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Les céramiques de la Grèce de l'Est et leur diffusion en Occident

 | 
Centre Jean Bérard
, 
Institut français de Naples

Zur milesischen Keramik im 8. und 7. Jh. v. Chr.

V. von Graeve

Note de l’éditeur

(Pl. XII-XIV)

Texte intégral

1Die beiden Jahrhunderte, von denen ich hier ausgehen möchte, um einige Fragen der milesischen Keramik zur Diskussion zu stellen, sind durch die Funde jüngerer Grabungen besonders aus den Jahren 1957, 1963 und 1966 relativ gut belegt. Sie sind auβerdem durch zwei stratigraphische Horizonte gegliedert, die es erlauben, bestimmte Aspekte der Formbildung und Formentwicklung innerhalb der keramischen Produktion der Stadt besser zu verstehen. Ich kann nur hoffen, daβ sich daraus ein Interesse ergibt, das nicht allein auf Milet beschränkt ist.

  • 1 Vgl. G. Kleiner, Die Ruinen von Milet (1968) 11; ders. Ist. Mitt. 23/24, 1973/74, 63 ff.

2Die eben getroffene vorsichtige Einschätzung der Funddichte in dem zu behandelnden Zeitraum bedeutet bereits eine Wertung gegenüber anderen Jahrhunderten des nachmykenischen Milet. Daβ es sich so verhält, hat in Milet seine besonderen Gründe. Der wichtigste betrifft die wissenschaftliche Zielsetzung der 1938 von Prof. Weickert wieder aufgenommenen und nach dem Kriege von ihm und Prof. Kleiner fortgeführten Grabung. Es galt zunächst, uberhaupt erst die Lage und die Ausdehnung des archaischen Milet festzustellen — eine Aufgabe, die von der älteren Grabung unter Th. Wiegand nicht mehr gelost worden war1. Das bisher zutage gekommene Material muβ also unter dem Gesichtspunkt kleinerer, an verschiedenen Stellen des Stadtgebietes niedergebrachter Sondagen gesehen werden. Erst jetzt, nachdem die Lage des archaischen Milet unter der späteren hellenistischen Groβstadt feststeht und reiche frühe Schichten gefunden wurden, bietet es sich an, diese Schichten um ihrer selbst willen zu erforschen und die geometrischs-archaische Besiedlung in gröβeren Flächen freizulegen. Angesichts der geschichtlichen Bedeutung Milets in dieser Zeit und auch angesichts der bereits erkennbaren Bedeutung seiner keramischen Produktion, von der ich Sie zu überzeugen hoffe, wäre es dringend erwunscht, hier einen Schwerpunkt der kommenden Grabungen zu setzen. In einer Flächengrabung würde man auch mit einem anderen Problem, das bisher einer intensiveren Erforschung der frühen Schichten entgegenstand, dem hohen Grundwasserspiegel, besser fertig werden.

  • 2 Dialoghi di Archeologia 3, 1969 Nr. 1-2, 115 ff.

3Grabungen in Stadtgebieten haben ihre Nachteile, auf die zuletzt Prof. Boardman hingewiesen hat2. Es darf aber nicht vergessen werden, daβ in Milet auch die Nekropolen noch auf ihre Ausgrabung warten. Hier könnte die jetzt noch kleine Materialbasis schnell erweitert und vor allem durch vollständige Gefäβe ergänzt werden, die für eine Beurteilung der Formen und der Entwicklung unerläβlich sind. Die Verbindung von Grabzusammenhängen und Siedlungsstratigraphie wird dann auch ein dichteres Netz ergeben als wir es bisher besitzen.

  • 3 Ist. Mitt. 9/10, 1959/60. 91 ff.
  • 4 Greek Geometric Pottery (1968), 268.
  • 5 Ist. Mitt. 9/10, 38.
  • 6 Ist. Mitt. 23/24, 69 ff., 84 ff.
  • 7 BSA 53-54, 1958-59, 43, 124.
  • 8 Ist. Mitt. 9/10, 39; vgl. für Altsmyrna J. M. Cook, CAH II, 27.
  • 9 BSA 53-54, 1958-59, 43, 124.

