Chemsex – mehr als Sex unter Drogen
Ein unerforschtes Phänomen im Gesundheitswesen

Chemsex – mehr als Sex unter Drogen

Übersichtsartikel
Ausgabe
2022/2526
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2022.09061
Swiss Med Forum. 2022;22(2526):415-419

Affiliations
a Chirurgische Klinik, Stadtspital Waid Zürich, Zürich; b Universitäres Notfallzentrum, Inselspital, Universitätsspital Bern, Bern, c Kinder-Reha Schweiz, Universitäts-Kinderspital Zürich, Zürich

Publiziert am 21.06.2022

Medizinisches Personal muss mit dem Phänomen Chemsex und den zugrunde liegenden Motiven und Risiken vertraut sein, um adäquate Unterstützung leisten zu können.

Einführung

In den letzten Jahren erlangte ein Phänomen, das als Chemsex bekannt ist, zunehmendes wissenschaftliches Interesse [1, 2]. Insbesondere in den Fachbereichen öffentliche Gesundheit (Public Health), Infektiologie sowie in den Beratungs-, Behandlungs- und Testzen­tren für sexuell übertragbare Krankheiten («sexual transmitted diseases» [STDs]) wurde über die Zunahme des Konsums bestimmter Substanzen im Zusammenhang mit Chemsex berichtet [3]. Ziel ist ein länger anhaltendes, intensiveres sexuelles Erleben sowie ein Gruppenzugehörigkeitsempfinden.
In diesem Artikel möchten wir das Phänomen Chemsex einem breiteren medizinischen Fachkreis in der Schweiz vorstellen. Damit soll das Verständnis für ein bisher wenig beachtetes Thema verbessert werden, um eine adäquate Behandlung und Unterstützung auch bei Personen zu gewährleisten, die auf den ersten Blick nicht von diesem Phänomen betroffen zu sein scheinen – selbst wenn dies «nur» eine Überweisung an eine spezifische Fachstelle bedeutet.

Definition

Chemsex ist ein Neologismus und Akronym, das sich aus den Wörtern «chemicals» (Substanzen) und Sex zusammensetzt [4]. Es beschreibt den gezielten Konsum von bestimmten Substanzen (Chems) vor oder während geplanter sexueller Aktivität, um die sexuelle Interaktion zu erleichtern und zu intensivieren sowie sexuelle Hemmungen abzubauen [4, 5] (Tab. 1).
Tabelle 1: Zusammenfassung der verschiedenen Motive zur Ausübung von Chemsex, basierend auf den Ergebnissen der Studie von Weatherburn P et al. [19].
Skills für die gewünschte sexuelle Erfahrung:
Steigerung von Libido und sexuellem Verlangen
Erhöhtes sexuelles Selbstvertrauen
Sexuelle Enthemmung
Steigerung der sexuellen Leistungsfähigkeit und Ausdauer
Intensivierung von sexuell geschätzten Qualitäten:
Erhöhte sexuelle Attraktivität der Partner
Intensivierung des sexuellen Erlebnisses
Erhöhung der Intimität
Verstärkung der sexuellen Abenteuerlust
Der Begriff wird am häufigsten in Zusammenhang mit Männern verwendet, die Sex mit Männer (MSM) haben. Zu den gebräuchlichsten chemischen Substanzen zählen unter anderem Mephedron, γ-Hydroxybutyrat (GHB), dessen Prodrug γ-Butyrolacton (GBL) und Methamphetamin [4, 6, 7]. Je nach Literatur werden zudem Ketamin, Kokain, Amylnitrate (Poppers) und Ecstasy (XTC, 3,4-Methylendioxy-N-methylamphetamin [MDMA]) zu den «Chems» gezählt [5, 8, 9]. Potenzsteigernde ­Medikamente wie Sildenafil können zusätzlich eingenommen werden, um die durch Mephedron oder ­Methamphetamin verursachten Erektionsstörungen zu kompensieren [10, 11]. Es besteht keine einheitliche Definition von Chemsex. Der Terminus «Chemsex» ist jedoch klar von Sex unter zufälligem Substanzeinfluss zu unterscheiden [4, 7].

