1 Einleitung

Lange Zeit fristeten Emotionen in der politikwissenschaftlichen und kommunikationswissenschaftlichen Forschung ein Schattendasein (Brader und Marcus 2013). Dies gilt insbesondere für die deutschsprachige Disziplin, in der – auch vor dem Hintergrund geschichtlicher Erfahrung – Emotionalität als Antithese zur Rationalität in der politischen Sphäre galt (Besand 2014; Frevert 2018; Vogel und Otto 2017). In jüngster Zeit hingegen wird Emotionen in der deutschsprachigen Politikwissenschaft eine zentrale Bedeutung in der Forschung beigemessen. Dieser Paradigmenwechsel von einer dualistischen zu einer holistischen Sichtweise (Heidenreich 2012) führte in den letzten Jahren zu einer florierenden Publikationslandschaft in unterschiedlichen Teildisziplinen, die eine weite Perspektive auf den Untersuchungsgegenstand einnehmen (z. B. Heidenreich und Schaal 2012; Korte 2015). Dies korrespondiert mit einem internationalen Entwicklungsprozess, in dem sich der emotional turn schon seit Mitte der 1990er-Jahre vollzog (Marcus 2003) und den Widerspruch von Emotion und Kognition zu überwinden suchte. Heute gelten Emotionen als wichtige Erklärungsgröße: ob politische Informationsverarbeitung und Wahrnehmungsprozesse (Faas und Schliephake 2015; Redlawsk et al. 2007; Valentino et al. 2008), Einstellungsbildung (Brader 2005, 2006) und Verhaltensweisen (Ladd und Lenz 2008, 2011; MacKuen et al. 2010; Marcus und MacKuen 1993; Marcus et al. 2011; Valentino et al. 2009, 2011) – sie alle gelten als grundlegend durch Emotionen beeinflusst. Aber nicht nur die Wissenschaft legte zuletzt ihr Augenmerk verstärkt auf Emotionen. Auch in der Öffentlichkeit und medialen Wahlberichterstattung sind sie vermehrt in den Fokus gerückt. Die Bundestagswahl 2017, mit ihren disruptiven Veränderungen für das bundesdeutsche Parteiensystem, galt vielen journalistischen Kommentatoren und Analysten folglich als „Wutwahl“.Footnote 1 Und auch der Wahlkampf wurde als von negativen Emotionen dominiert betrachtet.Footnote 2 Inwiefern diese emotionalen Zuschreibungen zutreffen, ist nicht zuletzt eine empirische Frage für die politikwissenschaftliche Forschung.

Als zentrales Element im politischen Wettbewerb moderner Wahlen können TV-Debatten in der Mediendemokratie gelten. Sie dienen Wählern als wesentliche Quelle politischer Information und ermöglichen einen direkten Vergleich von Parteien, Programmen, Personen und Positionen, die Tausende oder gar Millionen von Wahlberechtigten erreicht. Eine Vielzahl an Forschungsarbeiten widmet sich den Wahrnehmungen und Wirkungen der Debattenrezeption auf seine Zuschauer (für einen Überblick siehe Benoit et al. 2003; Maier et al. 2014; McKinney und Carlin 2004). Auch die empirische Debattenforschung fokussierte sich lange Zeit auf kognitive Aspekte. Eine allgemeine Erkenntnis dieses Forschungsstranges ist, dass Rezipienten dazu neigen, Informationen selektiv zu verarbeiten und Debatten durch die eigene „parteipolitische Brille“ (Maurer und Reinemann 2007, S. 232) wahrzunehmen und zu interpretieren. Während in den empirischen Analysen ein starker Fokus auf politischen Dispositionen wie beispielsweise der Parteiidentifikation (PID) lag und detailliert beschrieben wurde, wie sie die Verarbeitung politischer Informationen, die Einstellungsbildung aber auch politische Verhaltensweisen beeinflussen, wurden weniger Anstrengungen unternommen, die emotionalen Zustände der Rezipienten und ihren Einfluss auf die Wahrnehmung und Wirkung der Debattenrezeption zu untersuchen. Dies erscheint unangemessen, insbesondere wenn man bedenkt, dass Fernsehdebatten im Sinne eines „Wahlkampfes in Miniaturform“ (Faas und Maier 2014) als ein klar abgrenzbarer Untersuchungsgegenstand dienen können, um das Verhältnis von Emotionen und politischer Kommunikation zu untersuchen. Dieser Artikel verfolgt daher das Ziel, die skizzierte Forschungslücke zu verringern. Wir erweitern damit die in der empirischen Debattenforschung dominierende kognitive Perspektive, indem wir argumentieren, dass Rezipienten eine Fernsehdebatte nicht nur durch ihre eigene parteipolitische Brille wahrnehmen, sondern dass diese Wahrnehmung maßgeblich von emotionalen Zuständen eingefärbt ist und Emotionen die Informationsverarbeitung, die politische Urteils- und Einstellungsbildung maßgeblich prägen. Die nachfolgende Analyse präsentiert ausgewählte Befunde über die Rolle von Emotionen in einer TV-Debatte zur Bundestagswahl 2017 zwischen Alice Weidel (AfD), Christian Lindner (FDP), Katrin Göring-Eckardt (Bündnis 90/Die Grünen) und Katja Kipping (Die Linke) und versucht Antworten auf die folgenden Fragen zu geben:

  1. 1.

    Welche Emotionen evozieren die Kandidaten bei den Zuschauern?

  2. 2.

    Inwiefern beeinflussen verschiedene Emotionen die unmittelbare Wahrnehmung der TV-Debatte? Führen unterschiedliche Emotionen zu distinkten Wahrnehmungen der Debatte?

  3. 3.

    Welchen Einfluss haben Emotionen auf die retrospektiven Urteile und politischen Einstellungen nach der Debattenrezeption?

Im Kern greift die Untersuchung zur Beantwortung dieser Fragen auf Echtzeitdaten zurück, die mit dem Debat-O-Meter – einem virtualisierten Instrument der Real-Time-Response-Messung (RTR) – in einer Feldstudie erhoben wurden und von einer zweiwelligen Befragung unmittelbar vor und nach der Rezeption der TV-Debatte ergänzt werden. Damit wird eine detaillierte Analyse über den Einfluss von Emotionen auf die Wahrnehmungs- und Wirkprozesse in natürlichen Rezeptionssituationen möglich.

Unser Beitrag öffnet mit einem kurzen Überblick über den Forschungsstand zu Emotionen in der empirischen Debattenforschung. Nach einer knappen Darstellung unseres Studiendesigns stellen wir zunächst die kandidateninduzierten Emotionsprofile dar, bevor wir uns anschließend in einer detaillierten Analyse den unmittelbaren Wahrnehmungen der TV-Debatte zuwenden. Im Anschluss konzentrieren wir uns auf den Einfluss von Emotionen auf die retrospektiven Urteile und die Einstellungsbildung nach der Debattenrezeption, bevor wir die Ergebnisse abschließend einordnen und diskutieren.

2 Forschungsstand

Es gibt nur wenige Studien, die sich mit dem Einfluss von Emotionen auf die Rezeption politischer TV-Diskussionen befassen. Unter der Annahme, dass Emotionen eine wesentliche Rolle in der politischen Kommunikation spielen, widmen sich Krauss et al. (1981) in ihrer Studie der Frage nach dem relativen Beitrag von verbalen, vokalen und visuellen Aspekten bei der Wahrnehmung von Affekten in Fernsehdebatten. Am Beispiel der Dole-Mondale-Vizepräsidentendiskussion von 1976 finden die Autoren keine Belege für die Annahme einer nonverbalen Dominanz in der Kommunikation von Emotionen. Vielmehr identifizieren sie verbale Informationen als substanziellen Erklärungsfaktor für die Evaluation kandidateninduzierter Emotionen gegenüber vokalen und visuellen Aspekten. Im Anschluss an diese Befunde untersuchen einige wenige Studien emotionale Appelle auf verbaler Ebene in Fernsehdebatten. Allgemein zeigt sich, dass emotionale Appelle als rhetorische Strategie die persuasive Wirkung einer Botschaft erhöhen können (Nagel 2012, S. 30 f). Dies scheint sowohl für negative Emotionen wie Angst als auch für positive Emotionen wie Stolz zu gelten (Nabi 1999, 2002). In Anwendung dieser Erkenntnisse auf die Forschung zu politischen TV-Debatten zeigt Nagel (2012), dass positive emotionale Appelle sowohl für den Amtsinhaber Schröder als auch für die Herausforderin Merkel im deutschen Kanzlerduell 2005 zu besseren RTR-Bewertungen führten, während negative emotionale Appelle keine nennenswerten Effekte auf die RTR-Bewertungen zeitigten (Nagel 2012, S. 181 ff.). Diese Ergebnisse korrespondieren mit vorherigen Befunden zu politischen TV-Diskussionen in bundesdeutschen Wahlkämpfen (Maurer und Reinemann 2003, S. 92 ff.; Nagel et al. 2012, S. 842; Reinemann und Maurer 2007, S. 31 ff.).

