Hintergrund

Die prophylaktische Ausschaltung des Bauchaortenaneurysmas (BAA) zur Verhinderung einer Aortenruptur stellt eine zentrale Aufgabe der Gefäßchirurgie und weiterer beteiligter Fächer dar. Während mehrere Screeningstudien aus den 1990er-Jahren für das BAA noch eine Prävalenz von 4–8 % bei älteren Männern beschrieben, fiel sie in den folgenden Jahren auf aktuell etwa 1 % ab [8, 11, 32, 43]. Neben dieser epidemiologischen Entwicklung haben sich sowohl die Therapie des BAA als auch die Art der perioperativen Versorgung in den letzten 30 Jahren grundlegend verändert. So wurde das BAA zu Beginn der 2000er-Jahre noch überwiegend durch einen offen-chirurgischen Aortenersatz behandelt, während aktuelle Versorgungsdaten bereits einen Anteil von bis zu 80 % endovaskulärer Behandlungen mit sog. Stentprothesen (endovaskuläre Aortenreparatur, EVAR) ergaben [5, 8, 9, 41]. Dies hat auch einen unmittelbaren Einfluss auf die postprozedurale Behandlung der Patient:innen. So werden nach EVAR, die zunehmend häufig perkutan durchgeführt werden kann, nur noch etwa 60 % der Patient:innen vorübergehend zur Überwachung auf eine Intensiv- oder Monitorstation verlegt. Die endovaskuläre Prozedur gilt nach aktuellen Leitlinien zur Risikostratifizierung heute nicht mehr als ein Hochrisikoeingriff, sondern als Eingriff mit moderatem Risiko [27]. Dieser Unterschied wird auch in Analysen zur Krankenhaussterblichkeit evident, welche 1–2 % nach EVAR und 5–6 % nach offen-chirurgischem Aortenersatz beträgt [5, 8, 9, 41].

Vor dem Hintergrund sinkender Fallzahlen findet bereits seit mehr als 20 Jahren eine kontroverse Diskussion zu möglichen Zusammenhängen zwischen dem Krankenhausfallvolumen und der perioperativen Sterblichkeit statt [13, 14, 17, 18, 20, 22, 23, 29,30,31, 33, 34, 38,39,40, 45, 46, 49]. Bis heute ließ sich in den zahlreichen Beobachtungsstudien allerdings kein robuster Zusammenhang bei EVAR nachweisen, während es zunehmend Hinweise auf den Einfluss von Struktur- und Prozessqualitätsparametern beim offen-chirurgischen Verfahren gibt [10, 18, 38,39,40]. Folgerichtig blieben vereinzelte Forderungen nach entsprechenden Mindestmengen in der 2008 erlassenen Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) über Maßnahmen zur Qualitätssicherung für die stationäre Versorgung bei der Indikation Bauchaortenaneurysma (QBAA-RL) seinerzeit noch unberücksichtigt. Stattdessen wurden verschiedene Prozess- und Strukturqualitätsparameter definiert, um die Versorgungsqualität zu verbessern. Neben der ununterbrochenen Vorhaltung der notwendigen allgemeinen, interventionellen, operativen, anästhesiologischen und intensivmedizinischen Infrastruktur in den behandelnden Einrichtungen, wurden explizit und erstmals Vorgaben zur erweiterten Berufsqualifikation des Pflegedienstes auf den Intensivstationen gemacht [7].

Demnach fordert die QBAA-RL eine Fachweiterbildung im Bereich der Intensivpflege und Anästhesie nach den Kriterien der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) bei mindestens 50 % der Pflegefachpersonen der Intensivstation und mindestens eine fachweitergebildete Pflegefachperson pro Schicht. Damit stellt diese Richtlinie zum Bauchaortenaneurysma höhere Anforderungen an die pflegerische Fort- und Weiterbildung als die beiden einzigen anderen Richtlinien mit derartigen Empfehlungen zur Fachweiterbildung: So wird für den Bereich Neonatologie eine Mindestquote von 40 % gefordert und für die minimal-invasiven Herzklappeninterventionen 25 %. In weiteren Richtlinien, etwa zur Notfallmedizin oder aufwendigen intensivmedizinischen Komplexbehandlung, sind dagegen keine entsprechenden Anforderungen enthalten [7].

