenteils durch das visuell-sensorische Defizit erklärt. Höhere kortikale Funktionen wie strategisches Planen oder räumliches Arbeitsgedächtnis sind hingegen intakt.