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Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 25.1909

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Heft 9
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Bernoulli, Hans: Die Einheit des Materials im Aufbau der Städte
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https://doi.org/10.11588/diglit.42077#0075

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1909

ARCHITEKTONISCHE RUNDSCHAU

Heft 9

Badehaus im Bad Hersfeld. Architekten: Th. Lehmann & O. Wolff in Halle a. S.


Die Einheit des Materials im Aufbau der Städte.
Von Architekt Hans Bernoulli in Berlin.

Mit dem Festsetzen von Fluchtenplänen, die dem Ver-
kehr, der Hygiene, der schönen Linienführung Rech-
• nung tragen, auch eine günstige Massenverteilung
versprechen, ist meist die Arbeit des Städtebauers von heute
zu Ende. Er muß die Fluchten- und Zonenpläne aus der Hand
geben und nun füllen die Baulustigen selbst die vorgezeich-
neten Maschen. Der Architekt des einzelnen Hauses über-
nimmt seinen Anteil am Aufbau der Stadt. Er glaubt nur einen
einzelnen Bau zu errichten und widmet sich allen Ernstes
dieser Aufgabe. Er versucht seinem persönlichen Schönheits-
ideal Ausdruck zu verleihen, geht seiner persönlichen Vorliebe
für diese oder jene Formensprache, für dies oder jenes Material
nach, sucht um jeden Preis etwas andres, neueres zu schaffen
als der Nachbar. Wenn nun die Häusermassen über die vor-
geschriebenen Fluchtlinien emporwachsen und Straße an Straße
sich reiht, zeigt es sich, daß wohl die großen Massen der vor-
gedachten Gruppierung entsprechen, wohl auch die Haupt-
straßen mit ihren Gesimsen die erwarteten Kurven beschreiben,
daß aber trotzdem kein geschlossenes, ruhiges Bild entstehen
will. Der Eindruck auf das farbenempfindliche Auge ist zu
unklar trotz der guten Massenwirkung: das Bild ist zu bunt;
willkürlich wechselt das Material, der Träger der Farbe, und
dadurch ist die im Fluchten- und Zonenplane vorbereitete Har-
monie dahin.
Ein Blick auf unberührte alte Dörfer und Städtchen, deren
Schönheit uns gefangen nimmt, zeigt, daß dort ohne Rücksicht
auf den Wandel des Stils durch Jahrhunderte das Baumaterial
bis auf verschwindende Ausnahmen dasselbe geblieben ist.
Das einheitliche Gepräge einer Stadt beruht viel mehr auf der
Einheitlichkeit des Materials und der ihm eigentümlichen Bau-

weise, als auf der Übereinstimmung des historischen Stils. Die
alten holländischen Städtchen z. B. erscheinen wie aus einem
Guß. Bei näherem Hinsehen aber löst sich die Einheit auf in
die reichste Folge von Abwandlungen des Backsteinrohbaues:
Fachwerkbau mit Backsteinausfachungen, reiner Backsteinbau,
Backsteinbau mit teilweiser Hausteinverblendung. Die Reihen
gotischer Giebelhäuser sind durchsetzt mit Gesimshäusern des
17. und 18. Jahrhunderts. Aber die Vielgestaltigkeit ist durch
das Hauptmotiv der Einheit des tonangebenden Materials zu-
sammengehalten, das in seiner lebendigen Farbe jede Unter-
brechung doppelt fühlbar werden ließe.
In jedem Mainstädtchen weisen die mittelalterliche Burg,
die Stadtkirche, die Brunnen, Brücken, Tore, ja die Grabsteine
alle dasselbe Material auf, den roten Sandstein, durch alle Zeiten
hindurch. Die Schiefergiebel Frankfurts zeigen alle Schattie-
rungen und Übergänge vom einfachen 60n-Giebel des 15. Jahr-
hunderts bis zum bewegten Volutengiebel des 18. Jahrhunderts.
Im Appenzellerland wechseln die Schindelgiebel ihren Umriß
nach dem Zeitgeschmack; die Form wandelt sich, das Material
bleibt.
Freilich kommen auch Verschiebungen vor. An einzelnen
Punkten wechselt die Bauweise vollständig, doch nie allzu rasch.
So hat auf der bayrisch-schwäbischen Hochebene im 15. Jahr-
hundert der Putzbau den Backsteinrohbau abgelöst. Fast über-
all beginnen im 16. Jahrhundert in den Städten die Massiv-
bauten den Fachwerkbau zu verdrängen. Bei solchen Über-
gängen handelt es sich aber im Gegensatz zu heute nur um
zwei Hauptmaterialien. Auch wo sich die Wandlungen zur
neuen Bauweise nicht vollständig vollzogen haben, bietet sich
noch immer ein klares Bild, z. B. in Ingolstadt, wo noch nicht

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