Wilbrandt-Baudius (Wilbrandt), Auguste (1843–1937), Schauspielerin

Wilbrandt-Baudius (Wilbrandt) Auguste, Schauspielerin. Geb. Zwickau, Sachsen (D), 1. 6. 1843; gest. Wien, 30. 3. 1937 (Ehrengrab: Zentralfriedhof); evang. AB. Tochter von Auguste Tittel und Adoptivtochter von →Karl Friedrich Baudius, Mutter des Volkswirtschaftlers Robert Wilbrandt (geb. Wien, 29. 8. 1875; gest. Marquartstein, D, 24. 2. 1954); ab 1873 verheiratet mit →Adolf (v.) Wilbrandt. – Noch während des privaten Schauspielunterrichts bei Baudius trug W. 1856 Schillers „Das Lied von der Glocke“ am Leipziger Stadttheater vor. 1859 debüt. sie dort als Julia in Shakespeares „Romeo und Julia“. Es folgten Klärchen in Goethes „Egmont“, Margarethe in dessen „Faust“, Luise in Schillers „Kabale und Liebe“ sowie Kleists „Käthchen von Heilbronn“. Nach einem Gastspiel 1860 am Hoftheater Dresden erhielt sie ein Engagement als jugendl. sentimentale Liebhaberin an das Stadttheater Breslau, von wo sie →Heinrich Laube im Mai 1861 an das Wr. Hofburgtheater engag. Ihren Einstand gab sie dort bereits im April des Jahres u. a. als „Käthchen von Heilbronn“. Zunächst als sentimentale Liebhaberin engag., erweiterte sie durch Laubes Förderung schon bald ihr Repertoire bis zur jugendl. Salondame und zu Charakterrollen, wie etwa Katharina in Shakespeares „Der Widerspenstigen Zähmung“. Erfolgreich war W. v. a. in zeitgenöss. Dramatik u. a. von Karl Gutzkow, Carl Blum, Gustav Freytag, Roderich Benedix, →Arnold Hirsch und Charlotte Birch-Pfeiffer. Sie machte sich einen Namen in Lustspielen und Konversationsstücken, darunter Bearb. französ. Vorlagen von Victorien Sardou, Emile Augier oder Eugène Scribe, v. a. aber in Werken von →Eduard v. Bauernfeld. So gab sie etwa Paula in „Frauenfreundschaft“, Adelaide in „Das Liebesprotokoll“, Gfn. Flora in „Aus der Gesellschaft“, Katharina in „Landfrieden“ oder Elsa in „Moderne Jugend“. Einen weiteren Schwerpunkt bildeten Rollen in Wilbrandt-Stücken (u. a. Adelheid in „Jugendliebe“ oder Helene in „Ein Kampf ums Dasein“). Während Wilbrandt seiner Frau Rollen auf den Leib schrieb, trug W. durch ihre Interpretation zum Erfolg seiner Stücke bei. Das Publikum liebte „die Baudius“ für ihre Natürlichkeit, Originalität und ihr Temperament und oft stand sie mit anderen Größen wie →Adolf v. Sonnenthal, →Julie Rettich, →Ludwig Gabillon oder →August Förster auf der Bühne. Unter →Franz Frh. v. Dingelstedt wurden die Rollen allmähl. weniger und kleiner. Nach einem Zerwürfnis ließ sich W. 1877 beurlauben und 1878 schließl. pensionieren. I. d. F. gastierte sie u. a. in Wien, Berlin, Brünn, Linz, Graz, Leipzig, Rostock, Prag und Hamburg, vorwiegend in Rollen aus Werken Wilbrandts. Am häufigsten gab sie Therese Teinach in „Auf den Brettern“, Else in „Die Maler“ sowie Natalie im gleichnamigen Stück, das Wilbrandt speziell für ihre Gastspielreisen verf. Das Gastspiel in Alexandre Dumas’ und Armand d’Artoisʼ „Affaire Clemenceau“ im Herbst 1889 am Theater an der Wien war ein sensationeller Erfolg. W. verkörperte Gfn. Dobronowska und trat zusammen mit →Richard Tauber und →Adele Sandrock auf. Diese Rolle bildete gleichsam den Übergang ins ältere Fach. Ein fixes Engagement erfolgte erst wieder im November 1893 im neu eröffneten Raimundtheater. Von 1895 bis Frühjahr 1896 spielte W. vorwiegend in naturalist. Stücken, so die Rattenmamsell in Ibsens „Klein Eyolf“ oder Mutter Baumert in Hauptmanns „Die Weber“ am Dt. Theater Berlin, danach folgte das Hoftheater Meiningen. 1898 kehrte sie endgültig ans Burgtheater zurück, wo sie erneut v. a. in zeitgenöss. Dramatik auftrat, etwa als Frau Higgins in Shaws „Pygmalion“. Darüber hinaus war sie u. a. als Daja in Lessings „Nathan der Weise“, als Mutter seiner „Emilia Galotti“ oder als Madam Helseth in Ibsens „Rosmersholm“ zu sehen. W. avancierte zur beliebten „Großmutter Baudius“ und stand häufig mit Max Paulsen, →Albert Heine, Hedwig Bleibtreu, Otto Tressler oder Lotte Medelsky auf der Bühne, auch unter der Regie von →Hugo Thimig. Ihre letzte Rolle war die Mutter Marguerite in Rostands „Cyrano von Bergerac“ 1933. 1887 begann W. mit eigenen Programmen, oft im Rahmen von Wohltätigkeitsveranstaltungen oder Ver.abenden, aufzutreten. Meist brachte sie Erz., aber auch Theaterszenen, Balladen oder Ged. u. a. von →Marie Freifrau Ebner v. Eschenbach, Goethe, Betty Paoli (→Babette Glück), Wilbrandt, Tolstoi oder Mark Twain, die sie dramaturg. bearb., sowie Anekdoten aus ihrer Bühnenlaufbahn. W.s Vortragskunst zeichnete ihr eingängiger Plauderton bes. aus sowie die Modulationsfähigkeit ihrer Stimme, die feinste Nuancen sichtbar machen konnte. Ihre letzte Vorlesung fand im Akad.theater im Rahmen einer Goethefeier 1932 statt. 1867 wurde W. Hofschauspielerin, 1921 Ehrenmitgl. des Burgtheaters. Sie erhielt u. a. das Goldene Verdienstkreuz mit der Krone (1917), das Große Silberne Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik (1926) und den Burgtheaterring der „Concordia“ (1926). Zudem war W. Ehrenmitgl. des Österr. P.E.N.-Clubs (1928).

W.: Mein alter Dir., in: NFP, 16. 9. 1906; Bei Laube, Vom alten Burgtheater, In der Theaterloge, in: Amalthea-Almanach, 1918; Aus Kunst und Leben. Erinnerungsskizzen …, 1919; Ungedruckte Ged.smlgg. (Theatermus. Wien). – Teilnachlässe: Wienbibl. im Rathaus, Theatermus., beide Wien.
L.: Alth, Burgtheater; Czeike; Eisenberg, Bühne; Wurzbach; H. Richter, A. W. Der Weg einer großen Burgschauspielerin, ed. R. Zitta, 1963; I. Buck, A. W.s Konversationsstil, phil. Diss. Wien, 1968 (mit Rollenverzeichnis); HHStA, Theatermus., Wienbibl. im Rathaus, WStLA, alle Wien.
(C. Mayerhofer)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 16 (Lfg. 71, 2020), S. 205f.
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