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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 5 (März 1910)
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Stoessl, Otto: Kameraderie
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0037

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^scheinungstag: Mittwoch

Einzelbezug: 10 Pfennig

DERSTURM

WOCHENSCHRIFT FÜR KULTUR UND DIE KÜNSTE


Redaktion und Verlag: Berlin-Halensee, Katharinenstrasse 5
Eernsprecher Amt Wilmersdorf 3524. Anzeigen-Annahme und
Geschäftsstelle: Betlin W 35, Potsdamerstr. 111 / Amt VI, 3444

Herausgeber und Schriftleiter:
HERWARTH WALDEN


Vierteljahresbezug 1,25 Mark / Halbjahresbezug 2,50 Mark/
Jahresbezug 5,00 Mark / bei freier Zustellung / Insertions-
preis für die fünfgespaltene Nonpareillezeile 60 Pfennig

SRSTER JAHRGANG BERLIN/DONNERSTAG/DEN 31. MÄRZ 1910/WIEN NUMMER 5

[NHALT: OTTO STÖSSL: Kameraderie / CHAM-
M.AY PINSKY: Nacht/ALFRED DÖBLIN: Gespräche
Kalypso über die Musik/ADOLF LANTZ: Die
^chzeit des Gilies de Rais/ FERDINAND HARDE-
^OPF: Puppen und heilige Damen / ALBERT EHREN-
TElN: Parasiten der Parasiten /BERNHARD IH-
■"Nger; Eduard Engel und seine Opfer/MYNONA:
Nacht

Kameraderie

Von Otto Stössl

Qemeine Menschen machen selbst eine aus-
hahmsweise edle Handlung gemein, während der
f*°he sogar Böses adelt, das er verüben muß. Den
Maßstab für die sittliche Beurteilung gibt nicht die
*at, nur der Täter. Deshalb hält der vulgäre Irr-
tllrh sich gerade an die deutliche, in ihren Folgen
Scheinbar leicht zu messende Tat. Er stellt dem be-
sbmmenden Wesen der handelnden Charaktere,
£ as er nicht ohne weiteres enträtseln will noch
^ann, eine Mauer moralischer Majoritätsbeschlüsse
8eSenüber.

Dieses Mißtrauen der Gemeinheit belauert
a°Ppelt wachsam jeden Versuch einer freien geisti-
ken Organisation und lügt dem unbekümmerten
* rieb den niedrigsten Zweck an, weil es die natür-
> che Feindschaft höherer Menschenvereinigungen
^htert und fürchtet. Ein typisches Beispiel hier-
ür möchte der gehässige Sinn der Formel „Kame-
r3derie“ abgeben. Das Wort ist die Verhöhnung
e*nes an sich edlen Instinkts: der Freundschaft,
i er Hilfsbereitschaft innerlich Verwandter, geistig
^Pgehöriger, eine so unvorsichtige Verdächtigung,
man billig fragen könnte, warum nicht jede
^nmmlung von Menschen zu bestimmten Hand-
angen und Pflichten schon mit ihrem Namen ihren
.P°tt, ihre sittliche Verneinung aussagt, warum
Slch nicht schon an weit umfassendere Bindungen
, °p Anbeginn an die gerechtere Gehässigkeit
etwa an den Staat, die Kirche, Armee, Ge-
p erk- und Konsumvereine. Müßte dann von
5 echtswegen nicht jeder Beruf schon mit seinem
_ amen alles Ueble anschuldigen, das er enthalten
abd gelegentlich ausbilden mag? Außer dem
/^ort „Pfaffe“ bekommt nicht leicht eines den Ge-
artsfehler so üblen Nebensinnes mit, wie die
■•Kameraderie“. Die Sprache, welche immerhin
tieferes Gewissen der schaffenden Mensch-
‘chkeit bedeutet und wahrt, versagt sich mit Recht
^?lcher Verallgemeinerung, es widerstrebt ihr, das
'p.ort „Freundschaft“ durch eine schielende Ver-
j^chtigung zu entstellen, so muß ein fremdes er-
orgt werden, um für den Instinkt der Gemeinheit,
er sein Ebenbild und Gleichnis in allem Tun
dtert, einen Ausdruck herzugeben, worin alle
osichten engerer Verknüpfung von Menschen
^nter Einem als bösartig angezeigt werden. Was
jjch in Berufen zu bestimmten, sichtbaren Wir-
ungen, zu Machtorganistationen mit offenkundi-
Sen Zwecken verdichtet, entgeht dem Unglimpf,