Aufgrund der 2008 auf dem Evidenzniveau von Expert:innenmeinungen festgelegten Mindestquote ohne empirische Datenbasis und der seitdem grundlegend veränderten Versorgungsrealität wurde auf Initiative des Vorstands der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin e. V. (DGG) im Sommer 2023 eine Reevaluation der erforderlichen Fachweiterbildung von Pflegefachpersonen durch ein modifiziertes Delphi-Verfahren mit berufsgruppenübergreifenden Expert:innen eingeleitet.

Die Kernfrage dieses Konsensusverfahrens war, wie hoch die Mindestquote an Pflegefachpersonen mit einer entsprechenden Fachweiterbildung vor dem Hintergrund der verfügbaren empirischen Daten- bzw. Evidenzbasis oder Expert:innenmeinungen sein sollte. Dabei sollten neben Aspekten der medizinischen Sinnhaftigkeit bzw. Effektivität auch die Umsetzbarkeit und ökonomische Effizienz Berücksichtigung finden.

Methoden

Es wurde ein modifiziertes Delphi-Verfahren mit Expert:innen aus den folgenden für das Thema relevanten Bereichen durchgeführt: Patient:innenvertreter, Ärzt:innen (Gefäßchirurgie, Radiologie, Anästhesie, Intensivmedizin, Herzchirurgie), Pflegefachpersonen, Qualitätssicherung und Krankenhausökonomie, Medizinischer Dienst, Evaluation medizinischer Leistungen, Krankenhaussektoren (konfessionell, universitär, privat, kommunal; [47]). Die Delphi-Methode wurde in den 1950er-Jahren als strukturiertes mehrstufiges Befragungsverfahren zur Konsensbildung entwickelt und beinhaltet eine moderierte Erfassung anonymisierter Einschätzungen eines Expert:innenpanels [47]. Die Koordinierung, Umsetzung und Moderation des Verfahrens erfolgte durch die medizinisch-wissenschaftliche Leitung des Deutschen Instituts für Gefäßmedizinische Gesundheitsforschung gGmbH (Berlin, Deutschland; [3, 6]).

Die Zusammenstellung des Expert:innenpanels erfolgte auf dem Boden einer Fokusgruppendiskussion im Vorstand der DGG im Juni 2023. Eingeladen wurden die relevanten repräsentativen Gremien, Berufsverbände und Fachgesellschaften sowie klinische Vertreter von Einrichtungen mit einem hohen Fallvolumen in einschlägigen Datenbanken bzw. Krankenhausnavigatoren.

Die Methodik des Delphi-Verfahrens wurde a priori durch ein schriftliches Protokoll festgelegt. Alle eingeladenen Expert:innen und durch die Expert:innen empfohlene Ergänzungen registrierten sich digital für die Teilnahme und legten ihre Interessenkonflikte offen. Den Expert:innen wurde ein Projektexposé zur Verfügung gestellt, das alle notwendigen Hintergrundinformationen enthielt (Electronic Supplement Material).

Das Protokoll sah die Durchführung einer ausführlichen narrativen Literaturrecherche zum Einfluss der Fachweiterbildung von Pflegefachpersonen auf der Intensivstation im Rahmen der Behandlung von Patient:innen mit BAA auf das Behandlungsergebnis vor. Gesucht wurden randomisierte und nichtrandomisierte vergleichende Studien zum Einfluss der Fort- und Weiterbildung nach dem berufsqualifizierenden Berufsabschluss auf die Behandlungsqualität. Hierfür wurden die Suchbegriffe und geeignete Synonyme in deutscher und englischer Sprache zu den Schlagwörtern „Aorta“, „Nursing“, „Staffing“, „Outcomes“, „Mortality“ und „Qualification“ sowie „Training“ über die US-Nationalbibliothek (PubMed) recherchiert. Es fand keine Einschränkung des Veröffentlichungszeitraums statt.

