JurPC Web-Dok. 12/2000 - DOI 10.7328/jurpcb/200015448

LG Berlin
Urteil vom 20.07.99 (nicht rechtskräftig)
Werbefinanziertes Telefonieren

15. O. 147/99

JurPC Web-Dok. 12/2000, Abs. 1 - 17


UWG § 1

Leitsatz (der Redaktion)

Unerbetene Telefonwerbung gegenüber Privaten ist grundsätzlich mit den guten Sitten unvereinbar und deshalb gemäß § 1 UWG wettbewerbswidrig.

Tatbestand

Der Kläger ist gerichtsbekannt. Satzungsgemäß verfolgt er u. a. Wettbewerbsverstöße, durch die Verbraucherinteressen berührt werden.JurPC Web-Dok.
12/2000, Abs. 1
Am (..). Januar 199(..)erschienen in der (...) Zeitung und im (...) Pressemitteilungen, wonach die Beklagte nach einer halbjährigen Testphase ab Mitte Februar 1999 Telefonteilnehmern anbiete, gegen eine einmalige Gebühr von 38,00 DM kostenlos zu telefonieren, wenn die Anmelder mit Werbeeinblendungen einverstanden sind. Die Interessenten sollten 6 - 8 Wochen auf die Freischaltung warten. Vorgesehen war nach je 1 1/2 Minuten ein Werbespot von 20 Sekunden Länge, für Kunden, die sich bereits im Januar angemeldet hatten, nach je 3 Minuten 20 Sekunden Werbung. In den Zeitungsartikeln ist die Telefonnummer der Beklagten, unter der man sich anmelden soll, genannt. Eine dem Gericht nicht bekannte Anzahl von Interessenten machte von dem Angebot Gebrauch und zahlte auch die Anmeldegebühr.Abs. 2
Der Kläger verlangte mit Abmahnschreiben vom 16. Februar 1999 die Unterlassung dieser Art von Geschäften, weil damit eine gegen § 1 UWG verstoßende sittenwidrige Belästigung der Angerufenen verbunden sei. Die zugleich geforderte strafbewehrte Unterlassungserklärung gab die Beklagte nicht ab.Abs. 3
In einem sogenannten Pressestatement vom 10. März 1999 teilte die Beklagte der Öffentlichkeit mit, sie habe am 15. Februar 1999 den Regelbetrieb "Telefonieren mit Werbetips" gestartet. Im Interesse der Verbraucher habe sie aber dem Ansinnen des Verbraucherschutzvereins entsprochen und aus Gründen der Rechtssicherheit und Ersparnis "unsere Lines(...) zur Zeit unterbrochen". Am 9. April 1999 erhob der Kläger Unterlassungsklage. Diese stützt er in erster Linie auf sittenwidrige Belästigung (§ 1 UWG). Er meint, das Bedenkliche an diesem Angebot der Beklagten liege darin, dass angesichts der in Aussicht gestellten Kostenfreiheit der Kunde insbesondere die Belästigung seiner Telefonpartner völlig beiseite schiebe, wenn er nur Kostenfreiheit beim Telefonieren erhalte. Der in Aussicht genommene Vorteil der Kostenfreiheit sei mit Rücksicht auf diese Nachteile seiner Art nach geeignet, die Entschließungfreiheit des Kunden so unsachlich zu beeinflussen, dass seine Entscheidung nur noch an der Kostenfreiheit orientiert sei, nicht aber mehr an der zwangsweise damit verbundenen Belästigung der angewählten Gesprächspartner. Der Kunde werde zum Gehilfen der Beklagten bei der Belästigung von Gesprächspartnern, die sich unter normalen Umständen jedenfalls bei Anrufen von Freunden und Bekannten kaum zur sofortigen Unterbrechung des Gespräches entschließen würden, sobald Werbung eingeblendet werde.Abs. 4
Der Kläger beantragt,

was erkannt worden ist.

Abs. 5
Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Abs. 6
Sie vertritt die Auffassung, ihr Angebot sei in der Vorgehensweise und Zielsetzung mit denen der gesellschaftlich akzeptierten und anerkannten privaten Rundfunk- und Fernsehsender vergleichbar. Diese könnten ihre Sendungen ebenfalls nur deshalb kostenlos ausstrahlen, weil sie durch Werbung finanziert werden. Die eigentliche Aufgabe der privaten Rundfunk- und Fernsehsender läge nicht in der Sendung der Beiträge, sondern allein darin, möglichst maximale Gewinne zu erzielen. Ein solches Geschäftsvorgehen sei deshalb allgemein als zulässig zu betrachten. Weder die Beklagte noch der Anrufer machten sich zu irgendeinem Gehilfen gegenüber dem Angerufenen. Dieser werde auch in keiner Weise irgendeiner psychologischen Zwangslage dahin ausgesetzt, die in die Werbeeinblendungen angebotenen Waren zu erwerben. Auch ein Vergleich mit der nach ständiger Rechtsprechung als unzulässig bewerteten Telefonwerbung sei nicht angebracht. Zweck eines werbefinanzierten Anrufes sei nicht, wie dort, die unverlangte Anpreisung eines Produktes. Zu einer Belästigung für den Angerufenen käme es deswegen nicht, weil der Anrufer vor jedem Telefonat selbst entscheiden könne, ob es angemessen und angebracht sei, das Telefon über die von der Beklagten angebotenen werbefinanzierten Leitungen zu führen.Abs. 7