was seine wahren oder vorgeblichen Motive auf
der Stirne geschrieben trägt, braucht ihre Miß-
deutung nicht zu fürchten, wenn es sie gleich hun-
dertmal in aller Gelassenheit verkehrt. Sofort
aber stürzt sich das Uebelwollen der Masse und
mit unfehlbarer Gewalt auf Verhältnisse, die, un-
abhängig von äußeren Gründen durch innere Not-
wendigkeit zustande gebracht, inneren Gesetzen,
den Willensrichtungen und Gemütsforderungen ge-
horchen und nach verschiedenen Seiten gleichsam
eine Ausstrahlung geistiger Kräfte entsenden, die
nach der Art der Genossen fruchtbar oder ver-
derblich, immer aber von äußeren Bedingungen
halbwegs befreit, ihre Wirkung ausüben. Der ge-
heimnisvollen Anziehung, Gewandtheit und Macht
solcher Wahlgemeinschaften begegnet die große
Masse, der das Argument nicht gehört, mit Hohn,
einerlei, ob sie das beste Gewächs ausrottet, das
ihr Boden trägt, oder das geile Unkraut. Dem an-
geblichen Urteil der Menge setzt der Einzelne
billig sein Vorurteil gegenüber, lhr Vorurteil kann er
nur mit der Klarheit des Urteils erwidern.

Es ist die tiefste Weisheit der Natur, daß sie
ihre Gebiide durch den Kampf, ihre Fruchtbarkeit
durch das stete Widerspiel erhält, worin jede Be-
wegung ihren Gegensatz zugleich entfesselt und
besiegt, erzeugt und braucht, sich in ihm auflöst
und neu gebiert. So läßt sie dem Machtinstinkt
des Ichs ein tiefes, seelisches Gemeinschaftsbe-
dürfnis, den groben Zweckvereinigungen der Ge-
sellschaft zarte, willkürliche Wahlgemeinschaften
antworten: Freundschaft, Liebe.

-Die substilste Wahlgemeinschaft, die Freund-
schaft, wird in ihrem Gefühlswert ganz durch die
Auslese des Qenossen bestimmt, ihr Zweck bleibt
verinnerlicht. Darum sind alle Handlungen, die
der Freundschaft entspringen, so recht unmeßbar
und fragwürdig. Jeder Selbstbetrug bringt zer-
störende Folgen. Das Vertrauen wird allzu leicht
enttäuscht, die Kraft des Gefühls erschwert die
Dauer, seine Besonderheit und Willkür läßt keine
allgemeine Glaubwürdigkeit zu. Gibt es eine
zartere Harmonie, ein feineres Gleichgewicht?

Man wendet das Wort Kameraderie an, wo
solche seelische Verbindungen über das engste
Maß individueller Zugehörigkeit hinausgreifen,
einen ganzen Ring von Gleichgesinnten erfassen
und ihre Kräfte dem Ziele gegenseitiger Er-
höhung dienstbar machen. Was dem Einzelnen
gern zugestanden wird, daß er nach allem Vermö-
gen schlecht und recht auf seinen Vorteil bedacht
sei, bleibt der Kameradschaft verübelt. Sie bringt
nämlich dieses mit sich: der Kreis ihrer Zugehöri-
gen schätzt das Gemeinsame so inständig, daß er
selbst die widersprechenden individuellen Hem-
mungen überwindet, er mißt jedem Einzelnen so
viel Wert bei, daß er dessen Anerkennung wie
seine eigene empfindet und zur eigenen Sache
macht, jeder handelt in unbewußter oder absicht-
licher Uebereinstimmung mit den übrigen so, daß
er jedem Genossen dieser Wahlgemeinschaft das
beste Gelingen seiner persönlichen Bestrebungen
mit allen Mitteln zu ermöglichen sucht, nicht ohne
ein Gleiches von ihm vorauszusetzen, zu ver-

langen, zu erreichen. Jeder ist jedem in diesem
Verhältnis zugleich unter- und übergeordnet.