Ergänzend wurden die Mitglieder des VASCUNET-Komitee der European Society for Vascular Surgery (ESVS) und des International Consortium of Vascular Registries (ICVR) sowie alle Expert:innen um die Bereitstellung von Daten, Dokumenten und Literaturempfehlungen zum Thema gebeten [12, 28]. Die internationalen Adressaten des VASCUNET und ICVR, die via E‑Mail befragt wurden (n = 35), sollten außerdem beschreiben, ob es in ihrem Land nationale Regulierungen der Fachweiterbildung von Pflegefachpersonen bei der intensivmedizinischen Behandlung des Bauchaortenaneurysmas gibt.

Es fanden insgesamt vier Onlinefokusgruppendiskussionen mit den eingeladenen Expert:innen zur Sammlung von Argumenten und Kernfragen statt.

Auf Basis der gesammelten Kernfragen und Argumente wurden zwei anonyme Abstimmungsrunden in digitaler Form durchgeführt, deren Ergebnisse jeweils anschließend in einer Onlinevideokonferenz besprochen wurden. Alle Expert:innen im Panel wurden via E‑Mail mindestens eine Woche vor der Konferenz eingeladen. Für den Fall, dass die abschließende Empfehlung des Expertenpanels nach zwei Abstimmungsrunden keine Zustimmung von mindestens 80 % der Teilnehmenden erreichte, wurde eine weitere Runde mit einer erzwungenen Zustimmung vs. Ablehnung geplant. Die Protokolle der Expert:innenkonferenzen und Ergebnisse der Abstimmungsrunden wurden allen Teilnehmer:innen unmittelbar im Anschluss per E‑Mail zur Verfügung gestellt.

Die Visualisierung der Ergebnisse erfolgte mit Adobe Illustrator Version 24.1.2 (Adobe, California, USA). Die Erfassung der Abstimmungsergebnisse und deskriptive Analyse erfolgte anonymisiert mit Surveymonkey® (Momentive Europe UC, Ireland). Die Onlinevideokonferenzen erfolgten mit Zoom (San José, Kalifornien, USA).

Die Ergebnisse wurden rein deskriptiv mit absoluten Zahlen (n) und Prozenten (%) präsentiert.

Ergebnisse

Expert:innenpanel

An dem Delphi-Verfahren beteiligten sich 37 Expert:innen, darunter 6 Frauen (16 %). Alle primär avisierten Bereiche (Patient:innenvertreter, Ärzt:innen, Pflegefachpersonen, Qualitätssicherung und Evaluation) und Krankenhausträger (konfessionell, universitär, privat, kommunal) sowie Versorgungsstufen (Maximal- und Regelversorgung) waren vertreten. Die teilnehmenden ärztlichen Expert:innen vertraten die Fachbereiche Gefäßchirurgie, Anästhesie, Intensivmedizin, Radiologie und Herzchirurgie. Neben 26 Ärzt:innen (70 %) nahmen 8 Pflegefachpersonen (22 %) teil, die 8 Berufs- und Pflegeverbände repräsentierten.

Literaturrecherche

Bei der narrativen Literaturrecherche konnte ein aktuelles systematisches Cochrane-Review aus dem Jahr 2019 identifiziert werden, dass sich mit verschiedenen Parametern der Pflegequalifikation und assoziierten Behandlungsergebnissen beschäftigt [15]. Die für die Fragestellung relevante Zielgruppe in diesem Review beinhaltete Patient:innen mit Krebs, Asthma, Diabetes, Herzinsuffizienz und chronischen Krankheiten [4, 16, 19, 24,25,26, 35,36,37, 42, 44]. Beschrieben wurden dabei Gesundheitssysteme in den USA, UK und Australien. Die Evidenzbasis wurde in allen Bereichen als sehr niedrig oder niedrig bewertet und der Einfluss auf die kurzfristige Sterblichkeit wurde als gering oder nicht vorhanden angesehen. In der Schlussfolgerung kamen die Autor:innen zu dem Ergebnis, dass die wissenschaftliche Basis sehr limitiert sei und dass die Ergebnisse zurückhaltend zu bewerten seien.

