1. Präambel und Ziel

Im ersten Teil des Positionspapiers der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) wurden konsensbasierte strukturierte Empfehlungen zur Erfassung und zum apparativem Monitoring des Ernährungsstatus von Patient:innen auf der Intensivstation (ITS) und Intermediate Care (IMC) Station gegeben [1]. Der zweite Teil ergänzt nun diese Empfehlungen um das laborchemische Monitoring der Makro- und Mikronährstoffzufuhr sowie um den Einsatz der indirekten Kalorimetrie im Rahmen der medizinischen Ernährungstherapie („medical nutrition therapy“, MNT). Ziel beider Positionspapiere ist es, im Sinne der DIVI-Mission 2030, und in Ergänzung zur aktuellen S2k-Leitlinie „Klinische Ernährung in der Intensivmedizin“ der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM) aus dem Jahr 2018 [2], Kompetenz und Qualität in der klinischen Durchführung der MNT weiterzuentwickeln. Auch in diesem zweiten Positionspapier werden ITS und IMC entsprechend der DIVI-Strukturempfehlungen definiert [3, 4], wobei die Empfehlungen zur Struktur und Ausstattung von Intensivstationen 2022 aktualisiert wurden [3]. In Bezug auf die Ernährungstherapie wird in diesen neuen Strukturempfehlungen empfohlen, dass „eine Mitarbeiter:in mit einer ernährungsmedizinischen Qualifikation mindestens arbeitstäglich zur Verfügung stehen sollte (Empfehlungsgrad 2C) und eine Mitbetreuung durch Ernährungsmediziner:innen oder Ernährungsfachkräfte bei speziellen Problemen, insbesondere in den höheren Versorgungsstufen 2 und 3, verfügbar sein sollte“ (Empfehlungsgrad 2C).

2. Methodisches Vorgehen und Konsensfindung

Im Rahmen eines Onlinesymposiums der DGEM in Zusammenarbeit mit der Sektion 4.3 Metabolismus und Ernährung der DIVI am 20./21.11.2020 wurde der Themenkomplex definiert und anhand der Präsentationsinhalte gemeinsam ein erster Textentwurf erstellt. Zwischenzeitlich erfolgte eine aktuelle Literatursuche anhand der auch für die Leitlinie verwendeten Schlüsselwörter und Suchstränge unter Einbeziehung nachfolgend publizierter Leitlinien. Der Textentwurf wurde den Sektionsmitgliedern am 31.01.2021 zur Durchsicht vorgelegt und nachfolgend in einer Onlinesitzung am 15.02.2021 strukturiert diskutiert. Dabei wurde festgelegt, den geplanten Inhalt auf 2 Positionspapiere aufzuteilen. Nach Publikation des ersten Positionspapiers folgten analog weitere Textüberarbeitungen dieses zweiten Positionspapiers im E‑Mail-Umlauf. Die abschließende Diskussion und Konsensusfindung erfolgte am 22.08.2022 online. Für die Empfehlungen bestand jeweils 100 %ige Zustimmung. Der überarbeitete Text wurde am 12.10.2022 zur finalen Durchsicht an die Sektionsmitglieder versandt. Am 17.11.2022 wurde die finale Version dem Präsidium der DIVI übermittelt und am 01.12.2022 verabschiedet.

3. Laborchemisches Monitoring des Ernährungsstatus

Die Bestimmung der Konzentrationen der hepatisch synthetisierten Proteine Albumin und Präalbumin im Serum gilt als „klassisch“ bei der Erhebung des Ernährungsstatus und ist außerhalb des intensivmedizinischen Kontextes in einigen Screeninginstrumenten ein weiterhin propagiertes Kriterium zur Erfassung einer Mangelernährung [5, 6]. Ein Zusammenhang besteht zwischen Inflammation und Malnutrition, jedoch nicht zwischen Malnutrition und viszeralem Proteingehalt. Bei kritisch kranken Patient:innen werden nach heutigem Verständnis Albumin- und Präalbuminkonzentrationen jedoch eher als Marker der Inflammation und des Ausmaßes der Homöostasestörung (bzw. des „capillary leak“) und nicht der Mangelernährung angesehen (vergleichbar mit dem Phasenwinkel der Bioimpedanzanalyse; [7]). Deswegen werden Albumin- und Präalbuminkonzentration auch nicht in der aktuellen DGEM-Definition der Mangelernährung berücksichtigt [8] und dienen – zusammen mit spezifischen Inflammationsmarkern – laut der Global Initiative of Malnutrition (GLIM) nur noch zur Diskriminierung des Schweregrads der Inflammation [5].