Cho und Ha (2012) sowie Cho und Choy (2011) argumentieren, dass im Fernsehen übertragene Debatten ein „emotionaler Katalysator“ für die Informationssuche und interpersonelle Anschlusskommunikation sind, die hauptsächlich von negativen Emotionen angetrieben werden. Die offen zur Schau gestellte, gegenseitige Kritik und Kontroversität führe zu negativen Emotionen, was unter den Rezipienten weitergehende Informationssuche und interpersonelle Anschlusskommunikation stimuliere. Durch die Analyse einer zweiwelligen Panelumfrage zeigen die Autoren, dass – unter Kontrolle der Stärke von Parteibindungen – das Rezipieren einer Debatte sowohl zu einem Anstieg des Nachrichtenkonsums als auch von politischen Gesprächen mit Familie und Freunden führt. Gleichzeitig spielen negative emotionale Reaktionen auf Kandidaten unter Parteianhängern eine Schlüsselrolle bei der Wirkung der Debattenrezeption auf das Kommunikationsverhalten (Cho und Choy 2011). Die beiden Studien betonen zwar die Rolle von Emotionen für die Wahrnehmung und Wirkung politischer Fernsehdiskussionen. Sie bilden aber nicht den Mittelpunkt der Untersuchungen. Methodisch haben sie zudem den Nachteil, dass sie reine Umfragedaten als Datengrundlage verwenden. Die beobachteten Effekte können somit nicht isoliert und zweifelsfrei auf die Debattenrezeption zurückgeführt werden.

Hullett et al. (2003) legen hingegen einen theoriegeleiteten Fokus auf die Rolle von Emotionen und implementieren ein Prä-Post-Design, das in einem Experimentalsetting die klare Zuordnung von „emotionalen“ Einflüssen in der Debattenrezeption zulässt. Sie testen drei verschiedene Modelle über die Wirkmechanismen von Emotionen auf die Einstellungsbildung, die politische Involviertheit und das politische Lernen der Rezipienten. Die Autoren prüfen ein valenzbasiertes bipolares Modell, ein zweidimensionales Modell nach einer frühen Version der Affective Intelligence Theory (AIT) von Marcus und MacKuen (1993) und ein Modell diskreter Emotionen für die Vorhersage der Antworten von 81 Studienteilnehmern, die die zweite Bush-Gore-Debatte 2000 rezipierten, auf ihre Erklärungskraft und Wirkstruktur. Die Analyse basiert auf Daten aus einer dreiwelligen Vor‑, Nach- und Follow-up-Befragung, bei der den Teilnehmern unmittelbar vor und nach der Debatte ein Fragebogen ausgehändigt, sowie ein Follow-up nach einer Woche umgesetzt wurde. Anhand der Analyse einfacher bivariater Korrelationsmuster und komplexeren Strukturgleichungsmodellen zeigen die Autoren, dass die Daten am konsistentesten mit einem sparsamen bipolaren Modell sind, bei dem positive und negative Emotionen entlang eines Valenz-Kontinuums konzeptualisiert werden.

Vogel und Otto (2017) entfalten ebenso einen klaren Fokus auf die Bedeutung von Emotionen in der Debattenrezeption und implementieren ein experimentelles Studiendesign. Als emotionstheoretische Grundlagen dienen dabei Appraisal-Theorien (z. B. Scherer 1984), die Theorie der affektiven Dispositionen von Zillmann (2004), sowie die Theorie der Affektiven Intelligenz von Marcus et al. (2000). Auf dieser theoretischen Basis untersuchen die Autoren, inwiefern die Debattenrezeption bestimmte Emotionen evoziert und wie diese unterschiedlichen emotionalen Ausprägungen die Bewertungen der Kandidaten und das politische Interesse der Rezipienten beeinflussen. Anhand einer zweiwelligen Befragung unmittelbar vor und nach der Debattenrezeption des Kanzlerduells 2013 zwischen Angela Merkel und Per Steinbrück sehen die Autoren mehrere Hypothesen bestätigt: affektive Disposition (v. a. Sympathie) sowie Erwartungen an die Debattenleistung formen maßgeblich die Emotionen der Studienteilnehmer gegenüber den Kandidaten. Wie von der AIT vorhergesagt, erhöht Angst zudem das politische Interesse der Rezipienten, wohingegen die Autoren keine signifikanten Effekte positiver Emotionen (z. B. Freude und Hoffnung) finden. Obwohl im Design der Studie RTR-Daten erhoben wurden, integrieren Vogel und Otto (2017) diese nicht in ihre Analyse und können damit – so wie alle bisher genannten Studien – keine Aussagen über die unmittelbaren Wahrnehmungen treffen.

Ein solcher Ansatz wird hingegen von Faas und Schliephake (2015) implementiert. Basierend auf Echtzeit- und Umfragedaten eines Experiments zur TV-Debatte 2013 in Niedersachsen untersuchen sie den Einfluss von Emotionen auf die Wahrnehmung und die Urteilsbildung. Im Zentrum steht dabei die Hypothese einer moderierenden Rolle von Emotionen bei der Verarbeitung politischer Informationen, die auf Basis der Annahmen der AIT abgeleitet wird. Nach erfolgreicher Manipulation der emotionalen Zustände der Teilnehmer mit positiven (Freude) bzw. negativen (Angst) Emotionen bewerteten die Probanden zwei Auszüge aus der oben genannten Debatte in Echtzeit. Unmittelbar davor und danach wurden die Teilnehmer gebeten, eine kurze Umfrage auszufüllen. Durch die Analyse der Muster der RTR-Ratings und der Umfragedaten zeigen die Autoren, dass sich die Wahrnehmungsprozesse der Probanden in Abhängigkeit ihrer emotionalen Zustände signifikant unterscheiden und weitgehend mit den theoretischen Erwartungen aus dem Modell der Affektiven Intelligenz korrespondieren. Statt der erwarteten moderierenden Rolle von Emotionen sehen Faas und Schliephake (2015) jedoch direkte Effekte von Angst auf die Bewertung der Kandidaten, die die von Ladd und Lenz (2008) entwickelte Idee von „affect as information“ unterstützen.

Wie die knappe Darstellung des Forschungsstandes zeigt, ist der Literaturkorpus zur Bedeutung von Emotionen für die Wahrnehmung und Wirkung in der Debattenrezeption bisher verhältnismäßig klein. Nur eine Studie implementiert bisher Echtzeitdaten in ihrer Analyse und kann somit Aussagen über die unmittelbaren Wahrnehmungen treffen. Keine der vorgenannten Studien implementiert dabei ein aus der laborexperimentellen Debattenforschung etabliertes Design in einer Feldstudie, um den Einfluss von Emotionen in natürlichen Rezeptionssituationen zu untersuchen. Gleichfalls findet in den bisherigen Studien eine starke Fokussierung auf die Emotionen Freude und Angst statt und dies, obwohl es gute theoriebasierte Argumente für die Wirkmächtigkeit von weiteren Emotionen in der Debattenrezeption gibt (z. B. Brader und Marcus 2013; Marcus et al. 2000). Einen Beitrag zur Verringerung dieser Forschungslücken zu leisten, ist das Ziel dieses Beitrags. Wir implementieren deshalb unsere Untersuchung in einer Feldstudie, die dem etablierten Design von im Forschungsbereich dominierenden Experimentalstudien entlehnt ist, um den Einfluss von Emotionen in natürlichen Rezeptionssituationen zu untersuchen und erweitern die dominante bivalente Perspektive (Freude vs. Angst) durch die Berücksichtigung weiterer Emotionen (v. a. Hoffnung, Ärger, Verachtung, Wut).

3 Studiendesign

Als Medienstimulus für unser Vorhaben dient uns eine TV-Debatte aus dem Bundestagswahlkampf 2017, die zwischen den vier Spitzenkandidaten Alice Weidel (AfD), Christian Lindner (FDP), Katja Kipping (Die LINKE) und Katrin Göring-Eckardt (Grüne) ausgetragen wurde. Die TV-Sendung mit dem Titel „Die 10 wichtigsten Fragen der Deutschen“ wurde von der privaten Sendergruppe ProSiebenSat.1 in der Nacht vom 30. August 2017 (ab 22.30 Uhr) übertragen und bildete den Kick-off für eine ganze Reihe von TV-Diskussionen im deutschen Fernsehen im Vorfeld zur Bundestagswahl. Sie dauerte 118 min (inkl. Werbepausen) und erreichte durchschnittlich rund 290.000 Zuschauer.

