Vorwort

Mit Band 30 liegen nun zum zweiten Mal die Mitteilungen der Gesellschaft für Urgeschichte (MGfU) in neuer Aufmachung vor. Das neue Layout ist bei zahlreichen Autor*innen sowie Leser*innen sowohl aus der breiten Öffentlichkeit als auch dem Kreis der Kolleg*innen auf sehr positive Resonanz gestoßen.

Mit Band 30 liegen nun zum zweiten Mal die Mitteilungen der Gesellschaft für Urgeschichte (MGfU) in neuer Aufmachung vor. Das neue Layout ist bei zahlreichen Autor*innen sowie Leser*innen sowohl aus der breiten Öffentlichkeit als auch dem Kreis der Kolleg*innen auf sehr positive Resonanz gestoßen. Dies dient uns als Ansporn, den eingeschlagenen Weg in Kooperation mit dem Tübinger Kerns Verlag weiter zu verfolgen. Dazu gehört auch, dass weiterhin alle eingesandten Manuskripte im Sinne einer Qualitätskontrolle einem Begutachtungs-Prozess durch Fachwissenschaftler*innen aus dem In- und Ausland unterzogen werden.

Nichts geändert hat sich auch insofern, als die Reihe der wissenschaftlichen Aufsätze mit dem Beitrag des Gewinners/der Gewinnerin des Tübinger Förderpreises für Ältere Urgeschichte und Quartärökologie eröffnet wird. Preisträgerin ist im Jahre 2021 Dr. Stephanie Anna Florin. Ihre preisgekrönte Dissertation befasst sich mit einem Thema, das in der breiten Öffentlichkeit noch wenig Beachtung gefunden hat, nämlich der Rolle pflanzlicher Nahrung bei der Evolution und Verbreitung früher Menschen auf den Inseln Südostasiens, in Australien und in Neuguinea. Unter Verwendung neuester Forschungsergebnisse hebt die Autorin die Bedeutung pflanzlicher Nahrungsmittel und ihrer Verarbeitung für die ernährungsmäßige Flexibilität und Anpassungsfähigkeit unserer Spezies hervor. Ein besonderer Schwerpunkt liegt dabei auf Änderungen in der Ernährung und der Landschaftsnutzung in Madjedbebe, dem bisher ältesten bekannten archäologischen Fundplatz Australiens mit einem Alter von bis zu 65.000 Jahren. Nach der Dissertation von Daniela Holst über mesolithische Haselnussröstplätze in Duvensee im Jahre 2009 wird damit erneut eine im Schwerpunkt archäobotanische Arbeit ausgezeichnet.

Ein ganz besonderer und durch seinen Kontext einzigartiger Fund steht im Mittelpunkt gleich zweier Aufsätze: eine gesichert in mittelpaläolithischen Schichten stratifizierte und gut datierte Blattspitze aus dem Hohle Fels im Achtal. Nicholas Conard und Kolleg*innen beschreiben zunächst ausführlich die Fundumstände des Stückes, seine stratigraphische Position sowie Fragen der Datierung. In einem anschließenden Aufsatz legen Veerle Rots und Kollegen die Ergebnisse ihrer minutiösen mikroskopischen Untersuchungen an der Blattspitze vor, die vor allem Mikrogebrauchsspuren- und Residuenanalysen einschließen und die in Bezug auf solche Werkzeuge bisher einzigartig sind. Die beiden Aufsätze demonstrieren nicht nur, dass Blattspitzen nicht, wie bisher meist angenommen, in jedem Falle ganz an das Ende des Mittelpaläolithikums gehören, sondern die mikroskopischen Analysen geben darüber hinaus sehr gute Hinweise auf die Schäftungsweise solcher Werkzeuge. Nachdem in der Vergangenheit verschiedene Verwendungsweisen für Blattspitzen, z.B. als Messer, diskutiert worden sind, haben wir durch das Exemplar aus dem Hohle Fels erstmals belastbare Hinweise, dass sie von Neandertalern als Spitzenbewehrung von Wurfspeeren oder Stoßlanzen bei der Jagd nach Großwild eingesetzt wurden.

Mikroskopische Analysen stehen auch im Mittelpunkt des Beitrages von Florent Rivals und Kolleg*innen. Verschiedenartige Abnutzungsspuren an Zähnen jungpleistozäner Riesenhirsche aus verschiedenen mitteleuropäischen Fundplätzen liefern neue Erkenntnisse zu blattfressenden oder grasenden Ernährungsweisen bei diesen eindrucksvollen ikonischen Tieren der Eiszeit. Danach wurde das Aussterben der Riesenhirsche, deren Verhaltensbiologie und Verschwinden seit vielen Jahrzenten debattiert werden, wahrscheinlich nicht durch eine zu enge Ernährungsnische herbeigeführt.

Sibylle Wolf und Kollegen behandeln in ihrem Beitrag ein Themenfeld, das durch ihre Forschungen um eine neue Facette bereichert wird. So gelang es ihnen, durch langwieriges und sorgfältiges Quellenstudium, vor allem im Archiv der Universität Tübingen, den stellenweise abenteuerlichen Weg der Vogelherd-Figurinen, von ihrer Auffindung bis heute, im Detail nachzuzeichnen. Dieser Weg ist aufs Engste verbunden mit der Person Gustav Rieks, der die Figuren 1931 ausgegraben hat und dessen Umgang mit ihnen kritisch beleuchtet wird.

