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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 40,2.1927

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Heft 11 (Augustheft 1927)
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Tribüne
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https://doi.org/10.11588/diglit.8882#0375

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Weise. Es kann nicht bezweiselt werden, daß unter dem Dorwande von geistiger
und körperlicher Freiheit, die man unter Opfern und Versolgung sördere, eine Ge-
schästemacherei am Werke ist, die an ossenbarer Unwahrhastigkeit ihresgleichen sucht.
Man kann nicht zugleich die Sache einiger ehrenhaster Überzeugten vertreten und
zugleich auf gewisse trübe Jnstinkte des Menschen in der abgeseimtesten Weise
Spekulationsgeschäste machen, indem man wahllos Nuditäten der anrüchigsten
Sorte verschleißt. Allein es wäre übel getan, wider dieses Gesindel die Polizei zu
Hilse zu rusen. Hier kann nur eines helsen: Belehrung, Bildung des Geschmackes
und des Gesühles für die echte Würde des Körpers mit allen Mitteln. Prüderie
aber, Nuditätenschnüsfelei, salsche Sittsamkeit, Tugendwächterei betreiben wider
ihren Willen eben die Geschäste jener zahllosen Winkelblätter, denn deren Kunden-
kreis setzt sich zum größten Teil aus Bedauernswerten zusammen, die, was sie nicht
getrost nach Hause wagen dürsen, wenigstens einmal schwarz auf weiß besitzen wol-
len. Und so wäre denn zu verlangen und zu fordern, daß sich die echten und ehr-
lichen Elemente der Körperkulturbewegung endlich auf das entschiedenste von jeder
Bruderschaft mit den ungeistigen, unsittlichen und unwürdigen Geschäftemachern los-
sagen. Denn einzig der Geist kann den Anspruch, auf seine Fasson selig zu werden,
erheben und ertragen.

Nmschau

„NeueKunsi" auf derDarmstädter
Makhlldenhöhe

ie Berliner Sezession und die Mün-
chener Neue Sezession sind in Olbrichs
schönem Ausstellungsbau auf der Darm-
städter Mathildenhöhe zu Gast. Beide
sind schwach vertreten, sie haben ihre bes-
seren Leistungen sür ihre eigenen Aus-
stellungen gebraucht. Aber auch davon
abgesehen: Mit Staunen, sast mit
Schrecken stellt man die tiese Gleichgül-
tigkeit fest, mit der man diese Ausstel-
lung durchwandert. Wohin sind die Zei-
ten, da man sich in ein Bild verliebte?
Da es einem ein deutendes, überraschen-
des Wort zurief? Gewiß, es fehlen
hier die Werke, in die ein bedeutender
Mensch seine gesammelte Kraft hinein-
gegeben hat. Ein spätes Selbstbildnis
von Corinth erschüttert: ein armes,
altes, grausam ernüchtertes Gesicht mit
der ergreifenden Ausmerksamkeit eines
zurechtgewiesenen Hundes blickt uns an;
sonderbar verkürzte Gliedmaßen stecken
in den Ärmeln eines abgetragenen Haus-
rockes; das Fest ist aus, die schwellenden
Trauben, die Brüste, das Blinken der
Harnische — alles ist blind geworden
und welk, und lange vergessen. Ein
Wiking im Häuslerrock lebt ein Stück
schalen LebensresteS dar, ,'n braunen,
stumpfen Farben und ungelenker Male-
rei; aber es ist Schicksal darin, auch

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noch eine letzte Kraft. Man muß Co-
rinths Ausgang lieben und ehren; er
enthält Tragik, die ergreist.

Aber sonst scheint fast alles, was die Aus-
stellung bietet, ein Weiterarbeiten in al-
ten Bahnen; ein Arbeiten, daö unö nichts
angeht, weil es kein geistiges Jnteresse
hat. Mele dieser Künstler können etwaö;
aber was „kann" dieses Können? Was
spricht es aus, wo ist es cingereiht in die
Werte der Zeit? Wo greift es an, wo
und wie treibt es vorwärts? Gerade in
diesen kleineren und schwächeren Aus-
stellungen zeigt sich, wie schmal das
Terrain der Kunst geworden ist. Sie
kämpft in verschlechterter Situation, sie
ist in die Defensive gedrängt. Weder
das seinschmeckerische impressionistische
Schildern der Farbenreize dieser Welt,
noch die subjektivistischen Selbstdeutun-
gen des ExpressioniSmus haben uns et-
was zu sagen; ebensowenig die Neureali-
sten. Es liegt nicht an den künstlerischen
Bekenntnissen; es liegt daran, daß der
Typus „Künstler" gegenwärtig nicht znm
Wortsührer berufen ist, daß der spezi-
sisch künstlerische Ausdruck nicht das
Jdiom ist, in dem das momentan Wich-
tige gesagt werden kann. Wir spüren
das alle; aber wir gestehen es uns
selten ein. Es ist aber da nichts zu ver-
bergen. Denn „Schuld", die bestimmte
Dinge oder Menschen träfe, liegt nicht
vor. Die Zeit hat im Augenblick andre
 
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