Um Wahrnehmungsprozesse und Wirkungen der Debattenrezeption in Echtzeit zu messen, haben wir mit dem so genannten „Debat-O-Meter“ eine Anwendung für mobile Geräte entwickelt, mit dem die Nutzer ihre Eindrücke über eine Debatte in natürlichen Rezeptionssituationen sekundengenau rückmelden können (siehe Abb. 1). Das Debat-O-Meter ist als „virtuelles Labor“ konzipiert, welches über den Funktionsumfang eines physischen RTR-Eingabegerätes hinausgeht. Es zeichnet sich durch einen modularen Aufbau aus, wie er aus klassischen RTR-Laborstudien bekannt ist, um die Standardisierung des Befragungsprozesses und damit die interne Validität des Messverfahrens sicherzustellen: Nach einem Tutorial werden die Nutzer zu einer Vorbefragung weitergeleitet, in der sie nach ihren politischen Einstellungen, soziodemografischen Variablen und Erwartungen an die Debatte befragt werden. Die Studienteilnehmer gelangen dann zur eigentlichen Kernfunktion, dem RTR-Modul, mit dem sie ihre spontanen Eindrücke während der Debatte in Echtzeit übermitteln können. Diese Echtzeit-Reaktionen werden vom Debat-O-Meter erfasst und zusammen mit einem Zeitstempel und dem Benutzer-Pseudonym in einer Datenbank auf einem Server gespeichert. Das Debat-O-Meter ist als sogenanntes „Push-Button-System“ im „reset-mode“ implementiert. Das bedeutet, dass eine Taste aktiv gedrückt werden muss, damit ein Wert gesendet wird. Benutzer haben die Möglichkeit, die Diskussionsteilnehmer einmal pro Sekunde mit Doppel-Plus (für einen sehr guten Eindruck) bis Doppel-Minus (für einen sehr schlechten Eindruck) zu bewerten. Für die statistische und grafische Analyse werden diese Eingaben in +2 bis −2 umcodiert. Wenn keine Taste gedrückt wird, gilt dies gemäß der Messanweisung als neutraler Eindruck und entspricht dem Wert 0. Nach dem Ende der Debatte werden die Studienteilnehmer zu einer Nachbefragung weitergeleitet. Zum Abschluss erhalten die Nutzer einen Überblick über ihr eigenes Bewertungsverhalten für jeden Kandidaten während der gesamten Debatte und zu den verschiedenen Themenfeldern des Abends.

Abb. 1
figure 1

Das Debat-O-Meter

Um Probanden für eine Teilnahme an unserer Studie zu gewinnen, haben wir eine offene Rekrutierungsstrategie gewählt, die im Kern auf einer breit angelegten Kooperation mit rund neunzig Medien aus Print, Online und TV (u. a. Redaktionsnetzwerk Deutschland, Süddeutsche Zeitung, Focus Online, Sat.1) basierte. Im Gegenzug für die Berichterstattung über das Projekt und den Aufruf zur Teilnahme wurden den Medienpartnern Interviews und Artikel für die Vorberichterstattung sowie eine Kurzanalyse direkt nach der Debatte angeboten. Die Teilnehmer erhielten eine individuelle Analyse ihres Bewertungsverhaltens sowie, auf Wunsch, eine komprimierte Fassung der Analyse für die Medienpartner. Im Verlauf der Debatte loggten sich rund 19.000 Personen im Debat-O-Meter ein. In etwa 10.000 Probanden öffneten das RTR-Modul, nachdem sie das Tutorial passiert und die Vorbefragung abgeschlossen hatten und gaben während der Diskussion mindestens eine Echtzeitauswertung ab. Nach zweistündiger TV-Diskussion füllten aus diesem Kreis 2014 Personen die Nachbefragung aus und konnten ihre individuellen Bewertungsergebnisse in der Applikation betrachten. Da wir eine offene Rekrutierungsstrategie gewählt haben, die mit dem Ziel verbunden war, möglichst viele Teilnehmer zu gewinnen, wurde der Datensatz im Nachhinein aufbereitet, um eine geeignete Stichprobe für die Analyse zu erhalten. Wir fokussieren folglich auf Teilnehmer, die die Vorbefragung zu Beginn der Debatte abgeschlossen habenFootnote 3, die die Kandidaten mittels RTR bewertet und die Nachbefragung in einem angemessenen Zeitrahmen ausgefüllt habenFootnote 4. Darüber hinaus haben wir den Datensatz um Fälle bereinigt, deren Bewertungsverhalten einem menschlichen Verhaltensmuster widersprechen.Footnote 5 Auf dieser Grundlage sind wir zuversichtlich, Daten zu erhalten, die in ihrer Struktur und Qualität Daten aus laborexperimentellen Anwendungen von RTR entsprechen. Nach Umsetzung dieser Kriterien verbleiben wir mit 1191 Fällen.

Um unsere Stichprobe zu generieren, folgten wir also einem Ansatz des sogenannten „non-probability sampling“ wie er im Bereich der empirischen Debattenforschung in Deutschland weit verbreitet ist. Eine Vielzahl von Studien hat die Anwendbarkeit dieses Ansatzes wiederholt belegt (z. B. Bachl et al. 2013; Boydstun et al. 2014b; Maier et al. 2016; Wagschal et al. 2017; Waldvogel und Metz 2020). Gleichzeitig gehen mit der Wahl dieses Vorgehens bedeutende Einschränkungen einher: Unsere Untersuchung basiert auf einer willkürlichen Stichprobe („convenience sample“), das heißt, dass keine Zufallsauswahl aus einer Gesamtpopulation erfolgte und daher zu erwarten ist, dass Prozesse der Selbstselektion wirken, was zu einer Verzerrung der Stichprobe gegenüber einer Gesamtpopulation führen kann. Diese sehen wir auch in unserer Stichprobe deutlich: Nur 24,7 % unseres Samples sind weiblich, immerhin 62,9 % sind jünger als 40 Jahre und 78 % haben einen formalen Bildungsabschluss der zum Studium qualifiziert oder höher ist. Auch das Politikinteresse ist mit 87,3 % stark bzw. sehr stark ausgeprägt. Unsere generierte Stichprobe ist demnach nicht repräsentativ für die deutsche Gesamtbevölkerung. Vor diesem Hintergrund kann es also nicht das Ziel unserer Studie sein, repräsentative Inferenzen auf die allgemeine Bevölkerung Deutschlands abzuleiten. Vielmehr geht es uns darum, die Beziehungen zwischen verschiedenen Variablen zu beurteilen. Aktuelle Studien in der empirischen Debattenforschung zeigen, dass Stichproben, die nicht auf einer Zufallsauswahl der Studienteilnehmer basieren, erfolgreich verwendet werden können, um valide Ergebnisse zu generieren, auch in Fällen, in denen sich die Stichprobe substantiell von der Gesamtbevölkerung unterscheidet. Schätzungen von Debatteneffekten erfordern demnach eine heterogene, aber keine repräsentative Stichprobe (Boydstun et al. 2014a). Deshalb haben wir auf jede Form der Gewichtung verzichtet, auch um den Eindruck zu vermeiden, auf Grundlage unserer Stichprobe repräsentative Ergebnisse zu präsentieren. Gleichzeitig gilt es die Charakteristika unserer Stichprobe und die damit einhergehenden Einschränkungen bei der folgenden Interpretation unserer Ergebnisse zu berücksichtigen.

4 Analyse

4.1 Die emotionalen Kandidatenprofile

In diesem Anschnitt beschreiben wir unsere deskriptiven Befunde und gehen der Frage nach, inwiefern die Kandidaten bestimmte Emotionen evozieren. In Tab. 1 befinden sich die Werte für alle Teilnehmer, gruppiert nach der Parteiidentifikation.

Tab. 1 Kandidateninduzierte Emotionen für alle Teilnehmer und gruppiert nach Parteiidentifikation. (Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung)

Für einen ersten Überblick betrachten wir zuerst die emotionalen Kandidatenprofile über alle Studienteilnehmer hinweg. Daraus können wir erste basale Befunde ableiten: Mit Blick auf die emotionalen Ausprägungen für alle Teilnehmenden gilt, dass die Kandidaten lediglich auf niedrigem Niveau Emotionen unter den Zuschauern zu evozieren scheinen, wenn man bedenkt, dass alle Werte kleiner oder gleich null eine neutrale bis keine emotionale Erfassung anzeigen. Allerdings sind die emotionalen Profile zwischen den Kandidaten unterschiedlich: Für Kipping werden positiv-emotionale Zuschreibungen wie Freude und Hoffnung deutlich zurückgewiesen, Angst und Verachtung sind ebenfalls wenig ausgeprägt, was wiederum nur bedingt auf die Emotionen Wut und Ärger zutrifft, wobei letztere gar eine positive Ausprägung aufweist. Für Göring-Eckardt bleiben alle emotionalen Äußerungen im negativen Bereich. Am stärksten sind dabei erneut noch Wut und Ärger ausgeprägt; die übrigen negativen Emotionen wie Verachtung und Angst werden aber ebenso deutlich abgelehnt wie die positiven Hoffnung und Freude. Dieses Muster ist für Lindner umgekehrt. Freude und Hoffnung sind am stärksten mit seiner Person verbunden, die negativen Emotionen Angst, Verachtung und Wut werden sehr deutlich, Ärger immerhin noch merklich abgewiesen. Für Weidel sind die emotionalen Assoziationen – ob positiv oder negativ – insgesamt sehr ausgeglichen; interessanterweise sticht am ehesten das gegensätzliche Emotionenpaar Ärger und Hoffnung als gültige Zuschreibung heraus.

