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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 20.1929-1930

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Heft 1
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Krug, Walter: Von A bis Z
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Walden, Herwarth: Umbau
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https://doi.org/10.11588/diglit.47222#0011

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ausgebildet!“ — „W i s s e n s c h a f t“ ist
menschliche Einbildung, die bis zur Bil-
dung ausarten kann!“ — Was erkennen
Sie Spötter nun wirklich an?“ — Die

Z c i t u n g“ als das angenehmste Erzeug-
nis des Intellektes“, weil es noch am selben
Tage sinnlos wird, und dann einem wirk-
lichen Bedürfnis dient!“-

Umbau
Herwarth Walden
Aus ist es mit der Innerlichkeit. Die
Ästheten und die Literaten jammern. Die
Menschheit will nicht einmal in ihrem
Himmel mehr mitwohnen. Alles wird
bildhaft. Sogar die Statistik. Man wendet
Auge und Ohr wieder an, statt der Zunge.
Mit dem Geschmack war es eigentlich
sowieso schon Essig. Denn es gab nur
einen erlesenen Geschmack. Durch das
Lesen hat man sich Zunge und Augen
verdorben. Man schluckte alles hinunter.
Nach verschriebenen und gedruckten Re-
zepten. Das Erlesene wurde illustriert.
Die vielbeschriebenen Kulturgüter der
Menschheit, die Natur Griechenland und
Italien, entstanden überall auf der Erde
als Nationalpanoptika. Keine Zimmerdecke
ohne Akantusblätter. Keine Tapete ohne
Rosen. Kein Haus ohne angeklatschte
wilde Tiere oder Waffen. Auf den Dächern
standen vergötterte Männer und ehrwürdige
Dirnen leicht versteinert. An den Türen
und unter den Brüstungen drückten sich
schwervergipst bessere Sklaven und leichtere
Damen herum.
Da kamen Menschen statt auf eine Idee
auf die Sinne. Sie zeichneten und malten
nicht was andere dachten, sondern was sie
selbst sahen. Nämlich Formen und Farben.

Und sie verbanden sie so, daß sie augen-
scheinlich wurden. Die Denker und Dichter
waren furchtbar böse. Man wollte sie
zwingen, Unerlesenes zu sehen. Das war
unerhört. Und alles, was unerhört ist,
geht gegen die guten Sitten. Das sind
Hausmittel gegen Naturzwecke. Natur-
mittel sind Sinne. Ist die Natur Zweck
und sie kann es nur sein, so muß sie mit
natürlichen Mitteln erreicht werden.
Was aber ist natürlicher als die Freude der
Augen. Gesteigert durch die Fähigkeit des
Menschen, den Augenschein zu wählen
und zu gestalten. Das Verhältnis von
Wagerechten, Senkrechten und Diagonalen
herzustellen. Farben nach dem Augenwert
auszugleichen. Und auf diese Weise alle
menschlichen Empfindungen auszulösen.
Jede Bewegung zu versinnlichen. Denn
wir sehen nur Farcen und Formen.
Denken ist nur Erinnern.
Nun wird aufgeräumt. Raum wird frei
gemacht. Von Häusern und Körpern fallen
die Masken, mit denen man das Panoptikum
von Natur Griechenland und Italien kindisch
nachmachte.
Der Expressionismus hat die sinnwidrige
Kultur vernichtet und das Leben wieder
aus den Sinnen sinnvoll gemacht.
 
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