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Licensed Unlicensed Requires Authentication Published by De Gruyter Oldenbourg December 9, 2016

„Multiple Sattelzeiten“. Zeitkulturen in der atlantischen Welt 1760–1830

Cultures of Time in the Atlantic World, 1760–1830
  • Ulrike Kirchberger EMAIL logo
From the journal Historische Zeitschrift

Zusammenfassung

Die Menschen, die auf den Anrainerkontinenten der atlantischen Welt lebten oder sich zwischen den Kontinenten bewegten, hatten verschiedene Möglichkeiten, sich mit neuen Formen von Zeitlichkeit auseinanderzusetzen. Hierarchien spielten hierbei zweifelsohne eine wichtige Rolle. Europäische Herrschaftseliten versuchten im Kontext kolonialer Verwaltung, auf Sklavenplantagen, in religiösen und rechtlichen Zusammenhängen, die Subalternen unter das Joch der eigenen Zeitkultur zu zwingen. Solche Zeitregime entwickelten sich allerdings nicht erst mit der „Sattelzeit“ in den Jahren zwischen 1760 und 1830. Abgesehen davon war es keineswegs einfach, eine fremde Gesellschaft dem eigenen Zeitregime zu unterwerfen. Europäische Chronologie und Historiographie wurde vor dem Hintergrund antikolonialen Widerstands bewusst in Frage gestellt, es fanden Prozesse der Hybridisierung statt, wenn Zeitformen aus verschiedenen Kulturen ineinander übergingen, und es konnten neue und tradierte Zeitkulturen nebeneinander Bestand haben. Man kann folglich in Zweifel ziehen, dass sich europäische Zeitvorstellungen im Zuge kolonialer Expansion unkompliziert von Europa aus über die atlantische Welt verbreiteten. Multiple Modernitäten, hybride Zeitkulturen, Kontinuitäten, die über die europäische Sattelzeit hinwegreichten und epochale Brüche, die vor oder nach der Sattelzeit lagen, relativieren die Bedeutung des europäischen Epochenwandels für die atlantische Welt. Die alternative Perspektive, die dieser Aufsatz vorschlägt, besteht darin, einzelne Zeitkategorien wie beispielsweise die gemessene Zeit, die Verzeitlichung oder die Tiefenzeit festzulegen, sie in verschiedenen atlantischen Kontexten zu verorten und in einen transatlantischen Bezug zu bringen. Auf diese Weise lassen sich europäische Zeitkulturen, die in sich sehr heterogen waren, in ein breites Spektrum von Zeitlichkeiten einordnen, die in transkulturellen Austauschprozessen integriert oder abgelehnt werden konnten. Die über diesen Ansatz hervortretende Polychronie muss bei der Periodisierung der atlantischen Geschichte stärker berücksichtigt werden. Der Aufsatz plädiert deshalb dafür, sich eingehender mit dem Problem der zeitlichen Ordnung der atlantischen Geschichte zu beschäftigen und dabei die Rolle nichteuropäischer Gesellschaften besser einzubeziehen.

Abstract

In recent years, historians of the Atlantic world have covered much new ground with respect to spatial aspects of Atlantic history. They have produced a large number of studies which examine transoceanic coherences, transfers and migrations. As far as the chronological structure of the “New Atlantic History” is concerned, however, most of them follow a conventional pattern. It is usually taken for granted that the time between 1760 and 1830 was a period of transformation from early modern to modern history, characterized by revolutions, which ended the colonial era, and other processes of acceleration and condensation. This article aims to question the paradigm of a European-centered “Sattelzeit” which transformed the Atlantic world between 1760 and 1830. It suggests alternative time frames to structure Atlantic history chronologically. The article concentrates on the cultures of time in non-European societies and examines how the decades between 1760 and 1830 were perceived by the indigenous peoples of the Americas and in the African diasporas. Did they regard these years as a time of change or did continuities prevail in their perceptions? What forms of temporality were relevant to them, and in how far were they influenced by European chronologies? The article investigates different forms of temporality. It deals with various ways to measure time and explores processes of temporalization in slave revolts and indigenous uprisings. Furthermore, the article analyses how European forms of historiography were adapted by non-Europeans in order to defy European interpretations of history and to legitimize indigenous political claims. By looking at different categories of temporality in both European and non-European contexts, the article argues for a plurality of cultures of time (“multitemporality”) in the Atlantic world.

Online erschienen: 2016-12-9
Erschienen im Druck: 2016-12-8

© by Walter de Gruyter Berlin/Boston

Downloaded on 25.4.2024 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/hzhz-2016-0461/html
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