Als theoretische Grundlage zur weiteren Interpretation der Daten rekurrieren wir auf die Intergroup Emotion Theory (Mackie et al. 2004). Diese nimmt an, dass Emotionen kein rein individuelles Phänomen, sondern abhängig von der Identifikation mit sozialen Gruppen sind. So wie Emotionen auf sozialen Identitäten basieren, gilt dies auch für die Parteiidentifikation (Green et al. 2002; Huddy und Bankert 2017; Huddy et al. 2015). Als äquivalentes Konstrukt dient sie als Heuristik in der politischen Lebenswelt (Brader und Tucker 2012). Daraus können wir folgern, dass die Parteiidentifikation, verstanden als affektive Bindung zu einer Partei (z. B. Campbell et al. 1960), die auf sozialen Identitäten gründet, die Mitgliedschaft in einer politischen Anhängerschaft zu einer salienten Kategorie emotionaler Erfahrungen macht. Vor diesem Hintergrund können wir annehmen, dass die über die PID vermittelte Identifikation mit einer politischen Gruppe zu einem konsistenten emotionalen Profil innerhalb dieser führt. Wenn wir die Werte gruppiert nach der Parteiidentifikation analysieren, differenziert sich das zuvor beobachtete Bild weiter aus. Die emotionalen Zuschreibungen sind stärker ausgeprägt und unterschiedliche Profile treten deutlich hervor. Die beobachtbaren Muster sind dabei über die verschiedenen Anhängergruppen hinweg weitgehend konsistent: Negative Emotionen werden bezüglich des eigenen Kandidaten stark abgelehnt, gleichzeitig sind positive Emotionen deutlich mit ihnen verbunden. Mit Blick auf die emotionale Verbindung der einzelnen Kandidaten mit ihren Anhängern stechen insbesondere Lindner und Weidel heraus, die deutliche affektive Unterstützung erfahren. Wenn wir die Beziehung von Parteianhängern zu „gegnerischen“ Kandidaten betrachten, kehrt sich das zuvor beobachtete Muster um. Negative Zuschreibungen gelten deutlich, während positive Emotionen zurückgewiesen werden. Dabei scheinen sich diese Zuschreibungen entlang einer links-rechts Achse zu vollziehen. Am Beispiel der AfD-Anhänger zeigt sich exemplarisch: Lindner als Kandidat aus der liberal-bürgerlichen Lager wird emotional weniger stark abgelehnt als dies für Göring-Eckardt und Kipping aus dem mitte-links Lager der Fall ist. Dieses Muster ließe sich für die weiteren Anhängergruppen entlang der vier Kandidaten in ähnlicher Weise durchdeklinieren. Parteibindung und Emotionen scheinen nach dieser ersten basalen Betrachtung also in der Tat in einem wechselseitigen Verhältnis zu stehen. Lohnenswert erscheint darüber hinaus die Betrachtung der emotionalen Profile derjenigen Parteianhänger, deren Spitzenvertreter nicht in der TV-Debatte vertreten waren. Anhänger der Unionsparteien lassen dem Vertreter des „natürlichen“ Koalitionspartners FDP am meisten emotionale Unterstützung zukommen. Die Konkurrenz von rechts wird dabei ihn ähnlichem Maße mit emotionaler Zurückweisung bedacht wie dies für die Vertreterin der Grünen der Fall ist, wohingegen die emotionale Ablehnung Kippings noch deutlicher ausfällt. Für Anhänger der SPD zeigt sich erwartungsgemäß ein gegensätzliches, aber im Detail anders ausgestaltetes Muster. Göring-Eckardt als Vertreterin des „angestammten“ Koalitionspartners erhält am meisten emotionalen Support, in der Art, dass negative Zuschreibungen klar abgelehnt und positive eher unterstützt werden. Danach folgt Lindner, der mehr emotionale Zustimmung erhält als dies bei Kipping der Fall ist, was als Abbild des ambivalenten Verhältnisses von SPD- und Linken-Anhängern im linken Parteienspektrum gedeutet werden kann. Sehr deutlich abgelehnt wird hingegen die AfD-Vertreterin Weidel, die deutlich Ärger, Wut und Angst unter den Sozialdemokraten evoziert. Die Prägekraft der Parteiidentifikation für die Herausbildung kandidatenbezogener Emotionen zeigt sich im Umkehrschluss auch daran, dass Personen ohne Parteibindung in ihren emotionalen Zuschreibungen dem ausgeglichenen Muster über alle Studienteilnehmer weitgehend entsprechen.

Wir können also festhalten, dass die emotionale Bewertung der Kandidaten durch die Studienteilnehmer insgesamt sehr differenziert erfolgt und wir emotionale Kandidatenprofile identifizieren können, die sich entlang der Parteibindungen strukturieren. Gleichzeitig scheinen diese Erfahrungen über Anhängergruppen und die Kandidaten hinweg weitgehend konsistenten Mustern zu folgen. Wir können also deutliche Belege für die Annahme der IET finden, wonach die Parteiidentifikation die Mitgliedschaft in einer politischen Anhängerschaft zu einer salienten Kategorie emotionaler Erfahrungen macht und die über die PID vermittelte Identifikation mit einer politischen Gruppe folglich zu einem konsistenten emotionalen Profil innerhalb dieser führt.

4.2 Der Einfluss von Emotionen auf die unmittelbaren Wahrnehmungen

Im Folgenden widmen wir uns dem Einfluss von Emotionen auf die unmittelbaren Wahrnehmungen der Debatte und fragen, inwiefern unterschiedliche Emotionen zu distinkten Wahrnehmungen der Debatte führen.

Die politikwissenschaftliche Emotionsforschung geht davon aus, dass unterschiedliche Emotionen distinkte Effekte haben (Brader und Marcus 2013). Um den Einfluss von Emotionen auf die unmittelbare Wahrnehmung der Debatte zu beurteilen verfolgen wir verschiedene Strategien: Unsere Daten über die Echtzeitreaktionen basieren auf 1191 Teilnehmern, wobei für jeden einzelnen 7095 Datenpunkte vorliegen. Dies bedeutet, dass unsere Datenmatrix 8.450.145 Eintragungen enthält, was offensichtlich einer Form der Aggregation bedarf. Deshalb fassen wir die RTR-Bewertungen über unsere Studienteilnehmer hinweg in jeder Sekunde des Duells zusammen. So erhalten wir die zeitliche Dynamik der RTR-Bewertungen, verlieren aber die Varianz zwischen den Teilnehmern. Tab. 2 zeigt die durchschnittliche RTR-Bewertung, die Variationskoeffizienten und die Interkorrelationen für nach verschiedenen Emotionen und deren Ausprägung separierte UntergruppenFootnote 6.

Tab. 2 Inter-Rater-Reliabilität. (Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung)

Insgesamt werden die Kandidaten von allen Teilnehmern deutlich unterschiedlich bewertet (tabellarisch nicht ausgewiesen): Die Aussagen Kippings (−4,14) werden sehr deutlich, die von Göring-Eckardt (−2,49) immerhin merklich abgelehnt. Christian Lindner (3,24) und Alice Weidel (4,77) werden von der Gesamtstichprobe hingegen deutlich positiv wahrgenommen. Mit Blick auf die Variationskoeffizienten sehen wir, dass diese zwischen Kipping (3,68), Göring-Eckardt (3,65) und Lindner (3,27) weitgehend ausgeglichen sind, während die Aussagen Alice Weidels (2,69) homogener bewertet werden.

Ein erster Blick auf die Tab. 2 zeigt, dass die Valenz der Emotion einen entscheidenden Einfluss auf die Bewertung der Kandidaten hat: Hohe Ausprägungen negativer Emotionen führen zu deutlich negativen Wahrnehmungen, hohe Ausprägungen positiver Emotionen ziehen positive Bewertungen für die Kandidierenden nach sich. Niedrige Ausprägungen der Emotionen kehren das Muster um, wobei sich dies für die Kandidatinnen aus dem linken Parteienspektrum weniger klar darstellt, als dies für Lindner und Weidel der Fall ist, bei denen das gegensätzliche Muster deutlich erkennbar bleibt. Wenn wir uns nun der Analyse der Variationskoeffizienten zuwenden, zeigt sich ein komplexes Muster: Für die Kandidatinnen aus dem linken Parteienlager gilt, dass starke Ausprägungen negativer Emotionen zu einer homogeneren Wahrnehmung führen, wohingegen niedrige Ausprägungen zu hohen Koeffizienten führen. Das Niveau ist dabei deutlich höher als dies für niedrige Ausprägungen negativer Emotionen bei Vertretern aus dem rechten Parteienlager der Fall ist, wohingegen starke Ausprägungen negativer Emotionen zwischen allen Kandidaten ein ähnliches Level der Koeffizienten aufweisen. Ausgeglichen ist die Höhe der Koeffizienten auch hinsichtlich starker und schwacher Ausprägungen positiver Emotionen für die Vertreterinnen aus dem linken Lager, was wiederum keine Gültigkeit für die Kandidaten aus dem rechten Lager besitzt, bei denen die Koeffizienten bei niedriger Ausprägung positiver Emotionen deutlich erhöht sind. Insgesamt scheinen also starke negative Emotionen für Kipping und Göring-Eckardt prägender zu sein und zu einheitlicheren Wahrnehmungen zu führen, während für Lindner und Weidel diese Interpretation auf stark ausgeprägte positive Emotionen zuzutreffen scheint. Wir finden insgesamt also erste starke Hinweise darauf, dass die unterschiedliche Ausprägung verschiedener Emotionen die unmittelbaren Wahrnehmungen wesentlich beeinflusst. Dass diese zu deutlich unterschiedlichen Wahrnehmungen führen, können wir auch an den Interkorrelationen der RTR-Kurven erkennen. Während sie für Weidel noch am stärksten ausgeprägt sind, fallen sie für alle weiteren Kandidaten verhältnismäßig gering aus. Zwischen den verschiedenen Emotionen scheint hingegen das Niveau der Interkorrelationen weitgehend ausgeglichen und die Prägekraft ähnlich zu sein.