Auf dem Boden der Empfehlungen des Expert:innenpanels wurden zwei weitere Beobachtungsstudien identifiziert, die sich mit der Qualifikation von Pflegefachpersonen und dem Behandlungsergebnis beschäftigen [1, 2].

Durch die Expert:innen wurde eine Veröffentlichung mit Strukturvorgaben der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin e. V. (DIVI) genannt, die von Leistungsbereichen unabhängige Empfehlungen zur Fachweiterbildung von Pflegefachpersonen in allen Stufen der Intensivmedizin (I–III) gibt [48]. Originaldaten zur Beantwortung der Fragestellung beinhaltet diese Veröffentlichung nicht und die Untersuchung der referenzierten Arbeiten war ergebnislos.

Umfrage unter internationalen Expert:innen des VASCUNET und ICVR

Insgesamt sind 35 Expert:innen des VASCUNET und ICVR angeschrieben worden. Spezifische internationale Literatur oder Leitlinienempfehlungen zur Fragestellung waren den Adressaten nicht bekannt. Bis zum Abschluss des Verfahrens haben insgesamt 3 Expert:innen berichtet, dass entsprechende Mindestquoten gelten würden (England, Neuseeland, Schweiz). In England (10,5 Intensivbetten pro 100.000 Einwohner) existiert eine Empfehlung der Faculty of Intensive Care Medicine gemeinsam mit der Intensive Care Society, wonach in Level-2- und Level-3(Critical Care)-Intensivstationen mindestens 50 % der Pflegefachpersonen einen berufserweiternden akademischen Abschluss in Critical Care Nursing besitzen müssen. In Neuseeland (3,6 Intensivbetten pro 100.000 Einwohner) wurden durch den zuständigen Pflegeverband Standards erlassen, wonach mindestens 50 % (und optimalerweise 75 %) der Pflegefachpersonen qualifizierte Critical Care Nurses sein müssen. Im Falle einer Nichterreichung der 50 %-Quote werden zusätzliche personelle Unterstützungen und Förderprogramme gefordert. In der Schweiz (11,8 Intensivbetten pro 100.000 Einwohner) wurde durch die Zertifizierungskommission Intensivstation der Schweizerischen Gesellschaft für Intensivmedizin verpflichtende Kriterien erlassen. Demnach muss mindestens ein Drittel der verlangten, minimalen Vollzeitstellenprozente des Pflegefachpersonals und eine am Bett tätige Pflegefachperson pro Schicht über das Diplom „Experte in Intensivpflege NDS HF“ oder eine gleichwertige Ausbildung verfügen.

Vorbereitende Fokusgruppendiskussion

Bei der Fokusgruppendiskussion wurden die Methodik sowie der für das Delphi-Verfahren relevante Inhalt der Qualitätssicherungsrichtlinie des G‑BA und das Ergebnis der narrativen Literaturrecherche vorgestellt. Die Teilnehmenden brachten im Anschluss verschiedene Argumente vor, die für die Bewertung der zentralen Fragestellung von potenzieller Relevanz waren (Tab. 1).

Tab. 1 Erfasste Argumente und Erwägungsgründe während der Fokusgruppendiskussion

Delphi-Runde 1

Zur Teilnahme an der ersten Delphi-Abstimmungsrunde wurden 36 Expert:innen eingeladen (Teilnahmequote 89 %, n = 32). Insgesamt wurden 8 Statements durch das Expert:innenpanel bewertet, wobei 4 Statements mit über 80 % Zustimmung bewertet wurden (Abb. 1):

  • Die Festlegung der Fachweiterbildungsquote (50 %) erfolgte im Jahr 2008 auf der Basis von Expert:innenmeinungen ohne empirische Evidenz. (Zustimmung: 88 %)

  • Eine Neubewertung der Fachweiterbildungsquote unter der Annahme geänderter Rahmenbedingungen […] erscheint sinnvoll. (Zustimmung: 97 %)