Epidemiologie

Studien zu Chemsex und deren Vergleiche untereinander sind aufgrund einer uneinheitlichen Definition und unterschiedlicher Studienpopulationen schwierig [2, 5]. Eine Review von Edmundson et al. konnte in einem Zeitraum von 11,5 Jahren nur 28 Studien zum Thema «sexualized drug use» einschliessen, wovon sich nur vier ausschliesslich mit Chemsex befassten; die Prävalenz von Chemsex im Vereinigten Königreich in sogenannten «sexual health clinics» reicht von 17% bei MSM bis zu 31% bei HIV-positiven MSM [5]. In der Review von Maxwell et al. variierte die Prävalenz von Chemsex zwischen den einzelnen Ländern, den einzelnen Regionen und sogar innerhalb eines Landes stark [2]. In der Studie von Schmidt et al. wurde der städtische Wohnsitz als stärkster Prädiktor für die Einnahme von Chems identifiziert [3]. Auch in der Schweiz kommen nach aktueller Datenlage die meisten Berichte des Chem-Konsums aus der städtischen Region Zürich [12]. Dies zeigt, dass wahrscheinlich kulturelle und soziale Faktoren grossen Einfluss auf das Praktizieren von Chemsex haben [3]. Weitere geographische Unterschiede zeigen sich in der Substanzwahl: So weisen die bisherigen Daten darauf hin, dass je nach Region unterschiedliche Chemsex-Substanzen konsumiert werden [2, 5]. Der Konsum von Mephedron in der Schweiz ist im Gegensatz zum Vereinigten Königreich sehr gering [12]. Stattdessen zeigt sich eine steigende Tendenz des Konsums von Methamphetamin und GHB/GBL unter MSM, wohingegen das Konsumverhalten der Kon­trollgruppe (Nicht-MSM) rückläufig ist [12]. Dieser Trend wurde in anderen Studien bestätigt [4, 5, 7, 13]. Chemsex findet sowohl im privaten Setting als auch an öffentlich zugänglichen Sexplätzen (Saunas, Sexclubs) statt [2, 4, 7]. Die Sexualpartner werden über mittlerweile bestehende, spezielle «geo-social networking»-Apps für Chemsex-Interessierte oder an den öffentlichen Sexplätzen gefunden [4]. Zur Motivation siehe Tabelle 1.

