Moderner Pflanzenschutz: sicher und nachhaltig

Briefe / Mitteilungen
Édition
2021/11
DOI:
https://doi.org/10.4414/bms.2021.19667
Bull Med Suisses. 2021;102(11):390

Publié le 16.03.2021

Moderner Pflanzenschutz: sicher und nachhaltig

Die Behauptung, dass immer giftigere Produkte entwickelt werden, ist schlichtweg falsch. Heutige Pflanzenschutzmittel sind wirk­samer, umweltfreundlicher und sicherer als noch vor 20 Jahren. Die durchschnittliche Ausbringungsmenge lag 1962 bei über 10 kg/ha, heute ist es in der Regel weniger als 1 kg/ha. Dies entspricht einer Reduktion von mehr als 90%. Gleichzeitig sind neue Wirkstoffe sicherer. Die Weltgesundheitsorganisation WHO klassifiziert Pflanzenschutzmittel in vier Sicherheitskategorien von Klasse 1 (sehr gefährlich) bis Klasse U (wahrscheinlich ungefährlich). Die durchschnittliche akute Toxizität hat seit den 1960er Jahren um 40% abgenommen. Die Hälfte aller seit 2000 eingeführten Wirkstoffe entspricht der Klasse U. In Klasse 1 wurden keine neuen Wirkstoffe eingeführt.
Pflanzenschutzmittel gehören, neben Arzneimitteln, zu den Stoffen, die am besten untersucht sind. Um die Risiken eines Pflanzenschutzmittels abschätzen zu können, ist eine umfassende Datenbasis notwendig. Diese umfasst die Resultate zahlreicher wissenschaftlicher Studien. Wie bei der Zulassung von Medikamenten werden die nötigen Studien unter der Verantwortung der Hersteller gemäss internationalen Protokollen durchgeführt und von den Schweizer Behörden systematisch auf Methodik und Qualität geprüft. Durch breit angelegte Monitoring-Programme verfolgen zudem die zuständigen Behörden das Verhalten von Pflanzenschutzmitteln nach ihrem Markteintritt. So wird zum Beispiel die Qualität von landwirtschaftlichen Produkten, die Rückstände enthalten könnten, regelmässig kontrolliert. Die Daten zeigen: Mehr als 98% der untersuchten Lebensmittel enthalten Rückstandsmengen, die innerhalb der gesetzlichen Grenzwerte liegen, und ein Grossteil ist sogar frei von Pestizidrückständen. Produkte aus der Schweiz schneiden im europäischen Vergleich besonders gut ab. Dabei ist zu be­tonen, dass der Gesetzgeber die Grenzwerte so festlegt, dass für den Menschen durch den Konsum der Lebensmittel keine Gefahr ausgehen kann. Auch über die Risiken von Mehrfachrückständen (den sogenannten Cocktail-­Effekt) wissen wir dank kontinuierlicher Forschun­g immer mehr. Kumulative Exposi­tionsberechnungen in einzelnen Ländern und für spezi­fische Stoffgruppen (z.B. Organophosphate) ergaben ein geringes Risiko. Auch in der Schweiz werden wissenschaftliche Grund­lagen für die kumulative Risikobeurteilung von Pflanzenschutzmitteln erforscht.
Die Versorgung mit Lebensmitteln und das Streben einer wachsenden Weltbevölkerung nach natürlichen Produkten und naturnahen Produktionssystemen werden zu einer enorme­n Herausforderung. Auch der Klimawandel und die zunehmende Bedeutung der Ernährung im Hinblick auf die steigende Lebens­erwartung rufen nach allen verfüg­baren ­Lösungen – seien diese chemisch, bio­logisch oder digital – sowohl konventioneller als auch neuer Züchtungstechnologien. Sich ohne Zwang und erkennbaren Nutzen durch Verbote oder extreme Einschränkungen den Zugan­g zu ­einem wesentlichen Teil dieser Lösun­gen sperren zu wollen, wie die beiden Agrar-Ini­tiativen vorschlagen, ist nicht nur weltfremd, es ist schlicht unverantwortlich.