Unsere bisherige Analyse legt nahe, dass ausgeprägte Emotionen die unmittelbaren Wahrnehmungen signifikant beeinflussen. Um diesen Eindruck zu erhärten, nutzen wir eine zweite Strategie der Datenaggregation, indem wir die RTR-Bewertungen zeitlich zusammenfassen und diese mit den Wahrnehmungen der Gesamtstichprobe vergleichen. Hierbei analysieren wir die aktiven RTR-Eingaben eines jeden Teilnehmers während des gesamten Duells. Durch diese Aggregation verlieren wir Informationen über die zeitliche Dynamik der Bewertungen. Dafür bleibt die Streuung der Bewertungen zwischen den Teilnehmern erhalten. Auf einem Signifikanzniveau von 0,05 bestätigen ungepaarte t‑Tests ein signifikant unterschiedliches RTR-Bewertungsverhalten der emotionalen Subgruppen gegenüber der Gesamtstichprobe. Für Kipping scheint dieses besonders ausgeprägt für die Emotionen Wut und Verachtung auf der einen und Hoffnung auf der anderen Seite zu sein (Ärger: t (1631,30) = −16,684; Wut: t (1381,80) = −19,275; Verachtung: t (1117,10) = −19,688; Angst: t (787,22) = −13,692; Freude: t (260,02) = 18,594; Hoffnung: t (447,37) = 22,446). Ein sehr ähnliches Bild zeigt sich auch für die Grünen-Vertreterin Göring-Eckardt (Ärger: t (1222,20) = −17,47; Wut: t (864,76) = −19,726; Verachtung: t (684,25) = −21,053; Angst: t (382,16) = −15,459; Freude: t (376,74) = 17,677; Hoffnung: t (507,26) = 18,612). Anders gestaltet sich dieses wiederum bei Lindner, beim dem die Prägekraft der Emotionen Freude und Hoffnung besonders wirksam zu sein scheint (Ärger: t (393,95) = −15,595; Wut: t (182,65) = −14,288; Verachtung: t (125,80) = −13,916; Angst: t (69,79) = −9,103; Freude: t (1222,20) = 19,283; Hoffnung: t (1437,10) = 18,131). Dies wiederum trifft in noch stärkerem Maße für Alice Weidel zu, für welche aber auch die negativen Emotionen Ärger, Wut und Verachtung in deutlicher Weise zu distinkten Wahrnehmungen der Subgruppe gegenüber der Gesamtstichprobe führen (Ärger: t (1340,60) = −20,113; Wut: t (1023,01) = −20,767; Verachtung: t (876,01) = −20,015; Angst: t (784,75) = −16,993; Freude: t (1501,7) = 30,053; Hoffnung: t (1600,40) = 29,611).

Insgesamt finden wir also mit beiden Aggregationsstrategien starke Hinweise darauf, dass Emotionen nicht nur unter Berücksichtigung der zeitlichen Dynamik die Wahrnehmung zwischen den Teilgruppen beeinflussen, sondern auch auf individueller Ebene zu einer Veränderung der Wahrnehmungen führen.

4.3 Der Einfluss von Emotionen auf die retrospektiven Urteile über die Debattenleistung und die Kandidatenbewertung nach der Debattenrezeption

In diesem Analyseabschnitt gehen wir der Frage nach, welchen Einfluss die unterschiedlichen Emotionen auf die retrospektiven Urteile über die Debattenleistung und die Kandidatenbewertung nach der Debattenrezeption entfalten. Als allgemeine Annahme gilt, dass wir davon ausgehen, dass unterschiedliche Emotionen in divergenten Ausprägungen die strukturellen Wirkmechanismen der Debattenrezeption auf nachgelagerte Einstellungen wie die Urteile über die Debattenleistung und die Kandidatenevaluation systematisch beeinflussen. Bisher wurde noch kein theoretisches Modell entwickelt, dass die Wirkung von Emotionen in den Prozessen der Debattenrezeption systematisch erfasst. Folglich kommen die wenigen empirischen Forschungsarbeiten zu uneinheitlichen Ergebnissen (z. B. Hullet et al. 2003; Faas und Schliephake 2015). Wir wählen deshalb einen explorativen Ansatz, mit dem wir auf induktive Weise versuchen, konsistente Strukturen in unseren Daten zu identifizieren und darauf aufbauend von den exemplarischen Fallbeispielen allgemeine Befunde abzuleiten. Um diese Aufgabe zu bewältigen, nutzen wir methodisch den in der empirischen Debattenforschung etablierten Ansatz der Strukturgleichungsmodellierung und replizieren ein erweitertes Modell (Bachl 2013; Maier 2007; Waldvogel 2020) für alle vier Kandidaten, getrennt nach emotionalen Subgruppen.Footnote 7 Mit Blick auf unsere beiden abhängigen Variablen formuliert das Modell folgende Kernaussagen: Die retrospektiven Urteile über die Debattenleistung sind eine Funktion politischer Prädispositionen (vor allem der Parteiidentifikation und vorheriger Kandidatenbewertungen) sowie erwarteter und unmittelbar wahrgenommener Zuschreibungen an die Debattenleistung der Kandidaten. Für die Kandidatenbewertung nach der Debatte treten die retrospektiven Urteile über die Debattenperformanz als weitere Erklärungsgröße hinzu. Die auf diesen theoretischen Modellannahmen beruhenden empirischen Ergebnisse sind in den Tab. 345 und 6 dargestellt.

Tab. 3 Strukturgleichungsmodelle nach emotionalen Untergruppen – Katja Kipping. (Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung)
Tab. 4 Strukturgleichungsmodell nach emotionalen Untergruppen – Katrin Göring-Eckardt. (Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung)
Tab. 5 Strukturgleichungsmodelle nach emotionalen Untergruppen – Christian Lindner. (Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung)
Tab. 6 Strukturgleichungsmodelle nach emotionalen Untergruppen – Alice Weidel. (Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung)

Um vorab die Modellanpassung der vorliegenden Strukturgleichungen einzuordnen, stützen wir uns auf die etablierten Fitmaße Root Mean Square Error of Approximation (RMSEA), Standardized Root Mean Square Residual (SRMR) und Comparative Fit Index (CFI) (Weiber und Mühlhaus 2014, S. 203 ff.). Während das inferenzstatistische Gütekriterium RMSEA für vier Modelle bei Kipping und einem bei Lindner Werte anzeigt, die (knapp) über dem empfohlenen Schwellenwert (≤0,10) für einen akzeptablen Modell-Fit liegen, verweist die Kennziffer für die übrigen 43 Modellspezifikationen auf eine gute Anpassung. Legen wir den absoluten Fit-Index SRMR, der die quadrierten Differenzen durch das Produkt der empirischen Varianzen der Variablen bereinigt, als Maßstab an, so weist dieser entsprechend dem Cutoff-Kriterium von ≤0,10 für alle berechneten Strukturgleichungsmodelle auf eine zufriedenstellende Modellanpassung hin. Diese positive Beurteilung der Anpassung unserer Strukturmodelle wird durch die Inspektion des inkrementellen CFI-Fitmaßes zum Modellvergleich bestätigt, da für alle Emotionen, divergente Subgruppen und Kandidaten die Werte über dem Schwellenwert von ≥0,90 liegen.

Wenn wir die Tab. 345 und 6 global betrachten, sehen wir, dass alle Modelle zur Erklärung der retrospektiven Urteile über die Debattenleistung unabhängig vom jeweiligen Kandidaten, der spezifischen Emotion und ihrer divergenten Ausprägung, die aus der Forschung bekannte Struktur replizieren, wonach die retrospektiven Urteile über die Debattenleistung vor allem eine Funktion der mittels RTR erfassten unmittelbaren Wahrnehmungen während der Debatte sind, welche wiederum maßgeblich von der Kandidatenbewertung vor der Diskussion determiniert ist (Bachl 2013; Maier et al. 2016). Einzig für Lindner scheint diese Struktur etwas eingeschränkt, wenngleich sie doch weitgehend erkennbar bleibt. Mit Blick auf die Kandidatenbewertung nach der Debatte weisen aktuelle Forschungsarbeiten die vorherige Kandidatenevaluation, die RTR-Bewertungen und die wahrgenommene Debattenleistung als signifikante Erklärungsgrößen aus (z. B. Bachl 2013). Auch wenn das relative Gewicht zwischen diesen mitunter variiert, so ist es doch letztgenannte Variable, die gemeinhin als substanziell gilt. Der globale Blick auf alle Modelle für alle Kandidaten zeigt, dass sich das skizzierte Muster auch in unseren Daten widerspiegelt. Das Bild ist also konform mit aktuellen Forschungsergebnissen, gleichzeitig ist es aber weniger konsistent über die verschiedenen Kandidaten und unterschiedlichen Emotionen hinweg, da der relative Erklärungsbeitrag der einzelnen Variablen zwischen den Modellen mitunter merklich variiert. Nichtsdestotrotz können wir vor dem Hintergrund, dass die Medienberichterstattung insbesondere um die Frage nach dem Gewinner eines Duells kreist und die Kandidatenorientierung nach dem sozial-psychologischen Modell (Campbell et al. 1960) eine substantielle Determinante des Wählerverhaltens darstellt, festhalten, dass eine gute Performanz im Duell eine wichtige Voraussetzung bildet, um auch elektoral vom Kampagnenevent profitieren zu können.