Gesundheitliche Auswirkungen

Erhöhtes sexuelles Risikoverhalten

Viele Studien haben einen signifikanten Zusammenhang zwischen Chemsex und dem erhöhten Risiko für STDs, insbesondere HIV, aufgezeigt [2, 4, 5, 12, 14].Dafür sind mehrere Faktoren ausschlaggebend:
Unter dem Einfluss von Chems besteht ein erhöhtes ­Risiko für ungeschützten Geschlechtsverkehr [2, 12]. Der kondomlose Geschlechtsverkehr wird zum Teil dem durch ein Kondom geschützten Geschlechtsverkehr vorgezogen. Mit der Suche nach einem serokonkordanten Sexualpartner soll das Übertragungsrisiko minimiert werden [4, 10]. Aufgrund der durch die Chems beeinträchtigten Urteilsfähigkeit bezüglich des Serostatus erhöht sich das Übertragungsrisiko von STDs [4].
Zudem wird Chemsex oft im Rahmen von Gruppensex praktiziert, was wiederum das Infektionsrisiko erhöht [2, 4, 7, 12]. Chemsex-Partys dauern teilweise mehrere Tage, was durch die Steigerung der körperlichen Leistungsfähigkeit durch Chems ermöglicht wird [4, 15]. Lang andauernder Geschlechtsverkehr führt zu einer erhöhten mechanischen Belastung der Mukosa, wodurch das Risiko von traumatischen Verletzungen der Mukosa und somit das Risiko einer Infektion mit STDs, insbesondere HIV und Hepatitis C, steigt [4, 15]. Zusätzlich erhöhen Chems die Bereitschaft zu verletzungsanfälligen Sexualpraktiken (z.B. Fisting = analer Faustverkehr) [2, 5, 7]. Insbesondere jene Chemsex-User, die sich die Substanzen intravenös injizieren (v.a. Methamphetamin und Mephedron), auch Slamming/Slamsex genannt, zeigen ein hohes sexuelles Risikopotential [16]. Slamsex kann durch die gemeinsame Nutzung von Spritzen und anderem «Injektionsmaterial» zur Übertragung von «blood borne viruses» (BBV) wie HIV, Hepatitis C und B führen. Bei der intrarektalen Einführung von Chems («booty bumping») besteht das Risiko der Entstehung von Rektalfissuren [7]. Neben den «klassischen» STDs wird Chemsex mit der Übertragung weiterer Infektionskrankheiten in Verbindung gebracht. So konnte im Jahr 2012 in England ein Ausbruch von Shigella flexneri mit Sexpartys unter MSM in Zusammenhang gebracht werden [10]. Enterogene Pathogene können durch risikoreiche Sexualpraktiken wie Ano-Oral-Sex oder Koprophilie übertragen werden [5].

Antiretrovirale Therapie: Niedrigere ­Medikamenten-Compliance und Interaktionen

Der Konsum von Substanzen kann die Einnahme der antiretroviralen Therapie (ART) negativ beeinflussen [12]. Besonders mit der Einnahme von GHB/GBL, Kokain, Amphetamin und Methamphetamin wurde eine niedrigere Compliance beobachtet [12, 17]. Da Chemsex unter HIV-positiven MSM verbreiteter ist als unter HIV-negativen MSM [2, 4, 5], kann die negative Beeinträchtigung der ART-Compliance schwerwiegende Folgen haben und zu einem Anstieg der Viruslast führen, was wiederum das Risiko einer HIV-Infektion erhöht. Darüber hinaus muss auf mögliche Interaktionen zwischen den Chems und den ART-Medikamenten geachtet werden.