Empfehlung

Die Bestimmung der Albumin- und Präalbuminkonzentration im Serum bei Aufnahme kann zur Beurteilung des Ernährungsstatus nicht empfohlen werden.

4. Laborchemisches Monitoring der MNT

4.1 Phosphat

Eine ausreichende Phosphatversorgung ist zentrale Voraussetzung für eine normale Zellfunktion und eine Hypophosphatämie sollte – auch wenn spezifische Studien für kritisch Kranke fehlen – immer eine Substitution nach sich ziehen [9]. Gemäß der Empfehlung der DGEM-Leitlinie [2] und insbesondere basierend auf den Ergebnissen einer randomisierten multizentrischen Studie [10] sollte bei Auftreten einer Hypophosphatämie (< 0,65 mmol/l) als Surrogatmarker eines Refeedingsyndroms unter MNT – und Ausschluss anderer möglicher Ursachen – eine Reduktion der vorbestehenden Makronährstoffzufuhr (Kalorien und Proteine) erfolgen. Schwere Hypophosphatämien werden regelmäßig bei Patient:innen z. B. nach großen Operationen insbesondere herzchirurgischen Eingriffen, diabetischen Entgleisungen (Ausgleich Ketoacidose) oder pharmakologisch induziert (z. B. Diuretika) beobachtet [11,12,13,14]. Allerdings ist die Steuerung der Makronährstoffzufuhr anhand des Phosphatspiegels bei Patient:innen mit Nierenersatztherapie nicht möglich.

Die Serumphosphatkonzentration sollte somit in der Akutphase der kritischen Erkrankung sowie bei Verdacht auf Refeedingsyndrom ab Beginn der MNT einmal pro Tag bestimmt werden. Erst bei nicht mehr substitutionspflichtigen Phosphatkonzentrationen sollte die Makronährstoffzufuhr schrittweise täglich wieder gesteigert werden [2]. Das Messintervall kann dann verlängert werden, z. B. auf 2‑mal wöchentlich, wenn die metabolische Situation der Patient:innen stabil ist (z. B. nach erfolgreicher Fokussanierung) und keine engmaschigere Bestimmung mehr aufgrund anderer Indikationen (mechanische Nierenersatztherapie) als notwendig erachtet wird.

4.2 Magnesium

Magnesium spielt eine wichtige Rolle bei der Kontrolle der Herzfrequenz, der Muskelkontraktion und -relaxation, der nervalen Reizübermittlung und des vaskulären Tonus. Aus diesem Grund sollte auch eine Hypomagnesiämie korrigiert werden [15]. Eine Hypomagnesiämie kann auch im Zusammenhang mit einem Refeedingsyndrom auftreten und insbesondere einen paralytischen Ileus bzw. Herzrhythmusstörungen auslösen oder aggravieren. Andere Ursachen können speziell bei ITS-/IMC-Patient:innen intestinale oder renale Verluste bzw. endokrine oder pharmakologische Nebenwirkungen sein. Auch eine Malnutrition bzw. eine chronisch ungenügende Magnesiumzufuhr können zu einer Hypomagnesiämie führen. Magnesium sollte bei einem Risiko für ein Refeedingsyndrom, insbesondere wenn die Phophatkonzentration z. B. aufgrund eines Nierenersatzverfahrens nicht aussagekräftig ist, einmal täglich bestimmt werden. Auch hier kann das Messintervall dann verlängert werden, z. B. auf 2‑mal wöchentlich, wenn die metabolische Situation der Patient:innen stabil ist und generell keine engmaschigere Bestimmung aufgrund anderer, z. B. endokrinologischer oder kardiologischer Indikationen als notwendig erachtet wird.

4.3 Blutzucker

Bezüglich der anzustrebenden Konzentrationen lauten die älteren Empfehlungen der DGEM aus dem Jahr 2013 [16]: „Bei kritisch Erkrankten können Blutzuckerkonzentrationen zwischen 140–200 mg/dl (7,7–11,0 mmol/l) toleriert werden und es soll ein Zielwert von 110 mg/dl (6,1 mmol/l) nicht unterschritten werden.“ Eine Individualisierung nach der Ausgangs-HbA1c-Konzentration hat bisher keinen Vorteil gezeigt [17], bei Diabetes Typ II können jedoch nach neuesten Erkenntnissen möglicherweise auch höhere Konzentrationen (< 250 mg/dl bzw. < 13,9 mmol/l) toleriert werden [18, 19].