  • Strukturvorgaben zur Fachweiterbildung der Pflegefachpersonen von Intensivstationen sollten unabhängig von spezifischen Leistungsgruppen […] für alle Intensivbehandlungen gelten. (Zustimmung: 84 %)

  • Eine höhere Fachweiterbildungsquote ist mit einem besseren Behandlungsergebnis assoziiert. (Zustimmung: 82 %)

Abb. 1
figure 1

Abstimmungsergebnisse der ersten Runde des modifizierten Delphi-Verfahrens. Die Stellungnahmen wurden mit einer 4‑Punkt-Likert-Skala von „stimme ganz und gar nicht zu“ bis „stimme voll und ganz zu“ bewertet

Auf die Frage, welche Mindestquote für den Anteil an fachweitergebildeten Pflegefachpersonen festgelegt werden sollte, ergaben sich zwei Abstimmungscluster (30 und 50 %). Der Median der Abstimmung lag bei 31 % (Abb. 1).

Delphi-Runde 2

Zur Teilnahme an der zweiten Delphi-Abstimmungsrunde wurden 37 Expert:innen eingeladen (Teilnahmequote 89 %, n = 33). Die Erhöhung der Anzahl gegenüber der ersten Runde ergibt sich aus der verspäteten Benennung einer/eines Delegierten aus einem Pflegefachverband. Insgesamt wurden 7 Statements durch das Expert:innenpanel beurteilt, wobei 5 Statements mit über 80 % Zustimmung bewertet wurden (Abb. 2):

  • Die DIVI ist die repräsentative ärztliche und pflegerische Vereinigung für das zugrunde liegende Thema. (Zustimmung: 85 %)

  • Der G‑BA und alle weiteren zuständigen Gremien sollten unabhängig von spezifischen Behandlungen eine einheitliche und generelle Mindestquote für die Fachweiterbildung von Pflegefachpersonen in der Intensivmedizin über entsprechende Regelwerke einführen. (Zustimmung: 97 %)

  • Der Wegfall von Ausbildungs‑, Fort- und Weiterbildungsstätten wird zukünftig zu einer Verschärfung des Pflegenotstands führen. (Zustimmung: 88 %)

  • Die Mindestquote sollte sich aus der tatsächlich auf der zuständigen Intensivstation eingesetzten Anzahl an Vollkraftstellen (VK) errechnen. (Zustimmung: 91 %)

  • Vom Gesetzgeber sind geeignete Maßnahmen einzuleiten, um die notwendige Datenbasis zu schaffen und die konsequente Erhöhung der Fachweiterbildung zu überprüfen. (Zustimmung: 91 %)

Abb. 2
figure 2

Abstimmungsergebnisse der zweiten Runde des modifizierten Delphi-Verfahrens. Die Stellungnahmen wurden mit einer 4‑Punkt -Likert-Skala von „stimme ganz und gar nicht zu“ bis „stimme voll und ganz zu“ bewertet

Auf die Frage, welche Mindestquote für den Anteil an fachweitergebildeten Pflegefachpersonen festgelegt werden solle, ergab sich ein Median von 30 %. Mit einer Zustimmung in Höhe von 79 % der Expert:innen verfehlte der von der DIVI vorgeschlagene Kompromissvorschlag die erforderliche Konsensgrenze – wobei die restlichen 21 % der Teilnehmer in diesem Fall („kein eindeutiger Konsens“) für eine höhere Fachweiterbildungsquote von 50 % votierten (Abb. 2).

Delphi-Runde 3

Zur Teilnahme an der dritten Delphi-Abstimmungsrunde wurden 37 Expert:innen eingeladen (Teilnahmequote 89 %, n = 33). Der von der DIVI vorgeschlagene Kompromiss erreichte in dieser Runde eine Zustimmung in Höhe von 84,9 % (Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Abstimmungsergebnisse der dritten Runde des modifizierten Delphi-Verfahrens. In grüner Farbe: Anteil der Teilnehmer:innen, die den Kompromissvorschlag angenommen haben. In roter Farbe: Anteil der Teilnehmer:innen, die den Kompromissvorschlag abgelehnt haben

Diskussion

In diesem modifizierten Delphi-Verfahren mit 37 Expert:innen wurde die Fragestellung diskutiert, welche Mindestquote für die Fachweiterbildung von Pflegefachpersonen der Intensivstation bei der Behandlung des BAA gefordert werden sollte.