4Den wichtigsten chronologischen Anhaltspunkt im 8. Jh. stellt eine Brandschicht dar, die an verschiedenen Stellen des Stadtgebietes aufgedeckt wurde und demnach auf eine generelle Katastrophe der Stadt hinweist3, Wir halten sie in Milet für spätgeometrisch, während sie von Coldstream4 als mittelgeometrisch bezeichnet wird. Bei der Grabung 1957 trat sie in Verbindung mit einem geometrischen Hausrest auf5. 1963 konnte festgestellt werden, daβ sie die Zerstörungsschicht einer Siedlungsphase ist, in der in Milet — wie in Altsmyrna — geometrische Ovalhäuser gebaut wurden6. Es ist nun bemerkenswert, daβ auch die letzete Phase der Ovalhäuser in Altsmyrna durch eine offenbar umfassende Katastrophe zu Ende ging7. Sobald die betreffenden Materialien beider Grabungen ausfuhrlich miteinander verglichen werden können, wird sich feststellen lassen, ob wir es hier am Ende des 8. Jhs. mit einem wichtigen historischen Synchronismus zu tun haben. Die Zerstorung konnte ihren Anlaβ in den Kimmeriereinfallen oder den frühen Kriegszügen der Lyder unter Gyges haben, wie P. Hommel meinte8, oder aber auf eine Erdbebenkatastrophe zurückgehen, die dann weite Strecken der anatolischen Westkuste erfasst hätte9. Zur genauen Datierung dieser Schicht können wir von Milet aus noch nicht beitragen, da bisher keine Importkeramik in ihr gefunden wurde.

  • 10 Ist. Mitt. 23/24, 71 f., 85; Ist. Mitt. 25, 1975, 41.
  • 11 Ist. Mitt. 23/24, Kat. Nr. 139, 14, Taf. 32. Zu der Scherbe Kat. Nr. 142 verdanke ich J. Benson for (...)

5Die zweite wichtige Schicht, von der ich eingangs sprach, ist in der Grabung 1963 wieder mit dem Baubefund korrelierbar. Es handelt sich um eine Brand-und Zerstörungsschicht, in der die unmittelbar auf die Ovalhäuser folgende Bebauung in Milet zugrunde gegangen ist10. Nach dem überwiegenden Eindruck der in ihr gemachten Funde haben wir sie als subgeometrische Zerstörungsschicht bezeichnet. Im Gegensatz zur spàtgeometrischen Brandschicht ist sie durch spätprotokorinthische Importfunde in die Zeit um die Mitte des 7. Jhs. zu datieren11.

6Auf der Grundlage der Chronologie dieser beiden Schichten möchte ich nun versuchen, Ihnen einige besondere Erscheinungen der milesischen Keramik vorzuführen.

  • 12 Ist. Mitt. 23/24, Kat. Nr. 14-15, Taf. 19.
  • 13 Vgl. z. B. Ist. Mitt. 25, Kat. Nr. 40, 45.
  • 14 Vgl. z. B. Ist. Mitt. 9/10, Taf. 57, 1; Ist. Mitt. 23/24, Kat. Nr. 40, Taf. 22.
  • 15 Vgl. C. Weickert, Bericht 6. Internationaler Kongreβ für Archäologie Berlin 1938 (1940), 325 ff. Ta (...)
  • 16 Ist. Mitt. 25, Kat. Nr. 42, Taf. 9.
  • 17 Ist. Mitt. 25, Abb. 5 Taf. 12.
  • 18 Vgl. Ist. Mitt. 9/10 Taf. 55.
  • 19 Ist. Mitt. 23/24, Kat. Nr. 3, Taf. 17-18.
  • 20 Ist. Mitt. 23/24, 68.
  • 21 Vgl. oben Anm. 13.
  • 22 Vgl. z. B. Ist. Mitt. 23/24, Kat. Nr. 46 Taf. 22; Ist. Mitt. 25 Kat. Nr. 60 Taf. 12.