Wenden wir uns nun einer detaillierten Analyse zu. Wir beginnen mit Katja Kipping (Tab. 3) und den auf sie gerichteten negativen Emotionen Ärger, Wut und Verachtung (Modelle 1–6). Wenn wir uns die Beziehung zwischen den erklärenden Variablen für die Urteilsbildung über die Debattenleistung ansehen, so wird deutlich, dass Personen mit einer starken Ausprägung negativer Emotionen in ihrer Urteilsbildung – relativ gesehen – weniger auf ihre unmittelbaren Wahrnehmungen während der Rezeption rekurrieren als dies für Studienteilnehmer mit geringen Ausprägungen negativer Emotionen der Fall ist. Vielmehr beziehen sie sich stärker auf politische Voreinstellungen wie die Parteiidentifikation und vorherige Leistungserwartungen. Dieses alternierende Muster ist über alle drei negativen Emotionen mit ihren divergenten Ausprägungen konsistent. Wenn wir den Blick auf die Kandidatenevaluation nach der Debattenrezeption richten, sehen wir ebenso ein konsistentes wie zwischen den Variablen in divergenten emotionalen Ausprägungen intermittierendes Muster. Für schwach negativ Emotionalisierte wirken vorherige Kandidatenorientierungen und Leistungsbeurteilungen nach der Debatte stärker auf die retrospektiven Kandidatenevaluationen, wohingegen die Echtzeitwahrnehmung für hoch negativ Emotionalisierte eine relativ größere Rolle spielt.

Der Emotion Angst wird in der emotionspsychologischen Forschung gemeinhin eine besondere Rolle beigemessen (Ladd und Lenz 2008, 2011; Marcus und MacKuen 1993; Valentino et al. 2008). Hinsichtlich der Urteilsbildung über die Debattenperformanz können wir allerdings in unseren Daten für Kipping kaum wesentliche Unterschiede zu den vorgenannten Emotionen erkennen (Modelle 7 und 8). Das Niveau der RTR-Variable ist zwischen den divergenten Subgruppen ausgeglichen. Auffallend ist hier allemal, dass die RTR-Bewertung für Personen mit starken Ängsten prägender ist, als dies bei den Emotionen Ärger, Wut und Verachtung der Fall ist und die Parteiidentifikation gar nur bei stark ängstlichen Personen eine signifikante Erklärungsgröße darstellt. Dies gilt auch mit Blick auf die Erklärung der Kandidatenevaluation nach der Debattenrezeption. Die retrospektiven Urteile über die Debattenleistung sind hier der prägende Faktor. Dies gilt insbesondere für wenig ängstliche Personen, wohingegen die relativen Beiträge der Variablen RTR-Reaktionen und vorherige Kandidatenbewertung für stark ängstliche Teilnehmer nahezu ausgeglichen sind.

Für die positiven Emotionen Freude und Hoffnung (Modelle 9–12) sehen wir ein weitgehend konsistentes Muster: Positiv gestimmte Personen scheinen sich gemäß unseren Daten in ihrer Urteilsbildung über die Debattenleistung weniger stark auf politische Prädispositionen zu stützen. Der substanziell prägende Prädikator ist hier die RTR-Bewertung während der Debatte, wohingegen die vorherige Kandidatenbewertung und die Parteiidentifikation für hoch Emotionalisierte insignifikant bleiben. Für die Erklärung der Kandidatenorientierung nach der Debatte bleibt die Rolle der Echtzeitbewertungen für die Modelle 9–12 unklar. Eindeutig ist hingegen, dass für schwach positiv gestimmte Personen die Parteiidentifikation ebenso ein signifikanter Erklärungsfaktor ist wie die vorherige Kandidatenbewertung, wobei letztere als substanziell gelten kann. Während die Urteile über die Debattenleistung für hohe wie schwache Ausprägungen positiver Emotionen eine wesentliche Erklärungsgröße darstellen, so sind die relativen Beiträge zwischen den Gruppen doch unterschiedlich. Für stark Emotionalisierte spielt die retrospektive Debattenleistung eine relativ größere Rolle, wohingegen sich schwach Emotionalisierte stärker auf ihre Parteiidentifikation und vorherigen Kandidatenevaluationen beziehen, wenn es darum geht politische Einstellungen gegenüber den Kandidaten nach der Debattenrezeption auszubilden.

Neben der Analyse der Binnenbeziehungen der erklärenden Variablen innerhalb und zwischen den verschiedenen Modellen und der so repräsentierten Struktur über die Wirkmechanismen der Debattenrezeption, ist die Betrachtung der Modellgüte eine weitere wichtige Perspektive um die Qualität der modellierten Strukturgleichungen zu beurteilen. Hier sehen wir für die negativen Emotionen ein sehr einheitliches Bild über alle abhängigen Variablen hinweg, wonach stark negative Emotionen mit einem teils drastischen Rückgang der Erklärungskraft der Modelle um mehr als die Hälfte einhergehen. Während sich dieses Muster für die Emotion Angst in ähnlichem Maße zeigt, dreht sich das Bild mit Blick auf die positiven Emotionen, die zu einem merklichen Anstieg der Varianzreduktion der Modelle über die retrospektiven Urteile der Debattenleistung und Kandidatenbewertung nach der Rezeption führen.

Mit Blick auf die auf Katrin Göring-Eckardt (Tab. 4) gerichteten negativen Emotionen (Modelle 1–6), leisten bei der Betrachtung der retrospektiven Urteile über die Debattenleistung die vorherige Kandidatenevaluation und die Leistungserwartung in der Tendenz einen größeren Beitrag zur Varianzreduktion für schwach emotionalisierte Studienteilnehmer. Gleichzeitig ist die Parteiidentifikation für keines der Modelle ein erklärungskräftiger Faktor. Diese Feststellung gilt gleichsam für die Kandidatenevaluation nach der Rezeption. Darüber hinaus ist das Bild für die einzelnen Modelle negativer Emotionen und zwischen den Subgruppen allerdings uneindeutig. Während die Koeffizienten für die vorherigen Kandidatenbewertungen zwischen den Untergruppen weitgehend ausgeglichen sind, scheinen die Leistungsurteile nach der Debatte ebenso wie die Echtzeitbewertungen für stark negativ Emotionalisierte weniger erklärungskräftig.

Die besondere Rolle der Angst (Modelle 7 und 8) lässt sich in Ansätzen in unseren Daten erkennen. So dominiert für stark ängstliche Personen die Echtzeitbewertung als Erklärungsfaktor der Urteile über die Debattenleistung, wohingegen für wenig Ängstliche auch vorherige Kandidatenbewertungen und Leistungserwartungen relevant sind. Dieses Bild wird allerdings konterkariert, wenn wir auf die Struktur zur Erklärung der Kandidatenbewertung nach der Debatte blicken. Die Parteiidentifikation ist ein erklärungskräftiger Faktor für stark ängstliche Personen, während die unmittelbaren Wahrnehmungen insignifikant bleiben. Für wenig Ängstliche dreht sich diese Beziehung um, während vorherige Kandidatenbewertungen und retrospektive Leistungsbewertungen für beide Gruppen ähnliche Relevanz besitzen.

Für die positiven Emotionen (Modelle 9–12) sehen wir mit Blick auf die Urteile über die Debattenleistung, dass diese die Prägekraft politischer Dispositionen zu überlagern scheinen. So sind für stark positiv emotionalisierte Personen Voreinstellungen nicht signifikant, sondern es sind vielmehr die unmittelbaren Wahrnehmungen, die die Urteile prägen. Letzteres gilt auch für schwache Ausprägungen positiver Emotionen, allerdings sind hier auch vorherige Kandidatenbewertungen und Leistungserwartungen erklärungskräftig. Mit Blick auf die Kandidatenorientierung nach der Rezeption sind die Modelle zwischen den divergenten Untergruppen nahezu identisch.

Wenn wir die Modellgüte unserer Modelle vergleichen, sehen wir für negative Emotionen (Ärger, Wut, Verachtung, Angst) das bereits zuvor beobachtete Bild, wonach deren starke Ausprägung zu einem teils dramatischen Einbruch der Varianzreduktion führt. Hingegen können wir das Muster, in welchem stark ausgeprägte positive Emotionen zu einer Stärkung der Modellgüte führen durch die Modelle von Katrin Göring-Eckardt nicht bestätigen; vielmehr ist die Modellgüte zwischen den Subgruppen ausgeglichen.