Derzeit existieren nach GKV-Recht für Pflegefachpersonen der Intensivstation verbindliche Mindestquoten lediglich für die Leistungsbereiche BAA (50 %), minimal-invasive Herzklappenintervention (25 %) und Neonatologie (40 %). Die Festlegung der Quote für den in diesem Delphi-Verfahren relevanten Leistungsbereich erfolgte bei dem Inkrafttreten der Richtlinie im Jahr 2008 auf dem Boden indirekter Evidenz und Expert:innenmeinungen. Damit ist gemeint, dass keine vergleichende Datenbasis aus Beobachtungs- oder interventionellen Studien verfügbar war, die für die Untersuchung eines direkten Zusammenhangs zwischen der Fachweiterbildungsquote und passenden Endpunkten geeignet war. Die beteiligten Expert:innen haben vor dem Hintergrund der mittlerweile geänderten Versorgungsrealität eine Reevaluation und Anpassung als notwendig erachtet.

In der zusammenfassenden Beurteilung aller Erwägungsgründe und Argumente der beteiligten Expert:innen hat das Panel eine schichtbezogene Mindestquote in Höhe von 30 % der Pflegefachpersonen sowie die Einführung geeigneter Förderprogramme zur langfristigen Erhöhung der Quote auf mindestens 50 % empfohlen. Dabei wurde mit großer Zustimmung auch betont, dass derartige Struktur- und Prozessqualitätsparameter grundsätzlich nicht individuell für einzelne Leistungsbereiche, sondern generell für alle Intensivbehandlungen gelten sollten. Die Mindestquote sollte sich dabei aus der tatsächlich auf der zuständigen Intensivstation eingesetzten Anzahl an Vollkraftstellen errechnen. Als zentraler Ausgangspunkt vieler Diskussionen galten dabei die ehemals auf 50 % festgelegte Quote und der Umstand, dass diese Quote durch die DIVI auch 14 Jahre nach der Einführung der Richtlinie als „aktuell nicht zeitnah umsetzbar“ bewertet wurde [48]. Interessant ist diese Feststellung vor dem Hintergrund, dass andere Länder bereits derartige Quoten eingeführt haben. Allerdings gelten die Vorgaben dort unbeschränkt für alle Intensivbehandlungen und die einwohnerbezogene Anzahl an Intensivbetten ist nach Angaben der OECD um den Faktor 3 (Schweiz, Neuseeland) bis 10 (England) niedriger als in Deutschland. Gleichermaßen haben insbesondere die Expert:innen aus den Bereichen Gefäßchirurgie und Radiologie betont, dass die überwiegende Mehrheit der elektiven Fälle heutzutage mittels EVAR behandelt wird. In aktuellen Analysen von Krankenkassen- und Registerdaten beträgt der Anteil heutzutage demnach bis zu 80 %, während in der Zeit der Einführung der Richtlinie noch etwa 41 % der elektiven Fälle und 77 % der Rupturen offen-chirurgisch behandelt wurden [9, 14]. Interessanterweise wird dieses Verfahren in den gängigen Praxisleitlinien nicht mehr als Hochrisikoeingriff bewertet und führt nur noch in 60 % zu einer postinterventionellen Intensivbehandlung [27, 41]. Es muss allerdings festgehalten werden, dass die Expert:innen auch auf dem Boden indirekter Evidenz, z. B. zum Pflegeschlüssel oder Qualifikationsmaßnahmen, eine höhere Quote grundsätzlich begrüßen. Der hier festgelegte Konsens entspricht somit dem Kompromiss aus erwartbarer Effektivität und Umsetzbarkeit.

