Opinion Editorial

Psychische Gesundheit im Leistungssport in Zeiten von COVID-19

Claussen MC1#, Fröhlich S2, Spörri J2, Seifritz E1, Scherr J2
1 Sportpsychiatrie und -psychotherapie, Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, Psychiatrische Universitätsklinik Zürich
2 Universitäres Zentrum für Prävention und Sportmedizin, Universitätsklinik Balgrist, Zürich
# E-Mail: malte.claussen@puk.zh.ch

Die Änderungen des öffentlichen Lebens, Isolation, Quarantäne und damit verbundene weitere Einschränkungen der gewohnten Routine sowie Ängste und Sorgen sind nur einige Beispiele für die psychischen Belastungen durch die COVID-19-Pandemie [1]. Nicht nur die Normalbevölkerung, sondern auch bzw. vor allem Leistungssportler sind diesen Belastungen ausgesetzt, und Leistungssport ist in Zeiten von COVID-19 nur noch stark eingeschränkt denkbar. Von einem Tag auf den anderen änderten sich für Sportler über Jahre und Jahrzehnte etablierte Tagesstrukturen und Gewohnheiten. Training ist häufig nur noch in Isolation und Kleingruppen (z.B. mit maximal 5 Personen) fernab des gewohnten Umfeldes umsetzbar. Diese für Leistungssportler spezifischen Belastungen für die psychische Gesundheit durch die COVID-19-Pandemie gilt es ebenso zu beachten wie mögliche Auswirkungen auf die körperliche Gesundheit [2]. Geschlossene Trainingseinrichtungen, abgesagte Trainingslager, Unsicherheiten und Unklarheiten bezüglich der Fortführung der Saison, abgesagte Wettkämpfe und verschobene Grossanlässe wie die Olympischen Spiele und die Fussball-Europameisterschaft sind weitere Beispiele [2,3]. Einige Sportler könnten später einmal glauben, dass die Verschiebung der Olympischen Spiele ihnen eine Teilnahme an einem einmaligen Lebensereignis oder gar eine sicher geglaubte Medaille verwehrt hat. Anderen, die aktuell noch von einer schweren Verletzung genesen oder die im nächsten Jahr ihren Leistungszenit erreichen, kommt die Verschiebung entgegen, und sie profitieren. Grossanlässe sind häufig Zeitpunkte für Transitionen aus dem Sport. Das Karriereende per se kann bereits eine Belastung für die psychische Gesundheit darstellen (4). Dies gilt umso mehr, wenn das Karriereende nicht frei gewählt ist, und z.B. nicht mehr an dem gewünschten Karrierehöhepunkt teilgenommen werden konnte.
Diese Belastungen treffen alle Leistungssportler, egal ob Mannschafts- oder Individualsportler, sowie Sportler, die ihre Saison gerade beendet haben oder sich wieder in Vorbereitung auf die neue (Winter-)Saison befinden. Fragen zu den sportlichen Zielen und dem richtigen bzw. überhaupt möglichen Training in der aktuellen Situation stellen sich dabei häufig und können mit Unsicherheiten bis hin zu Sorgen um die Fortführung der sportlichen Laufbahn verbunden sein. Beides kann einen Einfluss auf die psychische und körperliche Gesundheit und die sportliche Leistungsfähigkeit haben [4]. Aus sportmedizinischer Perspektive können durch die COVID-19-Situation bedingte Einschränkungen im Training und damit verbundene unterschwellige Trainingsreize mit einer erhöhten muskuloskelettalen Verletzungshäufigkeit einhergehen, wenn nach Ende der Pandemie die Ausübung der sportlichen Aktivitäten wieder uneingeschränkt möglich ist und die Trainingsbelastung in kürzester Zeit stark ansteigt. Psychische Belastungen und Erkrankungen haben ebenfalls einen Einfluss auf das muskuloskelettale Verletzungsrisiko und die sportliche Leistungsfähigkeit [4] und können sich in der aktuellen Situation klinisch manifestieren. Aber auch bereits bestehende subklinische und manifeste psychische Erkrankungen können exazerbieren und sich verschlechtern. Affektive Störungen (Depressionen), Angsterkrankungen und Schlafstörungen wie ein schädlicher Alkohol- und Substanzkonsum sind hier als Beispiele zu nennen [1].