Die Steuerung der Insulintherapie bzw. MNT in Abhängigkeit der Blutzuckerkonzentrationen ist in Kap. 6 aufgeführt. Auf der ITS sollte die Glukosekonzentration in der Akutphase 4‑ bis 6‑mal pro Tag gemessen werden, in der Postakutphase und im IMC-Bereich 2‑ bis 3‑mal pro Tag, sofern keine engmaschigere Bestimmung aufgrund anderer Indikationen (hoher Insulinbedarf, schwere Hyper‑/Hypoglykämie) notwendig ist.

4.4 Triglyzeride

Hypertriglyzeridämien können bei Patient:innen auf der ITS/IMC mit Sepsis (defiziente Triglyzeridlipase) in Kombination mit einer Sedierung mittels Propofol, einer Zufuhr fetthaltiger Nährlösungen und/oder einer relativen Überernährung mit Kohlenhydraten auftreten. Eine (auch erworbene) Hypertriglyzeridämie ist immer Ausdruck einer Fettverwertungsstörung im Rahmen der VLDL1-VLDL2-IDL-LDL-Kaskade und die Hypertriglyzeridämie stellt einen relevanten Risikofaktor für eine akute Pankreatitis dar. Neuere Untersuchungen deuten darauf hin, dass ein signifikanter, wenn auch absolut nur geringer Anstieg des Risikos für eine Pankreatitis bereits zwischen 177 und 265 mg/dl bzw. 2,0 und 3,0 mmol/l zu beobachten ist [20, 21]. Darüber hinaus scheint eine Assoziation der Hypertriglyzeridämie mit der Entwicklung eines chronischen Nierenversagens zu bestehen [22, 23]. In kleineren (methodisch limitierten) Beobachtungsstudien konnte jedoch bei bis zu 440 mg/dl (5 mmol/l) keine Assoziation mit einem schlechteren Outcome gefunden werden [24]. Die ESPEN empfiehlt für kritisch Kranke aktuell, ab Konzentrationen > 500 mg/dl (5,6 mmol/l) eine Ursachenforschung bez. der Pathomechanismen (Hyperalimentation) einzuleiten [25], während die A.S.P.E.N. gegenwärtig einen oberen Grenzwert von 400 mg/dl (4,5 mmol/l) empfiehlt [26]. Die älteren DGEM-Empfehlungen hierzu lauten [16]: „In Akutsituationen (auch bei kritisch kranken Patient:innen) können Triglyzeridkonzentrationen bis zu 400 mg/dl (4,6 mmol/l) toleriert werden“. Wir würden diese Empfehlungen dahingehend modifizieren, dass bei kritisch Kranken mit akuter Pankreatitis nur noch Triglyzeridkonzentrationen bis zu 250 mg/dl (2,8 mmol/l) toleriert werden sollten.

Im Fall einer Hypertriglyzeridämie wird eine Reduktion der (parenteralen) Fettzufuhr solange empfohlen, bis wieder Konzentrationen < 400 mg/dl (< 4,6 mmol/l) bzw. < 250 mg/dl (< 2,8 mmol/l) bei Pankreatitis erreicht werden. Das Minimum einer ein- bis 2‑maligen Fettzufuhr/Woche sollte jedoch auf Dauer nicht unterschritten werden, um einem Mangel an essenziellen Fettsäuren vorzubeugen. Bei anhaltend hohen Triglyzeridspiegeln kann auch eine Reduktion der Kohlenhydratzufuhr sinnvoll sein. Auf der ITS/IMC sollte – in Anlehnung an das aktuelle ESPEN-Positionspapier „Monitoring nutrition in the ICU“ [25] – der Triglyzeridspiegel im Allgemeinen 2‑mal wöchentlich bestimmt werden; bei pathologischen Werten, speziellen Krankheitsbildern (akute Pankreatitis) und unter parenteraler Fettzufuhr (inklusive Sedierung mit Propofol) sind häufigere Kontrollen angezeigt (einmal pro Tag).

4.5 Serumharnstoff-Kreatinin-Quotient, Sarkopenie-Index und Harnstoff-Stickstoff-Verlust

Wie bereits im 1. Positionspapier beschrieben ist bei kritisch Kranken das laborchemische (und apparative) Monitoring der Muskelmasse in der klinischen Routine eingeschränkt [1]. Daher wird in der DGEM-Leitlinie im Wesentlichen auf die Therapiesteuerung anhand des Ruheenergieumsatzes (REU) und der metabolischen Toleranz mittels Insulinbedarf, Glukosekonzentration und Phosphat verwiesen (Kap. 6; [2]).

