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Nie Frau des Arbeiters.
Roma n
von
Friedrich Friedrich.
(Fortsetzung.) Nachdruck verboten.)
Johanna setzte sich an das Fenster und blickte durch
dasselbe hin au den schmalen Streifen des Himmels, den
sie zu sehen vermochte. Die Abendsonne unisäumte die
air demselben langsam aufsteigenden Wolken mit goldigem
Lichte, so friedlich zogen die Wolken dahin, als ob cs
auf der ganzen Erde kein Mcnschenherz gäbe, welches
von Sorgen und Kummer erfüllt wäre.
Der Abend brach immer mehr herein, ihre Mutter
legte sich früh zur Ruhe, sic blieb still am Fenster sitzen.
Die Gasflammen wurden angezündet und warfen ihren
Schein bis an die Dachzinnen des gegenüberliegenden
Hauses, von der Straße tönte das Rollen
der Wagen und die Fußtritte der Menschen
herauf — Johanna blieb regungslos sitzen.
Sie träumte nicht, ein schwerer Kamps
ging in ihrem Innern vor, sie sah ein,
daß sie jede Hoffnung, welche sie bisher
noch gehegt hatte, abstreifen müsse, cs
wurde ihr schwer, denn der Wechsel, der
in ihrem Leben eingetreten, war ein zu
plötzlicher und großer, sie hielt aber an
dem Entschlüsse fest, sich durchzuringen,
mochte es ihr auch noch so schwer werden.
Am folgenden Morgen verließ sic
das Haus, um Arbeit zu suchen, wie
sie ihrer Mutter sagte. Es war indessen
ein anderer Zweck, der sie fortführte.
In der Tasche trug sie mehrere Geschenke,
welche sie von Ina und deren Baker
zum Geburtslage und zu Weihnachten
bekommen hatte, ein goldenes Armband,
einen Ring und goldene Ohrringe — sie
wollte dieselben verkaufen. Wohl hatte
sie sich außerordentlich darüber gefreut,
cs waren ihr liebe Andenken und Erin-
nerungen an eine glückliche Zeit, sie be-
durfte jedoch keines Schmuckes mehr.
In dem Laden eines Goldschmieds
verkaufte sie die Gegenstände. Wohl
zitterte ihre Hand leise, als sie das hin-
gab, was ihr soviel Freude bereitet hatte,
sie blieb jedoch fest bei dem, was sie
beschlossen hatte. Sic erhielt durch den
Verkauf soviel, daß sie für die nächste
Zeit gegen Noch gesichert war, und sie
konnte nun ruhiger Arbeit suchen.
Als sie heimgekehrt war, übergab sie
ihrer Mutter das Geld.
Erstaunt blickte die Frau auf die für
sic nicht geringe Summe.
„Woher hast Du dies?" fragte sic.
Johanna theilte ihr mit, "daß sie
ihre Schmucksachen verkauft habe.
In das Ange der Fran traten Thränen,

ihr theucr gewesen. Dies hatte im Stillen auch .an
ihrem Glauben an die Gerechtigkeit gerüttelt und sie bot
Alles auf, um diesen Zweifel fortzudrängeu und sich
wenigstens diese Zuversicht ungetrübt zn erhalten.
4.
Johanna's Bemühungen um eine besser lohnende Ar-
beit waren ohne Erfolg gewesen. Sie war entschlossen,
keine Mühe zu scheuen, der Lohn für dieselben mußte
aber ausreichend sein, um ihr und ihrer Mutter Leben
zu sichern. Eine Bekannte hatte ihr den Rath gegeben,
sich an die Vorsteherin eines Francnbildungsvercins zn
tuenden, und dankbar hatte sie denselben angenommen,
weil sie auf diesem Wege Hilfe zu finden hoffte.
Erfreut theilte sie ihrer Mutter dies mit.
Diese konnte die Bedenken, welche sie hegte, nicht
verbergen.
„Ich befürchte, Du wirst dort auch nicht finden, was
Du suchst," entgegnete sie.
„Doch, Mutter," führ Johanna fort.
„Dieser Verein hat es sich zur Aufgabe
gemacht, die Lage der Frauen zn ver-
bessern, und die Vorsteherin desselben,
Fräulein Auguste Schulze, soll eine vor-
treffliche Dame sein, die ihre ganze Kraft
daran setzt, um diese Aufgabe zu erfüllen."
„Kind, ich zweifle nicht an dem
guten Charakter der Dame, sondern an
der richtigen Wahl ihrer Mittel. Sie
hält bei jeder Gelegenheit Reden über
die Bestimmung und Gleichberechtigung
der Frauen, sie verlangt dieselben Rechte,
welche die Männer haben, für sie, ohne
zu untersuchen, ob sie auch ebenso viel
leisten können. Noch habe ich nicht ge-
hört, daß sie die Lage der Frauen im
Geringsten verbessert hat."
„Ich glaube, Du verkeimst sie," warf
Johanna ein. „Ich verlange ja nichts
weiter von ihr, als daß sie mir lohnende
Arbeit verschafft, und dies wird sie thun,
denn es ist ja das einfachste und nätür-
tichste Mittel, um unsere Lage zn ver-
bessern."
Die Frau schwieg, um ihrer Tochter
die Hoffnung nicht zu nehmen.
Johanna begab sich zu der Vor-
steherin des Vereins. Eine Dienerin
empfing sie und führte sie in ein geräu-
miges und sehr sauber ausgestattctes Ge-
mach. Die Wände waren mit Kupfer-
stichen bedeckt, hinter den Glasthüren
eines Bücherschrankes blickten eine Menge
zierlich gebundener Bücher hervor. Aus
einem kleinen vor dem Fenster stehenden
und halb von Epheu überranktcn Tische
lag ein aufgeschlagenes Buch — es ent-
hielt Gedichte.
Sie wurde von einem Gefühle der
Befangenheit ersaßt und wagte kaum,
ans dem werthvollcu Teppiche, der den

sie wußte, wie sehr das Herz eines jungen Mädchens an
solchen Gegenständen hängt.
„Kind, weshalb hast Du dies gethan?" rief sie.
„Ich kann es entbehren, Mutter," entgegnete Johanna
ruhig. „Glaubst Du, daß ich jetzt den Ring und das
Armband getragen haben würde?. Es hat mich geschmerzt,
weil es Andenken waren, doch das ist jetzt vorüber."
„Johanna, Kind, verliere nur die Hoffnung nicht,"
sprach die Frau. „Es werden auch für Dich bessere und
glückliche Zeiten wiederkehren, in denen Du Dir wieder
kaufen kannst, was Du jetzt hingcgebcn hast; Dein Herz
ist so lieb und gut, daß ich an jeder Gerechtigkeit des
Himmels verzweifeln würde, wenn cs Dir nicht einst
gut erginge!"
Johanna wandte sich, ab und schwieg.
War nicht auch das Herz ihrer Freundin lieb und
gut? Und doch war dieselbe vom Geschicke so unsagbar
schwer heinigesucht, docb batte sie Alles verloren, was

Prosrsjor Joseph Joachim.
Nach einer Photographie gezeichnet von E. Kolb. (S. 295.)
 
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