Ausblick

Psychische Gesundheit ist wie körperliche Gesundheit und Leistungsfähigkeit eine integrale Dimension des Leistungssports, und alle drei können nicht unabhängig voneinander betrachtet werden [4]. Psychisches Wohlbefinden und (sportliche) Leistungsfähigkeit bedingen sich gegenseitig. Psychische Belastungen und Erkrankungen können Einfluss auf die Leistung haben, das Risiko für körperliche Verletzungen erhöhen und die Rehabilitation verlängern. Verletzungen wiederum haben einen Einfluss auf die Leistung und sind Belastungen und Risiken für die psychische Gesundheit. All diese Zusammenhänge sind bekannt [4]. Die COVID-19-Pandemie und die damit verbundenen Einschränkungen können im Besonderen Belastungen und Risiken für die psychische Gesundheit im Leistungssport darstellen und müssen berücksichtigt werden [2,3].

Forschungsprojekt
Ein Forschungsprojekt, das den Zusammenhang von psychischer Gesundheit, körperlicher Gesundheit und Leistungsfähigkeit im Leistungssport während der COVID-19-Pandemie untersuchen möchte, wurde in den vergangenen Tagen durch das Universitäre Zentrum für Prävention und Sportmedizin und die Sportpsychiatrie und -psychotherapie an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich ausgearbeitet. Eine Erklärung durch die Ethikkommission des Kantons Zürich liegt bereits vor und ermöglicht die kurzfristige Umsetzung.
Eingeladen, an der Erhebung teilzunehmen, sind Leistungssportler aller Disziplinen. Zudem bitten wir Vereine und Verbände, Sportärzte und alle weiteren Verantwortlichen und Professionals, Sportler auf die Erhebung hinzuweisen. Etwaige psychische Belastungen sollen mit Fragen zu Symptomen, wie sie typischerweise bei einer depressiven Verstimmung auftreten, erhoben und mit Fragen zu möglichen Schlafproblemen und Ängsten ergänzt werden. Die Erhebung soll während der COVID-19-Pandemie in einem Intervall von vier Wochen erfolgen und nach dem Ende der Einschränkungen des öffentlichen Lebens über einen Zeitraum von einem Jahr fortgeführt werden.
Falls Sie Leistungssportler betreuen, die für eine Teilnahme an der Studie in Frage kommen, zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren.  

Kontakt

Stefan Fröhlich; E-Mail: stefan.froelich@balgrist.ch
Malte Christian Claussen; E-Mail: malte.claussen@puk.zh.ch  







Weitere und aktuelle Informationen zur Studie erhalten Sie unter:
https://sgspp.ch/cmf/de/forschung/leistungssport/psychische-gesundheit-im-leistungssport-in-zeiten-von-covid-19/

Literatur

  1. World Health Organisation Regional Office for Europe: Mental health and COVID-19. In: http://www.euro.who.int (2020).
  2. Toresdahl BG, Asif IM. Coronavirus Disease 2019 (COVID-19): Considerations for the Competitive Athlete. Sports Health. Published online ahead of print on April 6, 2020.
  3. Blog British Journal of Sports Medicine: Edwards C, Thornton J. Athlete mental health and mental ilness in the era of COVID-19: shifting focus with a new reality. In: https://blogs.bmj.com/bjsm/. Posted on March 25, 2020.
  4. Reardon CL, Hainline B, Aron CM, Baron D, Baum AL, Bindra A, et al. Mental health in elite athletes: International Olympic Committee consensus statement (2019). British journal of sports medicine. 2019;53(11):667-99.

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