7In der spätgeometrischen Brandschicht fanden sich auβer einem Querschnitt anderer Formen, — besonders Amphoren12, auf deren kykladische Inspiration aufmerksam zu machen ist — sehr viele Skyphosränder mit einem Dekor aus konzentrischen Kreisen (Abb. 1). Form und Verzierung sind so häufig, daβ man von diesen Skyphoi geradezu als einer Leitform der milesischen Keramik sprechen kann. Ihre Wandung reicht tief herab, die Lippe schwingt leicht nach auβen aus13. Sie können sowohl mit einem Kegelfuβ als auch mit einem flachen Ringfuβ ausgestattet sein14. Neben der Verzierung mit konzentrischen Kreisen begegnen auch liegende und stehende Strichgruppen15 oder eine ähnliche Metopengliederung ausschlieβlich aus stehenden Strichgruppen16 Die Beliebtheit der Gefäβform in Milet zeigt sich auch darin, daβ es parallel eine einheitliche Gruppe von sehr kleinen Gefäβen mit ubereinstimmendem Profil und ähnlicher Verzierung gibt17. Form und Dekor der Skyphoi mit konzentrischen Kreisen sind alt und weisen letztlich auf einen Import protogeometrischer attischer Gefäβe in Milet hin. Wir können den Nachweis protogeometrischer milesischer Exemplare nicht mit letzter Sicherheit führen, da eine eindeutige Trennung dieser frühen Schichten noch nicht möglich ist18. Ein Fragment der Grabung 1963 ist aber sicher alter als die Brandschicht, da es zusammen mit frühgeometrisch aussehenden Krügen in einem Pithos gefunden wurde19. Auch die Dekoration aus stehenden und liegenden Strichgruppen begegnet früher: zwei Fragmente fanden sich zusammen mit zwei anderen Skyphosrändern (Abb. 2) in einer gemischten Schicht unter der Brandschicht, die unmittelbar über dem Meersand lag und auβerdem Protogeometrisches und Mykenisches enthielt20. Bemerkenswerter ist aber, wie weit diese Skyphoi herabreichen. Man hat zwar immer angenommen, daβ sie in Ionien eine lange Lebensdauer hatten. Jetzt lassen sie sich in Milet aber noch in der subgeometrischen Zerstörungsschicht nachweisen, wobei sie sogar ihre alte Forom des Kegelfuβes beibehalten haben21. Es ware wichtig zu wissen, welchen Formveränderungen sie im Verlauf ihrer langen Existenz unterworfen waren. Bisher läβt sich nur sagen, daβ sie in Milet in geometrischer Zeit unter den Einfluβ korinthischer Kotylen geraten zu sein scheinen, denen einige von ihnen ihren Ringfuβ sowie den steilen oder leicht einwärts gebogenen Rand verdanken22.

8Die Beharrlichkeit, mit der hier an protogeometrischem Formgut festgehalten wird, erklärt in ganz ähnlicher Weise die Bildung einer anderen und wohl auch milesischen Gefäβform.

  • 23 The Aegean and the Near East 168.
  • 24 Vgl. Thera II 217 (H. Dragendorff), Coldstream 290.
  • 25 Ist. Mitt. 23/24 Kat. Nr. 26/27 und 28-30; vgl. Ist. Mitt. 9/10 Taf. 58, 2.
  • 26 Samos V Taf. 40 Nr. 220, 222.
  • 27 Ist. Mitt. 23/24 Kat. Nr. 63-65 Taf. 24.
  • 28 AM. 74, 1959 Taf. 33, 3-4.

9Die tiefe Form und der Kegelfuβ ionischer Schalen hat bereits Hanfmann an protogeometrische Skyphoi erinnert23. Der eigentliche Ausgangspunkt fur die ionischen Schalen mit ihrer steil stehenden oder nur leicht ausschwingenden Lippe war die gewöhnliche Form des mittelgeometrischen attischen Skyphos24. Diese Skyphoi werden in Milet nachgeahmt, wobei man einerseits die Technik der Vorbilder moglichst genau zu tereffen versuchte, andererseits aber auch die eigene Malweise verfolgte und den Firnis auf einen weiβen Überzug setzte25. Wie bei den zuerst vorgestellten Skyphoi mit ausschwingender Lippe ist auch hier ein Metopendekor auf der Schulter beliebt. In Samos, wo die Entwicklung parallel verläuft, begegnet am oberen Rand der Lippe bisweilen eine Wellenlinie26. Die eben beschriebenen Gefäβe kommen in Milet in der spätgeometrischen Brandschicht vor. Dagegen stammen die in Milet vertretenen frühen Exemplare der Sonderform mit schwarzgefirniβtem Gefäβkörper und tongrundigem Streifen zwischen den Henkeln27, denen ublicherweise allein die Bezeichnung «ionische Schalen» gilt, bisher in keinem gesicherten Fall aus dieser Schicht, sondern scheinen jünger zu sein. In der Gesamtform muβ man sie sich übereinstimmend mit ganz erhaltenen samischen Schalen beispielsweise aus dem Brunnen G28 vorstellen. Von den mittelgeometrischen attischen Vorbildern ist nicht viel mehr als die steile Mündung übrig geblieben. Den tiefen Gefäβkörper und den Kegelfuβ verdanken sie dem gleichen zurückgewendeten Formgefühl, das auch die vorher besprochenen Skyphoi mit konzentrischen Kreisen geprägt hat. Daβ in Milet eine solche Formbildung selbst noch in nachgeometrischer Zeit vonstatten gehen konnte, lehrt das Beispiel eben dieser weit in das 7. Jh. hineinreichenden Skyphoi. Aufgrund dieses spezifischen Pränomens und der lückenlosen Formtradition wird man sich Milet neben Samos als ein weiteres Zentrum für die Entstehung und Produktion der «ionischen Schalen» vorstellen dürfen.

