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BY 4.0 license Open Access Published by Akademie Verlag August 9, 2019

‚Monasterium.net‘ – eine Infrastruktur für diplomatische Forschung

  • Georg Vogeler EMAIL logo
From the journal Das Mittelalter

‚Monasterium.net‘ ist ein Portal zu mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Urkunden in ganz Europa. Es wurde 2002 von niederösterreichischen Archivaren und Mönchen geschaffen, die auf den mühsamen Zugang zu den Stiftsarchiven dieser Region aufmerksam wurden. Alleine schon die schwierige Personallage der Stiftsarchive erschwert der diplomatischen Forschung den Zugriff auf die reiche Urkundenüberlieferung. Gleichzeitig ist die Überlieferung der Region und der Klöster weit weniger isoliert, als es die Zuordnung der Urkunden zu Archiven vermuten lässt.[1] Die Publikation von digitalen Bildern, archivischer Erschließung und retrodigitalisierten Regesten und Editionen bringt nun dieses bislang verstreute Quellenmaterial in einer digitalen Plattform zusammen und macht sie jedem jederzeit zugänglich. Von dieser Grundidee ließen sich auch Archivar*innen in umliegenden Ländern überzeugen. So ist die Zahl der Urkunden in ‚Monasterium.net‘ in den letzten 15 Jahren auf über 600.000 angewachsen. ‚Monasterium.net‘ enthält heute Urkunden von Archiven aus ganz Österreich und seinen Nachbarländern (Tschechien, Bayern, Italien, Ungarn, Schweiz, Slowenien, Slowakei), aber auch aus Estland, aus Polen, aus anderen Teilen Deutschlands und aus Spanien. Mit einer umfangreichen Übernahme von Transkriptionen aus gedruckten Editionen von Urkunden aus ganz Europa in einer Kooperation mit Google-Books[2] und aus England in einer Kooperation mit dem kanadischen DEEDS-Projekt[3] hat sich der geographische Horizont noch erweitert.

Die Größe des Projekts bringt es mit sich, dass die Daten sehr heterogen sind. Eine erste Orientierung bietet die Unterscheidung in ‚Archivbestände‘ und ‚Sammlungen‘. Unter ‚Archivbestände‘ sind Gruppen von Urkunden eingeordnet, deren Daten Archive zur Verfügung gestellt haben. ‚Sammlungen‘ enthalten Daten, die als Ergebnis einer Beschäftigung mit Urkundengruppen durch Forscher*innen entstanden sind. Archivbestände bilden also Archivlogik ab (z. B. Provenienzzusammenhänge), Sammlungen Forschungslogik (z. B. Urkunden eines Ausstellers). Diese Unterteilung legt aber noch nicht fest, welche Daten über die einzelnen Urkunden zu finden sind: Es gibt Archivbestände, in denen die Benutzer*innen nur ein Bild und das Ausstellungsdatum zu jeder Urkunde angeboten bekommen, wie es ebenso Archivbestände gibt, in denen zu Bildern, Regest und physischer Beschreibung noch Transkriptionen aus gedruckten Editionen ergänzt sind. Einzelne Archive wollten wiederum keine Bilder bereitstellen. Unter den Sammlungen kann man sowohl rekonstruierte Archive mit Bildern und Regesten finden als auch retrodigitalisierte Urkundeneditionen mit Volltext, aber ohne Bild des Originals. Franz Fuchs hat 2013 die Folgen dieser Heterogenität gut beschrieben, indem er kritisch auf die fehlende Möglichkeit hinweist, „vollständige Ergebnisse“ zu erzielen – also z. B. negative Aussagen zu ermöglichen –, und gleichzeitig den Reichtum an Informationen hervorhebt, die zu überraschenden und neuen Erkenntnissen führen können.[4] ‚Monasterium.net‘ ist damit weder ausschließlich digitale Archiverschließung und systematische Archivdigitalisierung noch ausschließlich systematische digitale Urkundenedition.[5] Die Benutzer*innen können nur auf der Ebene der einzelnen Urkundengruppen, also für jeden einzelnen Archivbestand bzw. jede Sammlung, davon ausgehen, dass ein gemeinsames Erschließungsprinzip zu Grunde liegt. Dieses ist gewöhnlich in den Einleitungen zu den jeweiligen Urkundengruppen erläutert.