Kritisch gesehen wurde die Tatsache, dass die Krankenhäuser und das Gesundheitssystem in Deutschland bereits seit der Einführung der Richtlinie im Jahr 2008 nicht in der Lage waren, die Voraussetzungen für deren flächendeckende Erfüllung sicherzustellen. Durch den sich zuspitzenden Fachkräftemangel, ungünstige Motivatoren und den potenziellen Wegfall weiterer Aus- und Weiterbildungsstätten erscheine es unwahrscheinlich, dass zeitnah flächendeckend höhere Quoten erreichbar sind. Vom Gesetzgeber sind nach Ansicht des Expert:innenpanels daher geeignete Maßnahmen einzuleiten, um die notwendige Datenbasis zu schaffen und die Erhöhung der Fachweiterbildung zu fördern.

Ein erster Schritt wäre die Analyse der Qualitäts- und Versorgungsdaten, die z. B. durch das INEK oder DIMDI vorgehalten werden. Aber auch die wissenschaftliche Auswertung und ggf. Erweiterung der Datenerhebungen des DIGG sowie der Medizinischen Dienste könnten helfen, den Erfolg der eingeleiteten Maßnahmen mittelfristig zu evaluieren.

Vor dem Hintergrund der unzureichenden direkten Evidenzbasis zur Fragestellung ist die Generierung von Empfehlungen durch Expert:innenmeinungen die beste verfügbare Alternative. Hierbei ist allerdings zu betonen, dass Expert:innenmeinungen auch in strukturiert erhobener Form grundsätzlich von der Zusammensetzung des Panels beeinflusst werden [47]. Obwohl Maßnahmen zur Einbeziehung aller relevanten Fachbereiche, unterschiedlicher Krankenhausträger und Schnittstellenbereiche unternommen wurden, ist eine Verzerrung nicht auszuschließen. Durch eine transparente Dokumentation, Kommunikation und anonymisierte Kommentierung des Verfahrens soll sichergestellt werden, dass alle Meinungen und Argumente vom Panel diskutiert werden.

Die sinkende Prävalenz des BAA führt bei den etwa 500 beteiligten Kliniken zwangsläufig zu einer Konkurrenzsituation, der durch Zentralisierungsvorhaben zusätzlich Vorschub geleistet wird. Es erscheint daher naheliegend, dass Einrichtungen verschiedener Versorgungsstufen, insbesondere im Bereich der Intensivmedizin, unterschiedliche Sichtweisen auf diese Fragestellungen haben. Allerdings ist der Pflegekräftemangel vermutlich in strukturschwachen Regionen der Flächenversorgung weniger ein Problem als in Metropolregionen mit bettenreichen intensivmedizinischen Abteilungen. Diese komplexe Interessenlage bei den Versorgungseinrichtungen erfasst dabei nur im Ansatz die zentralen Interessen der betroffenen Patient:innen und Angehörigen, die naheliegenderweise eine möglichst hohe bzw. vollständige Fachweiterbildungsquote einfordern. In jedem Fall erscheint es notwendig, alle Perspektiven einzubeziehen. Auch die Sichtweise der für die Berufsqualifizierung und Fortbildung verantwortlichen Pflege- und Pflegeforschungsverbände gewähren Einblicke, die in diesem Expert:innenverfahren einen wichtigen Stellenwert hatten und die prozedurfokussierte Perspektive ergänzen konnten.

Die rasche Verbreitung endovaskulärer zunehmend weniger invasiver Techniken und die Verfügbarkeit besserer ambulanter Nachsorgestrukturen hatte bereits in den vergangenen Jahren deutliche Auswirkungen auf die Behandlung des BAA. Die alleinige Fokussierung qualitätssichernder Maßnahmen auf die intensivmedizinischen Aspekte dieser prophylaktischen Gefäßintervention erscheint daher anachronistisch und gibt Anlass zu Diskussionen [21]. Auf der anderen Seite ist etwa die technisch herausfordernde und mit höheren Komplikationsraten assoziierte komplexe endovaskuläre Behandlung thorakoabdomineller Aortenerkrankungen oder des Aortenbogens nicht reguliert, was die Notwendigkeit der Überprüfung der in der QBAA-RL festgelegten Fachweiterbildungsquote und insbesondere die Forderung nach leistungsgruppenübergreifenden Quoten zusätzlich unterstreicht.