10Bisher war im Zusammenhang mit der milesischen Keramik hauptsächlich von Tendenzen die Rede, die in die Vergangenheit zurückreichten. Milet ist aber auch entscheidend an der Ausbildung neuer Formen beteiligt gewesen.

  • 29 Ist. Mitt. 25, Kat. Nr. 21-24, 26, 31 Taf. 6-7.
  • 30 Ist. Mitt. 25 Kat. Nr. 19, 25, 27, 36-38 Taf. 6-7.
  • 31 Ist. Mitt. 23/24 Kat. Nr.-75, 77-78 Taf. 26.

11In der subgeometrischen Brand-und Zerstörungsschicht treten zahlreiche Fragmente von Kannen mit runder Mundung auf29. Sie erlauben es, gleichartige Fragmente, die aus einer anderen, nicht durch den Zerstörungshorizont gegliederten Schicht des 7. Jhs. stammen30 oder nicht sicher stratifiziert sind31, ebenfalls der ersten Hälfte des 7. Jhs. zuzuweisen.

  • 32 H. Walter, Samos V, 47 ff. Eine kürzlich im Kunsthandel aufgetauchte Kanne, die sich jetzt in den K (...)
  • 33 Vgl. Samos V, 49.
  • 34 Samos V, 50, 60 f.

12Besonders bei dieser bedeutenden und schönen Gattung empfindet man es als bedauerlich, daβ bisher in Milet keine vollständig erhaltenen Gefaβe gefunden worden sind. Dafür können jedoch in gewissem Umfang die gleichzeitigen Kannen aus Samos eintreten, wo die Entwicklung parallel verlaufen zu sein scheint32. Immerhin sind auch in Milet die wichtigsten Einzelelemente der Dekoration bejegt. Den Hals füllt in mehreren Fallen ein Schachbrettmuster mit Punktfüllung, das oben und unten von Ketten liegender, ebenfalls punktgefüllter S-Haken gerahmt ist. Ein ähnlich rhythmisiertes Ornamentband legt sich um die weiteste Ausdehnung des Gefäβkörpers. Im Henkelfeld begegnen abwärtsgerichtete Blattstrahlen, die auch von dem Fuβ des Gefäβes ausgehen können. In der figürlichen Dekoration stehen subgeometrische neben voll entwickelten archaischen Formen. Subgeometrisch wirken besonders die rauten-und punktgefülleten stehenden Dreiecke, die sich mit ihrer eingerollten Spitze aus dem geometrischen Mäanderbaum entwickelt haben dürften33. In die gleiche Zeit weist auch der Vogel, der auf der Schräge eines dieser Dreiecke steht. Die Beine eines schreitenden Raubtieres und das punktgefullte Rautennetz zweier anderer Kannen zeigen ebenfalls ihre Abhängigkeit von einer älteren Tradition. Dagegen ist bei den erhaltenen Löwenbildern der Übergang zur archaischen Formensprache vollzogen. Leider erlaubt der fragmentarische Erhaltungszustand der milesischen Scherben keine sicheren Aussagen über die Einteilung des figürlichen Schmuckes auf der Schulter der Gefäβe. Es scheint aber, daβ man auch hier, wie in Rhodos und Samos34, von einer engeren, auf geometrische Tradition zurückweisenden Felderteilung zu breiteren Friesen ubergegangen ist, die dem Tierbild eine reichere Entfaltung gestatteten (Abb. 3).

  • 35 Samos V, 74, f. 81.