‚Monasterium.net‘ ist ein für die Digital Humanities typischer Zwitter aus Forschungsprojekt und Infrastruktur: Einerseits ist es Ergebnis einer Reihe von Drittmittelprojekten, in denen digitale Methoden auf geisteswissenschaftlichen Materialien angewendet und geisteswissenschaftliche Fragestellungen mit digitalen Methoden bearbeitet wurden: Wie digitalisiert man Urkunden?[6] Welche Funktionalitäten muss ein Online-Editor für Urkunden haben?[7] Wie kann man Urkundenbeschreibungen modellieren?[8] Welche Effekte haben Datenbanken, die mehrere Archivbestände integrieren, für die Forschung?[9] Die Ergebnisse einer solchen Forschungsarbeit sind dann entweder monographische Texten oder Datenbestände, die zu weiterer Forschungsarbeit bereitgestellt werden. ‚Monasterium.net‘ gehört in die zweite Kategorie und befindet sich damit andererseits am Übergang zu einer Infrastruktureinrichtung in Gestalt einer ‚Digitalen Bibliothek‘, die in der mediävistischen Forschungslandschaft als Ressource fest verankert ist. Viele beteiligte Archive haben deshalb beschlossen, den Trägerverein ICARus durch regelmäßige Beiträge finanziell zu unterstützen.

Monasterium.net bietet seit 2006 die Möglichkeit, im Netz nicht nur passiv Daten abzurufen, sondern auch selbständig Daten zu produzieren. Das Portal integriert deshalb auch Funktionalitäten, um Urkundenbeschreibungen zu modifizieren und neu zu erstellen. Das hat dazu geführt, dass Monasterium.net nicht nur ca. 10.000 passive Zugriffe pro Monat aufweist,[10] sondern auch als Forschungsplattform genutzt wird. Mindestens 340 der über 2.300 registrierten Benutzer*innen verwenden E-Mail-Adressen, die auf einen akademischen Hintergrund schließen lassen. Wahrscheinlich haben aber weit mehr Benutzer*innen akademische Interessen. Ein besonders gutes Beispiel für die Nutzung als Forschungsplattform ist das Projekt ‚Illuminierte Urkunden als Gesamtkunstwerk‘. Das Projekt hat sich zum Ziel gesetzt, dem Phänomen illuminierter und anders dekorierter Urkunden weiter auf den Grund zu gehen, indem eine umfassende Dokumentation dieses Urkundentypus online publiziert wird. Monasterium.net bietet sich für ein solches Vorhaben aus drei Gründen an: 1. sind viele einschlägige Urkunden ohnehin schon im Portal veröffentlicht, 2. ist die Bearbeitungsumgebung explizit auf die Arbeit mit Urkunden ausgerichtet und musste für das Projekt nur um Funktionalitäten für kunsthistorische Beschreibungen erweitert werden, und 3. stellt Monasterium.net für die aus Archivbeständen in Monasterium.net entnommenen Urkunden immer auch den originalen Archivzusammenhang her, denn die Urkunden in einer ‚Sammlung‘ verweisen automatisch auf den jeweiligen Archivkontext. Das Projekt hat bis Anfang 2018 2.621 dekorierte Urkunden gesammelt und publiziert, davon 793 im engeren Sinn illuminierte (also Urkunden mit figürlichem oder farblichem Dekor).[11] Neben den illuminierten Urkunden gibt es aber auch andere Forschungsprojekte, die ihre Daten in Monasterium.net bearbeiten und publizieren, wie z. B. die digitale Edition der Urkunden des Klosters Santa Maria della Grotta (1200–1250),[12] oder das Selekt von Papsturkunden vor 1198 von Thorsten Schlauwitz.[13]

Der Datenbestand von Monasterium.net ist im XML-Format der Charters Encoding Initiative (CEI) gespeichert, das sich als ein Dialekt der TEI-P4-Richtlinien bezeichnen lässt, da sie einige Elemente aus TEI-P4 übernimmt, aber die Richtlinien umfangreich erweitert.[14] Damit ist die Austauschbarkeit der Daten deutlich erleichtert. Viele der zwischen der CEI und den Richtlinien der TEI getroffenen Unterscheidungen sind jedoch mit der Einführung der Version TEI-P5 obsolet geworden. Gegenwärtig wird deshalb in einem vom FWF geförderten Projekt daran gearbeitet, die Migration des Formates nach TEI-P5 vorzubereiten.[15] Dabei geht es darum, für Urkunden typische Phänomene so in die Kodierung der TEI zu integrieren, dass sowohl Diplomatiker*innen als auch Textkodierer davon profitieren: Wenn es Diplomatiker*innen z. B. leicht gemacht wird, das discrimen veri ac falsi einer mittelalterlichen Urkunde mit Hilfe von TEI zu kodieren und damit systematisch abfragbar zu machen, kann die gesamte TEI-Community die Authentizität auch anderer Texte auf eine interoperable Weise kodieren.[16] In diesem Sinne ist Monasterium.net nicht nur ein umfangreicher Datenpool und eine Forschungsplattform, sondern trägt auch grundsätzliches zur Entwicklung der Digitalen Geisteswissenschaften bei.

Online erschienen: 2019-08-09
Erschienen im Druck: 2019-07-11

© 2019 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

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Downloaded on 20.4.2024 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/mial-2019-0022/html
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