Für die Urteilsbildung über die Debattenleistung von Christian Lindner (Tab. 5) hat die Parteiidentifikation für keine der Untergruppen negativer Emotionen (Modelle 1–6) eine signifikante Bedeutung. RTR-Bewertungen dominieren das Bild, was deutlicher für wenig negativ-emotionalisierte Personen gilt. Leistungserwartungen spielen für stark negativ Emotionalisierte hingegen eine größere Rolle, wohingegen vorherige Kandidatenorientierungen für wenig Emotionalisierte signifikant sind. Hinsichtlich der retrospektiven Kandidatenevaluation gewinnt die Parteiidentifikation an Erklärungskraft – hier insbesondere für Personen mit schwachen negativen Emotionen. Die Urteile über die Debattenleistung wirken hier wiederum am stärksten, gefolgt von vorherigen Kandidatenbewertungen und den unmittelbaren Wahrnehmungen, wenngleich die Koeffizienten zwischen den Variablen insgesamt ausgeglichen sind. Ein gesondertes Muster hinsichtlich ängstlicher Personen (Modelle 7 und 8) lässt sich für die retrospektive Leistungsbewertung nicht, für die Kandidatenbewertung nach der Debatte einzig in Nuancen erkennen. Parteibindungen und Echtzeitwahrnehmung spielen hier eine geringere Rolle für stark ängstliche Personen.

Auch positiv emotionalisierte Personen (Modelle 9–12) rekurrieren in ihren retrospektiven Urteilen über die Debattenleistung nicht signifikant auf ihre Parteibindungen. Diese werden (für beide Subgruppen in ähnlicher Weise) vielmehr von den unmittelbaren Wahrnehmungen maßgeblich vorgeformt, ergänzt von vorherigen Leistungserwartungen. Während letztere für schwach positiv Emotionalisierte eine größere Rolle spielen, tritt für stark positiv Emotionalisierte die vorherige Kandidatenbewertung als erklärungskräftiger Faktor hinzu. Hinsichtlich der retrospektiven Kandidatenorientierung ist die Struktur im Detail different. Während Parteibindungen nur für Personen mit schwach ausgeprägten positiven Emotionen ein signifikanter Erklärungsfaktor sind, bilden vorherige Leistungserwartungen und Kandidatenbewertungen ebenso wie die Echtzeitbewertungen in dieser Reihenfolge die Grundstruktur zur Erklärung der Kandidatenevaluation nach der Debatte.

Erneut führen stark ausgeprägte, negative Emotionen zu einem Rückgang der Varianzreduktion der Modelle. Eine fördernde Kraft positiver Emotionen für die Erklärungskraft unserer Strukturgleichungen können wir erneut nicht feststellen. Die Modellgüte ist zwischen den Subgruppen weitgehend ausgeglichen.

Für Alice Weidel (Tab. 6) und die auf sie gerichteten negativen Emotionen (Modelle 1–6) sehen wir mit Blick auf die retrospektiven Urteile über die Debattenleistung, dass die Parteiidentifikation vor allem für die stark negativ Emotionalisierten ein signifikanter Erklärungsfaktor ist. Erneut dominieren die unmittelbaren Wahrnehmungen; hier nun aber stärker für Personen mit schwachen Ausprägungen negativer Emotionen. Das Bild über die vorherige Kandidatenbewertung und Leistungserwartung ist über die verschiedenen negativen Emotionen und ihre divergenten Subgruppen hinweg uneindeutig. Eindeutig scheint hingegen die Struktur für die Erklärung der retrospektiven Kandidatenbewertung. Sie ist maßgeblich sowohl für stark wie auch schwach negativ Emotionalisierte von vorherigen Kandidatenevaluationen und den Urteilen über die Debattenleistung dominiert. Die unmittelbaren Wahrnehmungen spielen dagegen stärker für Personen mit geringen Ausprägungen negativer Emotionen eine größere Rolle. Die Parteiidentifikation bleibt in allen Modellen insignifikant. Diese Struktur ist nahezu identisch, wenn wir die Modelle der Emotion Angst (Modelle 7 und 8) analysieren – eine Sonderrolle lässt sich auf dieser Basis nicht feststellen.

Mit Blick auf die Wirkmuster positiver Emotionen (Modelle 9–12) auf die retrospektiven Urteile über die Debattenleistung sind diese zwischen den Subgruppen starker und schwacher Ausprägung von Freude und Hoffnung sichtbar unterschiedlich. Parteibindungen spielen lediglich für schwach positiv Emotionalisierte eine signifikante Rolle, ebenso wie die vorherigen Leistungserwartungen. Die Kandidatenbewertung vor der Debatte ist hingegen nur ein signifikanter Erklärungsfaktor bei stark positiv emotionalisierten Personen, wohingegen die RTR-Bewertungen in allen Untergruppen dominieren, dies aber noch stärker bei wenig positiv Emotionalisierten. Einheitlicher ist das Bild zwischen den Subgruppen mit divergenten Ausprägungen positiver Emotionen hinsichtlich der retrospektiven Kandidatenbewertung nach der Rezeption. Parteibindungen spielen keine Rolle. Vorherige Kandidatenevaluationen und Leistungserwartungen dominieren, aber auch die Echtzeitbewertungen leisten einen signifikanten Beitrag zur Varianzreduktion.

Diese fällt für die Modelle, die eine starke Ausprägung negativer Emotionen abbilden erneut schwächer aus, allerdings ist der Unterschied weniger ausgeprägt als bei den anderen Kandidaten. Für Alice Weidel ist die Modellgüte mit Blick auf die positiven Emotionen bemerkenswerterweise für diejenigen Modelle besser, die eine geringe Ausprägung positiver Emotionen abbilden.

Insgesamt können wir über die verschiedenen Modelle und Kandidaten hinweg kurzgefasst Folgendes festhalten: Die allgemeine Wirkstruktur der Debattenrezeption ist über alle emotionalen Untergruppen und Kandidaten weitgehend gültig, was die Kennziffern der Modellanpassungen bestätigen. Divergente Ausprägungen von Emotionen sind dabei keine hinreichende Bedingung für eine systematische Veränderung der beobachteten Wirkstruktur. Vielmehr gilt es, deren Valenz und Bezugsobjekte stärker zu berücksichtigen um die Differenzen zu erklären. Stark ausgeprägte, negative Emotionen beeinträchtigen die Erklärungskraft unsere Modelle systematisch. Eine Sonderrolle der Emotion Angst ist insgesamt nicht erkennbar. Der Einfluss positiver Emotionen auf die Varianzreduktion der einzelnen Modelle unterscheidet sich hingegen deutlich zwischen den verschiedenen Kandidaten.

5 Diskussion

Am Ende unserer Analyse gilt es die Frage zu beantworten, ob Emotionen in der Lage sind politische Perzeptionen, Kognitionen und Einstellungen zu prägen. Wir argumentieren, dass Rezipienten eine Fernsehdebatte nicht nur durch ihre eigene parteipolitische Brille wahrnehmen, sondern dass diese Wahrnehmung maßgeblich von emotionalen Zuständen eingefärbt ist und Emotionen die Verarbeitung politischer Informationen sowie die Einstellungsbildung substanziell beeinflussen.

Um unsere Argumentation zu untermauern haben wir zuerst auf theoretischer Basis der Intergroup Emotion Theory (Mackie et al. 2004) die emotionalen Kandidatenprofile untersucht. Unter der Annahme, dass Emotionen ebenso wie Parteibindungen auf sozialen Identitäten basieren (Green et al. 2002; Huddy und Bankert 2017; Huddy et al. 2015) folgerten wir, dass die Parteiidentifikation die Verbindung mit einer politischen Anhängerschaft zu einer salienten Kategorie emotionaler Erfahrungen macht, welche zu konsistenten emotionalen Kandidatenprofilen führt. Unsere Analyse konnte die theoretische Erwartung weitgehend bestätigen: Die Parteibindung führt zu distinkten emotionalen Kandidatenprofilen zwischen den Gruppen. Die beobachtbaren Muster waren dabei (unter Berücksichtigung kandidatenspezifischer Unterschiede) über die verschiedenen Anhängergruppen hinweg weitgehend konsistent: Negative Emotionen wurden für den eigenen Kandidaten stark abgelehnt, gleichzeitig waren positive Emotionen deutlich ausgeprägt.