13Die Malerei auf den Kannen mit runder Mündung wirkt wie ein Vorspiel zur Entstehung der bedeutendsten ostionischen Dekorationsart archaischer Zeit, des Tierfriesstiles, der in seiner Frühstufe die gleiche Gefäβform bevorzugt. Bei der Frage nach den Hauptzentren der Ausbildung dieses Stiles erhalten Samos und Milet schon von hieraus ein besonderes Gewicht. Die Funde aus Milet scheinen die von Samos aus bereits früher erkennbare Priorität des südionischen Bereichs etwa gegenüber Rhodos im Einzelnen zu bestätigen35.

  • 36 Ist. Mitt. 9/10, 88 Taf. 80, 2.
  • 37 Ist. Mitt. 23/24 Kat. Nr. 95 Taf. 28.
  • 38 Ist. Mitt. 23/24 Kat. Nr. 80 Taf. 26.
  • 39 Samos V, Taf. 59, Nr. 349.
  • 40 Samos V, Taf. 90, Nr. 501; W. Schiering, Werkstätten orientalisierender Keramik auf Rhodos (1957), (...)

14Aus Milet stammt der fruheste Fries weidender Rehe, eines der Lieblingstiere des Tierfriesstiles36. Sie sind auf einen Amphorenhals gemalt, dessen Fundlage als unmittelbar über der spatgeometrischen Brandschicht angegeben wird. Das Gefäβ ist sicher milesisch, zumal sich 1963 ein ähnlicher Amphorenhals fand37. Die Zeichenweise der Tiere und das sparsame Füllornament entsprechen der frühen Zeitstufe. Noch fehlt die Tüpfelung des Fells und der später übliche gepunktete Bauchstreifen. Der Körper ist hoch und schwer und ruht auf unsicher stehenden, etwas unorganisch aus dem Rumpf herauswachsenden Beinen. Neben diesem Fries weidender Rehe findet sich in Milet auch der früheste Fries schreitender Steinbocke38. Sie sind, wiederum unkanonisch, auf die Wendung eines Kraters gemalt (Abb. 4), der auch in Samos neben der Kanne mit runder Mündung zum Hauptträger von Tierdarstellungen wird. Obwohl die Steinbocke vielleicht etwas jünger sind, ist ihre Übereinstimmung in der Malweise mit den weidenden Rehen unverkennbar, sodaβ ihr gemeinsamer milesischer Ursprung nicht zu bestreiten ist. Es mag in Samos ältere Steinbocke geben39. Erst die milesischen Tiere haben das ausgesparte Gesicht und die einzelnen Formeln der Zeichnung, die den späteren ausgereiften Tierfriesstil kennzeichnen. Wir haben es hier in der Tat mit dem frühesten Beispiel des sog. Kamiros-Stiles zu tun. Die Steinbocke der Leningrader Kanne, die bisher als die ältesten galten, sind deutlich jünger, wie sich allein in der Lage und der Form des Auges der milesischen Tiere zu erkennen gibt. Sie erinnern darin an die älteren Tiere etwa aus Samos oder auf einer Kanne unbekannter Herkunft in Brüssel40.

  • 41 Ist. Mitt. 21, 1971, 109 ff. Taf. 33.
  • 42 Vgl. z.B. Schiering, a.O. Taf. 1, 1-3. AM. 74, 1959, 20 Abb. 2.
  • 43 Laon Museum, Inv. 37.786.
  • 44 Samos VI, 1, 12. Taf. 24, 190.
  • 45 E. Akurgal, Orient und Okzident (Kunst der Welt) 194.

15Zum Schluβ möchte ich noch auf zwei Scherben hinweisen, die wie ich glaube, in Milet wie im ganzen ostionischen Bereich einzigartig dastehen41. Sie stammen von einem geschlossenen Gefäβ und stellten ursprünglich ein groβformatiges Bild, wahrscheinlich ein Sagenbild, dar. Links sehen Sie einen stehenden Bogenschützen, rechts die Pferde eines Gespannes. Ein solches Bild befremdet im ostionischen Bereich. Zwar kennen wir einige frühe Menschenbilder aus Rhodos oder Samos42. Selbst in die Darstellungen von Tierfriesgefäβen sind bisweilen menschliche Darstellungen eingeschoben, so auf einer frühen Tierfrieskanne in Laon, auf die mich Prof. R. M. Cook aufmerksam gemacht hat43, und einem späten Teller aus Samos44. Keines davon erreicht jedoch das Bild auf dem milesiche Gefäβ. Die Anregung zu dieser Darstellung stammt mit Gewiβheit von den Kykladen, wohin besonders die Pferde weisen mit ihrer eigenartigen Stilisierung des Schultergelenkes, deren orientalische Herkunft Prof. Akurgal nachgewiesen hat45. Der Stil der Dartstellung und das Fabrikat der Scherben sind aber milesisch. Von dem Bogenschützen mit seinen abgerundeten, auf einem besonderen Verständnis des Volumens beruhenden Formen läβt sich eine Verbindung bis zu den archaischen Skulpturen Milets ziehen.

