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Moderne Bauformen: Monatshefte für Architektur und Raumkunst — 12.1913

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Nr. 4
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Baer, Casimir Hermann: Neue wohlfeile Wohnungskunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.48360#0283

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201

NEUE WOHLFEILE WOHNUNGSKUNST

Die Kunst, die Wohnung praktisch und geschmack-
voll einzurichten, ist leider noch immer nicht
so Allgemeingut geworden, daß von einer modernen,
der früherer Zeiten vergleichbaren Wohnkultur
gesprochen werden könnte. Allerdings war es unseren
Vorfahren auch wesentlich leichter gemacht, sich ein
gemütliches, selbst künstlerischen Ansprüchen ge-
nügendes Heim zu schaffen. Denn sie standen nicht
ratlos vor einer unübersichtlichen Menge von allerlei
mehr oder weniger wohlgelungenen Repetitionen
überlieferter Formen oder vor höchst persönlichen oft
allzu theoretischer Neuschöpfungen, deren Eigenart
der Tradition und dadurch der inneren Kraft, des
bleibenden Wertes entbehrt. Sie wählten mit
sicherem, kultiviertem Geschmack unter den durch
den Stil der Zeit geformten Möbeln, strebten mit
Geschick darnach, die einzelnen Einrichtungsstücke
zu einheitlichen Wohngebilden zu vereinen und
waren sich der Tatsache stets bewußt, daß gute
Materialien und sorgfältige Arbeit zusammen Neu-
werte ergeben, die in Rücksicht auf ihre künst-
lerische und praktische Brauchbarkeit wie ihre
wirtschaftliche Bedeutung als Kapitalanlage billiger
sind denn wohlfeile Schundmöbel, die in wenigen
Jahren unbrauchbar die auf sie verwendete Arbeit
nicht mehr verzinsen.
Das Auftreten der Maschine und die Erfolge
der empirischen Wissenschaften, die früher teuere
Arbeitsleistungen ganz außerordentlich verbilligten
und wertvolle Materialien durch Surrogate ersetzten,
sorgten dafür, daß Produzenten wie Konsumenten
das Gefühl für Materialechtheit und gewissenhafte
Arbeit vollkommen verloren. Heute beginnen wir
langsam wieder zu erkennen, daß wenige Möbel in
guter Ausführung und Form, auch wenn sie teuer
erkauft werden mußten, in ihrer Haltbarkeit und
freudenspendenden Schönheit doch billiger sind als
formverdorbener Schund. Auf die Mitarbeit der
Maschine wird allerdings wohl nicht mehr ver-
zichtet werden können. Denn es gilt nicht nur eine
in jeder Hinsicht einwandfreie Qualitätsarbeit her-
zustellen, sondern auch so niedrige Kalkulationen
zu ermöglichen, daß eine Popularisierung derartiger
Produkte mit Erfolg angestrebt werden kann. Und
je mehr die qualitative Konsumtion zunimmt, desto
leichter wird es sein, dank der Hilfe der Maschine,

die in Rechnung zu stellenden Arbeitspreise für
die Einzelstücke zu verringern. Wenn sich dann noch
der Zwischenhandel, der Kaufmann, dazu gewinnen
läßt, die Rolle des Qualitätsvermittlers zu über-
nehmen, dann könnte mit der Zeit erreicht werden,
daß die noch schlummernde Kunst, eine Wohnung
praktisch und geschmackvoll einzurichten, wieder
selbstverständliches Allgemeingut wird.
Die Möbelfabrik von Erwin Behr in Wendlingen-
Unterboihingen bei Stuttgart hat weitsichtig diesen
inneren Zusammenhang zwischen Aesthetik und
Volkswirtschaft zur Grundlage ihrer Fabrikation
gemacht und vor kurzem in einer Ausstellung in
Stuttgart die auf den folgenden Seiten wiederge-
gebenen Räume und Möbel als erstes Ergebnis
ihrer Tätigkeit vorgeführt. Der Erfolg bewies die
Richtigkeit ihrer Voraussetzungen.
Die weiträumige Fabrik, die, im Juli 1912 be-
gonnen, heute bereits 260 Arbeiter beschäftigt, ist
in ihrer Anlage, maschinellen Ausstattung, Leitung
und Betätigung nur für Qualitätsproduktion einge-
richtet. Sie enthält Werkstätten, die trotz des Groß-
betriebs alter Handwerkskunst gleichwertige Pro-
dukte liefern. Dabei ist die Mitarbeit der Maschine
eine überraschend weitgehende. Das Zuschneiden,
Hobeln, Glätten, Fräsen und Leimen der Bretter,
das rechtwinklige Zusammenfügen der Rahmen, das
Herstellen vonZapfen und Nuten, von Verzahnungen
und Profilen, wie das Fournieren in seinen ver-
schiedenen Stadien, wird von wenigen Arbeitern
an sinnreich konstruierten Spezialmaschinen aufs
rascheste und sauberste besorgt, so daß nur noch
einige letzte Handleistungen, wie das Zusammen-
fügen und Schnitzen der einzelnen Glieder, das
Polieren und Beizen des Holzwerks, das Polstern
und Beschlagen zur völligen Fertigstellung nötigsind.
Abmachungen mit einer großen geschlossenen
Verkäufergruppe und die mannigfachen Beziehungen
der Fabrikleitung erlauben es, Einzelstücke wie
ganze Zimmereinrichtungen zusammen so oft her-
zustellen, daß überraschend niedrige Preisnotie-
rungen möglich sind. So wird zurzeit eine Woh-
nungseinrichtung von vier Zimmern (Salon, Eß-
zimmer, Herrenzimmer, Schlafzimmer) für eine
kleine Familie mit mittlerem Einkommen nach
Entwürfen von Lotte Klopsch, Berlin fabriziert, von
 
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