Sowohl der Harnstoff-Kreatinin-Quotient als auch der sog. Sarkopenie-Index können neben der Beurteilung der Nierenfunktion als Marker der Katabolie eingesetzt werden [27,28,29,30,31,32,33]. Erhöhte Plasmakreatininkonzentrationen sind fast immer eine Folge einer verminderten glomerulären Filtrationsrate (GFR) und haben daher eine renale Ursache. Erniedrigte oder normale Konzentrationen bei gleichzeitiger Nierendysfunktion deuten auf eine Abnahme der Muskelmasse hin. Erhöhte Harnstoffkonzentrationen sind in Abwesenheit einer renalen Dysfunktion Resultat einer erhöhten hepatischen Produktion durch ein hohes endogenes (Katabolie) oder exogenes (Protein‑/Aminosäurenzufuhr im Rahmen der MNT) Stickstoffangebot. Alternativ kann eine Nierenfunktionsstörung zu einer reduzierten renalen Harnstoffelimination und konsekutiven Konzentrationserhöhung führen [27,28,29,30,31,32,33].

Bedeutung des Harnstoff-Kreatinin-Quotienten (Normbereich bei Einheit mg/dl: 20–35):

  • 20–35: keine Katabolie und normale GFR;

  • < 20: verminderte Katabolie (Malnutrition, Leberdysfunktion), relativ zu niedrige Proteinzufuhr und/oder eingeschränkte GFR;

  • > 35: verstärkte Katabolie oder geringe Muskelmasse, relativ zu hohe Proteinzufuhr oder verringerte renale Harnstoffelimination.

Eine zuverlässige Korrelation zwischen dem Harnstoff-Kreatinin-Quotienten und dem Ausmaß der Katabolie ist somit nur in Abwesenheit einer klinisch relevanten renalen Dysfunktion (AKI-Stadium 0) zu erwarten.

Um dieses Problem zu umgehen, kann der sog. Sarkopenie-Index berechnet werden als:

  • Serumkreatinin × 100/Serum-Cystatin‑C.

Dieser Index bietet eine objektivere Alternative zur Vorhersage und ggf. zum Monitoring des Ausmaßes der Katabolie bzw. der Muskelmasse, auch in Verbindung mit den im ersten Positionspapier diskutierten bildgebenden Methoden [1]. Ein niedriger Sarkopenie-Index ist mit einer geringeren Muskelmasse assoziiert und kann auch – wenn bereits bei Aufnahme auf eine ITS/IMC gemessen – als prognostischer Marker eingesetzt werden. Erforderlich ist allerdings die Messung der Cystatin-C-Konzentration im Serum.

In der ESPEN-Leitlinie wird darüber hinaus bei adipösen Intensivpatient:innen die Steuerung der Proteinzufuhr anhand des Harnstoff-Stickstoff-Verlusts im Urin empfohlen [34]. Allerdings ist aufgrund des methodischen Aufwands in der klinischen Praxis und unsicherer Relevanz hinsichtlich des klinischen Effekts [35, 36] der Evidenzgrad für diese Empfehlung gering (Expertenmeinung der ESPEN-Leitlinien-Gruppe).

Empfehlung

  • Auf der ITS/IMC sollte die Phosphat- und die Magnesiumkonzentration einmal täglich bestimmt werden, sofern keine engmaschigere Bestimmung aufgrund anderer Indikationen als notwendig erachtet wird.

  • Auf der ITS sollte die Glukosekonzentration in der Akutphase 4‑ bis 6‑mal pro Tag gemessen werden, in der Postakutphase und auf der IMC 2‑ bis 3‑mal pro Tag, sofern keine engmaschigere Bestimmung aufgrund anderer Indikationen notwendig ist.

  • Auf der ITS/IMC sollte in der Akutphase der Triglyzeridspiegel 2‑mal pro Woche gemessen werden, sofern keine engmaschigere (tägliche) Bestimmung aufgrund bereits erhöhter Triglyzeridspiegel, spezieller Grunderkrankungen (akute Pankreatitis) oder zusätzlicher parenteraler Fettzufuhr (inklusive Propofol) notwendig ist.

  • Bei Patient:innen mit vorbestehender Malnutrition oder Sarkopenie, einer voraussichtlichen Behandlungsdauer ≥ 7 Tage, und in Abwesenheit einer klinisch relevanten renalen Dysfunktion, kann zur Verlaufsbeurteilung der Katabolie/Muskelmasse bzw. Steuerung der Proteinzufuhr der Harnstoff-Kreatinin-Quotient regelmäßig (z. B. 2‑mal/Woche) bestimmt werden. Bei Patient:innen mit renaler Dysfunktion kann ersatzweise der Sarkopenie-Index verwendet werden.

4.6 Mikronährstoffe

Mikronährstoffe umfassen Spurenelemente sowie wasser- und fettlösliche Vitamine, die in einzelnen Organen und Kompartimenten in sehr unterschiedlichen und präzise geregelten Konzentrationen mit unterschiedlichen Eigenschaften und Wirkmechanismen vorkommen.