  • 46 Vorläufig läβt sich nur sagen, daβ eine gewisse Anzahl von Scherben aus den Schichten 5-7 von Al Mi (...)

16Ich habe über einen Ausschnitt aus der milesischen Keramik eines begrenzten Zeitraumes gesprochen. Sie ersehen daraus eher die noch zu leistenden Aufgaben als das, was schon getan ist. Unerforscht sind beispielsweise die Beziehungen der Mutterstadt zu ihren Kolonien, von denen sie seit der Mitte des 8. Jhs. über 80 ausgesendet haben soll. Unerforscht ist auch das Ausgreifen der groβen Handelsmetropole nach Osten und Westen46. Voläufig läβt sich nur etwas über die Einflüsse sagen, die die Stadt errreichten. Sie kamen vorwiegend von Westen über das Meer, aus Athen und dem Bereich der Kykladen, während die Stadt zum Land hin relativ abgeschlossen gewesen zu sein scheint. Bevor diese und andere Fragen gestellt werden können, muB aber die Materialbasis in Milet selbst durch neue Grabungen erweitert werden.

Zusammenfassung

17Der Diskussionsbeitrag geht von zwei datierten Schichten in Milet aus. Es handelt sich jeweils um Zerstörungsschichten, von denen die eine am Ende des 8. Jhs., die andere in der Mitte des 7. Jhs. enttanden ist. Auf dieser Grundlage ergibt sich, daβ die alte Form des Skyphos mit tiefer Wandung und einer Dekoration aus konzentrischen Kreisen, die als eine der Leitformen der milesischen Keramik angesehen werden kann, bis in die Mitte des 7. Jhs. herabreicht. In diesem konservierten «protogeometrischen» Klima wird auch die Entstehung der «ionischen» Schalen verständlich, die in Milet über Zwischenstufen an mittelgeometrische attische Skyphoi angeschlossen werden konnen. Die Funde aus der 1. Hälfte und der Mitte des 7. Jhs. zeigen auβerdem, welchen bedeutenden Anteil Milet an der Ausbildung des Tierfriesstiles gehabt haben muβ. Neben einer reichen Tradition subgeometrischer und vorarchaischer Malerei finden sich in Milet auch die frühsten entwickelten Beispiele dieses Stiles.

Notes

1 Vgl. G. Kleiner, Die Ruinen von Milet (1968) 11; ders. Ist. Mitt. 23/24, 1973/74, 63 ff.

2 Dialoghi di Archeologia 3, 1969 Nr. 1-2, 115 ff.

3 Ist. Mitt. 9/10, 1959/60. 91 ff.

4 Greek Geometric Pottery (1968), 268.

5 Ist. Mitt. 9/10, 38.

6 Ist. Mitt. 23/24, 69 ff., 84 ff.

7 BSA 53-54, 1958-59, 43, 124.

8 Ist. Mitt. 9/10, 39; vgl. für Altsmyrna J. M. Cook, CAH II, 27.

9 BSA 53-54, 1958-59, 43, 124.

10 Ist. Mitt. 23/24, 71 f., 85; Ist. Mitt. 25, 1975, 41.

11 Ist. Mitt. 23/24, Kat. Nr. 139, 14, Taf. 32. Zu der Scherbe Kat. Nr. 142 verdanke ich J. Benson forgende Bemerkung «Nicht später als SPK. MPK II nicht ausgeschlossen; vorgeschlagene Datierung 650 v. Chr.».

12 Ist. Mitt. 23/24, Kat. Nr. 14-15, Taf. 19.

13 Vgl. z. B. Ist. Mitt. 25, Kat. Nr. 40, 45.

14 Vgl. z. B. Ist. Mitt. 9/10, Taf. 57, 1; Ist. Mitt. 23/24, Kat. Nr. 40, Taf. 22.

15 Vgl. C. Weickert, Bericht 6. Internationaler Kongreβ für Archäologie Berlin 1938 (1940), 325 ff. Taf. 45; Ist. Mitt. 9/10 Taf. 57, 2.