Ein geheimnisvoller Zusammenhang scheinbar
unabhängiger Menschen übt seine Macht spontan
aus, er wirkt nach allen Richtungen, wirbt Teil-
nehmer selbst ohne es zu wissen, das Beispiel ver-
lockt Unschlüssige, reizt zur Nachahmung, zu-
sehends entwickelt sich eine b^stimmende Be-
wegung.

Es ist das rechte Beispiel für die Gewalt des
Persönlichen, das, Verwandtes an sich ziehend, die
eigene Art potenziert. Die Gefahr der Verallge-
meinerung solcher, ursprünglich individuell beding-
ter und gefärbter Zugehörigkeiten ist erheblich,
denn mit der Verbreitung tritt eine Verflachung
der Ideen, eine Vergröberung der Zwecke und
Mittel ein, es entwickeln sich Meinungs-, Ge-
schmackskonventionen, kurz die Masse schleicht
sich in den Kreis ein, den sie vorerst geschmäht,
sie löst ihn auf; indem sie ihm den Schafsgehorsam
zollt, macht sie ihn selbst zum Leithammel. Die
Nahrung, die sie solcher neuen schöpferischen
Organisation dankt, verschlingt sie gierig, trotz-
dem sie sie durch Mißtrauen, Verleumdung und
Hohn beschmutzt hat.

Aber um diese unvermeidliche Entwicklung
braucht sich der ursprüngliche Trieb nicht zu
kümmern, der sein höheres Recht wahren darf.
Der Spott, der die Einzelnen treffen soll, fällt auf
die Menge zurück, die von ihnen besiegt wird.

Es gilt, den Instinkt selbst zu erwägen und
dienstbar zu machen, die Notwendigkeit zur Frei-
heit zu erheben und vor sich selbst zu rechtferti-
gen. Die Masse, die sich der verächtlichen Kame-
raderie nicht erwehren kann, mag der gerechten
ruhig unterworfen werden. Aber die Kameraderie
sollte sich auf sich selbst besinnen, sich zu sich
selbst bekennen: es ist die vornehmste Eigen-
schaft des Geistes, allenthalben den Geist zu ahnen,
das Bedeutende wie mit einer Springwurzel aus
dem Versteck aufzuspüren und unter Tausenden
sein Zeichen zu erkennen. Es ist Beruf und Pflicht
des Geistes, dem Geist anzugehören und zu hel-
fen und dabei sich selbst die höchste Rechtferti-
gung zu gewinnen. Es ist nahezu das einzige zu-
verlässige Zeugnis für eines Mannes Wert, wenn
er mit dem Bewußtsein der eigenen auch das frem-
der Bedeutung vereinigt, wenn er neben dem ein-
fachen Instinkt der Icherhaltung den feineren, sel-
teneren einer gerechten Würdigung des fremden,
edlen Selbst bewahrt. Es bleibt die einzige Auf-
gabe, die ein unabhängiger, schöpferischer Mensch
anerkennen mag, der gleichgültigen Zwangsge-
sellschaft ringsum eine absichtsvolle, freie aus un-
abhängiger Wahl aneinandergeschlossene, durch-
geformte und bestimmte Vereinigung entgegenzu-
bilden, die durch sich selbst eine höhere Art er-
wirkt, welche den Einzelnen über sein gegebenes
Maß hinaushebt. Es ist die eir- Tige Entwicklung,
die ihren Mann verdient. Freilich gehört ein ge-
wisser Mut dazu, soviel Zutrauen nicht bloß zu
sich, sondern zu fremden Menschen, Ideen, Lei-
stungen zu haben, nichts kann tiefer erschüttern,
als ein Irrtum in dieser Grundfrage. Aber Geist
ist eben Mut schlechthin.

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