Bei Gesunden ist relativ gut belegt, welche Mengen an Mikronährstoffen im Rahmen einer natürlichen Ernährung aufgenommen werden sollten, entsprechende Referenzwerte finden sich auf der Webseite der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE; [37]). Tab. 1 gibt eine Übersicht zu verschiedenen Richtwerten.

Tab. 1 Übersicht zu Richtwerten des Mikronährstoffbedarfs bei gesunden Erwachsenen unter bilanzierter enteraler Ernährung und zum Gehalt in handelsüblichen Präparaten. (Modifiziert nach [38])

Veränderungen des Mikronährstoffhaushalts resultieren bei kritisch kranken Patient:innen

  • als direkte Folge der akuten Homöostasestörung;

  • als Nebenwirkung bestimmter Pharmaka (z. B. Diuretika, Protonenpumpeninhibitoren);

  • als indirekte Folge der Therapie mittels extrakorporaler Verfahren (kontinuierliche Nierenersatztherapie, extrakorporale Membranoxygenierung), die insbesondere mit Verlusten der wasserlöslichen Vitamine, der fettlöslichen Vitamine A und D sowie von Kupfer und Eisen einhergehen [39,40,41,42,43,44].

Darüber hinaus kann ein Mikronährstoffdefizit bereits unabhängig von der kritischen Erkrankung vorliegen, z. B. bei vorbestehender Mangelernährung.

Für kritisch kranke Patient:innen ist neben der rein prognostischen Relevanz niedriger Mikronährstoffspiegel die therapeutische Relevanz einer regelmäßigen Plasmaspiegelbestimmung für die meisten Mikronährstoffe (speziell Vitamine) bislang nicht eindeutig geklärt [38]. Die Bestimmung in den klinisch verfügbaren Materialien (meistens Vollblut, Serum oder Plasma) weist zudem methodische Schwierigkeiten auf (speziell intrazellulär, Ex-vivo-Degradierung von UV-/thermo-/pH-labilen Mikronährstoffen) bzw. sind entsprechende Verfahren in der klinischen Routine oft nicht verfügbar.

Aus sequenziellen Untersuchungen ist bekannt, dass die Konzentration der Mikronährstoffe im Plasma hohen Schwankungen unterliegt und sich innerhalb weniger Stunden sehr stark ändern kann. Die Akutphasereaktion der systemischen Inflammation kann die Plasmaspiegel von Mikronährstoffen im Sinne einer inflammatorisch getriggerten Umverteilungsreaktion relevant verändern, vermittelt dadurch, dass einige Vitamine und Spurenelemente nicht frei im Plasma sondern an Bindungsproteinen gekoppelt vorliegen und typischerweise diese Bindeproteine und zudem Albumin oft erniedrigt sind [45]. Darüber hinaus scheint die Messung von sog. Surrogatmarkern, wie beispielsweise des Selenoproteins oder der Glutathionperoxidaseaktivität, eher den Mikronährstoffstatus bzw. dessen biologische Aktivität widerzuspiegeln als die Konzentration des Spurenelements Selen im Vollblut und Plasma selbst [46].

Ebenso ungeklärt ist die Höhe der Mikronährstoffzufuhr bei kritisch Kranken, vor allem im Hinblick auf den Zeitpunkt des Beginns, auf die Dosierung und Dauer, und auf die Selektion geeigneter Patient:innen. Bei einem veränderten Mikronährstoffhaushalt sind aus klinischer Sicht also 4 Handlungsmuster denkbar:

  • klinische Toleranz (Hinweis auf eine endogene vorteilhafte adaptive Reaktion) unter Ignoranz der Plasmakonzentration;

  • Substitution (Korrektur von Mikronährstoffdefiziten) entweder individuell (nach Spiegelbestimmung bis zum Erreichen der normalen Konzentration) oder krankheitsbezogen (ohne Spiegelbestimmung unter der Annahme eines krankheitsbezogenen universellen Mangels);

  • krankheitsbezogene oder individuelle (Hochdosis‑)Pharmakotherapie (Erreichen supranormaler Konzentrationen) mit dem zusätzlichen, jedoch bis heute weitgehend putativen Ziel einer Optimierung der Stoffwechselleistung (z. B. Reduktion von oxidativem Stress, Verbesserung der körpereigenen immunologischen Kompetenz) bzw. Prävention von Organdysfunktionen;

  • Betrachtung als Indikatorvariable und Ableitung einer Handlungskonsequenz auf einem anderen Gebiet entsprechend der Mikronährstoff-Plasmakonzentration.