In einer ersten vorübergehenden Maßnahme und als Reaktion auf die Gefährdung der flächendeckenden Versorgungssicherheit hat der G‑BA am 16.11.2023 einen Beschluss über eine Änderung der QBAA-RL erlassen, nach dem die 5‑jährige Erfahrung in der Intensivmedizin bis Ende 2024 wieder anstelle der Fachweiterbildung treten kann. Es bleibt abzuwarten, inwiefern die Ergebnisse des Delphi-Verfahrens weitere Beschlüsse anstoßen werden.

Schlussfolgerung

In diesem nationalen Delphi-Verfahren mit ärztlichen und pflegerischen Expert:innen sowie Patientenvertreter:innen wurde der grundsätzliche Nutzen und Bedarf der beruflichen Fachqualifikation im Bereich der Intensivmedizin bestätigt. Die entsprechenden Mindestquoten für eine Fachweiterbildung von Intensivpflegefachpersonen sollten demnach ohne Einschränkung auf spezifische Leistungsgruppen generell gelten. Angesichts der zeitnah nicht realisierbaren Entspannung auf dem Arbeitsmarkt wurde durch das Expert:innenpanel eine schichtbezogene Mindestquote in Höhe von 30 % der Pflegefachpersonen auf der Intensivstation und die verpflichtende Einführung strukturierter und transparenter Förderprogramme zu deren langfristiger Erhöhung auf mindestens 50 % gefordert.

Fazit für die Praxis

  • Während die Behandlung des Bauchaortenaneurysmas kurz nach der Jahrtausendwende noch überwiegend offen-chirurgisch durchgeführt wurde, macht der Anteil an katheterbasierten endovaskulären Verfahren bei der elektiven Behandlung heute bis zu 80 % aus.

  • Im Jahr 2008 wurde eine Qualitätssicherungsrichtlinie des Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) zur Behandlung von Patient:innen mit Bauchaortenaneurysma erlassen, in der auch die Erreichung einer Fachweiterbildungsquote in Höhe von 50 % bei den Pflegefachpersonen der Intensivstation der Einrichtung gefordert wird.

  • Aufgrund der aktuellen Versorgungsrealität, der verfügbaren Evidenz und Expertenmeinungen empfiehlt das Expertenpanel die Einführung einer schichtbezogenen Mindestquote in Höhe von 30 % und die gleichzeitige Einführung strukturierter, transparenter und aktiver Förderprogramme zur langfristigen Erhöhung der Quote auf mindestens 50 %.

  • Anforderungen an die Struktur- und Prozessqualität von Intensivstationen sollten nicht individuell für einzelne Leistungsgruppen, sondern für die Intensivmedizin insgesamt gelten.

  • Es existiert indirekte Evidenz für einen Zusammenhang zwischen dem Skill-Mix des Pflegeteams der Intensivstation und einem besseren Behandlungsergebnis. Eine direkte oder hochwertige Evidenzbasis für einen Zusammenhang zwischen der Fachweiterbildung und dem Behandlungsergebnis existiert bisher nicht, sodass Empfehlungen auf dem Boden von Expertenmeinungen generiert werden müssen.

  • Die Krankenhäuser haben es seit 2008 nicht geschafft, entsprechende Programme umzusetzen. Die Erreichung einer Mindestquote in Höhe von 50 % erscheint weiterhin aktuell nicht zeitnah umsetzbar.

  • Die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) ist die ärztliche und pflegerische Vertretung für das Thema der beruflichen Qualifikation in der Intensivmedizin.

  • Die Anpassung der Mindestquote sollte durch umfassende Maßnahmen von Politik, Gesundheitswirtschaft und Regulation begleitet werden, um eine Erhöhung der Verfügbarkeit von fachweitergebildeten Pflegefachpersonen zu erreichen.