Die experimentelle Archäologie liefert seit Jahrzehnten wichtige Erkenntnisse für die Rekonstruktion prähistorischer Techniken und Handlungsweisen und trägt damit auch zu einem besseren Verständnis bei, wie paläolithische Artefakte aus den verschiedensten Materialien hergestellt und verwendet wurden. Ein Beispiel für solche Rekonstruktionen schildert der Erfahrungsbericht des namhaften Experimentalarchäologen Wulf Hein zur Rekonstruktion der Mammutelfenbeinflöte aus dem Geißenklösterle. Fragmente aus den Ausgrabungen am Geißenklösterle, Hohle Fels und Vogelherd belegen, dass Elfenbeinflöten im Schwäbischen Aurignacien keineswegs selten waren. Solche Funde unterstreichen die Tatsache, dass die Träger des Schwäbischen Aurignacien in der Lage waren, nahezu alle beliebigen Objekte aus Elfenbein herzustellen, wobei zahlreiche Formen bislang nur aus den Höhlen im Ach- und Lonetal bekannt sind.

Leider ist auch im Jahre 2021 der Verlust einer Fachkollegin zu beklagen. Linda Owen, die als Schülerin von Hansjürgen Müller-Beck 1988 in Tübingen promoviert wurde und in den folgenden Jahren dort auch als Lehrbeauftragte tätig war, wurde nach schweren Vorerkrankungen letztlich ein Opfer der Corona-Pandemie. Sie war vielleicht die bekannteste Wissenschaftlerin im Bereich der Genderarchäologie im Paläolithikum mit internationaler Ausstrahlung. In einem würdigenden Nachruf zeichnen Miriam Haidle und Susanne Münzel, langjährige Weggefährtinnen der Verstorbenen, ihren akademischen Werdegang nach.

Nach wie vor finden auch Vereinsangelegenheiten der Gesellschaft für Urgeschichte ihren Platz in den MGfU. Dorothea Leiser lässt in einem ausführlichen Reisebericht die wichtigsten Stationen der eindrucksvollen Exkursion der GfU nach Südwestfrankreich Revue passieren und illustriert diesen mit z.T. selten gesehenen Abbildungen.

Die neue erste Vorsitzende der GfU, Sibylle Wolf, legt im vorliegenden Heft ihren ersten Jahresbericht vor. Sie kann darin auf ein trotz der Pandemie erfolgreiches Jahr der GfU zurückblicken.

Abgeschlossen wird der Band dieses Mal durch eine Buchbesprechung. Eleonora Gargani setzt sich ausführlich mit einem Buch von Markus Wild über saisonale Verhaltensstrategien, erschlossen mittels technologischer Analysen ausgewählter spätjungpaläolithischer Geweihinventare aus Norddeutschland, Südskandinavien und dem Pariser Becken, auseinander.

Auch 2021 war aufgrund der Corona-Pandemie wieder ein ungewöhnliches und auch schweres Jahr. Trotzdem erscheint dank der aktiven Mitwirkung der Autor*innen und der Begutachter*innen der Aufsätze sowie dem Kerns Verlag auch in diesem Jahr ein umfangreicher Jahresband, der beweist, dass auch unter schweren Bedingungen die Wissenschaft und die Vermittlung von Wissenschaft voranschreiten. Wir hoffen, weiterhin nationale und internationale Leserinnen und Leser sowohl in der Fachwelt als auch in der Studentenschaft, alte und neue GfU-Mitglieder sowie die breite Öffentlichkeit für die Themen der MGfU zu interessieren. Die Zeitschrift bleibt ein Aushängeschild der mit knapp 500 Mitgliedern größten deutschen Gesellschaft für Urgeschichte und Quartärökologie, die mittlerweile auch international renommiert ist. Zu der Internationalität tragen zu einem guten Anteil auch die Kolleginnen und Kollegen des Wissenschaftlichen Beirats bei. Wir bedanken uns deswegen bei denjenigen Mitgliedern, deren Amtszeit geendet hat und begrüßen gleichzeitig die neuen Beiratsmitglieder herzlich.

Unverändert sind selbstverständlich wieder die Titel aller Beiträge sowie sämtliche Bild- und Tabellenunterschriften zweisprachig, d.h. deutsch und englisch, wiedergegeben, ebenso die Zusammenfassungen aller Hauptbeiträge. Sämtliche wissenschaftlichen Beiträge sind auch weiterhin kostenfrei unter der Adresse mgfuopenaccess.org im Internet abrufbar und können heruntergeladen werden. Seit Band 29/2020 sind die Aufsätze zusätzlich über den Tübinger Kerns Verlag kostenfrei abruf- und herunterladbar.

Bleibt uns die Hoffnung, dass wir Ihnen mit den vorliegenden MGfU aufs Neue eine abwechslungs- und lehrreiche Lektüre bieten können.

Bitte bleiben Sie weiterhin alle gesund!
Michael Bolus
Nicholas J. Conard