Als zweites Argument haben wir angeführt, dass unterschiedliche Emotionen zu distinkten Wahrnehmungen einer TV-Debatte führen. In unserer Analyse der Echtzeitreaktionen der Studienteilnehmer in ihrer zeitlichen Dynamik konnten wir zum einen zeigen, dass die Valenz der Emotion einen entscheidenden Einfluss auf die Bewertung der Kandidaten hatte: Hohe Ausprägungen positiver Emotionen führten zu deutlich positiven Wahrnehmungen, hohe Ausprägungen negativer Emotionen zogen negative Bewertungen für die Kandidierenden nach sich. Darüber hinaus haben wir dargelegt, dass starke emotionale Zustände die Homogenität in der Wahrnehmung der Debatte innerhalb der Gruppe begünstigen konnten, wobei die Muster erneut merkliche Unterschiede zwischen den Kandidaten erkennen ließen: Starke negative Emotionen führten für Kipping und Göring-Eckardt zu einheitlicheren Wahrnehmungen, während für Lindner und Weidel dies hinsichtlich stark ausgeprägter, positiver Emotionen zutraf. Die geringen Interkorrelationen zwischen den RTR-Kurven der Untergruppen mit divergenten emotionalen Zuständen konnten unsere Feststellung, dass stark ausgeprägte Emotionen zu deutlich unterschiedlichen Wahrnehmungen führen unterstreichen. Indem wir die aktiven RTR-Eingaben eines jeden Individuums über die Zeit aggregierten, konnten wir zudem durch Mittelwertvergleiche zeigen, dass die verschiedenen Emotionen nicht nur unter Berücksichtigung der zeitlichen Dynamik die Wahrnehmung zwischen den Teilgruppen beeinflussten, sondern auch auf individueller Ebene zu einer Veränderung der Informationsverarbeitung und Perzeption führten, allerdings mit deutlichen Schwerpunktunterschieden zwischen den Kandidaten.

Unser drittes Argument besagte, dass unterschiedliche Emotionen in divergenten Ausprägungen die strukturellen Wirkmechanismen der Debattenrezeption auf nachgelagerte Einstellungen wie die Urteile über die Debattenleistung und die Kandidatenevaluation systematisch beeinflussen. Aus Mangel eines adäquaten theoretischen Modells und empirischen Vorarbeiten, wählten wir ein exploratives Vorgehen, in dem wir auf induktive Weise versuchten konsistente Strukturen in unseren Daten zu identifizieren, um daraus allgemeine Befunde abzuleiten. Die Ergebnisse unserer Strukturgleichungsmodelle waren dabei sehr komplex: Starke Ausprägungen von Emotionen waren dabei keine hinreichende Bedingung für eine systematische und einheitliche Veränderung der beobachteten Wirkstruktur. Vielmehr wurde offensichtlich, dass es von Bedeutung ist, deren Valenz und Bezugsobjekte stärker zu berücksichtigen um die Differenzen zwischen den einzelnen Modellen zu erklären. Dabei beeinträchtigten stark ausgeprägte, negative Emotionen die Varianzreduktion unsere Modelle sehr deutlich. Eine Sonderrolle der Emotion Angst war nicht erkennbar, wohingegen sich der Einfluss positiver Emotionen auf die Erklärungskraft der einzelnen Modelle zwischen den verschiedenen Kandidaten merklich unterschied.

Unsere Ergebnisse unterliegen jedoch Einschränkungen: Neben den bereits ausgeführten Limitationen, die sich aus der Wahl unserer Strategie zur Generierung der Stichprobe ergeben, liegen zum einen bisher wenig Erfahrungen mit RTR-Messungen in Feldstudien vor, die das Ziel verfolgen Aussagen über die Rezeption politischer TV-Diskussionen in natürlichen Situationen außerhalb des Labors zu treffen, wenngleich die einzelnen vorliegenden Studien ein insgesamt positives Bild zeichnen (Boydstun et al. 2014a; Maier et al. 2016). Eine weitere Einschränkung betrifft die theoretische Grundlegung unserer Untersuchung, die durch die Wahl eines induktiven Vorgehens im letzten Analyseschritt schwächer ausgeprägt ist. So ließe sich anführen, dass die emotionspsychologische Forschung durchaus theoretische Modelle entworfen hat, deren deduktive Prüfung vor dem Hintergrund der Rezeption politischer TV-Debatte möglich ist. Prominentes Beispiel ist hierbei sicherlich die Affective Intelligence Theory (AIT) von Marcus et al. (2000), die vielfältige Annahmen über politische Evaluationen, Wahlentscheidungen, die Informationssuche, politisches Lernen sowie Motivationen und Verhaltensweisen trifft (Brader 2011): In Ableitung aus neurowissenschaftlichen Vorüberlegungen nehmen die Autoren an, dass positive und negative Emotionen – vermittelt über das sogenannte disposition system – zu einer Stärkung politischer Dispositionen führen. Angst als emotionale Triebkraft des sogenannten surveillance system wiederum verkehrt diese Verbindung ins Gegenteil und befördert die Suche nach neuen Informationen als Grundlage für die Einstellungs- und Urteilsbildung sowie politische Verhaltensweisen. Nicht nur die wissenschaftliche Kontroverse um die Kernaussagen der AIT (Brader 2011; Ladd und Lenz 2008, 2011; Marcus et al. 2011), sondern auch unsere empirischen Befunde ziehen allerdings in Zweifel, ob eine einfache Übertragung der theoretischen Annahmen auf den Untersuchungsgegenstand der Debattenrezeption adäquat ist oder ob doch gewisse Anpassungen an das Forschungsobjekt angezeigt sind. So können wir zwar zeigen, dass negative Emotionen deutliche Effekte auf die Erklärungskraft unsere Modelle haben. Die von der AIT postulierte Annahme, dass Angst gegenüber anderen negativen Emotionen wie Ärger, Wut oder Verachtung durch ein geringeres Vertrauen auf politische Dispositionen zu strukturellen Veränderungen in der Wahrnehmung und Verarbeitung politischer Informationen führt, können wir mit unseren Daten jedoch nicht systematisch nachweisen. Vielmehr scheint die Wirkstruktur über die verschiedenen negativen Emotionen hinweg konsistent. Substanzielle Unterschiede ergeben sich hingegen im Vergleich zu positiven Emotionen. Unsere Ergebnisse legen daher nahe, dass ein einfaches duales Prozess-Modell über die Wirkung von Emotionen, welches deren Valenz in den Mittelpunkt stellt und auf einer bipolaren Dimension abbildet, eine höhere Konformität mit unseren Daten aufweist als die komplexeren Annahmen der AIT (vergleiche ähnliche Befunde bei Faas und Schliephake 2015; Hullett et al. 2003), wenngleich wir methodisch bedingt nicht auf Interaktionen zwischen den Emotionen und weiteren Variablen kontrollieren. Eine weitere Einschränkung betrifft unsere Auswahl an abhängigen Variablen. Die politikwissenschaftliche Emotionsforschung hat in der jüngeren Vergangenheit nicht nur den Einfluss von Emotionen auf Prozesse der Wahrnehmung und Verarbeitung politischer Informationen sowie die Urteils- und Einstellungsbildung vermehrt in den Blick genommen, sondern fokussierte insbesondere auf das politische Verhalten (Ladd und Lenz 2008, 2011; MacKuen et al. 2010; Marcus und MacKuen 1993; Marcus et al. 2011; Valentino et al. 2009, 2011). Aufgrund des Mangels verfügbarer Daten waren wir nicht in der Lage, diesen Fokus hier zu verfolgen. Dies könnte aber eine erweiternde Perspektive zukünftiger Arbeiten in der empirischen Debattenforschung sein. Ein weiteres Desiderat berührt die Beziehung zwischen Emotion und Parteiidentifikation. Wir konnten einerseits zeigen, dass die Parteiidentifikation zur Ausbildung distinkter, emotionaler Kandidatenprofile führen kann. Demgegenüber zeigen unsere Strukturgleichungsmodelle keinen systematischen Effekt der Parteiidentifikation auf die Debattenrezeption. Potenziell könnten starke Emotionen also Parteibindungen überlagern und Kandidaten folglich die Möglichkeit geben, über Parteigrenzen hinweg Rezipienten unabhängig ihrer Parteiidentifikation mit ihren Aussagen zu erreichen. Damit scheint eine detaillierte Analyse über das Wechselverhältnis von Emotion und Parteiidentifikation für zukünftige Forschungsarbeiten angezeigt. Darüber hinaus gilt es, die Bezugsobjekte der spezifischen Emotionen, also die Kandidaten, stärker in den Blick zu nehmen, ebenso wie die Kontexte, in denen die TV-Diskussionen stattfinden und rezipiert werden, um neben einer detaillierten empirischen Analyse auch einen Beitrag zur Theoriebildung über die Wirkungen von Emotionen in der Debattenrezeption zu leisten.

Insgesamt zeigt unsere Analyse die Wirkmächtigkeit von Emotionen in der Rezeption politischer TV-Debatten in natürlichen Rezeptionssituationen für Diskussionen mit einem Mehrpersonen-Podium: Erstens evozieren die unterschiedlichen Kandidaten klar abgrenzbare Profile emotionaler Zuschreibungen. Zweitens beeinflussen die emotionalen Zustände der Rezipienten die Wahrnehmung der TV-Diskussion deutlich und führen zu distinkten Verarbeitungsprozessen politischer Information. Und auch die retrospektiven Urteile und politischen Einstellungen nach der Debattenrezeption unterliegen, drittens, valenzbasierten emotionalen Einflüssen. Wir können also schließen, dass Emotionen in der Lage sind, politische Perzeptionen, Kognitionen und Einstellungen maßgeblich zu prägen.