Substanzspezifische Nebenwirkungen

Chems weisen neben den von den Konsumenten gewünschten Effekten auch eine Reihe an unerwünschten Nebenwirkungen auf (Tab. 2). Alle vier klassischen Chems (Metamphetamin/Mephedron/GHB/GBL) besitzen ein hohes Abhängigkeitspotential [18]. Die Effekte von GHB/GBL sind stark dosisabhängig, was häufiger zu Überdosierungen führen kann. GHB/GBL sind aufgrund der Akkumulationsgefahr schwer zu dosieren und werden oft in Kombination mit anderen Chems (Mephedron oder Methamphetamin) und/oder Alkohol eingenommen. Eine Überdosierung von GHB/GBL kann zum Bewusstseinsverlust und im schlimmsten Fall zu Atemdepression und Tod führen. Weitere mögliche unerwünschte Wirkungen sind Erbrechen und Störungen der Darm- und/oder Blasenfunktion [7]. Im Rahmen des Bewusstseinsverlustes berichteten User in einer Studie aus London von nicht einvernehmlichem Geschlechtsverkehr, wobei viele hervorhoben, dass die Grenze zwischen einvernehmlichem und nicht einvernehmlichem Sex unter Chems schwer zu ziehen sei [7]. Eine kürzlich veröffentlichte Studie aus den Niederlanden hat ausserdem gezeigt, dass ungewollte sexuelle Erlebnisse unter Chems keine Seltenheit sind (19% nicht einvernehmliche Sexualpraktiken) [8]. Im Rahmen von Chemsex-Sitzungen mit Methamphetamin wurden Fälle von extremer Paranoia und Panikattacken berichtet [7]. Weitere Nebenwirkungen von Methamphetamin sind Hyperthermie, Tachykardie und Hypertonie, die im schlimmsten Fall zu Myokardinfarkt, Stroke oder Tod führen können [19]. Oft sind die Konsumenten nach einem Trip erschöpft, aggressiv und paranoid, in manchen Fällen sogar suizidal. Die fehlende oder teilweise ungesunde Nahrungszufuhr kann zu Magenproblemen wie Sodbrennen oder Gastritis führen.
Tabelle 2: Zusammenfassung der unterschiedlichen Wirkungen der Chems basierend auf [22].
ChemsSynonymeChemische ­SubstanzApplikationsformErwünschte WirkungenUnerwünschte Wirkungen
GHB/GBLG, Ginaγ-­Hydroxybutyrat bzw. γ-Butyrolacton– Gemischt in einem Softdrink (nicht Alkohol) – Entspannung, Relaxierung
– Gesteigerte Libido
– Schwindel
– Verwirrtheit
– Somnolenz
– Übelkeit und Erbrechen
– Krampfanfälle
– Koma
– Tod
– Toleranzbildung
– Körperliche Abhängigkeit
Methamphetamincrystal, Tina, T, methSynthetisches Amphetamin-­Stimulans– Rauchen
– Schnupfen
– Spritzen
– Gesteigerte Leistungs­fähigkeit, Ausdauer
– Erhöhtes Selbstvertrauen
– Gesteigerte Libido
– Sexuelle Enthemmung
– Niedrigeres Schmerz­empfinden
– Hyperthermie, Hypertonie, Tachykardie
– Gefahr eines Myokardinfarks oder Stroke
– Appetitlosigkeit
– Schlaflosigkeit
– Paranoia
– Angstattacken
– Suizidalität
– Reflux
– Gastritis
– Erektile Dysfunktion
– Toleranzbildung
– Erhöhtes Abhängigkeits­potential
Mephedronmeph, drone, m-cat, MCAT, meow, meow meow, plant food/feeder, bath saltsSynthetisches Cathion, chemische Ähnlichkeit zu Amphetamin– Schnupfen
– Schlucken
– Spritzen
– Euphorie
– Gesteigerte Libido
– Aufgeweckt
– Empathisch
– Extrovertiert
– Gesteigertes Selbst­vertrauen
– Depression
– Schlechte Stimmung nach dem Trip
– Konzentrationsschwierig­keiten
– Schleimhautverletzungen und Ulzerationen im Mund

Psychosoziale Auswirkungen

Psychische Erkrankungen wie Depressionen und Angststörungen kommen unter Chemsex-Usern häufiger vor als unter Nicht-Chemsexern [12, 16]. In welchem Verhältnis dieser Zusammenhang steht, ob Depressionen und Angststörungen eher zu Chemsex führen oder ob Chemsex Depressionen und Angststörungen triggern kann, ist nicht bekannt. Da eine Depression das sexuelle Risikoverhalten verstärken kann, müsste der Zusammenhang zwischen Chem-Konsum und dessen Auswirkungen auf die Psyche besser untersucht werden [12]. Regelmässiger Chemsex kann zum Verlust der Libido im «nüchternen» Zustand führen, sodass im schlimmsten Fall keine Sexualität mehr substanzfrei ausgeführt werden kann [19].
Neben den physischen und psychischen Folgen hat die regelmässige Ausübung von Chemsex Auswirkungen auf das soziale Leben. So kann es nach häufiger Beteiligung an Chemsex-Partys schwieriger sein, emotionale Beziehungen im «nüchternen» Zustand einzugehen und diese aufrecht zu erhalten. Es besteht die Gefahr, dass sich das soziale Leben zunehmend auf die Interaktion mit anderen Chemsex-Praktizierenden fokussiert und der Kontakt zur Familie und Freunde verloren geht [1]. Langfristig besteht das Risiko zur sozialen Isolation [20].
Auch finanziell kann Chemsex negative Auswirkungen haben. Einerseits besteht die Gefahr der Verschuldung bei zunehmender Abhängigkeit von Chems [1, 9]. Andererseits können häufige Abwesenheiten von der Arbeit, Konzentrationsschwierigkeiten und kognitive Leistungsdefizite zu beruflichen Schwierigkeiten führen [7].