In Analogie zu Gesunden empfiehlt die DGEM-Leitlinie, dass Vitamine und Spurenelemente bei kritisch Kranken dann substituiert werden sollten, wenn mit einer enteralen Ernährung der Tagesbedarf Gesunder nicht gedeckt werden kann oder wenn eine (supplementäre) parenterale Ernährung notwendig ist (krankheitsbezogene Zufuhr ohne Individualisierung). Insbesondere eine parenterale Ernährung ohne Mikronährstoffe kann das Risiko einer unzureichenden Zufuhr erhöhen und soll somit immer die intravenöse Substitution von Spurenelement- und Multivitaminpräparaten beinhalten [2].

2022 wurde die ESPEN-Leitlinie „Mikronährstoffe“ [38] publiziert, in der sich detaillierte Informationen zu allen Mikronährstoffen und krankheitsbezogene Empfehlungen zu Diagnostik und Therapie finden. Tab. 2 stellt die Empfehlungen aus dieser Leitlinie für kritisch kranke Patient:innen den Empfehlungen zu Mikronährstoffen der DGEM-Leitlinie Intensivmedizin 2018 [2] gegenüber. Zusätzlich geben wir in dieser Tabelle unter Berücksichtigung beider Leitlinien und nachfolgend publizierter RCT und systematischer Reviews und Metaanalysen (SRMA) aktualisierte Vorschläge zu den DGEM-Empfehlungen.

Tab. 2 Empfehlungen der DIVI-Sektion zur krankheitsbezogenen bzw. individuellen (Spiegelbestimmung) Substitution und (Hochdosis‑)Pharmakotherapie von Mikronährstoffen bei kritisch Kranken

4.7 Glutamin

Die Aminosäure Glutamin erfüllt grundlegende Funktionen im Intermediärstoffwechsel als Transportmolekül für andere Aminosäuren im „Interorgansubstratfluss“, als Vorstufe für verschiedene Biosyntheseprozesse einschließlich der Immunantwort und als Energiesubstrat für Zellen mit hoher proliferativer Aktivität wie Darmepithelzellen. Sowohl niedrige (< 400 µmol/l) als auch sehr hohe Glutaminspiegel (> 930 µmol/l) im Serum haben konkordant zu Mikronährstoffspiegeln prinzipiell eine prognostische Relevanz [52]. Eine Pharmakotherapie mit Glutamin wird laut DGEM-Leitlinie nur für Patient:innen auf der ITS/IMC mit Indikation für eine (rein) parenterale Ernährung und ohne Multiorgandysfunktion bzw. renale oder hepatische Dysfunktion empfohlen, eine enterale Glutaminpharmakotherapie dagegen nicht [2]. Während in der DGEM-Leitlinie diesbezüglich keine Spiegelbestimmung empfohlen wird, gibt die ESPEN dagegen in einem Positionspapier Empfehlungen zur Spiegelbestimmung bei selektierten Patient:innen mit parenteraler Ernährung, kontinuierlicher Nierenersatztherapie, und Verbrennungen unter Einsatz eines nicht in Deutschland verfügbaren Point-of-Care-Analysegeräts [25]. Unter Beachtung der fachinformationskonformen Dosierung und der Gegenanzeigen und nicht zuletzt auch aufgrund des hohen methodischen Aufwands halten wir jedoch eine Messung der Plasmaglutaminspiegel nach wie vor für nicht erforderlich.

Empfehlung

  • Der Plasma-Cu-Spiegel sollte bei Patient:innen mit schweren Verbrennungen, mechanischer Nierenersatztherapie > 2 Wochen und langfristiger PE bestimmt werden.

  • Der Plasmazinkspiegel sollte bei Patient:innen mit erhöhten GI-Verlusten und Verbrennungen regelmäßig, bei langfristiger PE alle 6–12 Monate bestimmt werden.

  • Der Vitamin-D-Spiegel (Serum-25[OH]D) kann bei allen Patient:innen mit Risiko für Mangelernährung oder Vitamin-D-Mangel bei Aufnahme auf die ITS/IMC bestimmt werden.

  • Der Selenspiegel kann bei langfristiger PE bestimmt werden.

  • Eine Spiegelbestimmung anderer Mikronährstoffe kann nicht empfohlen werden.

  • Eine Spiegelbestimmung von Glutamin kann nicht empfohlen werden.

5. Bestimmung des Energieumsatzes

Zur Bestimmung des Ruheenergieumsatzes (REU) und somit des kalorischen Ziels im Rahmen der MNT sollte die indirekte Kalorimetrie eingesetzt werden, so lautet die einstimmige Empfehlung aller aktuellen intensivmedizinischen Leitlinien (inter‑)nationaler Ernährungsgesellschaften [2, 34, 53, 54].