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig.Abs. 8
Der Kläger ist als Verbraucherschutzverband gemäß § 13 Abs. 2 Nr. 3 UWG klagebefugt. Nach § 3 Nr. 2 seiner Satzung verfolgt er das Ziel, unlauteren Wettbewerb zu verhindern, der sich zum Nachteil der Verbraucher auswirkt. Diese Zielsetzung ist hier gegeben. Der Verbraucherbegriff ist weit gesteckt. Die Verbraucher bilden den Gegenblock zu den Gewerbetreibenden, woraus sich ihre Schutzbedürftigkeit ergibt (Baumbach/Hefermehl, Einl. UWG, Rdnr. 79). Dazu gehören nicht nur die Kunden der Beklagten, sondern alle, die durch die Geschäftstätigkeit berührt werden, hier insbesondere die angerufenen Telefonteilnehmer, weil sie durch die eingeblendete Werbung als Verbraucher angesprochen werden.Abs. 9
Die Klagebefugnis des Klägers wird in ständiger Rechtsprechung anerkannt, so dass es dazu keiner weiteren Ausführungen bedarf.Abs. 10
Die Klage ist auch begründet.Abs. 11
Der Kläger hat einen Unterlassungsanspruch gegen die Beklagte aus § 1 UWG.Abs. 12
Für die Entscheidung des Rechtsstreits ist es unerheblich, ob die Beklagte ihre Geschäftstätigkeit aufgenommen hat, insbesondere bereits Werbung per Telefon verbreitet hat. Ob das tatsächlich der Fall war, wird aus dem dargestellten Sachverhalt nicht klar erkennbar. Es entsteht der Eindruck, dass die Beklagte mangels ausreichender Werbekunden noch nicht in der Lage war, den Betrieb wirklich aufzunehmen. Möglicherweise ist die Abmahnung des Klägers nur ein Vorwand für die Einstellung des Betriebes gewesen. Der Unterlassungsanspruch wäre aber auch in diesem Falle gegeben, denn im Wettbewerbsrecht genügt zur Begründung eines Unterlassungsanspruchs die ernsthafte Bekundung des Willens zur Aufnahme der geschäftlichen Tätigkeit, auch wenn es noch nicht dazu gekommen sein sollte.Abs. 13
Die Geschäftstätigkeit der Beklagten verstößt gegen § 1 UWG wegen unzumutbarer Belästigung der angerufenen Telefonteilnehmer. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Telefonwerbung (vgl. BGHZ 54, 188, 190 - Telefonwerbung I -; BGH GRUR 1989, 169 - Telefonwerbung II -; BGH GRUR 1990, 280 f. - Telefonwerbung lll -; BGH GRUR 1991, 764 - Telefonwerbung IV - und BGH in NJW-RR 1995, Seite 613 - Telefonwerbung V -; zuletzt BGH in WRP 1999, 690) ist unerbetene Telefonwerbung gegenüber Privaten grundsätzlich als mit den guten Sitten unvereinbar und darum als wettbewerbswidrig gemäß § 1 UWG zu beurteilen. Nur bei ausdrücklich oder schlüssig erklärtem Einverständnis mit einem solchen Anruf ist telefonische Werbung zulässig. Ein Einverständnis der Angerufenen, der Werbung per Telefon ausgesetzt zu werden, liegt hier eindeutig nicht vor, denn er wird nicht vor dem Gespräch auf die Werbeunterbrechnungen hingewiesen. Die Telefonwerbung auch in der Form, wie sie die Beklagte angeboten hat, ist daher eine erhebliche Beeinträchtigung der verfassungsrechtlich geschützten Privatsphäre und muss als Mißbrauch des vom Inhaber im eigenen Interesse und auf eigene Kosten unterhaltenen Telefonanschlusses angesehen werden.Abs. 14
Es handelt sich um ein unkontrollierbares Eindringen in die Lebensgewohnheiten des Angerufenen. Selbst wenn der Anrufer vorher bekannt gibt, dass mit Werbeeinblendungen zu rechnen sei, besteht für den Angerufenen ein psychologischer Druck, dem 20 Sekunden dauernden Werbeblock zuzuhören. Im Normalfall wird der Angerufene den Anrufer nicht dadurch brüskieren wollen, dass er sofort nach Anklingen des ersten Werbeblocks auflegt und so den Telefonkontakt aufgibt.Abs. 15
Darin besteht der sittenwidrige Kern in dieser Methode, der auch Geschäftszweck ist, denn es soll natürlich erreicht werden, dass nicht nur der sparsame Kunde, der kostenlos telefonieren will, die Werbung zur Kenntnis nimmt, sondern insbesondere der Angerufene durch die Werbung beeinflusst wird. Zwar gibt es auch viele andere Gelegenheiten und Möglichkeiten, bei denen man sich einer Werbung nicht entziehen kann. Der als sittenwidrig anzusehende Kern liegt hier darin, dass das private Telefon unerbeten als Werbeträger benutzt wird, dieses Kommunikationsmittel aber nach allgemeiner Anschauung von Werbung freizuhalten ist. Werbung über Funk, Fernsehen, Zeitung, Plakate usw. ist allgegenwärtig und nicht zu vermeiden oder zu verhindern. Das Telefon als privates Refugium soll davon unberührt bleiben.Abs. 16
Die verfahrensrechtlichen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 108, 709 ZPO.
JurPC Web-Dok.
12/2000, Abs. 17
[online seit: 03.04.2000]
Zitiervorschlag: Gericht, Datum, Aktenzeichen, JurPC Web-Dok., Abs.
Zitiervorschlag: Berlin, LG, Werbefinanziertes Telefonieren - JurPC-Web-Dok. 0012/2000