Prävention und Therapie

Der Mangel an epidemiologischen Daten erschwert es, das Ausmass von Chemsex vollumfänglich zu erfassen und festzustellen, wie viele der Chemsex-User Hilfe wünschen. Eine Mehrheit der Chemsex praktizierenden MSM konsumieren Chems zur Intensivierung von sexuellen Erlebnissen und verspüren keinen Leidensdruck. Bei einigen Männern besteht jedoch der Bedarf nach professioneller Beratung oder Unterstützung in der Bewältigung von Problemen im Zusammenhang mit Chemsex. Gemäss einer niederländischen Studie suchten besonders diejenigen Männer, die häufig Chemsex praktizierten und lange Zeit keinen sub­stanzfreien Sex mehr hatten, nach fachlicher Unterstützung (23%). Im Gegensatz dazu gaben 21% der User an, keine professionelle Beratung in Anspruch nehmen zu wollen, weil sie sich stigmatisiert fühlten (7%), aufgrund einer tabuisierten Atmosphäre (6%), unzureichender Kenntnisse der Fachleute über Chemsex (5%) oder aus Scham (3%) [8].
Einen anderen Ansatz verfolgt ein Team aus Belgien [21]. Mit dem «Chemified Project» wurde in Antwerpen eine Smartphone-App für MSM entwickelt, um jederzeit einfache und gezielte Unterstützung zu Chemsex-assoziierten Anliegen bieten zu können. Die App ist jedoch kein Ersatz für Unterstützungsangebote von dafür spezialisierten Fachstellen, sondern ein zusätzliches Hilfsangebot. Folgende Themen sollten gemäss den Probanden angesprochen/behandelt werden:
– Tipps zur Risikosenkung und Schadensminimierung vor und nach Chemsex;
– einfacher Zugang zu verlässlichen Informationen zu Substanzen und sexueller Gesundheit;
– Überwachen der Anzahl an teilgenommenen Chemsex-Sitzungen zur Sensibilisierung und Reflexion;
– Hilfestellungen auch während Chemsex-Sitzungen abrufen können, um auf akute Probleme während des Chemsex adaquät reagieren zu können;
– Überblick über existierende Fachstellen.
In der Schweiz finden Betroffene entsprechendes Informationsmaterial vor allem online (Tab. 3). Unterstützungsangebote zu Chemsex werden in den meisten grossen Städten in einem Netzwerk durch Checkpoint in Kooperation mit Aids-Hilfe Schweiz sowie den ansässigen grösseren Spitälern angeboten. Spezialisierte Therapiestellen für Chemsex sind in der Schweiz selten (ARUD Zürich). Eine Zusammenstellung von Anlaufstellen in der Schweiz bietet Tabelle 4.
Tabelle 3: Online-Informationen und -Beratung zu Chemsex.
WebsiteLink
Aids-Hilfe Schweizwww.aids.ch
Dr. Gay (von Aids Hilfe Schweiz)www.drgay.ch
FridayMondaywww.fridaymonday.org.uk
Ich weiss was ich tu. Schwuler Sex. Schwules Leben‍.www.iwwit.de
Lovelifewww.lovelife.ch
Sexuelle Gesundheit Schweizwww.sexuelle-gesundheit.ch
Tabelle 4: Anlaufstellen mit Beratungsangebot zu Chemsex in der Schweiz.
KantonAnlaufstelle
AargauSexuelle Gesundheit Aargau
BaselAids-Hilfe beider Basel, Checkpoint Basel
BernCheckpoint Bern, Centre de Santé Sexuelle – Planning Familial du Jura bernois, Zentrum für sexuelle Gesundheit Biel
FreiburgCentre Empreinte, Fondation du Tremplin
GenfCheckpoint Genève, Groupe santé Genève
GraubündenAids-Hilfe Graubünden
LuzernCheckpoint Luzern, S&X Sexuelle Gesundheit Zentralschweiz
NeuenburgGSN – Générations Sexualités Neuchâtel
St. GallenFachstelle für Aids- und Sexualfragen, Kantonsspital St. Gallen, Klinik für ­Infektiologie
TessinEOC Abteilung für Infektionskrankheiten, Zonaprotetta
WaadtFondation PROFA Checkpoint Vaud
WallisAids-Hilfe Oberwallis, Antenne sida Valais romand
ZürichArud Zentrum für Suchtmedizin, Checkpoint, checkin Zollhaus, Sexuelle ­Gesundheit Zürich SeGZ