Alter, BMI und Geschlecht sind unabhängige Determinanten des REU [55]. Der REU kritisch Kranker ist auch nicht konstant, sondern dynamisch und weist je nach Phase bzw. Art und Schwere der kritischen Erkrankung (z. B. Sepsis oder septischer Schock, Verbrennung oder Trauma) hohe intra- und interindividuelle Schwankungen auf. Bei beatmeten COVID-19-Patient:innen zeigte sich in einer kleinen Fallstudie ein persistierender Hypermetabolismus mit phasenweiser Steigerung des Ruheenergieumsatzes [55]. Eine solche Dynamik lässt sich mit anthropometrischen Schätzformeln zur Kalkulation des REU nicht abbilden. Allein die Messung mittels indirekter Kalorimetrie ermöglicht es, diese Schwankungen im REU korrekt zu erfassen. Die Methodik der indirekten Kalorimetrie erlaubt zudem durch die gleichzeitige Messung von CO2-Produktion (VCO2) und O2-Verbrauch (VO2) sowie die Berechnung des respiratorischen Quotienten (RQ) eine grobe Abschätzung der vorwiegend oxidativ utilisierten Energieträger (Fettsäuren vs. Kohlenhydrate; Tab. 3).

Tab. 3 Grundlagenwissen indirekte Kalorimetrie [59]

Der Nutzen einer individuellen Steuerung der MNT anhand des gemessenen REU konnte allerdings wissenschaftlich bisher nicht eindeutig belegt werden. So divergieren auch die Ergebnisse aktueller Metaanalysen bez. des Effekts auf klinische Endpunkte bei Einsatz der indirekten Kalorimetrie in der Akutphase der kritischen Erkrankung [56,57,58]. In allen Studien, die bisher die klinische Relevanz der indirekten Kalorimetrie untersuchten, erfolgte zwar eine Individualisierung anhand des REU, jedoch nicht anhand der individuellen metabolischen Toleranz. Diese Limitierung könnte die Vorteile der MNT-Steuerung nach gemessenem REU aufgehoben haben. Besonders zu betonen ist also, dass speziell in der Akutphase einer kritischen Erkrankung der REU nicht als das in jedem Fall anzustrebende kalorische Ziel interpretiert werden sollte (exogene Energiezufuhr als Ersatz von endogen utilisierten Substraten im Verhältnis 1:1). Die Energiezufuhr sollte sich somit neben dem REU auch an den Möglichkeiten des Organismus orientieren, exogene Nährstoffe verwerten zu können. Daher wird – je nach individueller metabolischer Toleranz – oft nur ein gewisser Prozentsatz des tatsächlich gemessenen REU (30–50 %, 50–70 % oder 70–100 %) konkret als Kalorien zugeführt werden können.

Von einem besonderen Nutzen der indirekten Kalorimetrie ist auch bei Adipositas (BMI > 30 kg/m2) auszugehen, da hier die alternative Bestimmung des REU mittels Schätzformel einer „doppelten Ungenauigkeit“ unterliegt, indem ggf. zusätzlich eine Näherungsformel zur Bestimmung des Idealgewichts/adjustierten Körpergewichts zur Anwendung kommen muss [2, 34, 60].

Nur wenn eine indirekte Kalorimetrie nicht zur Verfügung steht oder messtechnische bzw. patient:innenseitige Limitationen bez. des Einsatzes der indirekten Kalorimetrie vorliegen (Tab. 3), wird in der DGEM-Leitlinie eine körpergewichts- bzw. BMI-bezogene Schätzung des Energieumsatzes empfohlen [2].

Tab. 4 zeigt eine Checkliste zur Durchführung der kalorimetrischen Messung in der klinischen Praxis. Bei der aktuellen Generation von Kalorimetriegeräten sind einige Nachteile älterer Geräte, insbesondere die Notwendigkeit einer aufwändigen Kalibrierung und der erhebliche Bedienaufwand bei nur mangelnder Genauigkeit eliminiert. Auch sind diese neueren Geräte nicht mehr nur als „Stand-alone“-Systeme verfügbar, sondern können in existierende Monitoringsysteme integriert werden.

Tab. 4 Checkliste zur validen Messung des Ruheenergieumsatzes mittels indirekter Kalorimetrie in der Praxis. (Modifiziert nach [61])

Empfehlung

Zur Bestimmung des Ruheenergieumsatzes sollte die indirekte Kalorimetrie idealerweise täglich, also ab dem Zeitpunkt der ITS-/IMC-Aufnahme, eingesetzt werden (unter Beachtung der messtechnischen Limitationen) insbesondere bei kritisch kranken Patient:innen mit

  • vorbestehender Malnutrition

  • einer voraussichtlichen Behandlungsdauer ≥ 7 Tage auf der ITS/IMC

  • bei Adipositas (BMI > 30 kg/m2).