16 Ist. Mitt. 25, Kat. Nr. 42, Taf. 9.

17 Ist. Mitt. 25, Abb. 5 Taf. 12.

18 Vgl. Ist. Mitt. 9/10 Taf. 55.

19 Ist. Mitt. 23/24, Kat. Nr. 3, Taf. 17-18.

20 Ist. Mitt. 23/24, 68.

21 Vgl. oben Anm. 13.

22 Vgl. z. B. Ist. Mitt. 23/24, Kat. Nr. 46 Taf. 22; Ist. Mitt. 25 Kat. Nr. 60 Taf. 12.

23 The Aegean and the Near East 168.

24 Vgl. Thera II 217 (H. Dragendorff), Coldstream 290.

25 Ist. Mitt. 23/24 Kat. Nr. 26/27 und 28-30; vgl. Ist. Mitt. 9/10 Taf. 58, 2.

26 Samos V Taf. 40 Nr. 220, 222.

27 Ist. Mitt. 23/24 Kat. Nr. 63-65 Taf. 24.

28 AM. 74, 1959 Taf. 33, 3-4.

29 Ist. Mitt. 25, Kat. Nr. 21-24, 26, 31 Taf. 6-7.

30 Ist. Mitt. 25 Kat. Nr. 19, 25, 27, 36-38 Taf. 6-7.

31 Ist. Mitt. 23/24 Kat. Nr.-75, 77-78 Taf. 26.

32 H. Walter, Samos V, 47 ff. Eine kürzlich im Kunsthandel aufgetauchte Kanne, die sich jetzt in den Kunstsammlungen der Ruhr-UniversitätBochum befindet (Kunst und Altertum am Rhein. Antiken aus rheinischem Privatbesitz, Köln 1973, Nr. 434, Taf. 196. N. Himmelmann, Bonner Universitätsblätter 1974, 30 Abb. 1. B. Andreae, Jahrbuch 1975 der Ruhr-Universität Bochum 17 Abb. 10), kann mit guten Gründen Milet zugewiesen werden. Der Überzug und der glimmerhaltige Ton entsprechen den dort gefundenen Scherben. Für die Elemente der Dekoration sind zu vergleichen: Ist. Mitt 25 Kat. Nr. 25-26, 29 (Halsornament, plastische Reifen am Halsansatz, die in Milet auch an der älteren Kanne Ist. Mitt 7, 1957 Taf. 38 begegnen); Ist. Mitt 25 Kat. Nr. 31, 35-36 (Füllornament, Bauchstreifen); Ist. Mitt 23/24 Kat. Nr. 107 (Schulterfeld). Der Stil der Löwen entspricht dem auf der Scherbe Ist. Mitt Kat. Nr. 33 Taf. 7. Die Kanne ist als milesisches Imporstück innerhalb eines Fundes anzusehen, der aufgrund des provinziellen Stiles der anderen Gefäβe am ehesten im Hinterland der milesischen Halbinsel zu lokalisieren ist.

33 Vgl. Samos V, 49.

34 Samos V, 50, 60 f.

35 Samos V, 74, f. 81.

36 Ist. Mitt. 9/10, 88 Taf. 80, 2.

37 Ist. Mitt. 23/24 Kat. Nr. 95 Taf. 28.

38 Ist. Mitt. 23/24 Kat. Nr. 80 Taf. 26.

39 Samos V, Taf. 59, Nr. 349.

40 Samos V, Taf. 90, Nr. 501; W. Schiering, Werkstätten orientalisierender Keramik auf Rhodos (1957), Taf. 12, 1.

41 Ist. Mitt. 21, 1971, 109 ff. Taf. 33.

42 Vgl. z.B. Schiering, a.O. Taf. 1, 1-3. AM. 74, 1959, 20 Abb. 2.

43 Laon Museum, Inv. 37.786.

44 Samos VI, 1, 12. Taf. 24, 190.

45 E. Akurgal, Orient und Okzident (Kunst der Welt) 194.

46 Vorläufig läβt sich nur sagen, daβ eine gewisse Anzahl von Scherben aus den Schichten 5-7 von Al Mina nach ihrem allgemeinen Aspekt milesisch sein könnten. Ich kenne diese Scherben aber nicht aus eigener Anschauung.

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