Anmerkungen und Ausblick

In der Schweiz sind aktuell wenig Daten zu Chemsex verfügbar. Die aktuelle grosse Schweizer Studie von Hampel et. al. hat sich ausschliesslich auf HIV-positive MSM konzentriert, weshalb diese Studie nicht auf die Gesamtpopulation übertragen werden kann [12]. Obwohl Studien zeigen, dass der Drogenkonsum unter MSM höher ist als unter Nicht-MSM, stellt sich die Frage, ob das Phänomen nicht auch verstärkt bei Nicht-MSM untersucht werden sollte. Besonders das Konsumverhalten von Frauen wurde bis anhin weitgehend nicht untersucht. Eine Mehrheit der bisher durchgeführten Studien konnte einen Zusammenhang zwischen Chemsex und STDs und anderen gesundheitlichen Risiken zeigen. Die Problematik der fehlenden Kausalität bleibt jedoch bestehen und weitere Untersuchungen in diesem Bereich sind unabdingbar.
Zusammenfassend bedarf es dringend einer einheitlichen Definition zu Chemsex, um das Ausmass der Problematik und die gesundheitlichen Risiken von Chemsex vollumfänglich zu verstehen und zu erfassen. Dies bildet die Grundlage für weitere Forschung, die wiederum eine bessere Prävention und Behandlung für diejenigen gewährleistet, die durch Chemsex geschädigt werden.

Das Wichtigste für die Praxis

• Chemsex ist Sex unter Einnahme von Substanzen (Chems) wie GHB/GBL, Methamphetamin und Mephedron, um die Libido, das sexuelle Erlebnis, die Dauer und Intensität zu erhöhen. Der Begriff wird im Zusammenhang mit Männern, die Sex mit Männern haben, verwendet.
• Chemsex erhöht das sexuelle Risikoverhalten unter anderem bezüglich ungeschütztem Geschlechtsverkehr, mehrerer Sexualpartner, langer Sexpartys, risikoreicher Sexualpraktiken wie Fisting oder Anilingus sowie niedriger Compliance einer allfälligen antiretroviralen HIV-Therapie.
• Medizinisches Personal muss mit dem Phänomen Chemsex und den zugrunde liegenden Motiven und Risiken vertraut sein, um adäquate Unterstützung leisten zu können. Risikopatienten müssen offen auf das Thema Chemsex angesprochen werden. Nur so können Gesundheits­risiken minimiert werden.
• Anlaufstellen in der Schweiz: Checkpoint, Dr. Gay – Aids-Hilfe Schweiz, ARUD Zürich (Aufzählung nicht abschliessend, siehe hierzu Tab. 3 und 4).
Die Autoren haben deklariert, keine potentiellen Interessenskonflikte zu haben.
Dr. med. Simone Blunier
Universitäres ­Notfallzentrum
Inselspital, ­Universitätsspital Bern
Freiburgstrasse 16C
CH-3010 Bern
simone.blunier[at]extern.insel.ch
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