6. Therapiesteuerung anhand der metabolischen Toleranz (Ausmaß des Insulinbedarfs)

Die DGEM-Leitlinie [2] empfiehlt eine Steuerung der MNT in allen Phasen der kritischen Erkrankung entsprechend des REU und der individuellen Fähigkeit, exogene Substrate verwerten zu können („metabolische Toleranz“). Als Surrogatmarker für Substratintoleranzen dient das Ausmaß der Insulinresistenz (unter der Voraussetzung normaler Magnesiumspiegel, da ein entsprechender Mangel intrinsisch die Insulinresistenz erhöhen kann). Kommt es in der Akutphase an einem bestimmten Tag ein- oder mehrmalig zu einem exzessiven Insulinbedarf (> 4 IE/h zur Aufrechterhaltung einer Zielblutglukosekonzentration < 200 mg/dl bzw. < 11 mmol/l [Diabetes II: < 250 mg/dl bzw. < 13,9 mmol/l]), sollte eine Reduktion der aktuell praktizierten exogenen Substratzufuhr durchgeführt werden. Das Ausmaß der Reduktion richtet sich nach der Höhe des individuellen Insulinbedarfs. Optimale Schwellen sind nicht bekannt, die Empfehlungen orientieren sich an den Beobachtungen in der Praxis (speziell am durchschnittlichen Insulinbedarf). Bei nicht beherrschbarer Intoleranz kann eine komplette Unterbrechung der Kalorienzufuhr bzw. eine dann notwendige weitere Steigerung der Insulinzufuhr nötig sein, um die Blutzuckerkonzentration in den Toleranzbereich zu bringen. Abb. 1 zeigt ein entsprechendes Schema zur Steuerung der Substratzufuhr in Abhängigkeit vom kalorischen Ziel (= REU). Es wird darauf hingewiesen, dass die Empfehlungen für Patient:innen mit vorbestehendem Diabetes mellitus Typ II aus Sicht des Toleranzbereichs für die Blutzuckerkonzentration [62] eine Modifikation der ursprünglichen DGEM-Leitlinie [2] darstellen. Eine Extrapolation auf Patient:innen mit Diabetes mellitus Typ I ist bisher nicht möglich.

Abb. 1
figure 1

Das Ziel ist die Aufrechterhaltung einer Blutzuckerkonzentration < 200 mg/dl (Diabetes mellitus II: < 250 mg/dl). Der Tag 0 bezieht sich auf den Tag der Homöostasestörung. REU Ruheenergieumsatz

Sind sowohl der Insulinbedarf erhöht als auch die Phosphatkonzentration erniedrigt (vgl. oben), dominiert die Steuerung der Substratzufuhr anhand des Parameters, der die stärkste absolute Veränderung der Zufuhrrate erfordert. Bei normaler Phosphatkonzentration dominiert die Steuerung der Substratzufuhr anhand des Insulinbedarfs.

7. Vorgehen in der Praxis

Zusammenfassend sollte bei Patient:innen mit vorbestehender Malnutrition, einem voraussichtlichen Aufenthalt ≥ 7 Tagen auf der ITS/IMC, und/oder bei adipösen Patient:innen (BMI > 30 kg/m2) die Indikation für eine serielle indirekte Kalorimetrie idealerweise täglich ab dem Zeitpunkt der Aufnahme gestellt werden (unter Beachtung der messtechnischen Limitationen). Ferner durchgeführt werden sollte eine Analyse des Insulinbedarfs vom Vortag und eine Bestimmung der Plasmaphosphatkonzentration.

Die Bestimmung von Mikronährstoffkonzentrationen und ggf. daraus abzuleitende therapeutische Maßnahmen orientieren sich an den Empfehlungen in Tab. 2 und erstrecken sich nicht auf alle kritisch Kranken.

Offen ist die Frage, inwieweit bei Risikopatient:innen mit einer personalisierten und optimierten MNT ein Muskelabbau komplett verhindert (und nicht nur minimiert) werden kann, um so das Behandlungsergebnis zu verbessern. Unklar ist bis heute ebenfalls die Optimierung der MNT im Hinblick auf immunologische und reparative Funktionen [2]. Grundvoraussetzung einer effektiven MNT ist immer, durch kausale Therapie die Signalketten zu unterbrechen, die die Katabolie von Seite des inflammatorischen/infektiösen Stimulus her auslösen [2].